Der Wiener Musiker Bernhard Eder hat seinen Freund:innen einen Adventskalender mit 24 unveröffentlichten Songs und Aufnahmen aus 24 Jahren gebastelt. Es ist nicht seine erste Weihnachtsgabe: In „The Last Dance“ etwa durfte sich die wunderbare Marlene Hauser 2018 zwischen Gefühlen von Entfremdung, Fassungslosigkeit und Trotz ausagieren. Und „Angst“ mit den Low Life Rich Kids sollte man den Mächtigen und Selbstgefälligen im Land am besten noch heute unter den Christbaum legen …
Eder, Bernhard, 49, Komponist, Interpret, Textdichter. Allrounder in Sachen Pop/Rock/Elektronik. Hat Audio Engineering gelernt und Jazzgesang studiert. Kann leidlich Gitarre spielen. Der „ME“ nannte ihn mal den „österreichischen Nick Drake“.
Eder, also. Wieder. Nachdem man vorübergehend schon ins Grübeln kam, als der Wiener im Herbst, auf Bandcamp, sein Gesamtwerk (!) in digitaler Form, zu einem nicht unanständigen Preis zum Kauf anbot. Ein Abschied durch die Hintertür, heimlich, still und leise, ein Aufbruch zu neuen Ufern, die 50 vor Augen, wer weiß? Auf Facebook hatte der Sänger zuletzt ein Foto gepostet, auf dem er versonnen in die Landschaft schaut. Aber der Aufbruch fiel dann doch so aus, dass man Entwarnung geben kann.
Für den 19. Dezember bat Eder auf Instagram und Facebook zu einem Auftritt mit den Low Life Rich Kids – und man darf, ohne dabei gewesen zu sein, davon ausgehen, dass sie DAS LOT in der Wiener Brotfabrik, einem kommunalen Kulturzentrum, aber so was von angezündet haben! Mit anderen Worten: Hier macht sich keiner vom Acker. Und schon gar nicht haben wir es mit irgendeiner Art künstlerischer Selbstauslöschung zu tun.
Tatsächlich war es Eder, der die Low Life Rich Kids, eine fiktive Band aus einem Burgtheater-Stück, für das er die Musik geschrieben hatte, 2023 von der Bühne ins wirkliche Leben holte. Erst bellten die Schauspielerinnen Coco Brell und Mara Romei dem Publikum im Vestibül der Burg ihre von heiligem Zorn getriebenen Reime ins Gesicht. Dann wollten das so viele hören und sehen, so viele nahmen es mit hinaus und trugen es auf die Straße, dass man den Wiener Dokumentarfilmer István Pajor ein Musikvideo drehen ließ. „Angst“ ging schnell viral. Es ist der entschiedenste, unmissverständlichste Song des Stücks und brannte sich auf der Stelle jedem ins Herz, der noch eins hat: „Ich hab Angst vor dem Krieg/ Und dass nur Volltrottel an der Macht sind / Ich hab Angst vorm Klimawandel / Und dass eigentlich allen alles scheißegal ist.“
„Angst“ ist idealtypisch, weil alles zusammen – der Song, der Clip, die Entstehung des Projekts und was danach kam – erklärt, warum Rechtspopulisten das Theater so fürchten. Warum sie dort als erstes den Rotstift ansetzen und die Mittel kürzen. Außerdem kann man sehen, dass es Fake News sind, wenn im selben Atemzug (nicht nur in Österreich!) behauptet wird, dass die Hochkultur die Menschen nicht erreicht. Das Gegenteil ist der Fall.
Ein Jahr nach Erscheinen ihrer Debütsingle kam heuer im September mit „LLRK“ die erste EP von den Low Life Rich Kids heraus, die inzwischen – mit Eder! – von der Bühnenpersona zur festen Formation herangewachsen sind. „Die Band hat sich etabliert“, freut man sich am Wiener Max Reinhardt Seminar und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, wo Coco und Mara studieren. Schön auch: Die Kids sind nicht leiser, sondern lauter geworden. Ihre deutschsprachigen Texte – ein Novum für Eder, der bis jetzt immer Englisch gesungen hatte – sind diverser geworden, der Punch ist geblieben: Es geht auf „LLRK“ um soziale Medien, Klimawandel und Gleichberechtigung, verbale Aggression, Rassismus, Sexismus und Homophobie. Dazu machen sie ordentlich Krach, DIY, Postpunk, Spoken Word. Eder darf endlich wieder mal so richtig seine Gitarre malträtieren – und hat dabei sichtbar und hörbar Spaß.
Nach einem Jahr wissen die Low Life Rich Kids trotz oder gerade wegen ihrer politischen Haltung eine wachsende Community hinter sich. Und auch Eder hat mit diesem Projekt zu einer Eindeutigkeit gefunden, die in seinem schillernden Werk bisher so nicht auszumachen war.
Noch sein letztes, im Februar erschienenes neuntes Album„Golden Days“ war vom „Standard“ im Zwinkersmiley-Modus („Es wird schon gleich dunkler“) abgefeiert worden. Eine gewisse Vorliebe fürs Abgründige gehört bekanntlich zur Wiener DNA. Doch die Zeiten sind härter geworden. In Deutschland etwa würden manche die Eder-Mischung aus „zu Herzen gehendem melancholischem Pop und niederschmetternden Texten“ wohl lieber heute als morgen mit Warnhinweis versehen. Weltschmerz-Lyrics wie „The golden days, they have been gone“ sind Gift in Zeiten, in denen von interessierter Seite „mehr Leistungsbereitschaft“ gefordert wird. Und in denen es „uns“ vor allem darum gehen soll, endlich wieder „kriegstüchtig“ zu werden.
Was Eder betrifft, ist es nun so, dass er offenbar schon länger an einer Art schleichendem Unbehagen laboriert. Die „Golden Days“, sagte er zuletzt in einem Interview zum Start des Albums, das seien wahrscheinlich die 1990er-Jahre gewesen: „Eine Zeit, in der man noch nach vorne geschaut hat und sich gedacht hat: Da gibt es eine Zukunft. Jetzt haben wir andere Probleme: Krieg, Klimawandel, Pandemie. Trump wird vielleicht zum zweiten Mal Präsident, Kickl vielleicht Volkskanzler, in Deutschland oder Frankreich sieht es auch nicht besser aus. Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, was alles passieren wird, hätte ich das nicht geglaubt.“
Eders Musik war – egal ob handgestrickt oder elektronisch und abgesehen von seinen Clubsounds oder den Pink Floyd-Anleihen – lange eine der Kategorie „Quiet is the new Loud“. Allerdings hatte sie immer schon ihre subversiven Momente, auch wenn man die im sanft fließenden Grundrauschen seiner oft von Liebe handelnden Songs leicht überhört. Mit den Kids haut er nun erstmals auf den Tisch. Und doch ist der Antrieb auch hier: Empfindsamkeit. Und Empathie. Sich verletzlich zu zeigen, Angst zu haben – und das auch zugegeben – ist für ihn keine Schwäche. Man muss sich dafür nicht schämen. Es ist, letztlich, immer auch eine Frage von Integrität. Und integer zu sein und zu bleiben, dafür braucht es Mut.
Für uns war Eder zuerst mehr eine Zufallsbekanntschaft. Mittlerweile sind wir froh darum und sind uns sicher, das geht auch Anderen so. Wer Trost sucht oder vielleicht auch nur die Bestätigung eines eigenen, unguten Gefühls , landet automatisch bei ihm – weil er dein Leiden an der Welt ernst nimmt. Weil er vielleicht schon auch ein bissel smart ist, aber keiner von den Obercoolen, die nichts was angeht außer sie selbst. Weil er dich nicht verrät.
Warum wir uns da so sicher sind?
Vielleicht, weil wir uns gerade „The Last Dance“ noch mal angeschaut haben, den Clip zur Single, den Eder am 21. Dezember 2018 online gestellt hat – vor der Pandemie, vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, in der Zeit der ersten Präsidentschaft Trumps, als es noch kein Project 2025 gab und so weiter und so fort. In diesem Clip betritt die von der ersten Sekunde an ziemlich wunderbare Wiener Schauspielerin Marlene Hauser ein bis auf ein paar traurige Topfpflanzen und einen weitgehend ausgeräumten Bücherschrank leeres Apartment. Jemand ist nicht mehr da – und so sehen sie also aus, die traurigen Überreste einer einstmals viel versprechenden, gemeinsamen Existenz. „The Last Dance“ ist eines jener Liebeslieder Eders, aber eben eins mit (mindestens) doppeltem Boden. Erschrecken, Fassungslosigkeit und Trotz erfassen Hauser. Sie fängt sich, sie verliert sich, sie schmiert sich Schlieren von Rotwein ins Gesicht, so dass sie aussieht wie eine Kriegerin. Es ist nicht so, dass die Traurigkeit in ihr sich irgendwann einfach verflüchtigen würde – Eder schenkt Hauser ein paar Slapstick-Momente mit einem künstlichen Mini-Christbaum, mehr aber auch nicht. Und trotzdem wächst, je länger man schaut, ein Gefühl von Zuversicht.
Der Ort, den man eben noch am liebsten fluchtartig verlassen hätte, wird zum white cube: Du kannst hinein tragen, jeder kann hinein tragen, was er hat und was er geben kann für ein anständiges menschliches Miteinander. Und wer weiß: Vielleicht kriegen wir’s ja doch noch irgendwie gebacken.
Eine Zufallsbekanntschaft wie im Text beschrieben, war Bernhard Eder tatsächlich für uns. Alles begann mit einem Konzert der Wiener Girlgroup My Ugly Clementine vor knapp einem Jahr in Regensburg. Die Band um Sophie Lindinger, Mary Lu Kovacs, Kathrin Kolleritsch und Nastasja Ronck, die jede für sich auch in anderen Projekten und musikalischen Kontexten arbeiten, lebt quasi das Networking, die künstlerische "Offenheit und Menschlichkeit", die Eder an der österreichischen Musikszene schätzt. In unserem Fall führte der Weg über Sophie Lindinger zu Leyya - und über Mary Lu Kovacs zu Bernhard Eder. Man versteht, warum es Eder nach einem Intermezzo im "kalten" Berlin in den Nuller-Jahren wieder nach Wien gezogen hat. Und kann es auch sehen, zum Beispiel in Bernhard Eder feat. Mira Lu Kovacs: "I'm crying (Mother's tears)" bzw. dem Clip dazu