Die Auswirkungen des Klimawandels werden sichtbarer, die Klimafrage immer drängender, es ist Zeit für eine sozial-ökologische Revolution, sagt Elias König. In seinem ersten Buch begründet der Umweltphilosoph und Aktivist der Klimagerechtigkeitsbewegung, warum es jetzt nur noch eine Agenda geben kann – nämlich den „fossilen Kapitalismus“ zu stoppen, der Menschen auf der ganzen Welt die Lebensgrundlagen raubt und der uns in letzter Konsequenz den Planeten kosten kann. Ein Interview

0941mag: Elias, Sie sind in Berlin zu Hause, studieren an der Universität Peking, aber im Grund sind Sie auf der ganzen Welt daheim, schreiben Sie auf Twitter. Wie sieht Ihr Leben im Moment aus?

Gerade bin ich mal wieder in Deutschland – um mich impfen zu lassen. Die Rückkehr nach Peking wird sich noch ein bisschen ziehen, weil’s gerade nicht  einfach ist, nach China zu reisen. Aus dem Grund habe ich auch das komplette letzte Jahr schon in Taiwan verbracht. Ich schreib’ da an meiner Masterarbeit in Philosophie und nutze die Zeit, um Chinesisch zu lernen.

Weil Sie’s fürs Studium brauchen? 

Genau, ich interessiere mich sehr für chinesische Philosophie, insbesondere für Bestrebungen, Umweltphilosophie globaler zu gestalten. Philosophisches Denken bei uns funktioniert ja traditionell eurozentrisch – was ein Problem ist, weil unsere Theorien und Gedankenkonstrukte oft genau die Logiken reproduzieren, die uns zum Beispiel die Klimakrise eingebrockt haben.

Apropos: Wie war das, als Sie Anfang August aus dem Flieger gestiegen sind? Haben Sie da ein anderes, verändertes Deutschland vorgefunden? Wetterextreme und Flutkatastrophen wie vor Kurzem in der Eifel kannten die meisten von uns ja bisher nur aus den Weltnachrichten.

Die Flut hat vielen Leuten die Augen geöffnet, das glaube ich schon. In China gab es ja eine Woche nach dem Starkregen in Deutschland ein ähnliches Starkregen-Ereignis, in dessen Folge 900.000 Menschen evakuiert werden mussten und viele umgekommen sind. Die Extremwetter-Ereignisse überschlagen sich momentan geradezu. Und ich hab‘ auch zum ersten Mal das Gefühl, dass sich die Wahrnehmung, die es anderswo schon länger gibt – nämlich, dass die Klimakrise nicht in der Zukunft liegt, sondern schon da ist – auch in Deutschland durchsetzt. Außerdem …

Ja?

… kann man auch bei der Flut in der Eifel wieder sehen, welche Menschen von so einem Ereignis in erster Linie betroffen sind! Meine eigenen Großeltern zum Beispiel leben im Rheinland, aber nicht in einem der Täler, sondern oben auf dem Berg. Wer sich das leisten kann, und das sind in der Regel Leute mit höheren Einkommen, bleibt von solchen Katastrophen verschont. Die Ärmeren dagegen sind ihnen schutzlos ausgeliefert – in NRW ebenso wie in Asien oder im Globalen Süden.

Ein Argument für mehr Klimagerechtigkeit?

Exakt!

Lassen Sie uns, bevor wir über Ihr Buch reden, kurz noch auf den Herbst gucken und auf die kommende Bundestagswahl! Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie hören, dass nun auch Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Union, die Meinung vertritt, dass es mit dem Klimaschutz schneller gehen muss?

Ich würde gern darüber lächeln! Tatsächlich macht es mich eher wütend. Die bürgerliche Antwort auf Klimaaktivismus bestand die meiste Zeit über nur in Leugnen und Ignoranz. Alle Regierungen der jüngeren Vergangenheit in Deutschland, aber auch große Unternehmen, die zur Klimakrise beigetragen haben, haben direkt oder indirekt Klimaleugnung betrieben. Jetzt, nachdem der Klimawandel und seine Auswirkungen nicht mehr zu leugnen sind, besteht die Mainstream-Antwort darin, so zu tun, als würde man das Thema ernst nehmen, um es dann in der Praxis weiter zu leugnen oder eben Symbolpolitik zu betreiben – und Herr Laschet ist ein Paradebeispiel dafür. Er sagt morgens andere Dinge als abends. Nach der Flut in der Eifel sah er erst keine Veranlassung für einen Kurswechsel in der Klimapolitik, jetzt soll es plötzlich schneller gehen. Nimmt man ihn dann aber beim Wort und schaut sich an, was in NRW passiert und was die Große Koalition in letzter Zeit an Klimamaßnahmen verabschiedet hat, kann man sehen, dass sich zum Beispiel in der Frage des schnelleren Ausstiegs aus der Kohle, der dringend erforderlich ist, um CO2-Emissionen zu reduzieren, nichts bewegt.

Aktivist König (Bildmitte im schwarzen Anorak) mit Freund auf einer Klima-Demo in Berlin

In Ihrem Buch zitieren Sie Umfragen der Europäischen Kommission, wonach die Deutschen die Klimakrise für eines der wichtigsten politischen Themen überhaupt halten. Doch für Leute, die gern selbst etwas fürs Klima täten, haben Sie keine guten Neuigkeiten …

Es ist leider so, dass auch sehr starke persönliche Einschränkungen nur einen bescheidenen Effekt auf die CO2-Bilanz haben! Das hat die Corona-Krise jetzt noch mal gezeigt, die ja auch mit einem enormen Konsumverzicht verbunden war. Die Leute sind nicht mehr so viel geflogen, vielleicht auch gar nicht in Urlaub gefahren etc., trotzdem haben wir weltweit nur im einstelligen Prozentbereich CO2 eingespart. Der Grund ist, dass wir in einer fossilen Gesellschaft leben, dass CO2 systemisch verankert ist in unseren Heizungen, in der Art und Weise, wie Güter produziert werden, dass wir in einer globalisierten Gesellschaft leben mit einer hohen Transportnotwendigkeit und in einer Gesellschaft, in der auch die Ernährung sehr CO2-intensiv organisiert ist. Das sind systemische Phänomene, die man individuell nicht so leicht ändern kann. 

Man kann also sagen: Es gibt ein Bewusstsein für das Klimaproblem. Es gibt eine gut vernetzte, weltweite Community, die an Klima-Aktionstagen wie dem 20. September 2019 allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße bringt. Und doch ist nichts erreicht? 

Das ist das Problem, vor dem wir momentan stehen. In 25 Jahren ist aus den Protesten beim ersten Weltklimagipfel in Berlin, die damals noch relativ wenige Leute angezogen haben, eine Bewegung geworden, die immer mehr Zuspruch fand und die heute – zumindest im globalen Norden – als stärkste Bewegung unserer Zeit angesehen werden kann. Das ist schön. Super! Der Blick auf die harten Fakten aber zeigt, dass es zwar gelungen ist, ein höheres Bewusstsein für das Klimaproblem zu schaffen. Nicht erreicht wurde aber, dass sich die Emissionswerte in die richtige Richtung bewegen. Im Gegenteil: Wie es aussieht, wird auch 2021 wieder ein Rekordjahr in Sachen CO2-Emissionen und Klimakatastrophen werden.

Bei ihrem letzten Treffen im Juli in Neapel haben sich die Fachminister der G20-Staaten für Umwelt, Klima und Energie nur darauf verständigen können, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad zu halten und die Bemühungen fortzusetzen, sie auf 1,5 Grad zu reduzieren. Das ist der Stand von 2015 (!), wie er im Pariser Abkommen bei der UN-Klimakonferenz festgeschrieben wurde …

Das ist natürlich traurig! Aber es zeigt auch, wie gut vernetzt die Gegenseite ist! Zuletzt hat man das in der Aserbeidschan-Affäre gesehen, als Kontakte eines fossilen Staats wie Aserbeidschan bis in den Bundestag hinein bekannt wurden. Auch die Autoindustrie hat einen guten Draht zur Politik – Verkehrsminister Scheuer zum Beispiel hat erst kürzlich auf Anfrage einräumen müssen, dass er sich seit seinem Amtsantritt 2018 insgesamt 80mal mit Vertretern der Autoindustrie getroffen hat. Mit Umweltverbänden dagegen hat er in derselben Zeit nur ein einziges Mal gesprochen. Das zeigt: Die fossile Industrie hat Einfuss. Sie kann finanziell Druck aufbauen. Und sie hat auch die Ressourcen, um ihr Wirtschaftsmodell noch zehn, 20 Jahre in die Zukunft zu retten.

Haben Sie vor diesem Hintergrund überhaupt noch Erwartungen an die Politik? Und was halten Sie von der erklärten Absicht der EU, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden?

Das ist der Plan der EU. Und das rät auch der Weltklimarat (IPCC) – er hat vorgerechnet, dass man den globalen CO2-Ausstoß bis 2050 auf Null bringen muss, wenn wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen wollen. Das gibt uns (scheinbar) Zeit. Es klingt nach einem guten Deal. Aber Ziele sind das eine, ihre Umsetzung das andere. Wenn man genau hinschaut, sieht man zum Beispiel, dass es da einen Widerspruch oder eine Lücke gibt zwischen der historischen Verantwortung und dem, was als Ziel ausgegeben wird. Weil: Ginge es gerecht zu, müssten Europa und die USA stärker in die Pflicht genommen werden. Sie müssten schneller klimaneutral werden, weil sie historisch betrachtet ja auch für die meisten CO2-Emissionen verantwortlich sind.

Die nächste Chance, Klimagerechtigkeit einzufordern, wäre die Weltklimakonferenz im November in Glasgow.

Ein Gipfel ist natürlich immer eine Chance. Andererseits wurden bei solchen Konferenzen noch nie großartige Durchbrüche erzielt. Deshalb halte ich es auch jetzt für unwahrscheinlich, dass es zum Beispiel einen Internationalen Klimagerichtshof geben wird oder die Anerkennung von Klimaschulden – zwei zentrale Forderungen, die von der Klimagerechtigkeitsbewegung bei diesen Gelegenheiten immer vorgetragen werden.

Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu mehr Klimagerechtigkeit ist der „fossile Kapitalismus“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Können Sie diesen Zusammenhang kurz erklären?

Also, die Klimakrise wird ja häufig so erklärt, dass man sagt: Es gibt zu viel CO2 und andere Treibhausemissionen auf der Welt und gleichzeitig zu viel Abholzung von natürlichen Lebensräumen und CO2-Speichern. Dadurch gerät die CO2-Bilanz aus dem Gleichgewicht und deswegen haben wir nun diese Klimakrise mit all ihren sichtbaren, verheerenden Auswirkungen. Das ist aber keine Antwort auf die Frage, warum es dazu kam.

Und wie sähe die Antwort aus?

Einige Leute sagen, dass der Mensch nun mal dazu neigt, möglichst viel zu verbrennen. Es gibt auch die Theorie des Anthropozäns, wonach wir in einem Zeitalter leben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Mensch Einfluss nehmen kann in einem Maß, wie es lange undenkbar gewesen ist. Beide Ansätze verkennen aber, das die allermeisten Menschen auf der Welt momentan überhaupt keine so hohen CO2-Emissionen haben, sondern eigentlich im Rahmen ihres Budgets leben. Es ist weltweit nur eine kleine Schicht, die dieses Budget mit ihrem Lebensstil sprengt, der sich wiederum aus einem System ergibt, das auf Kapital-Akkumulation beruht. Unser System ist gesteuert von den Profitinteressen großer Unternehmen, die gar nicht anders können, weil Profitmaximierung zu ihrer DNA gehört, und die in einem energieintensiven System wie dem unserem nur agieren können, indem sie Handel treiben, Rohstoffe aus der Erde holen und andere emissionsintensive Dinge betreiben. Für uns heißt das: Wenn wir diese extrem klimaschädliche Entwicklung stoppen wollen, müssen wir den fossilen Kapitalismus stoppen.

Was halten Sie davon, den fossilen Kapitalismus sozusagen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, über den Emissionshandel oder über grünes Wachstum?

Die Idee mit dem Emissionshandel geht auf eine Initiative der USA zurück. Die haben 1997 bei den Verhandlungen zum Rahmeneinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen durchgesetzt, dass es in der Klimapolitik keine direkten Eingriffe in die Wirtschaft geben soll. Die vorgeschlagene Alternative, dass Unternehmen Zertifikate kaufen können, die zum Ausstoß einer bestimmten Menge CO2 oder anderer Treibhausgase berechtigen, hat sich aber als relativ wirkungslos erwiesen. Die Entwürfe für grünes Wachstum kommen unter anderem von der Weltbank und von der OECD. Aber wenn man sich die Dokumente näher anschaut, gibt’s darin zahlreiche Ungereimtheiten – etwa in der Frage, wie die weltweite Wirtschaft weiter konstant wachsen und CO2-Emissionen gleichzeitig rapide reduziert werden sollen. Da geht ein Riss durch die kapitalistische Logik wie auch beim Konflikt zwischen grauem und grünem Kapitalismus, den wir im Moment sehen: Auf der einen Seite die Ölfirmen, die ihrem zerstörerischen Kapitalismus verpflichtet sind, einfach weil sie da so schnell nicht rauskommen, weil sie investiert haben und deswegen auf Gewinne angewiesen sind. Und auf der anderen Seite grüne kapitalistische Unternehmen etwa in den erneuerbaren Energien – wobei das Problem ist, dass selbst der grüne Kapitalismus in der Form, wie ihn die Leute sich vorstellen, nicht funktioniert, weil wir auch damit die Klimaziele nicht erreichen.

Kapitalismus ist ein extrem selbsterhaltendes System. Ein Beispiel sind die Gedankenspiele um einen Staatsfonds mit Aktien, in dem auch nachhaltige Anlagen drin sein sollen. Auf diese Weise würden Bürger zu shareholdern, um fürs Alter vorzusorgen – obwohl man in vielen Fällen gar nicht weiß, wie nachhaltig börsennotierte Unternehmen tatsächlich wirtschaften.

Mir fällt in diesem Zusammenhang immer die Rentnerin ein, deren Rentenfonds in einem großen Immobilienunternehmen anlegt, das dann letztlich Gewinn dadurch macht, dass es die Miete der Rentnerin so lange erhöht, bis sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Das Problem ist, dass man quasi kooptiert wird in diesem System. Die Divestment-Bewegung in der Klimabewegung hat darauf reagiert und erreicht, dass sich ganz viele Institutionen, Universitäten und Investoren dazu bekannt haben, ihr Kapital nicht mehr in fossile Energien zu investieren. Aber das Kapital wandert natürlich in andere Firmen, die nicht unbedingt weniger CO2-intensiv produzieren. Häufig gibt es auch Emissionen an Orten, wo man es gar nicht erwartet, zum Beispiel im Dienstleistungssektor oder im Finanzsektor – Bitcoin zum Beispiel stößt in etwa so viele Emissionen aus wie ein Land von der Größe Sri Lankas oder Jordaniens.

Im Buch kommen sie auch auf China zu sprechen. Dort gebe es Pläne, die gesamte Gesellschaft in eine wirtschaftlich, technologisch und kulturell nachhaltige Zivilisation umzubauen – und es wachse die Überzeugung, dass Wirtschaftswachstum und ökologische Lebensweise auf lange Sicht nicht miteinander vereinbar seien. Klingt vielversprechend! Wo ist der Haken?

Der Haken ist, dass das natürlich ein Diskurs ist, der unter Intellektuellen geführt wird. Das Land selbst ist ja in einer ausgeprägten Wachstumslogik verfangen – ein Großteil der Legitimation der aktuellen Regierung liegt darin, dass sie jedes Jahr sehr hohe Wachstumsraten verspricht und dieses Versprechen auch einlöst. Interessant für uns sind die Rahmenbedingungen und Frontverläufe der Debatte. Während es im Westen häufig privat verfasste Unternehmen sind, die hohe CO2-Bilanzen aufweisen wie RWE, BASF oder Heidelberg Cement – und deshalb oft auch gefordert wird, diese Industrien zu verstaatlichen, damit die Gesellschaft ihren Umbau organisieren kann – sind die Unternehmen in China schon staatlich und die Klimabewegung dort hat weniger Einfluss auf die Politik, weil es einen wesentlich kleineren Raum für Demonstrationen gibt. Widerstand organisiert sich dort anders, denn Herausforderungen gibt’s genug. Zum Beispiel, dass beide Modelle, das westliche und das chinesische, fest miteinander verbandelt sind. China ist immer noch die „Werkbank der Welt“. Ein Großteil der Produktion dort ist nicht für den lokalen Markt bestimmt, sondern geht in den Export nach Europa und in die USA. Und das heißt: Mit unserem Konsum hier verursachen wir Emissionen dort.

Die Chinesen wären danach Täter und Opfer zugleich: Das Land stößt mehr CO2 aus als alle anderen Industriestaaten zusammen. Dabei geht ein Teil davon gar nicht auf Chinas Kappe, sondern auf unsere? Wir lagern unsere CO2-intensive Produktion und damit auch die Emissionen aus, nicht nur nach China, sondern auch nach Namibia, Bangladesch, Indonesien, wie Sie schreiben, mit verheerenden Folgen für Mensch, Natur und Umwelt. Und machen uns gleichzeitig ökologisch einen schlanken Fuß?

Das ist auf jeden Fall so und es ist historisch abgeleitet aus gewissen Strukturen, die es schon sehr lange gibt, und die es ermöglichen, dass man das so machen kann. Auf globaler Ebene wird noch immer nur über Emissionsrückgänge in den jeweiligen Ländern verhandelt – mit oft kuriosen Ergebnissen, wenn etwa wie vor Corona der Konsum in Deutschland zwar brummt und trotzdem von einer CO2-Reduktion die Rede ist. Aus dem politisch rechten Spektrum kommt in Sachen CO2-Bilanz gern das Argument, Deutschland sei ja doch ein kleines Land, mit gerade mal einem Prozent der Weltbevölkerung, und dass wir deshalb auch nur für ein bis zwei Prozent der globalen CO2-Emission verantwortlich seien. Tatsächlich geht eine solche Argumentation komplett an der Realität vorbei.

Der fossile Kapitalismus geht also mit einer neuen Art Kolonialismus und Rassismus einher – und keiner merkt’s oder will es wissen?

Naja, vor Ort merken die Leute es natürlich schon! Ich hab’ auch in Indien zu dem Thema geforscht und da musste ich den Leuten nicht erklären, was hier das Problem ist. Generell aber, finde ich, ist es höchste Zeit, dass wir die Rhetorik der CO2-Neutralität mal gründlich hinterfragen. Denn: Wenn Unternehmen und Regierungen in Europa davon reden, dass sie CO2-neutral werden wollen, haben sie häufig gar nicht im Sinn, CO2-Emissionen komplett zu stoppen. Meistens läuft es in solchen Fällen darauf hinaus, Emissionen auszugleichen, indem man zum Beispiel in anderen Teilen der Welt Aufforstungsprojekte fördert, Moore trockenlegt oder erneuerbare Energien fördert. Da gibt’s Mechanismen, wie man das gegeneinander aufwiegen kann. Aber wenn man sich dann tatsächlich mal anschaut, was diese Projekte in anderen Teilen der Welt tun, dann kommt das einem grünen Kolonialismus gleich. Andere Länder bezahlen für die Klimasünden des Globalen Nordens – konkret geht es da um Communities, die enteignet werden, damit man Wälder pflanzen kann, wo früher Lebensraum war. Aber auch der ökologische Umbau der Wirtschaft in Europa weg vom Verbrenner hin zum Elektromotor ist anderen Teilen der Welt mit enormen sozialen und ökologischen Folgen verbunden, die von uns einfach ausgelagert werden.

In Ihrem Buch fordern Sie deshalb einen radikalen Schnitt – eine „sozial-ökologische Revolution“ für mehr Klimagerechtigkeit. Was genau stellen Sie sich darunter vor?

Es reicht in dieser Klimakrise nicht, die Dinge nur oberflächlich zu verändern! Wir müssen das System umbauen: Es muss weniger Autos geben. Die Landwirtschaft muss anders organisiert werden, Transport muss anders organisiert werden. Es muss anders organisiert werden, wie wir zusammenleben, wie wir kommunizieren. Wenn man sich das näher anschaut, sind wirklich alle Lebensbereiche betroffen. Deshalb wird auch von einer sozial-ökologischen Wende gesprochen, weil es wirklich tief greift. Aber es ist vielleicht halt auch die letzte Chance, die uns noch bleibt.

Eine Frage, die Sie sich selber stellen, ist die, „welche gesellschaftlichen Akteure denn überhaupt die Macht und das Interesse haben, für eine lebenswerte Zukunft jenseits der kapitalistischen Logik einzustehen“. Das würde mich auch interessieren!

Ich bin da eigentlich ganz optimistisch. Ich meine: Klimafragen wurden ja lange mehr auf der Ebene der Moral verhandelt nach dem Motto: Du sollst kein Fleisch essen! Du sollst kein Auto haben! Inzwischen diskutieren wir das auf einer existenziellen Ebene – wieviel Zeit uns noch bleibt, den Planeten zu retten. Früher hat man in diesem Zusammenhang abstrakt über die Verantwortung für künftige Generationen gesprochen. Jetzt leben diese Leute zum Teil schon, müssen ihre Interessen verteidigen und es werden immer mehr. Sie gilt es, in einer Bewegung zusammenzubringen. Und ich glaube, da lässt sich viel machen. In Taiwan zum Beispiel gab es gerade die größte Dürre seit hundert Jahren und in der Folge hat die Regierung mehreren zehntausend Bäuer*innen das Wasser abgestellt – und den großen, wichtigen Fabriken zugeteilt. Die Entschädigung, die die Betroffenen eigentlich bekommen sollten, haben dann die Großgrundbesitzer kassiert. Das ist auch eine Form von Klimakampf, den die Bäuer*innen da führen. Nur sind sie bis jetzt nicht eingebunden in die Klimabewegung. Also: Ich sehe da viel Potenzial. Und meine Hoffnung ist, dass die Klimabewegung es schafft, solche Leute in ihren Protest mit einzubinden.

Und über welchen Zeitraum reden wir da?

Das ist gerade so ein bisschen das Dilemma in der Bewegung – wenn man mal schaut, wie lange es zum Beispiel gedauert hat, bis es sowas wie ein Frauenwahlrecht gab! Bei Rassismus sehen wir auch, dass dieser Jahrhunderte alte Kampf immer wieder neu aktiviert werden muss. Es braucht Zeit, bis sich soziale Bewegungen durchsetzen. Und die haben wir in der Klimafrage nicht, weil es da in den nächsten zehn Jahren einige harte Deadlines gibt. Wenn es bis dahin keine radikalen Veränderungen gibt, keinen wirklich signifikanten Kurswechsel in der Politik, würde das bedeuten, dass ein paar ganz wichtige Kipp-Punkte im Klimasystem überschritten werden mit unabsehbaren Folgen. Da kann man schon mal verzweifeln. Ich kann auch verstehen, wenn Leute sagen, wir müssen als Bewegung radikaler werden – und wenn die Regierung die Kohlekraftwerke nicht ausschaltet, gehen wir halt hin und machen sie kaputt! Diese Diskussionen gibt es auch. Aber worum es in meinen Augen jetzt vor allem geht, ist, Strukturen aufzubauen, dafür zu sorgen, dass Leute Wurzeln schlagen können in der Klimabewegung. Einen Zusammenhalt zu haben, sich zu unterstützen, solidarisch zu sein ist bei Katastrophen wie in NRW, in Madagaskar, China oder der Türkei kein hehres Ideal mehr, sondern in vielen Teilen der Welt eine Überlebenstrategie. Und das ist jeden Einsatz wert! 

„Überall auf der Welt daheim“, zur Zeit coronabedingt in Taiwan: Weltbürger Elias König
Elias König, Jahrgang 1997, forscht als Yenchin Scholar an der Universität Peking zu Umweltphilosophie, sozialen Bewegungen und epistemischer Gerechtigkeit. Innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung engagiert er sich in verschiedenen aktivistischen Kontexten, zum Beispiel beim Bündnis #ShellMustFall. Seit 2015 ist König auch publizistisch tätig - u.a. für The Ecologist, Truthout und analyse&kritik. Sein Buch "Klimagerechtigkeit - warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen" ist bei Unrast erschienen (128 Seiten, ca. 12,80 Euro)