Mega? Giga! In UK füttern Oasis mit einer Irrsinns-Comebacktour (mal wieder) ihr Ego. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Im Schatten des Hypes melden sich mit Sonya Aurora Madan und Glenn Johansson aka Echobelly zwei Musiker:innen zurück, die das Phänomen Britpop in den 1990er-Jahren mit erschaffen haben. Das werden alle die gern hören, denen die Gallagher-Brüder schon immer zu präpotent gewesen sind – und die bedauern, dass mit Echobelly eine damals schon woke, female fronted Band von der Branche fallengelassen wurde. War „Cool Britannia“ am Ende doch nicht so cool? Ein Blick zurück

#1 DER URKNALL

Was ein frischer Politikstil und eine clevere Marketingidee doch bewirken können! Anders als Margarete Thatcher, die in ihrer Zeit als Premierministerin den fürsorglichen Staat ohne mit der Wimper zu zucken erledigte („There is no such thing as society … people must look after themselves first!“), versprach Nach-Nachfolger Tony Blair in der Morgenröte von „New Labour“, als er sich warm lief für den Job, die Menschen mitzunehmen. Natürlich hätte man fragen können, wie das gehen soll – mehr Ausgaben für Gesundheit und Bildung, mehr Wohnungen, die Einführung eines Mindestlohns etc. und das alles bei gleichzeitiger Einführung „marktorientierter Reformen“ und unter Verzicht darauf, die Gutverdiener im Land zur Kasse zu bitten. Aber Blairs Slogan von der „modernen Sozialdemokratie“ klang einfach zu viel versprechend, seine Vision von „Cool Britannia“ zu verlockend als dass man ihr hätte widerstehen können oder wollen: „Es war, als würde man auf einer unsichtbaren Welle surfen. Nichts deutete darauf hin, dass es aufhören könnte. Alles war möglich. Es war eine kreative, positive Zeit – wie die Vorstellung, die man von den Sechzigern hat“, erinnert sich Sängerin und Songschreiberin Sonya Madan. Blair schaffte es, Optimismus zu verbreiten und eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, die die Gesellschaft als Ganzes erfasste und auch in der Bildenden Kunst (Stichwort: Young British Artists) und von der Pop-Kultur aufgegriffen und weiter getragen wurde. Für „Cool Britannia“ standen Britpop-Bands wie Oasis und Blur, Pulp, Verve, Suede, die sich Anfang, Mitte der 1990er-Jahre mit „unerschütterlicher Zuversicht und Sonnenschein-Singalongs“ (ME) auf den Weg machten. Von Madans Band Echobelly nahm das Vereinigte Königreich in Gestalt des BBC-Kult DJs John Peel oder auch des Ex-Smiths-Masterminds und Sängers Morrissey zum ersten Mal 1993 Notiz, als „Bellyache“ erschien: Eine 12″ Vinyl-EP mit vier Titeln, in denen sich die Sonne – so viel kann man schon mal sagen – nicht wirklich oft zeigt..

#2 MORE THAN A BELLYACHE

Optimistisch nach vorne schauen, heißt nicht, keine Fragen an die Gegenwart zu stellen – und da hatten die in Delhi geborene, aus einer Hindu-Familie stammende Madan und der Schwede Glenn Johansson auf „Bellyache“, der ersten Veröffentlichung ihres 1992 in London gegründeten Projekts Echobelly, doch so einige. Gleich im ersten Song, der heißt wie die Platte, geht es um die grundstürzende Erfahrung einer Abtreibung, um Zwangsvorstellungen, Panikattacken und die verzweifelte Lage einer jungen Frau – „It’s more than a bellyache/ There’s something alive in here“ – die mit ihrer Situation allein fertig werden muss, weil weder der Vater des Kindes noch die Gesellschaft sich kümmern. Wer weiß, dass Abtreibung im England des Jahres 1993 (wie heute noch bei uns) grundsätzlich strafbar war und dass das britische Parlament erst vor Kurzem eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht hat, mit der wenigstens die Gefahr von Ermittlungen, Verhaftungen, strafrechtlicher Verfolgung oder Inhaftierung der betroffenen Frauen ausgeräumt werden soll, ahnt, wie groß die Betroffenheit und die Courage auf Seiten der Band gewesen sein müssen, um hier zu intervenieren. Angeblich handelte es sich bei der jungen Frau aus „Bellyache“ um eine Freundin Madans – wie man überhaupt sagen muss, dass sich Echobelly auf ihrem Debüt nicht verstecken und hochpolitische Themen wie Gender, Sexismus, Rassismus, Klassismus sehr direkt und explizit ansprechen. In „Give Her A Gun“ etwa wird das zart aufkeimende Pflänzchen „New Labour“ schon mal mit den strukturellen gesellschaftlichen Defiziten in UK konfrontiert: „A woman’s group is still a second-class convention / Look around who has the power/ Am I a big mouth with a fix of paranoia?“. Ein Vers jagt hier den nächsten – und den zum Thema Klassismus kann man auch als Warnung verstehen: „Half the population, one percent of wealth/ Half the population, one percent of wealth/Blame the mother sell the sister/ Blame the mother, sell the sister/ Oh before I blow you away“. Madans Wille, sich an diese britische Gesellschaft zu verschwenden, die ihr Heimathafen war, seit sie als Baby mit den Eltern nach London kam, ist offensichtlich. Sie steht aber auch immer im Kontrast zu ihrem Gefühl, nicht dazu zu gehören: „Ich habe mich immer irgendwie daneben gefühlt. Passte in keine Schublade. Als Kind war ich den Indern, die ich kannte, nicht indisch und den Engländer nicht weiß genug“, sagte die Sängerin einmal in einem Interview. Auf „Bellyache“ ging sie das Thema in „I Don’t Belong Here“ noch vergleichsweise lyrisch an („Destiny breeds a life of isolation/ Give to me the bitter flesh of inspiration/ Watch me future seed a gift from god“). Aber es sollte sie noch länger verfolgen.

#3 SUCK MY EGO

Talkin‘ about Britpop bedeutet, dass man auch über das Phänomen der so genannten Lad Culture reden muss, also darüber, warum sich vor allem junge, gar nicht immer dumme Männer in der Öffentlichkeit demonstrativ schlecht benehmen müssen (?). Man kann das unreflektiert finden. Oder doof. Man kann es als postpubertäres Rollenspiel verstehen, und insofern vielleicht noch verzeihen. Es kann aber auch lästig werden, weil: laut, besoffen und übergriffig. Laddism war und ist in Teilen toxisch, weil der typische Lad nicht selten zum Chauvinismus neigt und sich immer und überall von angeblich dominanten Feminist:innen in die Enge getrieben fühlt. Es ist kein Zufall, wenn Oasis-Songschreiber und Gitarrist Noel Gallagher dieser Tage in Cardiff, vor Zigtausenden, über das in seinen Augen zu woke Glastonbury-Festival herzieht. Umgekehrt ist es nur logisch, dass eine Band wie Echobelly – mit einer Sängerin indischer Herkunft, einem schwedischen Gitarristen und einer schwarzen und lesbischen Bassistin (Debbie Smith) – sich nie wirklich als Britpop-Band verstanden hat. Sie nutzten die Gunst der Stunde, das neu erwachte Interesse an britischer Musik, machten sich aber nicht gemein. Praktisch sah das so aus, dass sie als Labelmates von Oasis im Vorprogramm der Gallagher-Brüder tourten – in die Kneipe daheim in London aber gingen sie mit den Jungs von Blur, weil die ihnen intellektuell und politisch näher waren als der notorisch pöbelnde, gewohnheitsmäßige Sauf- und Raufbold Liam Gallagher. Das sprach sich (natürlich) herum. Madan erinnert sich an eine Episode mit Kevin Cummins, der als Chef-Fotograf des New Musical Express in den 1990er-Jahren den Hype um die Britpop-Bands maßgeblich mit losgetreten hatte. Cummins wollte Madan für einen Beitrag in seiner Foto-Kompilation „While We Were Getting High: Britpop and the 90s“ gewinnen und Madan fand die Idee nicht uninteressant. Sie sagte zu, wunderte sich dann aber, weil Cummins sich während des Interview ständig für den Rassismus und Sexismus des Britpop bei ihr entschuldigte. Sie fand das paradox, denn erstens hatte er die Bands ja selbst mit groß gemacht. Und zweitens gab es im Britpop ja auch etliche female fronted-Bands wie Elastica, Kenickie oder Sleeper, die mit Laddism gar nichts im Sinn hatten. Mit seinem Verhalten outete sich Cummins in ihren Augen deshalb vor allem selbst: „Ich dachte, er fragt mich irgendwann nach meinen Songs und Lyrics, stattdessen ging es wieder nur um die Farbe meiner Haut.“ Sie war es leid. Und ließ von nun an jeden wissen, dass sie keine Lust hätte, sich instrumentalisieren zu lassen – „auch nicht von wohlmeinenden Leuten“ oder „weil sich da draußen immer ein paar Guardian-Leser finden, die deswegen vor Freude auf und nieder hüpfen“. Alles, was sie wollte, war, als Künstlerpersönlichkeit Ernst genommen zu werden. Sie spielt gern mit ihrem Autor:innen-Ego, Unterläuft bewusst Erwartungen und Zuschreibungen: „Ich schreibe nicht nur aus weiblicher Perspektive, sondern manchmal auch aus der männlichen“, sagte sie schon vor 30 Jahren – und hört sich an wie heute Lorde („Ich bin eine Frau – außer an den Tagen, an denen ich ein Mann bin“). „I Can’t Imagine The World Without Me“ vom 1994 erschienenen ersten Echobelly-Album „Everyone’s Got One“, unterstreicht diesen Willen zur Selbstbehauptung. Und wurde genau aus diesem Grund zu einem von Echobellys Signature-Songs.

#4 HAPPY GO LUCKY

Was zwischen 1993 und 1995 mit Echobelly geschah, nennt Madan heute eine „out of body experience“, Sie weiß irgendwie, es ist passiert, aber wenn es darum geht, die Dinge wirklich festzumachen, fängt es an, schwierig zu werden: „Wenn ich heute dran denke, finde ich es aufregender als damals, Damals haben wir nicht nachgedacht. Wir waren einfach im Flow.“ 1993, mit dem Material der ersten EP im Gepäck, spielten sie in stickigen Clubs, in denen man kaum Luft bekam, Lost Places, in denen der Gips von der Decke rieselte und die Band um ihr Leben fürchtete, weil es meistens auch noch gerammelt voll war. Es gab auch Konzerte, zu denen keine:r kam, nicht ein Mensch, erinnert sich Madan: „Aber, egal. Wir spielten trotzdem.“ Es war ihre Chance. Und sie waren darauf angewiesen, denn im Grunde hatten sie ihr Glück schon überstrapaziert. Schon das Gründungsnarrativ von Echobelly ist es eins der Unwahrscheinlichkeiten: Es fängt mit Johansson, dem Schweden in London, an, der als Gitarrist und Songschreiber buchstäblich aus dem Nichts kam und eines Tages im Pub Madan in die Arme lief, die ihm von ihrem Traum erzählte, „in einer Band zu singen“. Ok., denkt man … da ist es schon passiert: Indie-Songpoetin PJ Harvey beschließt auf ihrem Weg zum (Welt-)Ruhm, dass sie diesen Weg jetzt erst mal alleine gehen will – und setzt ihre Band vor die Tür. Bassist Alex Keyser und Drummer Andy Henderson ziehen zu Madan und Johansson in deren Einzimmerwohnung in W2 London. Als Keyser wegen einer Verletzung nicht auftreten kann, springt Debbie Smith, Gitarristin, Bassistin, und Fan von Echobelly, ein – auch sie muss nach dem Split von Curve schauen, wo sie bleibt. Sie sind jetzt also zu fünft. Haben nicht viel. Außer ihrer Musik. Aber das reicht: „Echobelly fühlte sich von Anfang an wie etwas ganz Besonderes an“, schreibt Madan in ihren persönlichen Notizen zur Bandgeschichte. Ende ’93 spielen sie zwei wegweisende Konzerte: Eins im legendären Londoner 100 Club und das andere in Sheffield Leadmill mit Pulp und Elastica. Sie sind jetzt mit dabei, Teil der sich aufbauenden Britpop-Welle, Es folgen, im Jahr darauf, die erste von mehreren BBC Sessions und der erste Auftritt der Band auf dem Glastonbury-Festival. In einem Wohn-Studio in Chipping Norton, in der Nähe von Oxford, nehmen sie im Sommer ’94 innerhalb von zwei Wochen (!) das erste Album auf. „Everyone’s Got One“ erscheint im August, im September stehen sie damit auf Position 8 der britischen Charts. Das Jahr endet, wie keine:r von ihnen es sich hätte träumen lassen – mit Gigs in Frankreich, den USA und mehreren ausverkauften Shows in Japan. Während Band und Crew, ihre neue „Großfamilie“, wie Madan sie nennt, von dort nach Hause fliegen, nimmt sie die Maschine nach Delhi, um ihre Eltern zu besuchen, die sich in England nie wirklich wohl gefühlt haben und deshalb nach Indien zurückgekehrt sind. Sie fühlt sich erschöpft. Glücklich. Aber auch einsam. Auswirkungen des Hypes um sie und die Band, mit denen sie erst fertig werden muss.

#5 GREAT THINGS

Die Jahre ’94 und ’95 waren Britpop’s finest, ein Feuerwerk an Kreativität, mit einer Springflut an Neuerscheinungen, Bei Oasis folgte „(What’s The Story) Morning Glory“ auf „Definitely Maybe“, Pulp kamen nach „His’N’Hers“ mit „Different Class“. Verve und Elastica setzten mit „A Northern Star“ bzw. „Elastica“ erste Ausrufezeichen, während Blur auf „The Great Escape“ schon am Ausstiegsprogramm arbeiteten. Madan und Johansson durchwühlten derweil, vor einem Konzert in Italien, den Dachboden des Clubs, bei dem es sich (angeblich) um das frühere Hauptquartier der Kommunistischen Partei handelte. Sie fanden ein Transparent, auf das jemand in roter Farbe nur ein Wort gekritzelt hatte: NO! „Die Farbe troff nach unten, so dass es aussah wie Blut“, erinnert sich Madan. Dann fiel ihnen auf, dass man NO auch andersrum lesen kann und dass das auch Sinn ergibt: ON! Das fanden sie faszinierend. Und egal, ob es nur Spielerei war oder einer tatsächlichen, ambivalenten Gefühlslage entsprang – dass sie ihr zweites Album „ON“ nannten, lässt Raum für Spekulation. „ON“ erschien im Oktober ’95. Musikalisch entfernten sie sich darauf vom Postpunk ihres Debüts, „ON“ ist lupenreiner Powerpop, man könnte auch sagen: Das Album hält, was der Titel verspricht. Einerseits. Andererseits ging es der Band bekanntlich nie nur ums Vergnügen: „Ich möchte, dass die Leute mir sagen, worum es in meinen Texten geht“, insistierte Madan – aber das ist hier gar nicht so einfach. Dass es, nur zum Beispiel, in „Dark Therapy“ um Drogenerfahrungen, Drogentod und das Problem der Co-Abhängigkeit geht, dürften längst nicht alle mitbekommen haben, die sich an dem Song nicht satt hören konnten. Zu „Great Things“, der bis heute erfolgreichsten Echobelly-Single, möchte man hüpfen, tanzen, unwiderstehliche Zeilen („I wanna do great things/ I don’t wanna compromise/ I wanna know what love is/ I wanna know everything“ ) machen Lust aufs Leben. „Great Things“ ist die perfekte Britpop-Hymne – optimistisch, euphorisch, voll überbordender Neugier und grenzenlosem (Ur-)Vertrauen. Sie glaube auch, dass es im Leben nicht immer ohne Kompromisse gehen wird, sagte Madan auf ihrer Promotour zur Single im Sommer ’95 einmal eher beiläufig. Der Himmel über der Towerbridge war an diesem Tag knallblau, die Atmosphäre des Gesprächs sonnig, der Hype um Echobelly lief langsam heiß. Wer möchte da schon den Problembären spielen? Doch wer genau hinhört, findet auch in „Great Things“ die Spuren des Zweifels: „I wanna do great things/ I don’t wanna compromise/ I wanna know what life is/ Is it something I do to myself/ Something I do to myself … ?“

#6 PUSH AND PULL

Eigentlich ist es so, dass man dieses Kapitel gar nicht schreiben (und womöglich auch nicht lesen) möchte. Es ist voller Stereotypen und Klischees, es ist fies, ungerecht, traurig auch, irgendwie. Und doch gehört es dazu. Echobelly standen mit „ON“ jetzt also da, wo die Wenigsten hinkommen – nämlich Top of The Pop’s. Es war die Zeit, in der sich alle um die Band rissen; Madonna zum Beispiel wollte Echobelly zu ihrem Label American Maverick holen, aber die Band hatte gerade einen Kontrakt bei Epic unterschrieben: „It didn’t happen, but she referred to me in a tabloid as a real “star”, which was something rather moving coming from someone like her because whatever you think of her, she is a star“, erinnert sich Madan. Madonna, die Queen of Pop, hielt sie für einen Star. Madan sich selber eher nicht. Aber man muss schon eine große Verdrängungskünstler:in sein, wenn man bedenkt, dass damals Bands wie REM unbedingt mit Echobelly touren wollten – und sich bei der Gelegenheit für die Inspiration bedankten: Ohne „Bellyache“, so Michael Stipe, hätte es REMs erfolgreichstes Album „Monster“ mit dem scharfkantigen und, für ihre Verhältnisse, fast schon experimentellen Sound nie gegeben. Echobelly wiederum hatten „ON“ mit Sean Slade and Paul Kolderie produziert, die davor u.a. mit Hole und Radiohead gearbeitet hatten. Das war die Fallhöhe, als sich herausstellte, dass man im Leben doch nicht alles selber in der Hand hat, wie Madan es noch in „Great Things“ gehofft und für möglich gehalten hatte. Es begann damit, dass die Band nach einem Gig in New York Ende 1995 erfuhr, dass ihr Manager sich nicht um Anschlusstermine in den USA bemüht hatte, wie es der Plan gewesen war. Stattdessen stellte sich heraus, dass sie faktisch pleite waren, weil ihr Buchhalter sich mit ihrem Geld aus dem Staub gemacht hatte. Gerichtsverfahren verliefen im Sand. Das Geld tauchte nie mehr auf. Dann wurde Madan krank. Keyser verließ die Band wegen persönlicher und künstlerischer Differenzen. Die Produktion des dritten Albums, das nun nicht mehr bloß aus künstlerischen Gründen wichtig war, sondern auch fürs Überleben, musste verschoben werden. Bevor es schließlich 1997 erschien, verließ Smith die Band. Und Epic eröffnete Echobelly, dass man sich in Zukunft nicht mehr um sie, sondern in der Hauptsache um Oasis kümmern wollte. Die Gallaghers waren einfach massentauglicher, sorgten allein mit ihren Skandalen für mehr Schlagzeilen und waren so gesehen, unterm Strich, einfach das lohnendere Investment. Außerdem, so Madan, „waren sie eine Jungsband und weiß“. Cool Britannia? Blair war kaum Premierminister, da ging dem von ihm proklamierten Aufbruch schon die Luft aus. Britpop? Funktionierte als Geschäftsidee. Nicht das, wofür Echobelly angetreten waren.

#7 CALM OF ZERO

You are one life older than before / But you can’t stop the chill/ Now you’re falling in slow motion/ Though the air is still“: Zeilen aus „Dark Therapy“. Zeilen von Sonya Madan, die sich nun, als die Dinge tatsächlich ins Rutschen kamen, für sie angefühlt haben müssen wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Fallen into pieces. Doch ein Jahr später war sie wieder da: Blass, aber hellwach und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, äußerte sie sich 1997 zum Stand der Dinge in Sachen Echobelly, Britpop etc. Erstens: Britpop sei durch („pretty set and buried“), aber das sei kein Grund zur Aufregung: „It’s the whole typical situation with any scene that comes in. People write about it and then they want to kill it. It’s just part of the process.“ Zweitens: Echobelly hätten eh nie dazu gehört: „I always felt that we’ve been outside, So it’s kind of weird to be perceived as belonging to anything anyway.“  Drittens seien sie ja auch anders, nämlich schwierig und unbequem: „I have always seen, Echobelly is an awkward thing. It’s something that’s very special and not a lot of people get it and that’s the way it is. The ones who get it, are part of the gang and everyone else can … f*** off! But having said that, it’s important for me that people I appreciate appreciate what we do. That’s the only barricade I want to jump over.“ Sie machten Musik ohne Rücksicht auf Verluste, so war das immer gewesen. So war das mit dem dritten Album – alle anderen hätten den Faden von „ON“ einfach wieder aufgenommen, sie dagegen strapazierten auf „Lustra“ ihr Publikum mit einem fast schon gewaltsamen Turnaround, die Texte nicht mehr so „opinionated and strong“, sondern „a lot more personal“, es gab Tracks, die kamen in Breitwand und mit Orchesteruntermalung daher. Dinge, die man von ihnen nicht kannte, nicht erwartete und mit denen sich Teile ihres Publikums auch nur schwer oder gar nicht anfreunden konnten. Dann war da noch die Beziehungsarbeit, die die Band den Fans in den Folgejahren abverlangte mit wechselnden Line-ups und jahrelangen Pausen zwischen den Veröffentlichungen, in denen nicht klar war, ob es Echobelly überhaupt noch gab. Drei Alben seit 2001 und zwei Kompilationen sind nicht nichts: „Wenn es nach uns gehen würde. hätten wir jedes Jahr ein Album gemacht“, sagt Madan: Das Material dafür war da, sie schrieben andauernd Songs, aber sie hatten einfach nicht die Mittel, sie zu produzieren, zu veröffentlichen und zu bewerben. Madan, die Lyrikerin mit dem inneren Zwang zum Schreiben, und Johansson, aus dem die Melodien immer noch „einfach so heraus purzeln“ (Madan) brauchten ein Ventil: „Where to go from here when the desire to write songs is stronger than ever but the business has changed considerably?“ Sie tourten allein zu zweit. Fotos zeigen die beiden: Ein elegantes Paar mittleren Alters vor typisch britischer Landschrift, mit Gitarrenkoffer, nachdenklich ausschreitend, Shakespeare und Oscar Wilde hätten ihre Freude an ihnen. „A handful of acoustic shows took place in 2010 and two acoustic mini albums were released in 2011 and 2012, with a full album planned to follow soon afterwards“, heißt es dazu auf der offiziellen Echobelly-Homepage. Sie machten Pläne, aber wie immer kam es anders. Denn da war immer noch die Glut, in die nur einmal jemand kräftig hinein pusten musste, um das alte Feuer neu zu entfachen. 2015 war es so weit: „With a new line-up in place, a live show at London’s Scala was announced. It sold out and was quoted by fans as being one of the best ever Echobelly shows. A proper return was in the pipeline“.

Johansson, Madan (u.), Echobelly-Comeback in London 2015 © @ Scala (Kalpesh Patel)

#8 COMES A TIME

Juli 2025, London, UK: Oasis auf allen Kanälen! Politisch ist die Lage so, dass die Labour-Regierung um Premier Keir Starmer bereits ein Jahr nach ihrem Wahlsieg mit massiven Vertrauensverlusten kämpft, in den Umfragen haben die Rechtspopulisten von Nigel Farage die Nase vorn. Und auch das Oasis-Ding ist schwer mit anzusehen: Sie spielen tatsächlich, vor Wembley, in den alten Industriestädten Cardiff und Manchester, kokettieren (mal wieder) mit ihrer Herkunft aus dem Arbeitermilieu. Das muss man sich erstmal trauen – bei Ticketpreisen zwischen 200 und 4000 Euro und kolportierten 50 Millionen, die ihnen die Tour einbringen wird. Dagegen wirken die kleinen Aufgeregtheiten auf dem X-Account von Sonya Madan dieser Tage fast schon niedlich. Da blinken die Trailer mit der Ankündigung einer „ON“ 30th Anniversary Tour im Herbst, Und Madan sendet mit neuen, alten und immer wieder anrührenden Zeilen – „I wanna know what life is/ Is it something I do to myself…?“ – vertraute Signale. Schon im März und danach noch einmal im Juli waren sie als Special Guests mit Ocean Colour Scene unterwegs. Vom 22.-24-August sind sie als Support der Britpop-Legende Richard Ashcroft (Ex-Verve) beim Indie Rock Weekender in Scorrier Estate gebucht. Und im September (26.-27.) spielen sie im spanischen Valencia seit längerem mal wieder ein Konzert auf dem Kontinent. Gleich danach startet mit dem Gig in der New Century Hall in Manchester am 2. Oktober ihre „ON“ 30th Anniversary Tour. Echobelly haben nach ihrer Calm of Zero-Akustik-Phase erstaunlich schnell wieder in ein größeres Line-up mit jungen Musiker:innen hineingefunden. Aber, Vorsicht: Nostalgie, war nie ihr Ding. Noch 2021 konnte Madan nicht sagen, ob und wann sie wieder „Great Things“ singen würde: „Ich weiß nicht“, sagte sie damals , „ob ich den Leuten dabei ins Gesicht sehen könnte.“ Es gibt Dinge, die klappen besser – und sind drängender wie ihre Kritik an den Verhältnissen in UK: „Nichts ist gut in England, im Gegenteil, der Rassismus ist lauter und gewaltbereiter denn je. Wir tun zu wenig gegen den Klimawandel, Frauen im Musikgeschäft haben es immer noch schwer …“ According dazu kommen 2025 nicht mehr nur diejenigen in ihre Konzerte, die schon in den 1990ern dabei gewesen sind und in Erinnerungen schwelgen möchten. Sondern: Mütter bringen ihre Töchter mit. Und der wütende, von Politik und Gesellschaft enttäuschte Teil der Gen-Z lässt sich hier Mut zusprechen von einer Band, die sich in 30 Jahren nicht hat unterkriegen lassen. Echobelly? Werden noch/ wieder gebraucht!

Echobelly 2025: Goin‘ up the Country, feel fine! © Sonya Madan/ X