Sie wissen, dass sie stören. Die „Klimakleber“ der Letzten Generation fordern die Gesellschaft heraus – und die reagiert zunehmend allergisch auf die Bewegung und ihre als schikanös empfundenen Formen des Protests. Kann man so die Menschen überzeugen? Die Politik zum Handeln zwingen? Das Klima und den Planeten retten? „Wir haben keine Wahl“, sagt die Regensburger Studentin, Musikerin und Aktivistin Ronja Künkler. Statt auf 1,5 Grad Erderwärmung steuert die Welt laut einer UN-Studie auf 3 Grad zu: „Wir rasen ungebremst in die Katastrophe“, so Künkler. Porträt einer jungen Frau, die nicht aufgibt, sondern kämpft – und dafür auch ins Gefängnis geht

 #1: MUSIKERIN UND AKTIVISTIN 

Ronja, du hast neulich ein Konzert im Frauenhaus gegeben. Wie wichtig ist der feministische Kontext für dich?

Sehr! Eines meiner größten Anliegen ist es, für echte Gleichberechtigung zu kämpfen. Deswegen habe ich übrigens bei diesem Konzert in Weiden auch einen Klimasong gesungen – weil solche Krisen immer auf Kosten der Menschenrechte gehen. Und weil es vor allem Frauen, Kinder oder Minderheiten sind, deren Grundrechte eingeschränkt werden, wenn – wie oft in krisenhaften Situationen – autoritäre Strömungen wieder groß werden. Das hängt ja alles zusammen. 

Dein mit Abstand meist geklickter Song im Netz ist „Stopp“ – ein Schnellkurs in Sachen toxischer Männlichkeit. Kannst du was zur Entstehungsgeschichte sagen – und warum dir das Thema so am Herzen liegt?

Die Geschichte, die ich in dem Song erzähle, ist einerseits exemplarisch. Ich hab’ aber – wie viele andere – auch selbst Erfahrungen mit übergriffigen Männern gemacht. Der Impuls, das Lied zu schreiben, kam dann aus Gesprächen mit Freundinnen und mit meinen Schwestern über das Thema – da ist so die Wut in mir groß geworden und ich musste das irgendwie kanalisieren. Das Ergebnis ist „Stopp“. 

Ein anderes Thema in deinen Liedern ist die Frage, wie wir mit uns und mit Anderen umgehen. Stichwort: Achtsamkeit. 

Du denkst wahrscheinlich an Songs wie „Was wenn doch“? Da habe ich tatsächlich meine Erfahrungen während Lockdown-Tagen verarbeitet. Es war ein sehr schwieriges halbes Jahr für mich, in dem ich in eine depressive Phase gerutscht bin. Als es mir dann langsam wieder besser ging, habe ich mir Hilfe in der psychotherapeutischen Beratung an der Uni geholt und versucht zu formulieren, was ich fühle und gefühlt habe. „Was wenn doch“ handelt von diesem inneren Kampf mit mir selber. In Liedern wie „Seelenbalsam & Ego-Booster“ dagegen geht’s um gute Gespräche mit Freunden, Familie oder irgendeinem Gegenüber, wo man sich wirklich aktiv zuhört und nicht gleich den andern verurteilt.

Viele deiner Songs sind eher leise. Du kannst aber auch anders, spielst (beispielsweise) auf Klimademos. Polit-Rock? Agitprop? Wie würdest du es nennen?

Ich denke, dass ich mit dem, was ich mache, immer noch im Singer-/Songwriter-/Liedermacher-Bereich bin, weil ich überwiegend solo spiele oder im Duo mit ner Cellistin, also eher ruhig. Ich hab auch schon Konzerte mit ganzer Bandbesetzung gespielt und speziell auf Demos bin ich auch mal lauter unterwegs – aber da cover’ ich oft Songs von anderen, von Madsen oder von den Ärzten, politische Sachen, die zum Thema passen, und spiel weniger eigene Songs. Tatsächlich ist es mir sehr lange super schwer gefallen, politische oder gesellschaftskritische Texte zu schreiben, weil’s einfach schon eine Herausforderung ist, komplexe Themen in dreieinhalb Minuten zu packen. Erst in den letzten Jahren trau ich mich langsam, kritischere Töne anzuschlagen. Das sind für mich die schwierigsten Songs. Ein trauriges Liebeslied schreibt sich viel leichter.

Was hat dich politisiert? Gab’s da einen Schlüsselmoment?

Naja, ich bin praktisch mit Politik aufgewachsen: Die lokale Amnesty International-Gruppe hat sich bei uns daheim am Küchentisch getroffen. Mein Vater hat beim Arbeitskreis Asyl mit gearbeitet, wir hatten Geflüchtete im Kirchenasyl bei uns – für mich war immer klar, dass man anderen hilft und zwar nicht nur auf der nachbarschaftlichen, sondern allgemein auf ner politischen Ebene. Ich bin schon als Kind mit meinen Eltern auf Anti-Atomkraft-Demos gegangen oder auf Demos wie „Weiden ist bunt“.  Speziell Umweltthemen waren schon immer mein Ding. Das fing mit Atomkraft an. Und dann habe ich so verstanden, ah okay, das ist ein grundsätzliches Problem, dass wir irgendwie keinen Respekt vor dieser Erde haben und uns damit als Menschheit letztlich selber schaden. So bin ich dann zur Klimabewegung gekommen. Und zur Letzten Generation.

Berlin, 28. Oktober 2023, Massenprotest gegen fossile Subventionen auf der Straße des 17. Juni: „Tatsächlich ist es mir sehr lange super schwer gefallen, politische oder gesellschaftskritische Texte zu schreiben“
© Ronja Künkler, X

#2:TEIL EINER BEWEGUNG 

Wann und warum hast du dich „radikalisiert“?

Ich glaube, eigentlich hatte ich meine radikalste Phase schon mit 15! Es hat mich bloß niemand abgeholt. Ich war halt in Weiden und es gab nicht mal ne Grüne Jugend bei uns. Ich wär sofort am Start gewesen! Aber die Gleichaltrigen haben sich nicht dafür interessiert und dann in der Oberstufe, als die Menschen angefangen haben, so ein bisschen politisch zu denken, ist es bei mir erst mal wieder in den Hintergrund gerückt. Ich hab’ dann Politik studiert und so ein Studium lehrt einen ja, alle Seiten zu betrachten – mit der Folge, dass ich dadurch komplett meinen politischen Standpunkt verloren habe. Ich hab nicht mehr gesehen, wo ich mich politisch hätte einordnen wollen, weil ich irgendwie alles nachvollziehen konnte, was in der Phase sicher gesund war. Aber um sich wirklich voll für etwas einzusetzen, muss man auch mal klare Verantwortliche adressieren wie jetzt bei der Klimakrise – dass man sagt: Hey, es ist die Aufgabe der Bundesregierung, das Grundgesetz einzuhalten! Und das heißt, unsere Lebensgrundlagen zu schützen.

Was kann die Letzte Generation, was Fridays for Future nicht können? 

Meine Erfahrung bei der Letzten Generation ist, dass es da eine andere Entschlossenheit gibt. Es macht einen Unterschied, ob man zweimal im Jahr oder ein paar Mal eine Demonstration organisiert oder ob man ganze Protestphasen macht, wo man wirklich sagt, man geht jetzt jeden Tag auf die Straße oder jeden zweiten Tag. Und wir sind auch bereit, gewisse Konsequenzen auf uns zu nehmen! Wer bei der Letzten Generation mitmacht, weiß, dass er im Gefängnis landen kann, weil eben bei Straßenblockaden von Freispruch bis Haftstrafe schon alles dabei war vor Gericht. Wir sagen: Okay, es geht nicht mehr nur darum, für ein Thema demonstrieren zu gehen, sondern es ist wirklich ziviler Widerstand. Wir bewegen uns in diesem Graubereich, wo man darüber diskutiert: War das jetzt ne Regelüberschreitung oder nicht? Und wir machen das, weil es polarisiert. Die Letzte Generation wäre nicht entstanden, wenn Fridays for Future erfolgreich gewesen wären! Die Fridays haben super viel Vorarbeit geleistet – und trotzdem haben wir ein Klimaschutzgesetz, das nicht verfassungskonform ist. 

Fridays for Future haben es geschafft, einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass es Transformation braucht, wenn wir in Sachen Klimawandel noch die Kurve kriegen wollen. Das ist doch was!

Definitiv! Ich war ja auch mit den Fridays auf der Straße, hab da Demos mit organisiert. Ich geh auch immer noch zum Klimastreik und halt das auch für super wichtig. Es ist bloß eben genau der Punkt, dass all das offensichtlich nicht reicht. Die Menschen haben jetzt ein Bewusstsein dafür. Aber politische Konsequenzen werden nicht gezogen – und da setzen wir jetzt an. Wir sagen: Es braucht den Druck von der Straße, damit die Politik sich an Regeln hält! Ein Volker Wissing bricht mal eben sein eigenes, ohnehin viel zu lasches Klimagesetz und sagt: „Nee, ich werde nicht nachbessern, auch wenn ich mein Sektorziel nicht erreicht habe“? Das ist rechtswidrig. Dagegen wehren wir uns.

#3: WAHL DER MITTEL

Die Methoden der Letzten Generation sind umstritten. Mit ihren Straßenblockaden, sagt die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, bringen die Aktivist:innen „die Menschen gegeneinander auf.“ Wie siehst du das?

Mir ist klar, dass wir mit solchen Aktionen eine gewisse Reibung erzeugen. Wir kreieren viel Empörung bei einem Teil der Gesellschaft und fordern damit die Menschen auf sich zu positionieren – wollen wir überleben, oder nicht? Wenn dann Wissenschaftler:innen oder auch Polizist:innen in diese Empörung hinein sagen: „Ich stell mich hinter die Letzte Generation, weil die von den Fakten her einfach Recht haben“, dann hat das Gewicht. Man kann sich ja sogar hinter unsere Forderungen stellen, ohne mit der Protestform einverstanden zu sein. Nur wenn man dann die Frage stellt: „Was sollen wir denn stattdessen machen?“ kommt halt leider keine Antwort zurück – weil die Menschen selber nicht wissen, was wir jetzt noch tun sollen.

Umfragen zeigen, dass die Deutschen dem Klimaaktivismus mittlerweile reservierter gegenüber stehen als noch vor Jahren. Viele Leute verstehen nicht, warum man das Brandenburger Tor bunt anmalen muss oder was die Anschläge auf Kulturschätze in Museen mit dem Klimanotstand zu tun haben. Warum macht ihr’s trotzdem?

Der Punkt ist einfach, dass man eine normale Demonstration leichter weg ignorieren kann. Wenn das Brandenburger Tor orange leuchtet und quasi ein Mahnmal ist dafür, dass wir ungebremst in die Klimakatastrophe rasen, dann ist das ein Signal, weil jeder merkt: Irgendwas ist nicht normal. Diese Sache mit der Farbe, das Markieren von wichtigen Orten, zeigt: Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, normal und ruhig hier. Im Gegenteil. Wir müssten eigentlich alle Panik schieben! 2023 hat ja sämtliche traurigen Rekorde gebrochen: Juli war der heißeste Monat ever, dann war der September so heiß wie nie, dann der Oktober und es geht immer so weiter. Wir haben so viele Naturkatastrophen und Jahrhundertfluten und Waldbrände gehabt wie noch nie – da sind Menschen umgekommen, Existenzen vernichtet worden und das alles soll uns keine Sorgen machen? Welche Rolle spielt Kunst, wenn es bald nur noch ums Überleben geht und wir uns darum kümmern müssen, dass wir genug Wasser und was zu essen haben?

Wie weit wollt ihr in diesem Kampf gehen? Wieviel Disruption, glaubst du, kann die Klimabewegung sich leisten, um ihr Ziel nicht zu gefährden?

Für mich und auch für die Bewegung ist moralisch und strategisch klar, dass wir friedlich bleiben. Unser Widerstand ist gewaltfrei. Wir sind angetreten, um Menschenleben zu schützen, nicht, um Menschen anzugreifen oder zu gefährden, das wär ja ein kompletter Widerspruch!

Du hast dich auch schon auf der Straße festgeklebt. Wie ist es dir ergangen?

Super gemischt! Es gab viel Kritik, Hass, auch körperliche Angriffe, aber auch schöne Momente: Da kommen Leute vorbei und bringen uns Tee und fragen, ob wir irgendwas brauchen. Genauso im Polizeikontakt – das geht von Schmerzgriffen, verbalen Beleidigungen und Drohungen, die ich von Polizisten zu hören bekommen habe, bis hin zu wirklich guten Gesprächen, wo man am Ende vielleicht nicht einer Meinung ist, aber wenigstens eine Art gegenseitiges Verständnis aufbauen kann. Es macht keinen Spaß, sich festzukleben. Ich denk mal, das kann jeder nachvollziehen. Nur angesichts dessen, was mit der Klimakatastrophe auf mich und die Menschheit zukommt, finde ich es absolut erträglich. Etwas, das ich in Kauf nehme.

Hast du keine Angst?

Doch, sicher. Man weiß ja nie, wer da vor einem im Auto sitzt? Kann dieser Mensch seine Wut – und ich kann nachvollziehen, warum Menschen in so einer Situation wütend werden – kontrollieren oder schlägt es in Aggression um? Ich weiß noch nicht, welche Einheit von welcher Polizei an diesem Tag kommt, wenn ich da sitze, und das macht mir Angst: Gerade die Schmerzgriffe! Ich meine: Ich spiel Klavier, da brauch ich meine Handgelenke. 

Wie kommst du mit der Gewissheit und dem Risiko klar, dass du dich im Fall der Fälle nur schwer oder gar nicht wehren kannst?

Ich glaub, das ist genau diese Entschlossenheit: Ich will mir in 20, 30 Jahren beim Blick in den Spiegel in die Augen gucken und sagen können: Ich hab wirklich alles gegeben, was für mich möglich war, um diese Katastrophe zu verhindern. Ich weiß nicht, ob ich selber Kinder will, aber ich hab Nichten und Neffen, die sind ein bis vier Jahre alt und ich will wenigstens versucht haben, dass die auch noch in einer schönen Welt leben können.

„Es macht keinen Spaß, sich festzukleben, ich denk mal, das kann jeder nachvollziehen“
©Ronja Künkler, X

#4: POSTERGIRL 

Im Sommer warst du ein paar Tage lang so was wie das Postergirl der Bewegung – Bilder von dir, allein und festgeklebt an der Bühne der Regensburger Schlossfestspiele, gingen viral. In der Situation selbst: Wie war das für dich?

Aufregend! Die Bühne ist ja eigentlich mein Zuhause. Ich hab viel Theater gespielt, bin mit der Musik auf der Bühne. Und ich finde es eine sehr gute Protestform, Veranstaltungen wie in dem Fall „Die Zauberflöte“ zu unterbrechen, weil es daran erinnert, dass wir nicht immer nur verdrängen können. Man kann nicht dauernd mit der Klimakrise im Kopf rumlaufen, das ist mir schon klar. Auch ich denk nicht 24/7 darüber nach, wie Scheiße alles ist! Aber die Krise konsequent zu ignorieren, wie wir das als Gesellschaft grade machen, wird uns in den Ruin treiben. Insofern war das ein Weckruf: Hey, wacht mal aus der Vorstellung hier auf! Es ist nicht alles gut! Wir haben ein massives Problem! Und das wird uns auch hier im Theater einholen.

Du warst an dem Abend ja sozusagen last woman standing, hattest die Show quasi für dich …

Tatsächlich war’s eigentlich anders. Ich war nur die Einzige, die Kleber dabei hatte, die Anderen hatten keinen dabei. Es war der Plan, dass ich nach vorne gehe, mich festklebe und meine Rede halte und die Anderen dann verteilt im Publikum aufstehen und sich von dort aus in Warnwesten an die Leute wenden. Die wollten gar nicht nach vorne. Aber anscheinend ist das Framing so angekommen, als hätte die Security das erfolgreich verhindert. In Wirklichkeit war es gar nicht der Plan.

Warum mussten es die Schlossfestspiele sein?

Es ist einfach ein sehr großes lokales Event – und es war der Eröffnungsabend mit viel Presse und Prominenz. Es hat sich angeboten.

Schirmherrin Gloria von Thurn und Taxis ist wegen homophober, rassistischer Wortmeldungen im öffentlichen Diskurs hoch umstritten. Hat sich eure Aktion auch gegen sie gerichtet oder hat das an diesem Abend keine Rolle gespielt?

Also, was mich betrifft, kann ich sagen, dass ich mich an dem Abend, wenn ich nicht bei den Schlossfestspielen gewesen wäre, vermutlich der Demo draußen angeschlossen hätte, die ja auch stattfand, eben wegen dieser Äußerungen. Gloria unterstützt offen die AfD. Sie gibt sich homophob und rassistisch und das nicht nur unterschwellig, wie Leute das tun, die es nicht anders gelernt haben,  sondern offen und überzeugt. Dagegen muss man sich positionieren. Bei den Protestaktionen der Letzten Generation geht es uns aber nicht darum, bestimmte Personen rauszupicken und zu sagen: „Ihr seid schuld!“ Von daher war das an dem Abend kein Angriff auf Gloria. Aber persönlich finde ich sie untragbar.

Wie ist der Abend für dich gelaufen?

Es gab einen sehr spannenden Moment in all der Aufregung, den Unmutsbekundungen von Teilen des Publikums und den Bemühungen der Securities, die ununterbrochen auf mich eingeredet haben. Das war, als diese junge Frau, ungefähr so alt wie ich, neben mir auftauchte und ziemlich ruhig einfach nur gesagt hat: „Ich find’s total mutig, was du machst. Danke!“ Ich weiß leider nicht, wer’s war. Aber das hat mich total bestärkt, weil mir klar geworden ist: Okay, es gibt auch hier Leute, die nachvollziehen können, was wir da tun und warum wir stören müssen.

Regensburg, 17. Juli 2023, Eröffnung der Thurn und Taxis Schlossfestspiele: „Hey, wacht mal aus der Vorstellung hier auf!“
© altrofoto.de

Hast du eine Ahnung, wie lang du da gestanden hast und versucht hast, deine Botschaft rüberzubringen?

Schwer zu sagen. Fünf Minuten vielleicht? Währenddessen haben die ja versucht herauszufinden, wie sie mich von da jetzt wegkriegen. Und dann haben sie irgendwann dieses Bühnenelement gelöst und mich an dem Bühnenelement hinter die Bühne gebracht – also, ich klebte da halt fest und die sind los gerannt und ich musste mitrennen, ja … ich glaub, es waren so fünf Minuten. Und dann war da auch schon die Polizei, um meine Personalien aufzunehmen.

#5: REPRESSION UND RESILIENZ

Die bayerischen Strafverfolgungsbehörden sind besonders eifrig, wenn’s darum geht, Aktivist:innen der Letzten Generation wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ zur Verantwortung zu ziehen. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um auf den Gedanken zu kommen, dass hier ein Teil der Klimabewegung mundtot gemacht werden soll. Wie erlebst du das?

Ich find’s einfach super erschreckend, wieviel Energie da offensichtlich rein fließt, um uns abzuhören, unsere Häuser zu durchsuchen, uns vor Gericht zu bringen! Wenn all diese Energie – sinnvoll – in den Klimaschutz fließen würde, wären wir schon so viel weiter! Es ist auch für unsere Demokratie erschreckend, wenn Deutschland jetzt von Amnesty International auf der Protest Map genannt wird, weil hier das Versammlungsrecht eingeschränkt wird, weil Schmerzgriffe angewendet werden und Präventivhaft angeordnet wird. Das ist schon eine alarmierende Entwicklung – wo’s doch gleichzeitig so einfach wäre, uns von der Straße zu kriegen. Wir fordern ja letztendlich nur, dass die Bundesregierung sich an die Verfassung hält.

Hast du das Gefühl, dass du eingeschüchtert werden sollst?

Bestimmt, ja. Ich glaub schon, dass sie versuchen, uns damit Angst zu machen. Als im Sommer Simon Lachner, ein Freund von mir, hier in Regensburg zu Hause in Präventivgewahrsam genommen wurde saß ich gerade in ner Bandprobe. Das zu hören, war schon krass. Die eigene Wohnung sollte ja ein sicherer Ort sein und das wurde damit in Frage gestellt. Das kann einen schon verunsichern. Aber vom Protest abhalten kann es mich nicht.

Wenn wir schon von Verhältnismäßigkeit reden: CSU-Mann Dobrindt vergleicht die Letzte Generation mit einer terroristischen Mörderbande („Klima-RAF“), obwohl der zivile Ungehorsam der Letzten Generation bekanntlich komplett gewaltfrei funktioniert. Ist das nicht justiziabel?

Ich bin mir nicht sicher, ob’s in dem Kontext war, aber es gab schon Menschen, die Politiker:innen wegen Verleumdung angezeigt haben. Es kann auch sein, dass es da um den Begriff der „kriminellen Vereinigung“ ging, um Politiker:innen, die gesagt haben, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sei, obwohl das juristisch noch gar nicht geklärt ist. Ich denke, da wird schon versucht uns den gesellschaftlichen Rückhalt zu entziehen. Aber letztendlich haben wir gesehen, dass gerade wenn der Staat so massiv reagiert – wie etwa mit den bundesweiten Razzien im Mai – die Solidarität nach oben schießt. Die Leute sind nicht dumm. Sie merken, dass hier eine Bewegung kriminalisiert werden soll. Deswegen nutzen wir einfach jegliche Repression, die gegen uns gerichtet wird, wie beim Jiu-Jitsu, wir fangen das ab und sagen: Hey, was können wir daraus ziehen, damit es wieder vorwärts geht?

Wär’s nicht besser in solchen Situationen, sich zu wehren? Ihr wehrt euch nie, auch nicht, wenn bei einer Straßenblockade eine Beleidigung passiert oder eine Körperverletzung. Das wird meist nicht zur Anzeige gebracht. Warum? 

Weil wir sagen, das ist ein Nebenschauplatz. Es geht nicht um uns. Es geht nicht um mich als Person auf der Straße. Es geht um die Klimakrise, um diese Menschheitskrise, die wir haben. Wenn wir uns in diesen ganzen kleinen Kämpfen verlieren, verlieren wir vielleicht den Blick für die Sache, um die es eigentlich geht. Wir wollen nicht dem einen Autofahrer, der uns angegriffen hat, extra Stress machen, indem wir ihn anzeigen. Meistens sind die Menschen, die da wütend werden, auch die, die eh schon ein super anstrengendes Leben haben, weil sie vielleicht unterbezahlt sind oder Druck vom Chef bekommen. 

Die „Klima-RAF“-Hetze gegen die Letzte Generation hat womöglich erst dazu geführt, dass man in Bayern auf die Idee kam, Aktivist:innen auf der Grundlage des Art. 17 Polizeiaufgabengesetz präventiv wegzusperren. Das PAG ist umstritten, gegen seine Anwendung im konkreten Fall gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Nur hat das dir und vielen Anderen nichts genutzt: Du bist am 29. August in Gewahrsam genommen und in der JVA Stadelheim – wie lang – festgehalten worden?

Zwei Wochen. Aber das kam nicht überraschend. Es war klar, dass die bayerische Polizei bei den angekündigten Protesten unserer Bayernkampagne alle Register ziehen und ihr Repertoire an möglicher und erlaubter Repression voll ausschöpfen würde. Wir waren uns bewusst, was wir da riskieren. Es waren ja auch schon im November und Dezember 2022 Menschen der Letzten Generation für 30 Tage in Gewahrsam, das Maximum, was geht. Sogar über Weihnachten. Das wussten wir. Deswegen: Ich war vorbereitet. Trotzdem ist es natürlich erschütternd, wenn man sich überlegt, wir sind einfach nur der Feueralarm, wir sagen: „Hey Leute, wir haben ein Problem, macht mal euern Job, übernehmt mal Verantwortung als Politiker:innen!“ Und die Reaktion darauf ist nicht: „Ah, ja, stimmt! Ihr habt Recht und wir versuchen, irgendwie diese Gefahr abzuwenden.“ Sondern die Reaktion ist: „Seid bitte still! Wir sperren euch weg.“

#6: EINSCHLUSS

Wie ist die Ingewahrsamnahme abgelaufen? Wurdest du einem Haftrichter vorgeführt?

Also, ich kam erst auf der Polizeistation in ne Zelle, wie man das halt so kennt: gefliest, mit ner Pritsche drin. Dann durfte ich mir per Telefon eine Anwältin holen. Dann war ich bei der Haftrichterin und das Ganze dauerte keine fünf Minuten. Die Richterin hat einfach nur dem stattgegeben, was die Polizei beantragt hat, eben die zwei Wochen. Das war jetzt kein Verfahren in dem Sinn. Es wurde nicht angeschaut, welche Straßenblockaden ich gemacht hab. In der Akte sind, glaube ich, auch Fehler drin gewesen – aber das habe ich so auch schon bei Anderen gesehen, dass einfach Straßenblockaden verwechselt wurden. Entscheidungen werden da nach meinem Eindruck eher willkürlich gefällt. Nach einer Nacht in der Zelle wurde ich dann mit anderen Aktivist:innen zusammen ins Gefängnis gebracht.

Was hat man dir vorgeworfen?

Es ging nicht um bestimmte Straftaten. Dazu hätte es wahrscheinlich auch einer Verhandlung bedurft. Sondern es war mehr so: Die Polizei sieht die Gefahr, dass ich mich demnächst wieder festklebe und die Richterin wägt ab, ob sie das auch so sieht oder nicht. Präventivgewahrsam ist ja nicht als Repression gedacht, sondern soll uns nur vom nächsten Protest abhalten.

Gab’s die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen?

Vermutlich. Aber wenn eine Haftrichterin mich fragt: „Wenn ich Sie jetzt gehen lasse, werden Sie wieder auf die Straße gehen?“ dann bin ich ehrlich und sag: Ja oder Nein oder ich bin mir noch nicht sicher. Wie’s halt ist. Das ist Teil unseres Protestkonsens, dass wir da immer ehrlich sind. So habe ich das auch kommuniziert.

Warst du allein in Haft?

Also, wir waren in München zehn Frauen, jeweils zu fünft in einer Viererzelle, haben noch ein Beistellbett mit rein gekriegt. Aber in anderen Gefängnissen waren auch noch Menschen.

Konntest du dich innerhalb des Gefängnisses frei bewegen oder nur zu festen Zeiten?

Wir waren 22 Stunden des Tages in der Zelle, hatten eine Stunde morgens Hofgang und eine Stunde Aufschluss vormittags, da kann man sich auf dem Gang frei bewegen und andere (Präventiv-)Häftlinge in der Zelle besuchen. Den Rest des Tages bleibt die Tür zu.

Man darf nicht klaustrophobisch sein, oder?

Alle haben versucht, das auf ihre Weise zu verarbeiten. Ich selber hab, denke ich, einen ganz guten Weg für mich gefunden, um mit der Situation umzugehen. Aber natürlich hat das viele von uns auch langfristig noch belastet.

Wie hast du die zwei Wochen überlebt?

Ich hatte tatsächlich in meinem Protestrucksack an dem Tag auch Bücher dabei, die habe ich dann auch mit rein bekommen. Und es gab eine Bibliothek, wo man aus nem Katalog so drei, vier Bücher ausleihen durfte – da steht dann der Titel und der Autor und dann musst du halt hoffen, dass es ein gutes Buch ist. Also ich hab hauptsächlich gelesen. Und geschrieben, Tagebuch, Gedichte und so.

Dein Handy hat man dir weg genommen?

Genau. Es gab nur einen Fernseher, wo ein paar Kanäle drauf waren, da konnten wir abends „Tagesschau“ gucken, immerhin. Auf Antrag – man braucht für alles einen Antrag! – konnte ich einmal mit meinen Eltern telefonieren. Und einmal konnte man auch Besuch bekommen. 

Warst du irgendwelchen speziellen Repressionen ausgesetzt?

Nein, ich denke, wir wurden so behandelt wie es in einem Gefängnis nun mal läuft. Nicht anders. Oder schlimmer.

Als du im Gefängnis warst, haben sich deine Eltern in einem Interview zu deiner Inhaftierung geäußert. Sie haben dabei das Vorgehen der Behörden als „völlig überzogen“ kritisiert und betont, dass sie hinter dir stehen. Ganz schön mutig, findest du nicht?

Das war ne krasse Sache, ja! Denn meine Eltern sind jetzt nicht von allem überzeugt, was wir machen, stehen gerade den Formen des Protests zum Teil auch kritisch gegenüber. Aber ich denke, dass die Präventivhaft da für sie noch mal viel verändert hat. Das war so’n Moment, wo sie, glaube ich, gemerkt haben: Okay, jetzt reagiert der Staat wirklich über! Und sie haben ja sogar zu Hause eine Demonstration für mich organisiert. Das haben sie mir erzählt, als sie mich besucht haben. Ich hab das natürlich nicht mitbekommen. Das hat mich total gerührt. Letztendlich habe ich das von ihnen gelernt, dass man sich in einer Demokratie einsetzen muss, wenn Ungerechtigkeiten passieren. Von daher ist es wahrscheinlich … ja, konsequent, dass sie sich da geäußert haben. 

Es gibt einen Post auf Instagram von dir. Danach wurdest du mehrfach von der Kripo angefragt, die Letzte Generation bzw. deine Widerstandsgruppe für den Verfassungsschutz auszuspähen. War das während deiner Haft? 

Nein, das war davor. In Nürnberg. Und das war wirklich eine der skurrilsten Situationen, die ich erlebt habe. Erst lief alles wie immer nach einer Straßenblockade: Wir sind auf die Polizeistation gebracht worden, wo wir jede einzeln von einem Beamten gefragt wurden, ob wir uns zur Sache äußern wollen. Und in dem Zuge dessen hat dieser Polizist dann gemeint, ob ich nicht mehr über die Letzte Generation erzählen will. Ich hab gesagt, was ich immer sage, nämlich dass ich mich im Fall der Fälle ja vor Gericht äußern kann. Er hat dann immer weiter gebohrt – und irgendwann ganz offen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Informationen an den Verfassungsschutz weiter zu geben. Er war wirklich sehr beharrlich. Ich hab in meinem Leben, glaub ich, noch nie so oft Nein gesagt! Ich war auch total perplex. Hätte nie gedacht, dass das so laufen könnte. Aber einer anderen Person aus der Bewegung ist an diesem Tag das Gleiche passiert. Insofern hatte das wohl System.

Auch Polizist:innen sind Mitglieder der Letzten Generation. Teile der Klimabewegung, insbesondere aus dem linken Spektrum, sehen das kritisch. Wie geht’s dir damit?

Ich versteh die Kritik total! Unsere Polizei hat definitiv strukturelle Probleme. In einigen Fällen handeln Polizeibeamt:innen gewaltvoll, obwohl das Gegenüber eigentlich total friedlich ist. Das steht außer Frage. Wir handeln als Letzte Generation aber nicht gegen, sondern auch für die Polizei. Denn letztendlich werden die Polizist:innen das mit als erste zu spüren bekommen, wenn die Klimakatastrophe eskaliert. Wenn wir gesellschaftliche Zusammenbrüche erleben, dann werden die das regeln müssen. Viele Beamt:innen wissen das auch – und die können und dürfen die Letzte Generation unterstützen.

#7: WIEDER FREI 

München, 12. September 2023, JVA Stadelheim, Entlassung aus der Haft: „Alle haben versucht, das auf ihre Weise zu verarbeiten“
© Letzte Generation

Welche juristischen Konsequenzen haben die zwei Wochen Präventivhaft für dich? Bist du damit „vorbestraft“?

Nee. Ich hatte bisher erst ein Gerichtsverfahren. Das war in Bamberg und ziemlich absurd. Und heute habe ich tatsächlich einen Brief aufgemacht für ein Verfahren, das ich im Februar in Regensburg haben werde wegen zwei Straßenblockaden. Also, mein Führungszeugnis ist noch clean.

Was war so absurd an dem Verfahren in Bamberg?

Es war eines dieser Schnellverfahren. Wir hatten die erste Straßenblockade in Bamberg gemacht und wurden über Nacht dabehalten. Direkt am nächsten Tag ging Mittags das Verfahren los. Zehn Stunden ging das – bis nach Mitternacht. Mit meinem Anwalt habe ich erst zehn Minuten, bevor’s losging, kurz reden können, der hatte da auch erst die Akte bekommen. Und dann ging’s Schlag auf Schlag. Wir haben während des Verfahrens Anträge stellen müssen, dass wir mal ein frisches T-Shirt anziehen dürfen oder was zu essen bekommen. Es war ganz klar ein politisches Verfahren. Sie wollten uns zeigen: Wir reagieren jetzt hier hart. Und sie haben das auch konsequent durchgezogen, haben uns schon in Handschellen vom Polizeirevier ins Gericht gefahren.

Fängt man da nicht an, am Rechtsstaat zu zweifeln?  

Also, ich glaub schon, dass das Verfahren in Bamberg was mit mir gemacht hat. Simon Lachner zum Beispiel war auch dabei und hat einfach die ganze Zeit über keinen Rechtsbeistand gehabt! Er wollte sich erst eine Laienverteidigung nehmen, das durfte er nicht. Dann hatte er die Visitenkarte einer Anwältin, die er kontaktieren wollte, das durfte er nicht. Oder die Sache mit den Zeugen. Da gab es genau einen, der angehört wurde, nämlich der Einsatzleiter der Polizei an dem Tag – aber der war bei vielen Situationen gar nicht dabei, hat sich selber widersprochen in seinen Aussagen, und die Richterin wollte trotzdem keine weiteren Zeugen laden. Mein Eindruck und auch der meines Anwalts war, sie wollte gar nicht wissen, was passiert ist  – und sie hat dann später, im Urteil, auch die von uns vorgelegten Beweismittel, in dem Fall ein Handyvideo, einfach unter den Tisch fallen lassen.

Wenn ich mir vorstelle, ich sitz da und sowas passiert: Was hat das mit dir gemacht? 

Es hat mich schockiert zu sehen, wie das laufen kann. Aber ich gehe deswegen jetzt nicht davon aus, dass jedes Gerichtsverfahren so ist. Andererseits ist auch das Präventivverfahren aus meiner Sicht nicht sauber gelaufen: Da waren Menschen in denselben Blockaden wie ich, im selben Protest, und sind nicht in Präventivhaft gekommen. Dann gab’s Menschen, von denen es hieß, sie kommen in Haft und dann wurden sie irgendwie doch wieder freigelassen. Die eigentliche Frage ist dann auch: Warum wird nicht klar und deutlich gesagt: Hey, die Regierung bricht die Verfassung! Das ist doch das wirklich Kriminelle, das gerade passiert!

Das sehen auch viele Verfassungsrechtler:innen so, die den Protest der Letzten Generation in dem Punkt unterstützen. Das Grundgesetz verpflichte die Regierung, ausreichende Maßnahmen zu ergreifen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, heißt in einem Offenen Brief vom September, den 60 Jurist:innen unterschrieben haben: „Tut sie das nicht, bricht sie die Verfassung.“

Genau. Es gibt dazu sogar ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das diese rechtliche Einschätzung mit der Feststellung verbindet, dass das, was die Regierung für den Klimaschutz tut, nicht reicht. Dass dringend mehr getan werden muss. Und das sollte in einer Demokratie doch wirklich ein Grund sein auf die Straße zu gehen.

Wissen, wofür man kämpft und warum – und dass das Zeitfenster immer kleiner wird: Künkler-Post auf X

#8: PERSPEKTIVEN 

Gibt’s Momente, in denen du am Erfolg deines Engagements und dem des Klimaaktivismus generell zweifelst?

Also, ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass wir Erfolg haben werden. Keinesfalls. Ich sehe die größte Chance gerade im zivilen Widerstand. Das ist in meinen Augen gerade das Effektivste, was man machen kann. Aber ich würde jetzt nicht sagen: Ich bin zu hundert Prozent überzeugt, dass es funktioniert. Und es ist auch manchmal frustrierend und es ist anstrengend und es gibt schon die Momente, wo ich mir denk: Oh, ich hätt’ auch einfach mal Lust, jetzt entspannt hier im Café zu sitzen, einen Songtext zu schreiben oder Bookinganfragen rauszuschicken, wann ich das nächste Konzert spielen darf. Ich hätt’ auch Bock, wieder Vollzeit zu studieren, keine Frage, beneide da auch manchmal meine Kommiliton:innen, wo ich mir denk: Warum könnt ihr einfach weiter euer Leben leben als wär nix und ich mach irgendwie diese anderen Sachen …

Gerade ist es so, dass politische Krisen mit weltweitem Konfliktpotenzial wie der Ukrainekrieg oder der Krieg Israels gegen die Hamas das Problem des Klimawandels in der Wahrnehmung der Menschen überlagern. Das ist fatal. Aber irgendwie auch verständlich, oder?

Ich kann das nachvollziehen, mich beschäftigt das auch, aber es ist auch fatal, wie du sagst. Genau genommen haben wir es ja mit einer Polykrise zu tun: Die Klimakrise verstärkt alle anderen Krisen, die wir eh schon haben. Die Wahrscheinlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen wird größer, es wird die humanitären Katastrophen verschärfen, und das Gemeine ist eben, dass wir nur noch ein kleines Zeitfenster haben, um mit Blick auf die Kipppunkte beim Klima noch was zu bewegen. Uns bleibt in der Situation nur, das Thema immer wieder irgendwie ins Bewusstsein der Menschen zurückzubringen. 

Es fällt auf, wie überwunden geglaubte Diskussionen gerade wieder neu aufgemacht werden: Klimaziele werden in Zweifel gezogen. Kohlekraftwerke sollen bis 2038 weiter laufen können und nicht wie beschlossen 2030 vom Netz gehen …

Ich hab manchmal den Eindruck, da wird versucht mit der Physik zu verhandeln. Aber das funktioniert so nicht. Die Klimakatastrophe basiert auf naturwissenschaftlichen Gesetzen und die machen keine Kompromisse. Und wenn wir weiter so viele Treibhausgase emittieren, dann wird das zu den Folgen führen, die wir jetzt schon langsam spüren. Deshalb ist unsere klare Forderung ja, bis 2030 aus der Nutzung von fossilen Rohstoffen auszusteigen und zwar sozial gerecht, weil die Demokratie uns am Herzen liegt und weil es essenziell ist, die Menschen da mitzudenken. Rein physikalisch, wenn wir die Katastrophe verhindern wollen, müssen wir das tun.

Täuscht der Eindruck oder ist es der Klimabewegung schon mal besser gegangen?

Ich glaube, wir hatten schon mal mehr Hoffnung. Als wir mit Fridays for Future 1,4 Millionen Menschen waren in Deutschland, war die Hoffnung viel größer. Da hatten wir auch noch ein viel größeres Zeitfenster. Es ist eine schwierige Balance einerseits klar zu machen, wie schlimm die Katastrophe ist und andererseits die Hoffnung hochzuhalten. Aufzugeben ist ja auch keine Option. Es geht schließlich um Menschenleben.

Momentan sieht’s so aus, als würde die Klimabewegung sich selbst zerlegen. Der politische und moralische Scherbenhaufen, den Greta Thunberg mit ihren Free Palestine/ From the river to the Sea“-Postings angerichtet hat, ist noch nicht zu übersehen. Und der Konflikt um den Extinction Rebellion-Gründer Roger Hallam, der vom Holocaust als „just another fuckery in human history“ spricht, betrifft indirekt auch die Letzte Generation, die über ein internationales Netzwerk mit Hallam verbunden ist.

Also, ich kann nur hoffen, dass den anderen Menschen in der Klimabewegung auch klar ist, dass Antisemitismus und überhaupt jegliche Form von Menschenfeindlichkeit bei uns nichts zu suchen hat. Und dass wir uns da als Bewegung auch weiterhin eindeutig und unmissverständlich positionieren. Was Roger Hallam betrifft, haben wir uns als Letzte Generation von ihm als Person distanziert. Nachdem wir uns schon im Sommer von den antisemitischen Aussagen distanziert haben folgte diesen Herbst dann die Distanzierung von ihm als Person. Es ist nicht tragbar, dass er immer wieder solche Aussagen tätigt.

Es ist eine schwierige Zeit gerade. Glaubst du, wir kommen da wieder raus?

Ich habe immer noch ein positives Menschenbild. Ich glaube, dass wir als Menschen überleben wollen. Dass wir das, was wir geschaffen haben an Zivilisation, an Kultur und an Rechten, die wir uns als Gesellschaft erkämpft haben, behalten wollen. Das macht mir Mut. 

Nur mal angenommen, die Forderungen der Klimabewegung würden 1:1 umgesetzt. Wie sähe eine Welt nach deinen Vorstellungen dann aus?

Ich hoffe, dass wir dann gerechter zusammenleben. Dass wir aufhören auf Kosten Anderer zu leben. Und anfangen, die Ressourcen, die wir haben auf diesem Planeten gerecht verteilen. Dass wir dabei auch an die zukünftigen Generationen denken, nicht nur an uns. Und wirklich die Würde von jedem einzelnen Menschen auf der Welt wahren und als wertvoll betrachten und dementsprechend Handeln. Das wär schon … ja, einfach schön. 

FRAGEN VON: Hermann Weiß, Sophia Weigert

Und wie auch immer das alles hier ausgeht/ Ob wirklich Mensch für Mensch endlich aufsteht/ Und sich gegen die Zerstörung auflehnt / oder ob die Krise voll eskaliert:/ Wir haben es wenigstens ernsthaft probiert!

RK, 2.Oktober 2023

Ronja Künkler, 24, aus Weiden in der Oberpfalz, studiert in Regensburg Politik und Philosophie. Nach dem Bachelor in Politik wollte sie eigentlich ihren Master in Demokratiewissenschaft machen, hat dann aber entschieden, ihr Studium bis auf Weiteres auszusetzen, um sich auf ihr Engagement in der Klimabewegung zu konzentrieren. Künkler ist nicht nur politisch aktiv. Unter dem Namen Ronja Künstler bündelt sie ihre Talente als Musikerin, Sängerin, Songschreiberin und im Poetry Slamming. Sie spielt Klavier, Gitarre, Saxophon und tritt in verschiedenen Formationen auf 

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