Auf den Sound könn(t)en sich von Bert Brecht über Lou Reed bis Christoph Marthaler alle einigen. Wetten? Fee Aviv Dubois, 24, schreibt Theatermusiken, seit sie 14 ist. Gerade stellt sie ihre erste EP auf einer kleinen Promo-Tour vor – wer nicht dabei sein kann, verpasst ein It-Girl des queeren deutschen Indiepop

Es gibt diese anderen, frühen Sachen von ihr. Ein Demo (!) ihres allerersten Songs „Ladybitch“ von 2019 zum Beispiel, das sich Paula Knüpling und Marina Prados für ihren gleichnamigen Kinofilm borgten. Oder Kollaborationen wie „Die Frisur von Mark Hollis“ mit Peter Muffin im hypernervösen 80ies-New Wave-Stil, mit abkippenden Vocals und quengelig-trötendem Saxofon. Am Ende aber ist es doch „Her“, die erste offizielle Single der Berliner Sängerin, Songschreiberin, Komponistin und Arrangeurin Fee Aviv Dubois aus dem Sommer ’23, die die Essenz dessen enthält, was man ihren Signature Sound nennen könnte.

Da ist die dunkle Stimme, irgendwo zwischen Nico und Lana del Rey. Da ist Dubois‘ erzählerischer Kosmos – „ein queeres Coming of Age, Empowerment, und auch Verletzlichkeit und die eigenen Abgründe“, wie sie sagt. Da sind ihre eigenwillig-literarischen Lyrics („My heart is hanging from her tree“). Und schließlich sie selbst, in der Pose der klassischen Tragödin, von der man annehmen muss, dass alles, wovon sie da singt, „grad so in meinem Leben passiert“. Weil das die Quelle ist, aus der sie schöpft. Der Impact ihres Schaffens

In „Her“ beschreibt Dubois den Status quo einer Beziehung zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit. Der Clip zum Song übersetzt das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein, in Sequenzen zwischen Tag und Traum, in glückselige Flashbacks und dystopische Bilder versteinerter (Seelen-)Landschaften. Eine Fabrik, abgewirtschaftet und eingestaubt, wirkt wie die tote Herzkammer einer ehemals prosperierenden Region, auch das ein Bild, Möglicherweise. Höchstwahrscheinlich.

Man ahnt das Theater hinter dieser Art von Reflexion, bevor man es weiß. Die Geschichte der Fee Aviv Dubois aber ist in vielerlei Hinsicht besonders.

„Ich bin Musikerin, mein musikalischer Hintergrund sind erstmal fünf, sechs Jahre klassischer Klavierunterricht“, erzählt sie auf Music Hub, einer digitalen Plattform, die junge Künstler:innen unterstützt, die ihre Musik unabhängig produzieren, veröffentlichen und promoten wollen: „Mit 14 bin ich dann zum Jugendtheater P14 der Berliner Volksbühne gekommen. Da habe ich Musik für Theaterstücke gemacht und das mache ich immer noch, mittlerweile hauptberuflich, an der Volksbühne, aber auch an anderen Theatern wie dem Schauspielhaus Hamburg.“

Dubois Understatement, die beiläufige, unspektakuläre Art über sich zu reden, ist Teil ihrer Persönlichkeit. Ein anderer ist der Druck, den sie sich macht, ihr Anspruch an sich selbst, was ihren künstlerischen Output betrifft: „Ich bin da selber meine größte Kritikerin und mach’s mir teilweise wirklich schwer. Das geht so weit, dass ich mich komplett hinterfrage und denke: Oh Gott! Das will doch keiner hören …“

Andere sind da ganz anderer Meinung.

Es war schon kein Zufall, dass Paula Knüpling und Marina Prados sie damals vor sechs Jahren für „Ladybitch“ an Bord holten. Sie hatten gerade erst angefangen, als queeres Regie-Duo zu arbeiten, und eine ihrer Überlegungen war, eine eigene Filmproduktionsfirma mit Fokus auf queere Arbeitsstrukturen und Darstellungen zu gründen. Das dürfte auch Dubois nicht entgangen sein, denn die drei kannten sich von der Volksbühne, wo Knüpling seit ihrem achten (!) Lebensjahr als Schauspielerin arbeitet und die aus Barcelona stammende Prados ein Praktikum absolvierte. In Dubois erkannten die beiden, die in ihren Arbeiten gern Themen wie Gen-Z Anxiety und female rage verhandeln, wohl schnell die potenzielle Partnerin in Crime. Der Erfolg ließ auch nicht auf sich warten: „Ladybitch“, der Film mit der Musik von Dubois, der um Machtfragen und Missbrauch am Theater kreist, wurde 2022 beim Filmfestival Max Ophüls mit dem „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“ ausgezeichnet und danach unter anderem beim Achtung Berlin Festival und beim Reeperbahnfestival Hamburg gezeigt.

Dort, am Schauspielhaus, gehören die Regisseure Bonn Parks und Christoph Marthaler zu Dubois Fans. Parks, damals gerade frisch geadelt als „Nachwuchsregisseur des Jahres 2019“ (Theaterheute), vertraute 2021 für seine „Räuber Der Herzen“ (nach Schiller) auf Dubois als Musikalische Leitung – und ließ sie im Stück als Die Musikerin sogar live performen. Zwei Jahre später, als Christoph Marthaler mit „Im Namen der Brise“ den zweiten Teil seiner kammermusikalischen Trilogie über drei Autor:innen „aus verschiedenen Jahrhunderten und entgegengesetzten Himmelsrichtungen“ realisierte, holte er sich für den Soundtrack zu Emily Dickinsons Gedichten ebenfalls – Fee Aviv Dubois.

Heute, mit knapp 24 Jahren, muss man sich Dubois als Person vorstellen, die in einer Wolke aus Musik lebt („ich hab den ganzen Tag Musik um mich“). Sie schlägt mal hier auf und mal da, im HAU Hebbel am Ufer oder in der freien Szene bei SheShePop, sie macht Sounddesign fürs Gorki Theater, kehrt aber auch immer wieder an die Volksbühne zurück – zuletzt für „Meta hat ein Küken getötet (aber sie ist dabei Beherrschung zu lernen)“, Untertitel: „Ein Abend von Marie Rosa Tietjen und Fee Aviv Dubois“.

Auszüge aus (Roman-)Texten von Marlen Haushofer werden darin zu einer Collage aus Musik und Spoken Word verwoben – Dubois mit sehr viel Hall auf der Gitarre und Tietjen mit so viel Poesie in den gesprochenen Passagen, dass man Herzklopfen bekommt, je länger man zuhört.

Dubois (.), Tietjen: Wie mag das sein, wenn man nicht auf der Welt ist? © Volksbühne

Auf der inhaltlichen Ebene geht es in „Meta“ ums Nicht auf der Welt-Sein und Langsam wieder zur Welt-Kommen – was sich für Dubois nicht so abstrakt anfühlt wie es klingt. Wo Haushofer das ständige Kommen und Gehen als ein Grundprinzip der conditio humana beschreibt, sind es bei Dubois die Häutungen als Künstlerpersönlichkeit, die Prozesse in Gang setzen und die Dinge in Bewegung halten. „Es ist nicht unangenehm, nicht da zu sein, es ist überhaupt nichts“, heißt es im Stück: „Dann wird sie langsam wieder in diese Welt geboren und als sie die Augen aufschlägt, flutet die Welt in sie zurück. Sie ist wieder da … manchmal ist das angenehm, oft unangenehm und immer eine große Bedrängnis.“

Einerseits zum Beispiel schwärmt Dubois von der Zusammenarbeit mit Max Rieger von der Noise-Postpunk-Band Die Nerven: „Das war so ne Bestätigung von außen, okay, ist vielleicht doch nicht ganz so schlecht, was ich mache!“ Rieger – der auch Acts wie Drangsal, Ilgen Nur oder Jungstötter produziert und bewusst den eher woken Teil der deutschen Indie-Szene unterstützt – hat Dubois 2023 dabei geholfen, ihre erste Single an den Start zu bringen. Weil das lief, haben sie einfach weiter gemacht. „Wir arbeiten so zusammen, dass ich schon Songs vorproduziere“, so Dubois, „natürlich nicht komplett oder besonders toll ausproduziert, mehr Demoversionen, aber schon mit Arrangements. Dann nehmen wir die Songs nochmal auseinander, spielen Sachen noch mal neu ein, bauen Teile eventuell um. Und dann macht er so seine Magie. Und am Ende klingt alles ganz viel besser!“

Aus „Her“, der Single, wurde so „Her“, die EP, mit den vier zusätzlichen Titeln: „Ladybitch“/ „Silently“/ „Vulnerable“/ „Women“. Die Geschichte, die man von der Single kennt, taucht hier als Momentaufnahme unter vielen noch mal auf. Die einzelnen Songs wirken wie Splitter eines Spiegels, das heißt: Eigentlich haben wir es hier weniger mit einer EP als mit einem Kontinuum, einer Art Mini-Konzeptalbum zu tun. Es ist, als würde man einen Edelstein von verschiedenen Seiten betrachten, um durch ihn hindurch ins Licht zu schauen. Dabei ergeben sich immer wieder neue Effekte: Mal wird man geblendet, mal bekommt man farbige Prismen zu sehen. Mal ist es einfach nur schön. Mal tut es weh: I’m vulnerable today/ oh the quietest breeze could break my heart“, heißt es „Vulnerable“.

„Her“ ist awesome, „Her“ ist thrilling: „Your face goes blurred/ The room goes dark/ my body refuses/ collection of images/ and moments of fear/ are stuck in my body“, singt Dubois im „Silently“. Am Ende lässt sie uns mit noch mehr Fragen als Antworten zurück: „Silently – she vanishes through the wall/ Silently – her robe fallls down to ground/ Silently – she’s gone of no return“. Sollen wir erleichtert sein? Beunruhigt? Max Rieger reagiert auf diese Leerstelle(n), in dem er dem Ausgangsmaterial Dubois‘ ein wenig von seiner Gravitas nimmt und die Songs mit Hilfe von Synthieflächen in eine Art träumerischen Schwebezustand überführt – mehr Dream- als Düsterpop. Wobei man auf rüde Gitarrenattacken Dubois‘ weiterhin jederzeit gefasst sein muss. Vor allem live. Und je nach Stimmungslage.

Danach muss alles prima gewesen bei der Labelnight ihrer Plattenfirma My Favourite Chords in der Kantine am Berghain in Berlin im Dezember ’23 und auch beim Gig auf dem Popkultur Festival im darauffolgenden Sommer. Ein Video, das backstage in der Kulturbrauerei aufgenommen wurde, zeigt Dubois und Band, wie sie sich die Zeit vor dem Auftritt vertreiben („Auf einer Skala von … bis: Wie nervös bist du?“), was auffällt, ist der liebevolle Umgang miteinander. „Vulnerable“ und „Silently“ klingen an diesem Abend fast schon luzide. Man spürt den positiven Vibe.

Doch im Dezember kamen die Zweifel zurück.

„Ich werde dieses Jahr keine Spotify wrapped for Artist posten“, notiert Dubois am 04.12. 24 abends auf Instagram: „Ich wünschte ich könnte sagen ich hab’s mir nicht angeschaut weil mir die Zahlen egal sind, aber natürlich habe ich direkt alles durchgesuchtet, mit letztem Jahr verglichen und bin traurig geworden, dass die Zahlen runtergegangen sind. Dass ich nicht so viele monatliche Hörer*innen hab wie andere Artists in meinem Umfeld. Aber ich will nicht dass mir das so wichtig ist, das kann’s doch nicht sein, dass mir meine Kunst, die mir so dolle am Herzen liegt und ohne der ich gar nicht hier wäre von Zahlen vermiest wird. Denn dafür mach ich das ja nicht.“

Dafür – zum Glück – aber schon: Support für Die Nerven und Mia Morgan (s.u.). Die Stadion-Liga des deutschen Indie-Pop gegen den, sagen wir: Roten Salon. Laut gegen weniger laut. Expressiv gegen introspektiv.. Klingt nach Herausforderung? Soll ja!

Fee Aviv Dubois ist im März/ April auf Tour. Termine: 26.03 Dortmund, 27.03. Stuttgart, 28.03. Freiburg, 29.03. Basel, 30.03. St. Gallen (jeweils im Vorprogramm von Die Nerven), 01.04. Frankfurt/Main, 02.04 München, 03.04. Erlangen (Support für Mia Morgan). Im Berliner Ensemble ist sie in der Bowie-Hommage "Heroes" von und mit Alexander Scheer zu sehen (www.berliner-ensemble.de) zu sehen. Dubois ist Mitunterzeichnerin des Offenen Briefs "Zum Fall der Brandmauer - gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD", mit dem Hunderte Kunst-, Kultur- und Medienschaffender im Januar gegen das Abstimmungsverhalten von CDU/CSU, FDP und BSW mit der in Teilen rechtsextremen AfD im Bundestag protestierten