Warum hat es so lang gedauert, bis wir uns als Gesellschaft klar gegen Rechts positioniert haben – und wie geht es jetzt weiter? Über 3,5 Millionen Menschen sind in den letzten Wochen auf die Straße gegangen und haben den Plänen von Neonazis und AfD zur Deportation von Migrant:innen ein klares Statement gegen Rassismus und Extremismus entgegengesetzt. Dennis Forster, 34, von der Regensburger „Initiative gegen Rechts“ (IgR) über die Dynamik der Bewegung, warum die Demokratie uns nicht schützt, sondern wir die Demokratie schützen müssen – und warum es möglich sein muss, auf Kundgebungen auch die Politik der Ampelregierung und rechtskonservativer Parteien zu kritisieren. Ein Interview

0941mag: Pläne von Rechtsextremen und AfD-Politikern zur Vertreibung von Migrant:innen haben Massenproteste in ganz Deutschland ausgelöst. Hat dich das überrascht?

Dennis Forster: Schon, ja, weil eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass es in der Gesellschaft gerade viele Konsensthemen gibt! Auch, dass Leute sich so mobilisieren lassen oder selbst mobilisieren – und dann noch in dieser Zahl und mitten im Winter – hätte ich nicht gedacht. Ich weiß, wie anstrengend das für viele ist. Wie ungewohnt auch. Und dann ist da auf einmal so eine Energie!

Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hat die Deutschen noch vor Kurzem für ihre „Bequemlichkeit“ kritisiert: Sie hätten sich „in ihrem komfortablen Privatleben eingerichtet“ und nähmen die Bedrohung von Rechts deshalb „nicht hinreichend wahr“. Ist da was dran?

Spannend, dass der Verfassungsschutzchef das sagt (lacht). Tatsächlich würde ich ihm da zustimmen. Ich will die Lebensentwürfe gewisser Menschen nicht zu sehr verurteilen: Sich einen Safe Space im Privaten schaffen wollen alle irgendwie. Und doch ist es Luxus, sich nur um sein persönliches Lebensglück kümmern zu können: Es ist nicht selbstverständlich. Und es kann sich auch schnell ändern. Dieser Blick ist vielen abhanden gekommen. Aber unsere Demokratie ist angreifbar und wenn jemand sie schützen kann, dann nur wir selbst. Wir müssen wach sein und handeln, wenn Gefahr im Verzug ist wie jetzt durch die AfD.

Man könnte denken, das sei jedem klar.

Das Wissen ist schon da! Es geht nur nicht immer tief genug. Dass aus Nazi-Deutschland nach 1945 eine Demokratie werden konnte, hatte ja auch viel mit dem Marshallplan zu tun, mit der Westbindung und den USA als Schutzmacht. Das hat’s den Leuten leicht gemacht – und das Wirtschaftswunder hat dann dafür gesorgt, dass man gesagt hat: Okay, dann freunden wir uns halt an mit diesem System! Wenn dann aber wie zuletzt Krisen kommen, bricht alles wieder auf. „Der Deutsche muss im Wohlstand ausgeschäumt werden, sonst dreht er durch“, habe ich neulich irgendwo gelesen. Da müssen wir resilienter werden!

Du hast selbst in Regensburg mit der Initiative gegen Rechts (IgR) am 21. Januar eine Kundgebung (mit-)organisiert, zu der statt der erwarteten paar Hundert geschätzte 13.000 Menschen kamen. Wie hast du den Tag erlebt?

Zunächst ist mir wichtig: ich spreche hier grundsätzlich für mich, nicht als Vertreter der IgR. Zu deiner Frage: Ich bin immer noch baff und überwältigt, wenn ich mir überlege, wie wir drei Tage vorher zusammengesessen und nur mal so grundsätzlich geredet haben. Normal gehört es zu unserer Agenda, dass wir uns den Aufmärschen rechter Milieus entgegenstellen. Nach den „Correctiv“-Enthüllungen über das Geheimtreffen von Neonazis und AfD-Politikern war nun aber so eine Dynamik am Start, dass wir uns zu einer eigenen Kundgebung entschlossen haben. Wir haben dann noch ein Meeting gemacht, zwei, drei Leute online, okay, wer meldet an, schätzen wir mal 200 Leute, wird schon passen. Die üblichen Absprachen vorher. Aufgabenverteilung. Und dann postet man’s und bewirbt’s – und auf einmal springen Tausende Leute darauf an und man merkt, das ist ganz anders als sonst. Der Tag selbst war dann nur schön: Obwohl’s extrem kalt war, kamen 13.000 Leute, die auch geblieben sind, weil es ihnen wichtig war. Besser konnte es nicht laufen. Bei der IgR haben echt so viele angepackt und sich verausgabt, um das möglich zu machen.

13.000 statt der erwarteten 200 Teilnehmer: Kundgebung gegen Rechts, Regensburg, 21. Januar © IgR

Warum haben wir als Gesellschaft so lang gebraucht, um in die Puschen zu kommen? AfD-Größen wie Björn Höcke oder Maximilian Krah reden schon seit Jahren von „Remigration“ und davon, dass das Aussortieren und die Deportation von „nicht assimilierten“ Migrant:innen ein Projekt ist, dass sie anschieben wollen, wenn sie die Gelegenheit bekommen. Hat ihnen niemand zugehört? Hat man sie nicht Ernst genommen?

Viele Leute haben offenbar bis jetzt nicht gewusst, welche Positionen die AfD vertritt – und was sie hinter Begriffen wie „Remigration“ verbirgt. Man darf nicht davon ausgehen, dass das immer von allen durchschaut wird – nur, weil man selber in ner Blase ist, die sich ständig mit der extremen Rechten befasst. Viele sind da einfach nicht so sensibilisiert, auch das ohne Vorwurf, in ihrem Leben hatte das halt keinen Platz und keine große Relevanz. Umso besser, wenn es jetzt ankommt! Wenn wir begreifen, dass man die, die derart krasse Dinge propagieren, nicht von den Anderen in der AfD trennen kann in der Meinung, da sei noch was zu retten an dieser Partei. Nein: Das ist das Kernprogramm der AfD! Der Rest ist nur Beiwerk, um auch bei Normalwählern Stimmen abzugreifen. 

Die Leute haben also lange zugeschaut oder sich nicht wirklich interessiert. Was hat sie dann jetzt so getriggert, dass es aussieht als hätte eine ganze Gesellschaft von heute auf morgen den Schalter umgelegt?

Ich glaube, es ist so ein Minimalkonsens, der da getriggert wurde: „Da werde ich jetzt nicht allein auf der Straße stehen, das ist cool, da möchte ich dabei sein!“ Das habe ich in vielen Gesprächen mit Leuten gemerkt, mit denen ich über die Kundgebungen geredet habe und die an solchen Aktionen normal nicht teilnehmen. Wenn dann aber links und rechts in WhatsApp plötzlich nur noch darüber gesprochen wird und alle einig sind, dass man da jetzt hingeht, kriegt das eine Eigendynamik – was bei einer guten Sache ja auch mal sein darf (lacht). Dazu kommt, dass die Remigrationspläne dieser Neonazis so plakativ, krass und klar sind, dass es auch Leute um einen herum trifft – die Wenigsten haben, glaube ich, so eine Bubble um sich herum, dass sie nicht betroffen wären von diesen Plänen. Der ganze Wahnsinn rückt dadurch nah an die Leute heran. Das hat was mit ihnen gemacht. 

Erwartet wurde ein schnelles Abebben der Protestwelle, das Gegenteil passiert: Die Menschen gehen nicht mehr nur in den urbanen Zentren, sondern auch in den kleineren Städten, in West und Ost, auf die Straße. Was, glaubst du, treibt sie an?

Ich denke, man will bewahren, was man hat an dieser Demokratie, das wird vielen gerade mehr und mehr bewusst. Und sie begreifen: Wenn Parteien wie die AfD an die Macht kommen, fahren sie alles gegen die Wand. Also, das Eigeninteresse spielt eine Rolle. Aber auch das Solidarische: Wir wollen nicht, dass Mitbürger:innen ausgegrenzt, abgeschoben, abgewertet werden. Das ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen! Wir haben in den letzten Jahren viel durchgemacht, wurden durchgeschüttelt von diversen Krisen, Pandemie, Krieg in Europa, denen man hilflos gegenübersteht  – und jetzt ist da was, da kann ich auch als einzelner Mensch was tun, Stichwort: Selbstwirksamkeit.

Geht’s auch um Selbstvergewisserung, so im Sinne von: „Wir sind mehr, wir sind stark, an uns kommt ihr nicht vorbei“?

Das spielt auf jeden Fall eine Rolle, aber stimmt es auch? Wie tragfähig ist es, sich das einzureden? Und werden die Leute auch dann noch auf die Straße gehen, wenn sie nicht mehr „mehr“ sind? Ich meine: Wenn wir auf den Nationalsozialismus schauen, das war eine Diktatur, die von der Mehrheit getragen wurde – da kam’s auf Minderheiten an, Widerstand zu leisten. Mehrheiten können sich ändern. Und was dann? Stehen wir dann immer noch ein für unsere Werte und Grundüberzeugungen? Das sind so meine Gedanken dazu. Aber klar, es braucht auch diese Selbstvergewisserung. Man muss das auch persönlich für sich mitnehmen und zulassen, muss einfach Freude haben. Demokratie darf auch Spaß machen!

Forster, Kundgebung auf dem Haidplatz: „Demokratie darf auch Spaß machen“ © IgR

Apropos Demokratie und demokratische Institutionen: Eine Grundangst, die man gerade so spürt, ist die vor dem Kontrollverlust. Wo gestern noch von „Brandmauern“ (gegen Rechts) die Rede war, werden tags darauf wie unlängst im bayerischen Landtag AfD-Kandidaten mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und AfD zu ehrenamtlichen Verfassungsrichtern gewählt. Was löst das bei dir aus?

Ich denke, es gibt so points of no return, kleine Schritte, die Stück für Stück die Demokratie aushöhlen und dazu gehört auch die Geschichte mit den Verfassungsrichtern. Es gab da berechtigterweise einen Aufschrei, denn genau so geht die AfD vor. Genau so gehen Rechte vor. Die werden nicht plötzlich mit Fackeln vorm Parlament stehen und was vom großen Putsch erzählen! Die wollen die Demokratie und ihre Institutionen von innen her umbauen und da muss man genau hinschauen. Dieses Unbehagen, von dem du sprichst, teilen, glaube ich, viele im Moment – dass man nicht recht weiß: Auf welche Prozesse kann man sich verlassen, welche sind anfällig?

Wenn nun im Juni in Europa gewählt wird, wo die Rechtspopulisten auf dem Vormarsch sind; wenn im Herbst Brandenburg, Thüringen und Sachsen wählen, wo die AfD in Umfragen zwischen soliden 20 und, in der Spitze, bei über 30 Prozent liegt: Geht’s da schon um Alles oder Nichts? Oder ist das zu alarmistisch gedacht?

Auch wenn ich selber Aktivist bin, denke ich schon, wir sollten uns bemühen, Abstufungen hinzubekommen. Wir sind nicht im Jahr ’33! Sondern auf einer Eskalationsstufe von eins bis fünf vielleicht nicht mehr in der ersten Hälfte, sondern in der zweiten, wo Dinge schon das Bröckeln anfangen statt solide dazustehen, und wo es einen Punkt gibt, ab dem man sie nicht mehr in den soliden Zustand zurückbekommt. Was nicht heißt, dass man damit automatisch in die Vollkatastrophe kommt. Natürlich ist Deutschland speziell. Aber wenn man sich andere Länder wie Polen oder Italien anschaut und sich nur mal vorstellt, man hätte als Frau in der PiS-Zeit in Polen gelebt, da kann man auch nicht gleich sein ganzes Leben in die Tonne treten, sondern muss drauf hoffen, dass es besser wird – und jetzt, mit der neuen Regierung, wird es in Polen wieder besser. Das ist auch ein Szenario für uns. Man muss nicht diesen Automatismus fürchten und an die Wand malen, dass man in der Diktatur landet. Aber man sollte auch wissen, dass man sich nicht zurücklehnen kann.

Man kann die aktuelle Protestwelle als Ansage verstehen – dass wir nicht bereit sind, uns die Errungenschaften unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaats von Neonazis kaputt machen zu lassen. Konkrete Forderungen an die Politik aber haben die verschiedenen Bündnisse in Deutschland und auch die IgR bisher nicht formuliert. Warum?

Was die IgR betrifft, sind wir, glaube ich, im Moment einfach zu sehr überrascht, welche Rolle wir da plötzlich haben. Dass unsere Mission, unser Selbstverständnis mehr sein könnte als: wir stellen uns den Rechten in den Weg. Das können und wollen wir leisten. Sehr viel mehr aber wäre ein Riesenprozess, weil wir auch so breit aufgestellt sind, von Fridays for Future bis Sea Eye, von der Antifa bis hinein in die Parteien. Da ist es auch nicht einfach, sich auf konkrete politische Forderungen zu verständigen. 

Man könnte verlangen, dass die Politik ein Verbot der AfD wenigstens prüft? 

Tatsächlich haben wir darüber geredet, ob wir das diskutieren sollen – in angemessener Form und nicht, indem wir in Signal-Gruppen herumschreiben. Das Problem ist: Wir haben zwar schon Präsenztreffen, da muss man dann aber andere, strukturelle Sachen klären. Es ist nicht so, dass wir keinen Bock hätten auf solche Fragen. Wir sind einfach begrenzt in unseren Kapazitäten. Ich halte es selbst auch für richtig, im Kontext gegen Rechts Forderungen an die Politik zu stellen. Dass das passiert. Nur, ob wir die Organisation sind, die’s machen soll und wird, weiß ich jetzt nicht. Und es gibt ja Leute wie den Holocaust-Überlebenden Ernst Grube, der Forderungen wie die nach einem AfD-Verbot auf der Kundgebung am 21. Januar auch vorgetragen hat. Vielleicht ist das der Weg: Wir bieten den Rahmen, um solche Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Es ist nicht nur die AfD, die euch umtreibt, sondern generell die „zunehmende Normalisierung rechter Positionen in der Mitte der Gesellschaft“, wie es im Aufruf zur Kundgebung vom 21. Januar heißt.

Das war uns wichtig, ja, dass wir in unserer Analyse der extremen Rechten nicht hinter etwas zurückfallen, was wir eigentlich wissen, nämlich dass nicht immer nur die Ränder das Problem sind, sondern dass Teile dieser Ideologie ganz weit verbreitet sind – und die extreme Rechte nur deshalb groß werden kann, weil sie da anknüpfen kann. Weil es Überschneidungen und Schnittmengen gibt mit den politischen Auffassungen von Leuten, die sich als „die Mitte“ sehen. Das kann man sich historisch anschauen, wie Leute, die vorher nicht NSDAP gewählt haben, sich damit arrangiert haben nach dem Motto: „Okay, ich fand die mal zu radikal, aber jetzt ist es die beste Wahl und mit dem Antisemitismus habe ich kein Problem, weil ich mag die Juden auch nicht, und ja, stimmt, da gibt es diese Schmarotzer, die müssen eigentlich raus aus der Gesellschaft“. Da ist man sich dann einig und dann gibt’s bloß noch Unterschiede in der Ausführung oder wie radikal man Sachen formuliert. So hat’s damals funktioniert. Und das ist auch heute die Gefahr. 

Wie reagiert denn die von euch adressierte bürgerliche Mitte, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen wird, dass rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Ansichten auch in ihren Kreisen eine feste Heimat haben? Gibt’s da ein Feedback, schreit da jemand „Aua“?

Natürlich, ja, das war schon bei den Querdenker-Demos während Corona so. Aktuell haben wir es mit einer Melange von Leuten aus Post-Querdenkern, Verschwörungsgläubigen und russlandfreundlichen Friedensbewegten zu tun. Die sagen, sie sind gegen die Ampel, aber in Wirklichkeit sind da rechte Netzwerke am Machen und bei den Demos laufen Neonazis mit. Wenn man die Leute dann konfrontiert, spielen sie beleidigt und fühlen sich diffamiert.

Lisa Poettinger vom Orga-Team der Münchner Großdemonstration gegen Rechts hat im Vorfeld des 21. Januar auf X gepostet, dass sie es „absurd findet, wenn Freie Wähler und CSU mit zu dieser Demo aufrufen, während sie andererseits ständig für mehr Abschiebung werben und mit ihrer Sprache entmenschlichen und herabwürdigen“. Wie geht ihr damit um? 

Die Frage: Wen wollen wir dabei haben? Wo ziehen wir die Grenze? Wer ist wirklich auf unserer Seite? Das hat uns natürlich beschäftigt. Wir hatten jetzt nicht diesen Konflikt, dass irgendjemand uns beleidigt gewesen wäre wie das bei Lisa der Fall war, die für ihre Äußerung massiv angefeindet worden ist. Aber ich denke, dass Freie Wähler und CSU das einfach aushalten müssen – dass sie nicht so glasklar in ihrer Abgrenzung zur extremen Rechten sind, ist halt leider so. Umgekehrt Freie Wähler, CSU und AfD in einen Topf zu schmeißen, finde ich aber auch wieder blöd, das ist mir ehrlich gesagt zu unterkomplex und faul. Wenn’s Überschneidungen und Schnittmengen gibt in den Weltbildern dieser Parteien, muss man die benennen. Ob das dann heißt: Da sind Grenzen überschritten und diese Partei oder diese Leute wollen wir hier nicht haben, muss man sich im Einzelfall anschauen.

Beispiel?

Naja, ein Hubert Aiwanger etwa hat ja von vornherein entschieden, dass er auf keine Demo gegen Rechts geht und hat das auch so kommuniziert. Aus diesem Grund hätte ich auch Leute, die ihm politisch nahe stehen, ungern dabei. Aber ich würde da nicht pauschalisieren. Es gibt okaye Leute auch bei den Freien Wählern. Und wir haben auch CSU-Leute auf unserer Kundgebung gehabt! Wir sollten bei dem, was wir machen, Augenmaß bewahren. Das gilt auch umgekehrt: Was gar nicht geht, ist dieses Rumgeheule von Politikern, dass man sich ausgeschlossen fühlt – und dass man das dann zum Anlass nimmt, die Protestbewegung insgesamt als „linksextrem unterwandert“ zu denunzieren. Das hat mich sehr geärgert. Wenn der Grundkonsens gegen die Deportationspläne der Neonazis schon bröckelt, weil der eine oder andere Politiker lieber leberwurstmäßig schmollt, dann gute Nacht!

Ich finde ja, man kann sich grundsätzlich fragen, ob die Einbindung von Parteien in die verschiedenen Bündnisse von IgR bis „Hand in Hand“ usw. überhaupt Sinn macht – wenn man sieht, wie speziell die regierende Ampel sich ihre Agenda in Sachen Migration von Mitte-Rechts bis ganz Rechts vorbuchstabieren lässt.

Naja, die IgR ist halt organisch so entstanden. Es sind Einzelne, die da aktiv sind und das angestoßen haben, und dann wächst das, bleibt aber personengebunden und spezifisch lokal. Die Leute von der Grünen Jugend hier bei uns zum Beispiel kommen aus dem Aktivismus gegen Rechts, so dass das quasi ein Selbstläufer ist, dass sie Teil der Initiative werden und dann die Partei an Bord holen – was auch willkommen ist, weil die halt eine gewisse Struktur und Men- und Women-Power mitbringen und das braucht man halt. Inhaltlich unterschreiben die nicht alles, was ihre Partei sagt, und sie würden auch nie parteipolitisch agieren innerhalb des Bündnisses, irgendwelche Sachen gut heißen, die unseren Zielen widersprechen. Das kann in anderen Städten mit problematischen Parteiablegern dazu führen, dass man sagt, das kann jetzt kein Partner sein gegen Rechts. Aber bei uns läuft das sehr pragmatisch.

Ist es eigentlich mehr als artig und nett, wenn Regensburgs Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer in ihrem Grußwort bei der Kundgebung am Haidplatz die „lieben Antifaschistinnen und Antifaschisten“ verbal umarmt?

Ich würde sagen, da spricht die SPDlerin aus ihr. Und die SPD … also, es liegt mir fern, die zu verteidigen, aber die haben schon dieses antifaschistische Selbstverständnis: „Wir waren damals die, die als einzige gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, das ist unser Gründungsmythos nach 1945“ und deshalb können sie zu Recht sagen: „Wir sind antifaschistisch.“ Denn da kommt das her. Das war kein Zugeständnis auf dem Haidplatz. Das nehme ich ihnen schon ab, dass sie das politisch auch antreibt – auch wenn man natürlich darüber streiten kann, wie sich das dann in der Partei so matcht.

Der Satz „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“ zum Beispiel stammt nicht von Maximilian Krah (AfD), sondern von Olaf Scholz (SPD). Das so genannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“, das nichts besser machen, sondern die bedenkliche Situation Geflüchteter etwa in den Ankerzentren oder in der Abschiebehaft noch weiter verschlimmern wird, trägt die Handschrift von Nancy Faeser (SPD).

Ja, da würde ich jetzt sagen, sind die total schief gewickelt, wenn sie glauben, sie könnten den Rechten damit das Wasser abgraben. So auf deren Narrative von wegen: „Jetzt muss mal Schluß sein mit der Migration“ und „Wir sind überfremdet“ einzusteigen, stärkt die nur. Ich kann und will an dieser Stelle nicht die SPD insgesamt in Schutz nehmen. Ich kann nur sagen: innerhalb der IgR haben wir es mit stabilen Leuten von der SPD zu tun, die solche Sprüche wie den von Scholz auch hart kritisieren.

Es hat nicht gefehlt an Versuchen, den Protest der Vielen in Deutschland zu diskreditieren und zu delegitimieren. Georg Eisenreich (CSU) zum Beispiel hält Fridays for Future „als Organisator derart wichtiger Demonstrationen für fehl am Platz“, weil sich die deutsche Filiale angeblich nicht von antisemitischen Äußerungen Greta Thunbergs distanziert hätte – was nachweislich nicht stimmt.

Keine Ahnung, ob der selber glaubt, was er da sagt! Aber der „Feind“ muss halt markiert werden und das sind Grüne und eben auch Klimaaktivist:innen, nur darum geht’s, das ist halt politisches Freund-Feind-Schema. Ich nehme Leuten wie Eisenreich ehrlich gesagt auch nicht ab, dass sie in Sachen Antisemitismus auf einmal ganz viel verstanden haben und ganz aktiv dagegen sind, das ist dann doch mehr selektiv. Umgekehrt ist es einfach lächerlich, den Fridays absprechen zu wollen, das organisieren zu dürfen – die brauchen nicht seine Erlaubnis, um was auf die Beine zu stellen. Wenn Leute kommen und mitgehen, zeigt das ja, dass sie kein Problem damit haben. Ich find dieses Verhalten einfach nur anmaßend. 

Eisenreich war es auch, der die Frage aufgeworfen hat, wo denn eigentlich all die Gruppen und Vereine, die jetzt gegen Rechts demonstrieren, gewesen seien, als es nach dem 7. Oktober letzten Jahres darum ging, Solidarität mit Israel zu zeigen. Du hast selbst als Vorsitzender der Deutsch Israelischen Gesellschaft in Regensburg mehrere Kundgebungen für die Opfer des Hamas-Terrors organisiert. Ist das eine Frage, die man stellen kann? Die du dir auch selber stellst? Oder ist es manipulativ, das eine gegen das andere auszuspielen? 

Es ist auf jeden Fall eine Frage, die ich mir auch selber stelle. Es beschäftigt mich, wann was warum für wert befunden wird, dass man dafür auf die Straße geht. Und speziell was Israel betrifft, geht es mir auch nah, dass es da so eine selektive Wahrnehmung gibt. Aber ich versuche, diese Enttäuschung und auch meinen Ärger darüber möglichst zu kanalisieren und produktiv umzumünzen. Ich sag den Leuten, die jetzt gegen Rechts auf die Straße gehen: „Passt mal auf, wenn wir über Rechts reden, über Rechtsextremismus, die Ideologie, Antisemitismus, müssen wir auch sehen, dass in der Hinsicht die Hamas unser Feind sein muss und alle, die jetzt den Schulterschluss mit dem Terror vollziehen und auf Israel zielen.“ Man kann da gerade mehr Menschen sensibilisieren. Deshalb habe ich das Thema auch in meiner Rede auf der Kundgebung angesprochen. Eisenreich dagegen will diskreditieren statt für breitere Bündnisse zu werben. Damit ist nichts erreicht und nichts geklärt. Wir wissen nicht, warum jetzt plötzlich alle „Nie wieder ist jetzt“ sagen und warum sie es am 7. Oktober, angesichts des größten Pogroms gegen Juden seit 1945, nicht getan haben. Da sind sie nicht aktiviert gewesen, obwohl das doch der Ernstfall ist, die Katastrophe, von der wir immer reden.

Wollt ihr weitermachen mit den Protesten? Und wie? 

Wir müssen jetzt erst mal ein bisschen Luft holen. Eine Agenda in dem Sinn haben wir bei der IgR nicht. Erfahrungsgemäß ist es so, dass einen die Ereignisse in der Planung oft überholen, es reicht schon, dass von Rechts irgendwelche Demos angemeldet werden, dass man das mitbekommt und sich entsprechend aufstellt, das ist normal unser Modus. Bei der Europawahl werden wir auf jeden Fall wieder unsere Kampagne fahren („Kein Kreuz der AfD“), die ist ein Dauerläufer und sehr erfolgreich. Wir bilden uns ein – und ich glaube, mit Recht – dass diese Kampagne ausschlaggebend war dafür, dass bei den letzten Wahlen in Regensburg der Stimmenanteil der AfD runtergegangen ist. Deswegen bleiben wir da weiter dran.

Rechter Spuk: „Man sollte wissen, dass man sich nicht zurücklehnen kann“ © IgR

„Die Erfahrung lehrt, dass sich breite und diffuse Bündnisse wieder verlaufen“, sagt der Berliner Soziologe Dieter Rucht mit Blick auf den Protest gegen Rechts. Siehst du das auch so und wenn ja: Beunruhigt es dich?

Je breiter das Spektrum einer Bewegung, desto größer ist die Chance, wahrgenommen zu werden. Das hat man in München gesehen, wo sich 200 Organisationen zum Bündnis gegen Rechts zusammengeschlossen hatten und 250.000 Menschen zur Demo am Siegestor kamen. Das ist super. Wenn man’s dann aber wieder fokussiert oder irgendwie Forderungen proklamiert, fühlen sich ganz schnell welche ausgeschlossen, weil sie sagen: „Das ist doch nicht meine Meinung!“ Das kann dazu führen, dass eine Bewegung sich wieder verläuft. Aber das muss ja auch gar nicht so schlimm sein! Es kann daraus auf kleinteiliger Ebene was entstehen. Oder es wurden Leute politisiert, die jetzt am Ball bleiben in bestimmten Teilfeldern. Die Bündnisse, die wir jetzt gesehen haben, das ist nicht notwendig die operative Ebene. Das ist ein Symbol, ein symbolischer Akt. Die politische Arbeit passiert an der Basis und auch dafür haben die Proteste ganz viel Dynamik gebracht. Das ist das Positive.

Und das Wichtigste bis hierhin?

Ich glaube, dass viele Leute verstanden haben, dass die Demokratie sich nicht von der Couch aus verteidigen lässt. 

Dennis Forster, 34, ist studierter Amerikanist. Das Engagement für eine Gesellschaft, "in der alle ohne Angst verschieden sein können" (Theodor Adorno), ist seine Leidenschaft - neben guter Musik und Kichererbsengerichten. Dieses Engagement lebt er seit einigen Jahren als Vorstandsmitglied von CampusAsyl eV., als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Regensburg-Oberpfalz und in der Initiative gegen Rechts aus. Beruflich ist er in der historisch-politischen Bildungsarbeit tätig, mit Azubis, Jugendlichen und Erwachsenen.