Eine Metal-Band aus Thüringen, die Nazis bei Konzerten aussperrt, ihr Öko-Gewissen betont und Schüler*innen Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie gibt? Maik Weichert, Gitarrist und Gründungsmitglied von Heaven Shall Burn, über seine politische Sozialisation in der DDR, den Exotenstatus der Band – und warum auch das aktuelle Album wieder sehr viel will 

0941mag: Kleiner Vorab-Check für Leute, die keine Metal-Fans sind: Wie klingen Heaven Shall Burn?  

Maik Weichert: Hm, also, meine Mutter sagt, das ist wie ein Schnellzug, der an dir vorüber rauscht.

Und ist das aktuelle Album auch so ein Brett?

Ich finde es vielseitiger, offener als das, was wir bisher gemacht haben! Es lässt auch mal Zeit zum Atmen, hat ruhigere Momente. Das Ding ist halt, dass die Wutausbrüche dadurch noch intensiver klingen.

„Of Truth and Sacrifice“ ist ein richtiges opus magnum. Gibt es ein Thema, das die 19 Songs zusammenhält? 

Es geht um Wahrheit und Opferbereitschaft! Was opfern Leute für die Wahrheit? JournalistInnen zum Beispiel, die umgebracht werden, weil sie über bestimmte Themen berichtet haben. Oder PädagogInnen in Afrika, die alles daran setzen, um Mädchen zu mehr Bildung zu verhelfen – und dafür von religiösen Gruppen angefeindet werden. Wir hier, bei uns, verschließen oft die Augen vor der Wahrheit, wir opfern sie, damit wir unser bequemes Leben weiterführen können. Anderswo werden Menschen Wahrheiten aufgezwungen – in dem Sinn, dass sie keine andere Meinung mehr haben dürfen. Und dann gibt’s natürlich noch die berühmten „alternativen Wahrheiten“. Das sind so Themen, von denen viele der Texte auf dem Album handeln.

Das hört sich sehr politisch an.

Absolut! Ich hab’ immer politisch gedacht und das auch kommuniziert. Irgendwann habe ich gemerkt, mir hören mehr Leute zu, wenn ich eine Gitarre in der Hand halte als wenn ich einen Artikel in der Schülerzeitung schreibe. Das war so ein Schlüsselerlebnis. Aber ich hab’ mich deswegen nicht als Musiker gefühlt oder als Künstler. Sondern ich hatte eine Wut, eine Meinung, die ich an den Mann bringen wollte zusammen mit den anderen Jungs in der Band. Und das ist auch so geblieben, denk ich.

Was musste damals, in den Anfängen, raus und warum? 

Du musst dir vorstellen, ich bin in der Nachwendezeit in Ostdeutschland aufgewachsen. Da gab es extreme Umwälzungen in der Gesellschaft, in meinem Leben, mit der Familie und so weiter. Das hat mich alles sehr beschäftigt – und gleichzeitig war die ganze Welt in Aufruhr! Systeme sind zusammengebrochen. Neue Allianzen haben sich ergeben. Die Lehrer in der Schule, die gestern das gesagt hatten, haben am nächsten Tag das genaue Gegenteil erzählt. Es ist eine aufregende Zeit gewesen, aber eben auch eine, die bei jungen Menschen zu sehr viel Aggression und Unsicherheit geführt hat. Also hat man alles rausgeschrien. Um einen Pflock einzuschlagen. Zur Orientierung.

Wäre Punk da nicht naheliegender gewesen als Metal?

Ja, na gut, unsere ersten musikalischen Gehversuche haben sich wahrscheinlich von Punk nicht allzu sehr unterschieden. Weil auf der einen Seite fand ich Metal cool und wir wollten auch irgendwie Metal spielen. Nur waren wir technisch dazu gar nicht in der Lage. Deshalb haben wir dann mit Metalcore angefangen – ohne dass wir wussten, dass es das überhaupt gibt, diese Mischung aus Punk, Hardcore und Metal. 

Ich frag’ auch deshalb, weil ich mir schwer vorstellen kann, wie man ein Metal-Publikum mit politischen Inhalten erreicht.

Das geht! Wir bekommen zum Beispiel oft Rückmeldung von Leuten, die ideologisch gar nicht unserer Meinung sind, weil sie vielleicht lieber CDU oder sowas wählen. Aber sie finden es gut, dass wir so eindeutig politisch Stellung beziehen in einer Szene, in der das nur ganz wenige Bands tun. Es ist leicht für uns, gehört zu werden. Aber ob und inwieweit sich Metalheads für linke Positionen begeistern lassen, ist eine ganz andere Frage.

Nazis müssen bei euren Konzerten draußen bleiben. Wie macht ihr das?

Also, es findet bei uns keine Gesinnungsprüfung statt! Aber wer seine rechten Überzeugungen auf T-Shirts, mit Aufnähern oder Symbolen kundtut, dem wird der Eintritt verwehrt. Es gab auch schon Konzerte, zu denen sich szenebekannte Nazis und Faschisten angekündigt hatten, da haben wir die Security entsprechend gebrieft und Hausverbote erteilt. Ansonsten muss den Leuten klar sein, dass sie die Gegenseite supporten, wenn sie zu unseren Konzerten kommen. 

Ihr habt euch als Band immer klar antifaschistisch positioniert. Wie leicht oder wie schwer war das nach der Wende in der früheren DDR?

Also, du konntest in den 90ern, im Osten, als langhaariger Metaller schon eine Show in einem Jugendclub spielen. Es war halt nur nie sicher, ob der nicht von Faschos überfallen wird. Das waren Zustände wie im Wilden Westen! Natürlich war man vorbereitet. Da hat keiner eine Show veranstaltet, ohne dass nicht irgendwo in einer irgendeiner Ecke Knüppel lagen, so dass man sich wehren konnte. Aber andererseits gab es in diesem Klima der Konfrontation auch kleine klaren Linien.

Das heißt?

Es konnte passieren, dass von zehn deiner Kumpels – besten Freunden, Schulkameraden, Leuten, mit denen du in den Kindergarten gegangen bist – auf einmal sieben Faschos waren, zwei waren Hip Hopper und einer hat noch Dark Wave gehört. Die ideologischen Gräben waren so groß, dass man sich eigentlich hätte auf die Schnauze hauen müssen statt nebeneinander her zu leben. Und oft ist es auch zu völlig abstrusen Szenen gekommen …

Zum Beispiel?

Ich wurde mal als Langhaariger in einer Diskothek von Naziskinheads angemacht. Da haben meine Faschokumpels aus dem Kindergarten die verprügelt, weil ich ja der Freund aus Kindertagen war! Es gingen also zwei Faschogruppen aufeinander los und der Grund war ein linker Metaller!

Was war denn so eine linke Position, die man vertreten musste, um anzuecken?

Es hat schon gereicht, die Parole „Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein“ blöd zu finden. Dieses betont Deutsch-Nationale für überdenkenswert zu halten. Ich kann mich da an eine Einheitsfeier am 3. Oktober 1990 erinnern – wie geschockt ich war, als um null Uhr die Einheit vollzogen wurde und auf einmal ein Drittel des Festsaals mit strammem Arm Heil Hitler gerufen hat …

Viele im Westen wundern sich, was im Osten von den ersten Pegida-Aufmärschen bis zu den jüngsten Wahlerfolgen der AfD im rechten Spektrum so abgeht. Du nicht?

Nein, gar nicht! Bloß: Wenn heute gesagt wird, in diesem oder jenem abgehängten Teil Sachsens wählen 40 Prozent AfD, dann frag’ ich dich: Ja, wer soll denn da auch noch eine andere „normale“ Partei wählen? Diese Leute sind alle in Berlin oder in Leipzig oder in München! Es sind einfach sehr viele weggegangen aus dem Osten. Außerdem … 

Ja?

Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass es in Westdeutschland nicht weniger AfD- oder Pegida-Sympathisanten gibt! Nur sind die halt nicht so blöd, das nach außen zu krakeelen. Ihr in Bayern zum Beispiel habt doch die CSU! Warum soll da jemand AfD wählen? Ihr habt eure Schützenvereine, wo ich bei einigen bestimmt auch rassistische Sprüche loswerden kann, da brauche ich keinen Fascho-Stammtisch in Sachsen dazu! Dieses reaktionäre, populistische Gedankengut ist im Westen einfach institutionalisierter als im Osten. Bei uns liegt das noch viel mehr auf der Straße. Es ist viel mehr in Bewegung. Viel mehr im Aufbruch. Außerdem haben die Leute in ihrer Biografie natürlich auch die Erfahrung gemacht, dass Systeme kollabieren können und dass sie Systeme verändern können. Diese Erfahrung hat in Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen noch nie jemand gemacht! Im Osten vertreten die Leute ihre politischen Ansichten auch deshalb mit mehr Enthusiasmus, weil sie an die Wirkung ihrer Parolen glauben. Und umgekehrt, mal ehrlich: Jemand, der Franz Josef Strauß mitgemacht hat, was soll den an Höcke beeindrucken?

Gutes Stichwort! Du hast mal gesagt: Vor Björn Höcke, dem geistigen Brandstifter der Thüringer AfD, müsse man sich nicht fürchten. Der wäre gern der neue Führer der radikalen Rechten, hätte aber nicht das Format dazu. Bist du immer noch der Meinung?

Also, ich hab nicht gesagt, dass man sich vor dem nicht fürchten muss! Dass er das Format nicht hat, kann natürlich auch wahnsinnig gefährlich sein. Wie sich in den letzten Kriegstagen und in seiner letzten Rede gezeigt hat, hatte Hitler ja auch nicht das Format zum Führer! Das ist nur leider sehr spät rausgekommen. Also, dass Höcke keinen Schaden anrichten kann, will ich überhaupt nicht behaupten. Ich denke nur, dass er persönlich in seiner narzisstischen Veranlagung – narzisstisch, nicht nur nazistisch – viel zu eitel und selbstfokussiert ist, um so eine Rolle ernsthaft einzunehmen. Aber gefährlich ist er natürlich trotzdem.

Ein Klassiker im Live-Repertoire von Heaven Shall Burn ist der Song „They shall not pass“, der davon erzählt, wie sich 1936 im Londoner East End die Bewohner des Viertels einem Aufmarsch von Faschisten in den Weg gestellt haben. Ist das so euer Appell, dass es einen gesellschaftlichen Grundkonsens braucht, um die Rechten zu stoppen?

Ich glaube, es braucht erst mal einen politischen Konsens der Art, dass sich die etablierten Parteien wieder darauf besinnen, die Sorgen und Nöte der Menschen ernsthaft anzugehen! Denn Leute, die keine Sorgen haben, laufen auch nicht der AfD in die Arme. Man kann es natürlich machen wie Herr Seehofer, der phasenweise einfach nachplappert, was die AfD vorsagt, um diese 25 Prozent der Wähler auch noch auf seine Seite zu ziehen. Aber dann muss man sich nicht wundern, wenn einem Teile der eigenen, konservativen Gefolgschaft gleich mit von der Fahne gehen. Ich meine: Ich will ja gar nicht, dass jeder in Deutschland die Grünen, die Linke oder die Tierschutzpartei wählt! Ich find’s gut, dass wir in einer pluralistischen Parteienlandschaft leben, in denen viele Leute Parteien wählen, die ich nie wählen würde, die aber demokratisch sind und konsensfähig diesseits von AfD und rechtem Populismus.

Du bist nicht nur Metaller, sondern auch promovierter Verfassungsrechtler. Und Heaven Shall Burn geben auch Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie an Schulen?

Ich hatte mal ein Projekt, da habe ich über Demokratie und Wahlen geredet, das stimmt. Chris Bass, unser Schlagzeuger, war bis Juli Berufsschullehrer, da war die Zielgruppe ganz nah. Und wenn Schüler, was immer wieder passiert, mit uns über die Texte von Heaven Shall Burn reden wollen, machen wir das gern. Chris war deshalb neulich in Berlin, ich in Dresden. Die Jugendlichen finden das natürlich super, weil sie lieber jemandem aus ner Metal-Band zuhören als einem knochentrockenen Juristen.

Heaven Shall Burn gilt als Band mit ausgeprägtem Öko-Gewissen: Tatsache, dass ihr alle Veganer sind?

Wir sind Veganer und Vegetarier, so fifty-fifty. Also von uns isst keiner Fleisch. Ich selbst bin schon seit 20 Jahren Veganer.

Dass ihr ein Herz für Tiere habt, weiß man seit „Hunters will be hunted“. Der Song hat euch ziemlichen Ärger mit dem Jagdverband eingebracht. Unter anderem war vom Aufruf zum Mord die Rede, also zum Mord an Jägern. 

Man muss nur das Video zum Song gucken, dann sieht man, wie abwegig das ist! Scheinbar wollte uns da jemand bei der „Bild“-Zeitung einen Gefallen tun und hat dem Chef von diesem Jagdverband ein paar provokative Fragen gestellt (lacht). Dass dieser Typ dann auch noch so dumm ist und voll drauf einsteigt, wie man’s eigentlich nicht machen sollte, war natürlich ein Super-Coup für uns – so eine geringe Medienkompetenz bei uns feindlich gesinnten Gruppen ist immer ein Geschenk! 

Eines eurer Anliegen ist der Schutz der Meere – „Hunters will be hunted“ war auch als Support für Sea Shepherd gedacht, eine Gruppe von Hardcore-AktivistInnen gegen Walfang und Robbenjagd. Wie findet ihr „Fridays for Future“?

Das Level der Aufregung zeigt, dass diese jungen Leute einen Nerv treffen! Abgesehen davon finde ich es, ehrlich gesagt, supercool, dass die Jugend die alten Säcke endlich mal wieder so richtig attackiert – das war ja wirklich jahrzehntelang nicht mehr der Fall, dass gegen die Elterngeneration aufbegehrt wurde. Also, wenn die Jungem jetzt fordern, dass die erwachsenen Führungseliten in Sachen Klima- und Umweltschutz vielleicht mal auf die Wissenschaft hören sollten, dann stehen wir da absolut dahinter.

Maik Weichert, geboren 1977 in Bad Berka im Weimarer Land, gründete 1998 mit Matthias Voigt in Saalfeld an der Saale/Thüringen die Metalcore-Band Heaven Shall Burn, die in der Szene wegen ihres politischen und sozialen Engagements von Anfang an als exotisch wahrgenommen wurde. Trotzdem greifen HSB bei den Metal Hammer Awards des gleichnamigen Fachmagazins regelmäßig Preise ab - mal als Beste deutsche Band (2011), mal fürs Beste Album (2017), Maik Weichert war 2017 in der Kategorie "God of Riffs" nominiert. HSB live gibt es wieder am 21. August beim Dynamo Metal Fest in Eindhoven/ Niederlande, bevor es im Rahmen der "Trivium and Heaven Shall Burn Tour 2021" nach Glasgow, Birmingham, Manchester und London geht.