In Teilen des politischen Spektrums und der Gesellschaft hält sich nach der Europawahl das Mantra, Klimaschutz sei „abgewählt“, der Green Deal etwa zur Einhaltung der Klimaziele wackelt. Was tun? Für Ronja Künkler, Aktivistin der Letzten Generation, ist schon lange klar, dass wir die Zukunft nur gewinnen, wenn wir uns engagieren, kämpfen und committen. Auszüge aus ihrem Statement vor dem Regensburger Amtsgericht, wo sie sich derzeit wegen mehrerer Straßenblockaden verantworten muss
Hohes Gericht,
meinen 25. Geburtstag hatte ich mir wohl anders vorgestellt!
Heute bin ich genau ein Vierteljahrhundert auf der Welt. In diesem Vierteljahrhundert hat Regensburg einige Jahrhundertfluten erlebt: 1999, 2002, 2013 und jetzt auch 2024. Ganz schön viel Jahrhundertfluten für ein Vierteljahrhundert!
In den letzten Wochen sind in Deutschland sechs Menschen in den Fluten ums Leben gekommen, viel mehr noch haben ihre Existenz verloren. Und wir wissen alle, dass diese Fluten nicht einfach schlimme Wetterereignisse sind, sondern durch die Klimakrise wahrscheinlicher und schlimmer wurden und eben nicht nur weit weg verheerende Folgen haben werden, sondern auch bei uns.
Wie es aussieht, haben die Starkregenereignisse und das damit einhergehende Hochwasser den Großteil der bayerischen Ernten zerstört. Das ist ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie die Klimakatastrophe unsere Nahrungsmittelsicherheit bedroht. Diesmal durch die Flut, letztes Jahr durch die Unwetter in anderen Teilen der Welt durch Feldbrände oder Dürren.
Am 20.12.2023 hat „Scientists for Future“ Regensburg sich wie folgt öffentlich geäußert:
„Die Stadt wird heißer, der Wald auf den Winzerer Höhen leidet, Hopfen- und Kartoffelernten in der Region sind bedroht. Aufgrund der fortschreitenden globalen Erwärmung werden solche Phänomene immer öfter auftreten. Während die Aktivisten der Letzten Generation vor Gericht stehen, versagen die staatlichen Organe beim Klimaschutz weitgehend und auf allen Ebenen“ (Kommentar der Scientists for Future Regensburg zur aktuellen Klimakrise anlässlich des Verfahrens gegen die Letzte Generation am 21.12.23, Amtsgericht Regensburg, 20.12.2023)
Jetzt, ein halbes Jahr später, stehen wir wieder hier. Draußen wird wieder eine Folge der Klimakatastrophe aufgeräumt. Es läuft die sogenannte “Nachhaltigkeitswoche” der Stadt Regensburg. Und hier drin? Geht‘ s darum, ob ich für meine friedlichen Protestaktionen bestraft werden soll.
Ich denke allen Menschen im Raum ist klar, dass ich mich nicht aus Jux und Tollerei auf Straßen gesetzt und geklebt habe. Dass es mir keine große Freude bereitet, Menschen zu stören und meine Gesundheit zu riskieren. Auf die konkrete Proteste, die wir hier verhandeln, möchte ich erst später eingehen. Zunächst ist es mir ein Anliegen zu erklären, wie ich dazu kam, mich an diesen Protesten zu beteiligen.
Ich denke mindestens 23 Jahre meines Lebens war es für mich komplett undenkbar, mögliche Regel und Normüberschreitungen bewusst zu riskieren. Ich bin eine Stunde nördlich von hier in Rothenstadt bei Weiden aufgewachsen und war ein ziemlich braves Kind. Mit Lehrer:innen zum Beispiel habe ich mich nicht oft angelegt und wenn, dann nur, wenn ich das Gefühl hatte, dass sie mich oder meine Mitschüler:innen ungerecht behandelten. Ansonsten war ich wohl eher eine Musterschülerin. Ich habe mich liebend gern auf Theaterbühnen gestellt, viel Musik gemacht, mich an Geschichtswettbewerben beteiligt und ja – auch schon für Politik und die Ungerechtigkeiten der Welt interessiert. Meine Eltern haben mich mit auf die ersten Demos mitgenommen. Gegen das Atomkraftwerk Temelin oder gegen Rechtsextremismus. Ich habe mich als 14 jährige mit der Amnesty International Gruppe in die Fußgängerzone gestellt und zum Tag der Menschenrechte im Dezember Unterschriften für politische Gefangene gesammelt. Heute sind meine Freund:innen diese Gefangenen, für die Amnesty sich einsetzt. Wie beispielsweise gerade fünf Menschen, die in Österreich wegen ihres Einsatzes mit der Letzten Generation im Gefängnis sitzen.
Ich habe früh gemerkt, hier stimmt was nicht. Die meiste Zeit hab ich mich mit dem Thema ohnmächtig gefühlt. Klar ich war auf Demos und hab sehr viele Petitionen unterschrieben. War auf Fridays for Future Demos, hab auch welche organisiert und bin eine zeitlang bei den Jusos aktiv gewesen. Hab versucht meinen Alltag so nachhaltig wie möglich zu gestalten: Papier aufgehoben, um es nochmal zu benutzen, keine neuen Klamotten gekauft, angefangen mich vegan zu ernähren. Ich dachte, so leiste ich einen sinnvollen Beitrag. Ich glaubte wie viele das Märchen vom ökologischen Fußabdruck, das von einem Ölkonzern in die Welt gesetzt wurde, damit wir uns nicht mit deren Verantwortung auseinandersetzen.
Dieser Ölkonzern, BP, hatte lange lange vor meiner Geburt schon gewusst, dass das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle zu klimatischen Veränderung führen kann. Und wollte es vertuschen. Hat es aktiv verharmlost.
Den eigenen Alltag umzustellen ist vielleicht nicht umsonst, aber wirklich viel verändern tut es eben auch nicht. So hing ich weiter in der Ohnmacht. Viel in der Verdrängung. Letztes Jahr im April habe ich mich dann entschlossen, in’s Handeln zu kommen und mich den Protesten der Letzten Generation anzuschließen.
Vor ein paar Wochen hat Hans-Joachim Schellnhuber, einer der renommiertesten Klimaforscher der Welt, ein ausführliches Interview zur Klimakrise gegeben. Er sagte darin:
„Als ich 1992 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gründete, rechnete ich fest damit, dass es nach 25 bis 30 Jahren wieder eingestampft würde, weil dann das Klimaproblem gelöst wäre. Aber das war plausibler Zweckoptimismus. Wir dachten, es geht immerhin um das Überleben unserer Zivilisation, die Menschheit kann doch nicht so verbohrt und gleichgültig sein, dass sie hier nicht entschlossen gegensteuert. Dass man zum kollektiven Selbstmord aus Bequemlichkeit bereit ist, ging über unsere Vorstellungskraft.“
Kollektiver Selbstmord aus Bequemlichkeit: Das ist es, was wir als Menschheit gerade tun. Wir steuern im Moment auf 3-4 Grad Erderwärmung zum Ende des Jahrhunderts zu. Das wäre das Ende der menschlichen Zivilisation. Das habe nicht ich mir ausgedacht. Das sagt die Klimafolgenforschung. Und es ist auch nur logisch und sehr einfach zu verstehen.
Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlagen. Stärkere und längere Dürreperioden, Starkregen, Stürme oder Überschwemmungen zerstören ganze Ernten. So wie bei den Fluten in den letzten Wochen in Süddeutschland oder ganz aktuell Österreich. Vor einer Woche hat Namibia den wegen der anhaltenden Dürre den Notstand ausgerufen. Mosambik, Botsuana und Angola sind ebenfalls davon betroffen. Und in Indien und Pakistan war vor kurzem eine verheerende Hitzewelle mit über 50 Grad Celsius bei der über 50 Menschen gestorben sind. Ich weiß nicht, ob sie “Das Ministerium für die Zukunft” von Kim Stanley Robinson gelesen haben – wenn nicht empfehle ich Ihnen das sehr stark. Da wird im ersten Kapitel sehr deutlich erzählt, was so eine Hitzewelle bedeuten kann. Wie eine ganze Stadt stirbt.
Robinsons Buch ist ein Stück Klimafiktion. Die Folgen der Klimakrise treiben aber schon jetzt Millionen Menschen in die Flucht – und noch viel schlimmer trifft es die Menschen, die nicht die Möglichkeit haben zu fliehen, weil sie die Reise körperlich oder finanziell nicht stemmen können. Sie verlieren ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlagen. Verhungern und verdursten.
Jede Krise, die wir gerade schon erleben, wird sich durch die Klimakrise verschärfen. Auch die Bedrohung unserer Demokratie und das Erstarken rechtsextremer Kräfte wird dadurch verstärkt. Denn Unsicherheiten und Krisen spielen den Demokratiefeinden oftmals in die Hände. Aber obwohl das unsere Aussichten sind. Obwohl die Wissenschaft die Politik drängt, endlich zu handeln, weigert sich die Bundesregierung. Sie bricht lieber ihre eigenen Gesetze und damit auch das völkerrechtlich bindende Pariser Abkommen. Dabei war schon das ein Kompromiss.
Darauf aufbauend können wir unsere Ambitionen nicht immer noch schwammiger und schwächer stecken! Wir haben jetzt eben leider nicht mehr die Möglichkeit zu gucken, „was ist denn grad eigentlich so möglich„, sondern müssen umsetzen „was nötig ist’. Aber da fehlt es Politik und Gesellschaft immer noch am Verständnis für die Hauptproblematik und ihre Dringlichkeit. Das Hauptproblem, oder besser die 26 Hauptprobleme, an der Klimakrise sind: Die Kipppunkte.
„Bei fünf großen Kippsystemen besteht beim gegenwärtigen Grad der globalen Erwärmung bereits die Gefahr, Kipppunkte zu überschreiten: die Eisschilde Grönlands und der Westantarktis, Warmwasserkorallenriffe, die subpolare Gyre-Zirkulation im Nordatlantik und Permafrostregionen„, heißt es dazu im Global Tipping Points Report. Diese Kipppunkte werden dort mit Dominosteinen verglichen, da die Systeme sich gegenseitig auslösen und beschleunigen können.
Letzten Sommer – genau zu der Zeit, als die heute hier angeklagten Straßenblockaden der Letzten Generation in Regensburg stattgefunden haben – warnte UN Generalsekretär Antonio Guterres die Weltöffentlichkeit mal wieder mit drastischen Worten: „Climate change is here. It is terrifying. And it is just the beginning, The era of global warming has ended, the era of global boiling has arrived.”
Die Ära der globalen Erwärmung ist vorbei. Die Ära des globalen Kochens hat begonnen.
Wir bekamen damals täglich in den Nachrichten serviert, was für ein großes Problem das ist. Aber während Guterres die Krise als solche benennt, ganz klar sagt, wie schlimm die Lage ist, versucht die Bundesregierung bis heute, uns zu beschwichtigen. Erst vor kurzem versicherte Olaf Scholz wieder mal, dass seine Politik am 1,5 Grad Ziel orientiert wäre. Doch das ist gelogen.
Deutschlands Klimaziele sind im Moment darauf ausgelegt, dass wir 2045 klimaneutral sind. Um aber die internationalen Abkommen einzuhalten und ein Überleben der Menschheit zu sichern, müssen wir das schon bis 2030 schaffen. Die Klimaziele, die Herr Scholz einhalten will, sind also nicht einmal ansatzweise realistisch am Notwendigen oder an diesen 1,5 Grad orientiert.
Als der eigene Expertenrat die Regierung im letzten Sommer dafür kritisierte, dass ihr aktueller Kurs unzureichend sei, behauptete unser selbsternannte Klimakanzler, „man tue alles“ . Tatsächlich bestätigte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Bundesregierung kurz darauf per Urteil, dass das Gegenteil der Fall ist, dass sie beim Klimaschutz versagt und damit geltendes Gesetz bricht.
Der Kläger, in diesem Fall der BUND, forderte die Verantwortlichen daraufhin noch einmal zum Handeln auf:
„Von den Ministern Wissing, Geywitz und Habeck erwarten wir jetzt rasch ambitioniertere Maßnahmen, um auf Klimakurs zu kommen. Das heißt: Tempolimit jetzt, Dienstwagenprivileg abschaffen, Steuervorteile für Diesel und Kerosin beenden und klare Vorgaben für die energetische Modernisierung von Gebäuden.“
Stattdessen legte die Bundesregierung Revision gegen das Urteil ein.
Vor diesem Hintergrund ist Widerstand meiner Ansicht nicht nur richtig, sondern absolut notwendig. Eine moralische Pflicht. Wenn die Bundesregierung uns sehenden Auges in die Katastrophe führt, dann muss ich dagegen protestieren.
Protest wirkt! Das habe ich gelernt, als ich meinen Bachelor in Politikwissenschaft gemacht habe.
Wenn wir in die Geschichte gucken, dann sind die wunderbarsten Errungenschaften unserer Gesellschaft auf mutigen Protest zurückzuführen. Auf Menschen, die Widerstand geleistet haben, als großes Unrecht herrschte. Auf Menschen, die an Dinge geglaubt haben, die unmöglich schienen.
Das Frauenwahlrecht, der Mauerfall, die Einsetzung der Menschenrechte. Das waren mal Utopien. Jetzt ist es Realität! Und diese Realität wurde nicht verschenkt, sondern durch Druck von der Straße erkämpft.
Heute, hier, in diesem historischen Moment, kommt es auf uns an: Die Menschen, die JETZT auf dieser Erde leben, entscheiden mit ihren Handlungen maßgeblich über das Leben kommender Generationen. Jede:r einzelne von uns.
Protest wirkt, habe ich gesagt. Warum habe ich mich dann für zivilen Widerstand entschieden? Weil ich die anderen Mittel ausgeschöpft habe:
Ich war mit 11 auf meiner ersten Demo.
Stand mit 14 in der Fußgängerzone und hab Unterschriften gesammelt.
Hab mit 16 Protestsongs gespielt
Mit 21 Fridays for Future Demos organisiert
Bin mit 22 einer politischen Partei beigetreten
Und musste feststellen, dass die Emissionen immer noch gestiegen sind und unser Planet – wie Antonio Guterres es vor ein paar Tagen sagte: „Am Rande des Abgrunds steht“
Ziviler Ungehorsam kommt nicht „einfach so“.
Ziviler Ungehorsam ist auch nicht automatisch rechtswidrig. Es ist ein Norm- oder Regelbruch. Dort, wo normalerweise Autos fahren, sitzen Menschen und protestieren auf eine ungewohnte Art und Weise. Auf eine störende Art. Dadurch entsteht eine Reibung, eine Irritation, oft auch Empörung, die Aufmerksamkeit auf unser Anliegen lenkt. Wir brechen damit nicht unbedingt Gesetze.
Die Bundesregierung hingegen bricht immer wieder ihre eigenen Klimagesetze. Und damit Artikel 20a des Grundgesetzes: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“
Solange das die aktuelle Lage ist, solange werde ich Protest machen und mich dem in den Weg stellen. Vielleicht nicht mehr mit Hilfe von Sekundenkleber. Aber sicherlich weiter auf eine Art und Weise, die die nötige Irritation auslöst.
Ich denke, dass mein Protest legitim und legal ist. Letzte Woche hat eine Mainzer Richterin in ihrer Urteilsbegründung gesagt, dass die Straßenblockade kein verwerfliches Handeln im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB darstellt.. Genau an solchen Straßenblockaden habe ich mich auch beteiligt, weil ich nicht dabei zusehen will, wie wir bei vollem Bewusstsein in die Katastrophe rennen.
Ich möchte noch ein letztes Mal Herrn Schellnhuber zitieren: „Wir haben keine große Chance. Aber weil es um alles geht, müssen wir sie ergreifen.“
Wir könnten dagegen ankommen. Gegen die Ohnmacht, die ich am Anfang erwähnt habe. Dieses beklemmende Gefühl der nahenden Katastrophe, die sich unvermeidbar anfühlt. Aber sie ist noch vermeidbar! Wenn endlich mehr Menschen aufbegehren und sich aktiv für die Veränderung einsetzen!
Wenn mehr Menschen ihre Chancen und Möglichkeiten nutzen.
Es braucht unseren Protest.
Und dass Sie, Herr Richter, mich heute freisprechen.
Denn es ist möglich.
Der Prozess gegen Ronja Künkler vor dem Regensburger Amtsgericht ist eines von mehreren Verfahren gegen Mitglieder der Letzten Generation. Der Tatvorwurf gegen die 25-jährige lautet auf Nötigung in fünf Fällen, begangen bei den LG-Straßenblockaden des vergangenen Sommers. Nach dem ersten Termin am 11. Juni, dem Geburtstag der Angeklagten, wurde die Verhandlung unterbrochen. Sie soll am 2. Juli fortgesetzt werden, im Fall einer Verurteilung droht Künkler eine Geld- oder gar Freiheitsstrafe. Die Zeit zwischen den Terminen nutzten Aktivist:innen der Letzten Generation, von Fridays for Future, End Fossil und Scientist Rebellion für eine ihrer Ungehorsamen Versammlungen: 24 Stunden Dauerprotest rund um die Verkehrsdrehscheibe am Regensburger Jakobstor. Die Polizei war informiert. Die Aktion verlief dadurch weniger konfrontativ als gewohnt - und machte (deshalb? trotzdem?) bundesweit Schlagzeilen. Künkler ließ ihrer Ankündigung im Prozess, sich künftig "vielleicht nicht mehr" festzukleben, ganz im Sinne des von der LG vor Kurzem beschlossenen Strategiewechsels Taten folgen. Die hier publizierte "Einlassung" basiert auf dem Manuskript, auf das sie sich vor Gericht stützte und das sie uns auf Anfrage zur Verfügung stellte