Sie habe keine seherischen Qualitäten, sagt die Sängerin und Songwriterin Ami Warning. Schon klar. Aber die Frage stellt sich dann doch, wie es sein kann, dass ihr im Januar erschienenes, neues Album Gefühlslagen im Hier und Jetzt so auf den Punkt bringt, dass es einem in Zeiten von Pandemie und Krieg zum treuen Freund und Begleiter werden kann. Wie macht man so eine Platte? Was ist so besonders daran? Ein Klärungsversuch

Um dich: Stille.

Fragen stehen wie ungebetene Gäste im Zimmer herum.

Man müsste eine Sprache finden, die nicht so tut als ob sie auf alles eine Antwort wüsste …

Anfangs, sagt Ami Warning über ihre im Lockdown 2021 entstandene und im Januar diesen Jahres erschienene neue Platte, kam sie noch gut klar mit der Pandemie, dem damit verbundenen Rückzug ins Private: „Ich dachte: Okay, endlich habe ich mal richtig Zeit, Songs zu schreiben und aufzunehmen! Das nutz’ ich jetzt aus. Und das habe ich auch gemacht.“

Es fühlte sich neu an für sie, anders, alles selbst zu machen: „Man braucht dafür nicht viel. Ein Mikro. Ein Interface, zwei, drei Kabel und nen Laptop, das war’s erstmal. Manchmal bin ich nachts noch ins Studio vom Papa gefahren, hab’ sein Schlagzeug aufgebaut und den einen oder anderen Part dort eingespielt. Einmal habe ich einen Freund gefragt, ob er mir ein paar französische Textzeilen einsingt. Und auf einem der acht Songs spielt mein Freund Matthew Gitarre.“

Alles andere auf „Kurz vorm Ende der Welt“ ist Ami pur, das Album eine Nahaufnahme: „Wie es halt klingt, wenn man sich mitten in der Nacht und praktisch ausm Bett direkt an den Laptop setzt. Man hört ja auch, dass ich vieles mehr erzähle als singe und ich hab’ tatsächlich auch lang überlegt, ob ich das überhaupt so rausbringen kann, so unbearbeitet und direkt. Aber im Nachhinein bin ich doch froh, dass ich es so gemacht habe.“

„Kurz vorm Ende der Welt“ ist DIY, Low-Fi, stripped-down, eine Wohn-/Schlafzimmerproduktion, typisch für viele Produktionen aus den Hochphasen der Pandemie, in der sich Künstler:innen auf sich selbst zurückgeworfen sahen und nach Wegen suchten, damit zu klar zu kommen: „Einfach so dieses: Wie geht man mit den unterschiedlichsten schwierigen Sachen um? Aber auch: Man muss es irgendwie akzeptieren und weitermachen. Das waren so die Gefühle, die ich damals hatte“, sagt Ami.

Mag sein, und sie selber sieht das auch so, dass das Album, das eigentlich mehr ein Mixtape ist, zunächst wie die Platte zur Pandemie klang: „Aber sie war jetzt nicht bewusst darauf abgestimmt.“

Warning reagiert vielmehr auf ein diffuses Szenario im Außen, das irgendwie nichts Gutes verspricht. Schon im Titelsong versucht sie noch schnell in Ordnung zu bringen, was sich morgen (möglicherweise) schon nicht mehr reparieren lässt, weil es dann zu spät sein könnte: „Kurz vorm Ende der Welt / kann ich dir verzeihen / und kurz vor Schluss / soll es wohl so sein / kurz vorm Ende der Welt / lass ich lieber los / und kurz vor Schluss / stört das bloß“.

Die Erkrankung ihres Vaters, des Münchner Soulmusikers Wally Warning, probiert sie per Zauberspruch zu vertreiben: „Ich würd dich so gern / hochheben dir alles geben / so gern / Simsalabim wir kriegen alles hin / so gern“

Ein halbes Jahr später und damit eine Ewigkeit in der Welt des Pop weist „Kurz vorm Ende der Welt“ nun definitiv über sich hinaus: Das Album ist ein Grower. Eine deepe Platte, die Trost spenden kann und Frieden schließt im Angesicht des Krieges – etwas, was Ami nicht voraussehen konnte, was den Songs aber eine Tiefe gibt, die in ihren bisherigen Arbeiten so nicht zu spüren war. 

„Nach der Pandemie der Krieg, das ist beklemmend“, notierte der Autor und Filmemacher, Philosoph und Jurist Alexander Kluge um den 24. Februar herum, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. „Kurz vorm Ende der Welt“ ist nicht die Antwort darauf. Aber es ist ein Album, das den Verlust von Gewissheiten thematisiert, das Zweifel und Ängste formuliert und, paradoxerweise, genau daran wächst, das es die Unsicherheit nicht nur zulässt, sondern annimmt.

„Lieber Gott bitte hilf mir zu verstehen/ sind wir alle hier nur gekommen um zu gehen/ gekommen um zu wachsen an dem Leid/ gelebt fürs nächste Level bereit/ und was kommt dann?“ heißt es in „Es ist wies ist“.

Sie habe keine seherischen Qualitäten, sagt Ami. Natürlich nicht. Aber wenn sie nun in „Blaue Augen“ jenen unschuldigen Blick auf die Welt beschwört, der uns allen gerade so gnadenlos ausgetrieben wird, ist es, als reiche sie uns in ihrer Ratlosigkeit die Hand: „Sag mir wie ich wieder zurückgehen kann/ du sagst alles wird gut/ und ich glaub nicht dran/ und sag mir wie ich wieder zum Anfang komm/ wer hat mir meine blauen Augen weggenommen/ Sag mir wie ich wieder zurück gehen kann…“

Man kann den Herzschlag ihres Albums hören: Mal ist es ein Pochen, dann mehr ein Stolpern, das sind die Off-Beats, sagt Ami.

An 90ies-HipHop orientierte Vocals geben den Songs eine sanfte Dringlichkeit.

Und dass sie die Platte wie schon den Vorgänger „Momentan“ von 2019 auf Deutsch eingesungen hat, war der richtige Entschluss: „Je mehr deutsche Songs ich geschrieben hab’, umso mehr entstand bei mir das Gefühl, dass es 1:1 das ist, was ich sagen will. Und ich glaube, es ist auch so, dass die Songs jetzt mehr gehört werden.“

„Kurz vorm Ende der Welt“ ist Amis Angebot, im Gespräch zu bleiben. Man kann es auch als Aufforderung verstehen. An uns alle. Stay tuned!

Ami Warning, Jahrgang 1996, ist die Tochter des aus Aruba stammenden "Groovemakers" Wally Warning und einer Münchnerin. Sie startete ihre Karriere als Straßenmusikerin in München und stand mit 14 das erste Mal mit dem Vater auf einer Bühne. Warning spielt Klavier, Gitarre, Schlagzeug. Sie wird gern als Pop/Soul/Reggae-Sängerin verschlagwortet, tatsächlich gehört sie zu den viel versprechendsten Singer-Songwriter:innen Deutschlands. In den letzten acht Jahren sind vier Platten von ihr erschienen: "Part of me" (2014), "Seasons" (2016), "Momentan" (2019) und das wegweisende "Kurz vorm Ende der Welt" (2022), auf dem sie ihr stilistisches Repertoire um Spoken Word und HipHop erweitert und beweist, dass das Persönliche immer auch politisch ist. Für ihre "ungefilterten und direkten" Texte wurde sie 2022 mit dem Musikautor:innenpreis der GEMA ausgezeichnet. Populär ist Warning auch im Ausland: 2021/22 tourte sie unter anderem durch Frankreich. Französische und norwegische Schulkinder lernen mittlerweile mit ihren Liedtexten Deutsch.