Die steinerne Stadt, Die autogerechte Stadt. Was in Regensburg mal als legendär, mal als visionär galt, sind Leitbilder, die der Ertüchtigung des urbanen Raums in Zeiten des Klimawandels – immer noch! – im Wege stehen. Problem: Den Planern läuft die Zeit davon. Dazu kommt der Backlash in der Politik mit der Tendenz, „Klimaschutz klein zu reden“. Benedikt Suttner (ÖDP) über das Regensburger Stadtbahn-Debakel, wie es mit der Mobilitätswende weitergeht – und was sonst an Transformation und Selbstermächtigung passieren muss, um der Stadt eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu sichern
Herr Suttner, was denken Sie, wenn Sie solche Schlagzeilen lesen: „Aiwanger stellt Bayerns Klimaziel in Frage“ (SZ, 26. Juni)?
Benedikt Suttner: Es ist eh schon nicht viel, was Bayern sich vorgenommen hat! Und wenn man das Wenige auch noch in Frage stellt, bleibt gar nichts mehr übrig. Das fällt mir dazu ein. Ich glaub’, es ist auch dem Zeitgeist geschuldet, speziell nach den Ergebnissen der Europawahl, dass manche Politiker sich jetzt trauen, das Thema Klimaschutz klein zu reden und Klimaziele offen in Frage zu stellen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir als ödp wollen, nämlich eine sehr scharf formulierte Klimapolitik mit Prozentzielen für kürzere Zeitintervalle, so dass klar ist, was wollen wir in drei Jahren, in fünf Jahren usw. erreicht haben, mit welchen Maßnahmen gehen wir da vor und wenn die nicht greifen, welche Alternativen haben wir dann. Es kann in unseren Augen nur darum gehen, dass wir uns ganz strategisch ein ambitioniertes Klimaziel vornehmen. Aussagen wie diese sind dazu natürlich konträr.
Sie arbeiten hier in der Neuen Waag Tür an Tür mit der Stadtratsfraktion der Freien Wähler. Das stell’ ich mir nicht immer einfach vor …
Im Büroalltag ist es kein Problem, weil was hat man miteinander? Einen Kopierer? Aber politisch merke ich schon, dass es gerade mit den Freien Wählern schwieriger wird. Sie sind in den letzten Jahren auch in den Regionen immer stärker auf den Aiwanger-Kurs eingeschwenkt sind. Er hat es geschafft, die Partei auf Kurs zu bringen, so dass mittlerweile fast alle nach seiner Pfeife tanzen. Das haben wir jetzt auch beim Bürgerentscheid zur Stadtbahn gesehen.
Sie meinen, die Obstruktion, die da von CSU und FW betrieben worden ist?
Und das, nachdem man vorher jahrelang alle Beschlüsse zur Stadtbahn mitgetragen hat! Erst zwei, drei Wochen vor dem Bürgerentscheid hat FW-Chef Artinger seiner Tischnachbarin und Oberbürgermeisterin Ingrid Maltz-Schwarzfischer (SPD) auf einer Veranstaltung der MZ ins Gesicht gesagt, man sei jetzt „aus Kostengründen gegen die Bahn“. Ich bin danach, nachdem plötzlich auch die CSU massiv gegen die Stadtbahn aufgetreten ist, noch heftig mit dem CSU-Fraktionsvorsitzenden und der FW-Kollegin aneinander geraten, die meinten, ich soll mich doch nicht aufregen, das sei doch nicht so schlimm. Aber mir geht’s da um die politische Kultur: Dass man nicht vorher alles mit absegnen kann – und damit auch verantwortlich ist für die bisherigen Ausgaben bei der Stadtbahn – um sich dann kurz vor dem Entscheid aus der Verantwortung zu ziehen. Man hat die Stadtbahn geopfert, weil man sich davon ein besseres Ergebnis bei der Europawahl versprochen hat, das unterstelle ich jetzt mal, und um die FW-Kernklientel nicht zu verprellen. Das finde ich nicht okay.
Gehen wir nochmal auf Reset: Am 9. Juni haben sich die Regensburger:innen gegen die weitere Planung einer Stadtbahn entschieden. Wie enttäuscht sind Sie?
Ich hab zwar gemerkt, es läuft nicht optimal, es ist schwierig, das Thema in seiner ganzen Breite, mit den Fragen, die es aufwirft, unter die Leute zu bringen. Beim Bienen-Volksbegehren zum Beispiel, das wir auch gemacht haben, war das viel leichter, weil da auch Emotionen angesprochen wurden und weil den Leuten klar war, wir müssen was für die Insekten tun. Bei der Stadtbahn dagegen standen Kosten im Raum (1,2 Milliarden Euro ab 2030, zu 60 Prozent gefördert von Bund und Land, Anm.d.Red.). Da gab’s viele offene Fragen, die kannst du nicht einfach mal kurz auf einem Flyer erklären, und dadurch wars schwieriger. Gleichzeitig haben wir sehr viel Energie da reingesteckt. Die Planungen bei der Stadt liefen seit 2018 und weil das auch sehr detaillierte Planungen waren – wir waren wirklich schon sehr weit! – bin ich sehr enttäuscht, ja. Es wäre einfach ein enormer Schritt für Regensburg gewesen, ein Quantensprung in Sachen Mobilitätswende und Stadtentwicklung, den wir mit der Stadtbahn hätten machen können.
Was, glauben Sie, waren die Gründe, dass es so ausgegangen ist?
Wir haben das analysiert und auch verglichen mit dem gleichzeitig stattfindenden Bürgerentscheid in Erlangen: Dort war eine knappe Mehrheit für die Stadtbahn, bei uns dieselbe knappe Mehrheit, ca. 5000 Stimmen, dagegen. In Erlangen wars so, dass sich viele Leute aus der Bürgerschaft eingebracht und für eine Stadtbahn stark gemacht haben. Wir hatten in Regensburg auch ein breites Bündnis – aber die Erlanger waren noch mal ganz anders aufgestellt, weil sich dort auch die größeren Wirtschaftsunternehmen für die Stadtbahn ausgesprochen haben. Bei uns dagegen war die Wirtschaft von Anfang an gespalten. Auch der Verkehrsausschuss der IHK lehnte das Projekt ab. Umgekehrt war zum Beispiel Hans Schaidinger (CSU), Regensburgs Ex-OB, dafür. Im Endeffekt, glaube ich, war es so, dass die Bürger bei dem Thema auf die Politik vertraut haben. Und als die sich nicht mehr einig war, war das mehr als nur ein Nadelstich.
Der Beschluss, die weitere Planung der Stadtbahn vom Ausgang eines Bürgerentscheids abhängig zu machen, fiel sehr kurzfristig. Kann es sein, dass sich die Bürger:innen bei einem Vorhaben dieser Dimension nicht auf die Schnelle committen wollten?
Wir haben von Anfang an gewarnt, dass der Zeitraum zu kurz ist bis zum Bürgerentscheid! Drei Monate reichen nicht, um die Leute umfassend zu informieren. Deshalb haben wir im Stadtrat auch dagegen gestimmt, dass es einen Bürgerentscheid zur Stadtbahn gibt. Der andere Grund war, dass wir gesagt haben: Es gibt einen fast einstimmigen Stadtratsbeschluss zu dieser Thematik und die Bürger müssen sich auch drauf verlassen können, dass die Politik den Mut hat umzusetzen, was sie beschlossen hat. Wenn sich dann eine Bürgerinitiative bildet und dagegen Unterschriften sammelt, ist das völlig okay. Aber die Notwendigkeit, von Seiten der Stadt einen Bürgerentscheid zu machen, gab’s nicht. Was es gab, waren Hinterzimmergespräche, in denen die Koalition (aus CSU, SPD, FW, FDP und CSB, Anm.d.Red.) zum Bürgerentscheid gedrängt worden ist. Und erst als klar war, durch Mund zu Mund-Propaganda, durch Gespräche, es wird einen Bürgerentscheid geben, kam es zum entsprechenden Beschluss im Stadtrat.
Wenn man sich diese Dynamiken anschaut, könnte man glauben, der von CSU und FW befeuerte Kulturkampf gegen alles, was mit Ökologie und Klima zu tun hat, habe nun halt auch die Regensburger Stadtbahn verschlungen. Ist da was dran?
Grundsätzlich könnte ich das so sehen. Andererseits hatten wir bei der Stadtbahn auch die FDP mit im Boot, von der ich jetzt nicht sagen würde, dass sie besonders ökologisch unterwegs ist. Trotzdem waren sie für die Stadtbahn – und darin habe ich auch die Chance gesehen, dass das kein reines Ökothema bleibt, sondern auf der Ebene von Stadtentwicklung verhandelt wird. Die Stadt wächst und wächst aufgrund von Entwicklungsaspekten, die gar nicht groß was mit Ökologie zu tun haben. Deshalb brauchen wir Alternativen zum motorisierten Individualverkehr. Und deshalb hätte ich auch gedacht, dass nicht nur ökologisch denkende Menschen für die Stadtbahn sind, sondern auch andere. Denn die brauchst du, um Mehrheiten zu generieren.
Vielleicht reicht es heute ja schon, dass die „falschen“ Leute, also SPD, Grüne, Linke, ÖDP, dazu die „üblichen Verdächtigen“ vom BUND und von den Fridays, von adfc und VCD etc. ein Projekt als „klimaschonende Lösung für das wachsende Verkehrsaufkommen in Regensburg“ promoten, um es zu diskreditieren?
Ich glaub schon, dass die Blasenbildung, die wir derzeit haben, was die Medien anbelangt, was die Informationsquellen anbelangt, hier eine Rolle spielt. Dass viele Leute hauptsächlich in ihrer Blase agieren und kommunizieren. Da nehme ich mich selber nicht aus. Es ist schwer, neue Informationen in diese Blasen hinein zu bringen. Und wenn die von den „falschen Leuten“ kommen, wie Sie sagen, oder von einer bestimmten Seite, ist man nicht bereit, das zu filtern oder die notwendige Aufmerksamkeit aufzubringen. Das möchte ich nicht allen Leuten unterstellen. Aber ich glaube, der Trend wird stärker.
Die Kampagne für die Stadtbahn hat auf mich ein wenig verkniffen, um nicht zu sagen: mutlos gewirkt. Warum hat eigentlich keine:r den Mumm, zu sagen, worum es bei den Überlegungen zum motorisierten Individualverkehr wirklich geht – nämlich darum, die Autos aus der Innenstadt raus zu kriegen und zwar ein für allemal?
Also, wer die Politik der ÖDP verfolgt, hat hoffentlich gemerkt, dass wir ganz oft gesagt haben, man muss dem Auto Platz weg nehmen. Das war in unseren Haushaltsreden drin, das stand in unseren Pressemitteilungen. Wir haben immer gesagt: Weniger Platz fürs Auto, wir müssen es den Autofahrern unbequemer machen! Der ÖPNV muss am Autostau vorbei fahren, wir müssen Parkplätze wegnehmen, reduzieren und so weiter. Aber ich merke bei Kolleginnen und Kolleginnen aus allen Parteien, dass sie da sehr vorsichtig sind, um die Autofahrer als Wähler nicht zu vergraulen. Wer gegen das Auto ist, wird von Autofahrern als „Feind“ wahrgenommen. Deswegen tun sich viele schwer, restriktiver dagegen vorzugehen. Wenn Sie sich die Parkplatzsituation und -politik in Regensburg anschauen, sehen Sie: Es fällt der Stadtspitze ganz, ganz schwer, hier wirklich zu reduzieren. Meistens geht es dann darum, zu „verlagern“, in Parkhäuser, weg vom öffentlichen Straßenraum. Aber im Vergleich mit anderen, annähernd gleich großen, schönen Städten gibt’s bei uns halt immer noch viel zu viele Parkplätze in der Altstadt/ Innenstadt. Wir könnten da wirklich noch viel nachhaltiger unterwegs sein.
Nach Hedwig Richter (Geschichtswissenschaftlerin, Autorin, jüngstes Buch: „Demokratie und Revolution – Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“) kann Klimapolitik nur funktionieren, wenn Politiker endlich anfangen, „mit Menschen wie mit Erwachsenen zu reden“
Das sehe ich genauso! Wir sind in der ödp, obwohl wir wissen, dass die großen Wahlergebnisse bisher nicht gekommen sind, auch wenn wir tolle Erfolge hatten – das Bienen-Volksbegehren zum Beispiel war das stärkste in Bayern. Wir sind nicht die einzige Partei mit einer ökologischen Programmatik, aber einen medialen Hype wie um andere Parteien mit ähnlichen Themenschwerpunkten haben wir nie erlebt. Trotzdem gibt’s uns noch. Und trotzdem gibt’s bei uns die Überzeugungstäter, die sagen: Ich bleibe dabei, weil wir ein Programm haben, das den Leuten reinen Wein einschenkt – auch in der Wirtschaftspolitik, wo wir seit jeher eine Postwachstumsökonomie propagieren. Niko Paech, einer der führenden deutschen Wissenschaftler in dem Bereich, hat uns davor schon früh gewarnt: „Eine Partei, die das sagt, sagt Unbequemes!“ Sie kann sagen: Leute, Wachstum ist nicht alles. Es geht nicht nur ums Materielle und ums Haben-Wollen, es gibt auch andere Werte. Aber das wird sich der Masse und der Wählerschaft nicht so leicht vermitteln lassen als wenn man es in Watte packt. Wir sind uns dafür nicht zu schade. Und ich glaube mehr denn je: Die Leute wissen insgeheim auf Grund der Kipppunkte, die von der Wissenschaft immer wieder aufgezeigt werden, dass Klimapolitik, wie sie aktuell gemacht wird, nicht funktioniert. Sie ahnen: Je hasenfüßiger wir heute agieren, umso schlimmer wird’s später. Das Klima können wir dann aber nicht mehr handeln. Ein Kipppunkt bedeutet: Ab dem Punkt wird’s unkalkulierbarer. Und heftig.
Die Mobilitätswende müsse nun nach dem Debakel mit der Stadtbahn „anders geplant und gelöst werden“, sagt die Stadt Regensburg. Mir fehlt da ein bisschen die Fantasie. Haben Sie eine Ahnung, was da jetzt kommt und wie das gehen soll?
Zunächst mal ist die Stadt nur ein Jahr an das Ergebnis des Bürgerentscheids gebunden und ich will nicht ausschließen, dass das Thema irgendwann wiederkommt. Das muss man abwarten. Auf der anderen Seite habe ich als Kommunalpolitiker im Stadtrat ständig mit aktuellen Entscheidungen kleinerer und größerer Art zu tun – und deshalb wäre es jetzt zu wenig, zu sagen: Okay, Chance vertan, jetzt stecke ich den Kopf in den Sand. Die Frage ist: Was würde trotzdem schnell was bringen? Es sind noch eineinhalb Jahre bis zur nächsten Kommunalwahl. Die kann ich nutzen, um (beispielsweise) eigene Busspuren zu erreichen. Die hätten wir mit der Stadtbahn jetzt eigentlich geplant. Die Planungen, wo wir dem Auto was wegnehmen können, gibt’s. Die sind fertig. Das heißt, hier könnte mit wenig Umbau und wenig Geld dem Bus viel zugeschustert werden und gleichzeitig wäre es ein Signal: „Der Trend geht zum ÖPNV! Und wenn du nicht im Stau stehen willst, fährst du damit!“ Außerdem …
Ja?
… gibt es nicht nur den einen Bürgerentscheid gegen die Stadtbahn. Sondern auch den für das Rad, den Radentscheid mit der größten Bürgerbeteiligung überhaupt. Die darin enthaltenen Forderungen hat der Stadtrat 2019 einstimmig übernommen, umgesetzt in konkrete Maßnahmen wurde davon aber bis heute gerade mal ein Prozent! Da könnte man also auch viel machen – wenn man sich trauen würde, Straßen umzuwidmen. Ich muss den öffentlichen Raum für den Verkehr anders definieren. Da geht’s nicht um riesige Bauwerke, ich brauch auch nicht die x-te Brücke vielleicht, wenn klar wäre, hier gibt’s eine Autospur weniger. Dafür setze ich mich jetzt erstmal ein, unabhängig davon, ob irgendwann wieder eine Stadtbahn-Diskussion kommt. Aber diese Aspekte wären dann nicht konträr, sondern kompatibel.

Ich bewundere Ihr Engagement. Aber ich glaube nicht, dass eine Stadtregierung, die sich für den Rest der Legislatur von Fall zu Fall, von Entscheidung zu Entscheidung ihre Mehrheiten suchen muss, noch Berge versetzen wird …
Das könnte man meinen. Und wer Regensburg lang genug verfolgt, kann auch den Eindruck gewinnen, so viel geht da nicht. Wenn man sich jetzt aber die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat anschaut – und das ist auch eine Erfahrung aus der Stadtbahn-Diskussion – haben sich viele dafür ausgesprochen und in dem Zusammenhang auch klare Statements für einen besseren ÖPNV und für mehr Radverkehr abgegeben. Denen zu sagen, wir haben hier noch fünf Punkte, die wollen wir in dieser Legislatur noch umsetzen und die würden uns wirklich weiterbringen, hätte großen Charme für alle Beteiligten. Sie könnten sich vor der nächsten Wahl hinstellen und sagen: „Das haben wir geschafft!“ Und die Oberbürgermeisterin könnte sagen: „Ich hab’s mit einer Koalition versucht. Das hat nicht geklappt. Jetzt hab ich’s noch mal mit wechselnden Mehrheiten probiert und die Stimmen bei gewissen Themen gebündelt.“ Das ist doch eine Stärke! Die Leute wünschen sich doch Politiker, heute mehr denn je, die innerhalb des demokratischen Spektrums Kooperationen eingehen können und sich auch nicht zu schade sind, viel zu kommunizieren – auch in die Bürgerschaft hinein: „Leute, wir haben dieses Projekt jetzt vor. Diese Parteien stehen dahinter. Und das wollen wir noch umsetzen.“ Das klingt doch besser als: „Mit dieser Koalition geht vielleicht noch dieser kleine Kompromiss.“ Das ist doch kein Startsignal. Das kommt nur mutlos rüber. Dabei haben zuletzt ein Drittel der Regensburger Bürger klar ökologisch gewählt! Es gibt hier eine nachhaltige Kultur! Und ich glaube, wenn mal eine mutige Entscheidung gefällt ist, dass sich dann auch viele dahinter versammeln. Und es wäre gleich ein anderer Zug im Stadtrat drin. Es klingt vielleicht blauäugig, aber ich trau dem Stadtrat zu, dass er zum Wohl der Stadt regieren will und dass sich alle als Kollegialorgan einbringen, wie es in der Gemeindeordnung steht. Wir als ödp haben uns immer so verstanden. Und ich weiß aus Gesprächen mit Politikern anderer Parteien, dass viele das genauso sehen.
Die Lebensqualität urbaner Räume wird in Zukunft (auch) davon abhängen, wie man sich gegen Starkregen und Hitzesommer schützt. Wo und wie fließen solche Überlegungen in die Regensburger Stadtplanung mit ein?
Also, wir haben schon Pläne gegen Starkregen-Ereignisse. Wir haben das Thema Schwammstadt. Das Thema Entsiegelung. Das ist alles schon auch in Vorlagen drin und wird von der Stadtplanung stärker berücksichtigt als noch vor zehn Jahren. Wir haben ein Freiflächen-Entwicklungskonzept und eine Freiflächen-Gestaltungssatzung. Aber wie’s im Zweifel halt dann läuft, kann man am Biotop Lilienthalstraße sehen, für das sich u.a. der BUND ziemlich stark gemacht hat, auch mit Petitionen und Unterschriften. Da steht in einem städtischen Plan drin, dass das eine Fläche ist, die nicht bebaut werden soll. Gleichzeitig wird’s Baugebiet. Hintergrund: Das Grundstück war erst im Privat-, dann im Firmenbesitz, wurde brach liegen gelassen, Wildnis machte sich breit und aus der Wildnis hat sich das Biotop entwickelt. Nur: Vom Flächennutzungsplan her war das nie eine Grünfläche! Das heißt: Theoretisch kannst du da immer noch bauen. Deshalb geht es jetzt darum, dass der Flächennutzungsplan so umgestaltet wird – und er wird grad verändert! – dass wir für die Ökologie was rausholen. Für Freiflächen, die uns in Zukunft hoffentlich mehr Kühle in die Stadt bringen, weil dann kann ich Frischluftschneisen sichern, kann Biotope sichern, kann kleine Erholungszonen in der Innenstadt, in den Stadtquartieren sichern. Was nicht hilft, ist die oft praktizierte Salamitaktik – immer wieder was weg vom Grün – dann ist da wieder bebaut und dann gleichen wir’s woanders aus, am Rand der Stadt oder sogar außerhalb des Stadtgebiets. Da müssen wir zu mehr Vehemenz, zu mehr Kreativität auch in der Verwaltung kommen, zu sichern, was zu sichern ist für die Nachhaltigkeit, für die Klimaresilienz, für die Ökologie, weg von der Devise: Bauen geht vor Baumschutz.
Wie gehen wir mit den vielen versiegelten Flächen in der Innenstadt um (Bahnhofsareal, Maximilianstraße, Neupfarrplatz usw.)? In den 1970ern und 80ern war das ein Spiel mit dem überlieferten Bild Regensburgs als „steinerner Stadt“. Heute ist es ein Risiko und kann Menschen im Sommer gefährlich werden.

Ich sag mal so: Grundsätzlich bin ich ein Freund davon, zu sagen, ich geb als Politik einen Auftrag an die Verwaltung und die Verwaltung sucht nach Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Hier müsste dieser Auftrag lauten: Seid offen, kreativ, schaut in andere Städte, holt euch Leute von extern rein unter der Prämisse: Wie können wir die Altstadt zukunftssicher machen? Ich bin überzeugt, da kommen Ideen, die ich noch gar nicht am Schirm hab! Ich selber hielte die Begrünung von Fassaden für eine Möglichkeit, die auch fürs Welterbe total attraktiv wäre im Gegensatz zu weißen, grauen Wänden. Und mehr Grün bedeutet auch mehr Sauerstoff. Zweitens: Verschattung. Wir haben bisher zu oft auch Architektenentwürfe gehabt, auch bei Schulen usw., wo viel zu wenig Schatten mitgedacht worden ist. Sie haben den Neupfarrplatz angesprochen: Da gibt es nirgends Schatten! Drunten bei der Wurstkuchl, wo ich grad war, suchen Leute, Touristen, nach einem Platz im Schatten. wo sie ihre Bratwurstsemmel essen können. Das kann ich stadtplanerisch bei allen Maßnahmen mitdenken! Dazu kommt das Thema Brunnen. Wasser in der Stadt. Das Tollste wäre natürlich, wenn wir zum Beispiel im Obermünsterviertel den Vitusbach wieder an die Oberfläche holen würden. Da gab’s immer wieder Anregungen auch aus Kreisen der Bürgerschaft: „Macht das endlich!“ Das ist bisher am Geld gescheitert. Aber wenn man sich das für die Zukunft anschaut, dann ist das nochmal neu zu betrachten, weil sonst enorme Folgekosten drohen. Wenn wir so eine heiße Innenstadt haben, bleiben irgendwann auch die Touristen weg! Mehr Bäume könnten helfen, wobei: Bei Baumstandorten ist halt immer die Archäologie schwierig. Trotzdem: Mehr Grün kann reinkommen, das habe ich zuletzt in Wien gesehen, da gab’s Besprenkelungen, wo man durch eine ganz feine Dusche gelaufen ist und auch die Luft ist dadurch kühler geworden. Das sind alles kleine Aspekte. Der Vorteil ist: Man kann sich da mit anderen Städten prima austauschen. Denn alle das gleiche Problem.
Es sieht so aus, als ob wir Stadt noch einmal ganz neu denken müssten. Nur mit Konsum zum Beispiel werden wir in unseren Innenstädten nicht mehr sehr weit kommen, oder?
Dass ich in die Innenstadt fahre, um eine Waschmaschine zu kaufen, die Zeit ist vorbei! Aber die Frage ist halt, fahre ich in die Innenstadt, nur um einzukaufen? Ich glaube: Nein. Für Leute, die in der Innenstadt oder nah dran wohnen, die dann auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß oder mit dem ÖPNV, kommen, ist die Stadt das Nahversorgungszentrum. Andere, die die Innenstadt als schön erleben, verbringen hier ihre Freizeit und gehen dann vielleicht noch einkaufen. Das sagen uns auch die Experten, dass das zunehmen wird. Und jetzt ist halt die Frage: Mach ich das allein dadurch attraktiv, dass es verkaufsoffene Sonntage gibt, verbunden mit dem einen oder anderen Event? Oder schaff ich’s, dass ich da mehr Kultur reinbringe, auch eine der freien Szene, so dass sich immer was tut, auch Sachen, mit denen ich nicht gerechnet habe? Und für wen wäre das interessant? Regensburg ist Single-Hauptstadt: Also für ein jüngeres Publikum? Es leben aber auch immer mehr ältere Menschen allein, die muss ich auch berücksichtigen. Dazu kommen noch die Familien, da sind dann die Kinder dabei, und von dieser Generation erwarten wir ja immer, dass sie nachhaltig unterwegs ist. Wie wär’s denn, wenn wir es schaffen würden, dass wirklich auch Familien mit Kindern mit dem Fahrrad schön in die Altstadt reinfahren können? Es wird sicherer, es gibt Spieloptionen in der Altstadt, es ist alles in Bewegung. Das macht die Innenstadt attraktiv. Aber wir dürfen auch die Stadtteile nicht vergessen! Wenn die Kultur auch in die Stadtteile kommt, und Leute sagen: „Heute fahre ich mal nach Burgweinting, weil da ist eine tolle Sache“, hätten wir viel gewonnen. Und nochmal zu Ihrer Frage: Die Altstadt wird auch weiterhin den Handel brauchen. Nur halt weg von diesem: Wir müssen alle Autos reinfahren lassen, damit die Leute da einkaufen können. Das ist vorbei.
Das verwaiste, leer stehende Gebäude von Galeria Kaufhof am Neupfarrplatz wirkt jetzt schon wie ein Zitat: Relikt einer versunkenen (Warenhaus-)Welt, Sinnbild für das Ende der Konsumgesellschaft, wie wir sie kannten. Was machen wir damit?
Sich auf den Standpunkt zu stellen: Es ist nicht unser Gebäude, es gehört uns nicht, da tun wir erstmal nichts, wäre zu wenig! Die Stadt sagt: Es gibt eine Arbeitsgruppe Leerstand, da gehört auch Galeria/Kaufhof dazu, okay. Aber was Sie andeuten, geht in Richtung Bürgerschaft selbst. Es wäre ein interessanter Punkt, zu sagen: Uns gehört die Immobilie nicht, aber sie macht Regensburg (auch) aus. Jeder kennt das Gebäude, hat es bisher als Kaufhaus erlebt, und vielleicht wärs ja ne Chance, wenn ein Investor merkt: „Dieses Gebäude ist der Bevölkerung wichtig! Die wollen was draus machen. Die hätte ich im Boot, wenn ich ein interessantes Konzept liefere!“ Ich wär vorsichtig zu sagen: Wir reißen das Ding weg und es kommt was völlig Neues – da wären wir beim Thema „graue Energie“, ich glaub, die Zeiten sind auch vorbei, wo man sowas einfach wegreißt. Aber: Vom vorhandenen Gebäude Teile wegzunehmen, andere zu ergänzen mit moderner Architektur, wieder andere stehenzulassen, zu begrünen, solche neue Aspekte reinzunehmen, fände ich spannend! Ich war in Amsterdam vor ein paar Jahren, da hat man aufs Gebäude hoch gehen können, hat dann einen schönen Blick. Solche Elemente aufzugreifen, das Feld aufzumachen, Überlegungen von Bürgerschaft, Kultur- und Kreativwirtschaft, Architekturkreis usw. reinzugeben in eine Debatte, wäre in meinen Augen ein lohnender Weg.


Brauchen wir generell mehr deliberative Demokratie in Fragen der Stadtplanung? Könnten Bürgerräte die Verwaltung entlasten? Und würde das nicht auch für mehr Gemeinsinn sorgen?
Wenn die Bürger mitmachen, haben viele Politiker oft die Angst, dass etwas abgelehnt wird, was man beschlossen hat. Das kann umgekehrt aber natürlich kein Grund sein, dass man sagt, man traut den Leuten nichts zu und bleibt deshalb im Verwaltungshandeln lieber intransparent. Wichtig ist, dass die Leute wieder merken, ich kann mich – angefangen in der Nachbarschaft, in meinem Quartier – einbringen. Genauso ist die Bundesrepublik ja auch aufgebaut mit dem Prinzip der Subsidiarität: Was ich selber in meinem unmittelbaren Umfeld tun kann, kann ich tun. Wenn’s darüber hinaus geht, greift die nächste Struktur, Kommune, Bezirk, Land, und das ist grundsätzlich auch gut, denn man kann nicht von jedem verlangen, dass er sich automatisch einbringt, weil er vielleicht schon immer so aufgestellt war, dass er sich im Verein engagiert, für eine Initiative stark macht etc. Aber wenn die Leute merken: Wenn ich mich in meinem Quartier engagiere, bringt mir das einen Mehrwert an Lebensqualität, weil wir eine Grünzone erhalten haben, wo ich mich in meiner Freizeit aufhalte, weil wir einen Flusslauf bekommen haben, einen Bach, weil wir vielleicht ein Fest organisiert haben, all diese Punkte – dann stärkt das die Struktur. Das gibt jemandem, der beispielsweise im Regensburger Südosten lebt – wo nicht wie in Kumpfmühl so ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund der Historie da ist, sondern sehr viel Fluktuation – die Möglichkeit, Fuß zu fassen. Und je verwurzelter jemand ist, umso mehr bringt er sich ein. Genau an der Stelle, finde ich, wär’s interessant, über Bürgerräte oder Bürgerhaushalte den Leuten im Quartier eine gewisse Summe Geld zu geben aus dem Haushalt der Stadt! Also: Verantwortung abzugeben und ein Zutrauen zu fassen, dass gut ist, was die Leute damit machen.
Sie meinen, wir müssen Stadt nicht nur neu denken, es wird auch wichtig werden, neue Formen des Miteinanders und der Partizipation auszuprobieren und zuzulassen?
Unbedingt! Ich hoffe auch beim Thema Wohnen, dass wir es erreichen, dass mehr Genossenschaften, mehr Baugemeinschaften zum Zug kommen, weil die, die’s gibt, haben immer auch eine große Ausstrahlung in ihrem jeweiligen Gebiet. Sie sind nicht einfach Mieter. Sie haben ein Modell, wo es viel um Kommunikation geht, darum, Dinge zu teilen, kleine Strukturen aufzubauen in der Nahversorgung. Das sollten wir fördern und nicht sagen: Diese x Wohneinheiten können am schnellsten Investoren schaffen, deswegen geben wir ihnen das Gebiet, weil sie das fertige Konzept schon in der Schublade haben. Vielmehr sollten wir – auch wenn der Baumarkt momentan schwierig ist und alles rund ums Bauen teuer – die Strukturen der Genossenschaften stärken. Da ist es wichtig dafür zu sorgen, dass es Ansprechpartner in der Verwaltung gibt. Wir müssen unterstützen, vernetzen, Leute an einen Tisch bringen wie vor Kurzem bei einem Workshop des Architekturkreises im M26. Man muss gucken, wer hat welche Schwierigkeiten bisher, können wir da Synergien schaffen – weil wenn wir das nicht tun, werden aus unseren Baugebieten keine wirklich nachhaltigen Lebensräume. Und es entsteht wieder das, was wir nicht wollen: Trabanten, wo die Leute morgens in die Arbeit fahren und abends, vorm Zubettgehen, vielleicht noch mal schnell den Garten gießen und ansonsten tut sich nichts.
Sie gelten als uneitel und integer, sind kein Selbstdarsteller oder Profilneurotiker, von denen es in der Politik schon viel zu viele gibt. Fühlen Sie sich in diesem Geschäft nicht manchmal deplatziert?
Ja, und ich denk auch immer wieder drüber nach. Ich hab ja noch einen Beruf als Konrektor an einer Grundschule, bin dreifacher Familienvater, verheiratet. Ich hätte auch andere Betätigungsfelder und da denk ich mir schon immer wieder: Ist die Zeit im Stadtrat gut angelegt? Umgekehrt sehe ich, dass auch meine Kinder sich Fragen zur Zukunft stellen und sie sind die Nächsten, die mit den Problemen und Herausforderungen umgehen müssen! Da kann ich nicht sagen, ich ziehe mich zurück, ich bin ich raus und damit die ganzen Scherereien los. Sondern es ist meine Pflicht, glaube ich, mich einzubringen, wenn ich was bewirken kann. Wenn ich in der Kommunalpolitik einen Antrag einbringe, wird darüber diskutiert und ich habe eine gewisse Chance, dass er umgesetzt wird – und vielleicht ermutigt das ja auch andere Leute, sich zu engagieren. Zum Beispiel gibt es jetzt eine neue Bewegung für mehr Tempo 30 in der Stadt, ins Leben gerufen von einem Paar, das bisher in der Stadtgesellschaft überhaupt nicht groß aktiv geworden sind. Das finde ich super! Dass es immer wieder Leute gibt, die was tun, vielleicht auch manche Entwicklungsschritte, die ich schon hinter mir hab, trotzdem gehen, vielleicht mit mehr Erfolg. Weil die Alternative, der Rückzug ins Private, ist für mich eine komplett ferne, unpolitische Einstellung.

Benedikt Suttner, Sohn des früheren ÖDP-Landesvorsitzenden Bernhard Suttner, ist gewählter Stadtrat seit 2009. Er ist Mitglied im Ausschuss für Stadtplanung, Verkehr und Wohnungsfragen, im Grundstücksausschuss, im Bau- und Vergabeausschuss, im Kulturausschuss und im Ausschuss für Bildung, Sport und Freizeit. Seit 2014 ist er Fraktionsvorsitzender der ÖDP im Stadtrat, 2014 und 2020 war er OB-Kandidat der Partei. Suttner brachte mehrere Bürgerinitiativen, Volks- und Bürgerbegehren mit auf den Weg. Privat engagiert er sich u.a. beim Bund Naturschutz, dem ADFC, den Altstadtfreunden, dem AK Kultur Regensburger Bürger, Pax Christi und der Steuerungsgruppe Fair-Trade-Stadt Regensburg