Ein Auftritt in Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman „Tschick“ genügte der Antiheldin Isa, um sich auf ewig unsterblich zu machen. Weniger bekannt ist, dass Herrndorf (1965-2013) ihr noch ein zweites Buch gewidmet hat. „Bilder deiner großen Liebe“, so wundersam wie verstörend, folgt Isa dahin, wo alles begann, endet – oder auch nicht? Eine Spurensuche mit Anna Kiesewetter vom Jungen Theater Regensburg, die in einer Adaption des Romans für die Bühne gerade zwei Wochen lang – en suite! – die „Herrscherin des Universums“ spielt

0941mag: Wann sind Sie zum ersten Mal mit dem literarischen Kosmos von Wolfgang Herrndorf in Berührung gekommen?

Anna Kiesewetter: Das war 2015. Ich hab damals nach dem Abitur eine zweiwöchige, kleine Theaterreise durch Deutschland gemacht und meine erste Station war Dresden. Dort habe ich am Kleinen Schauspielhaus eine Inszenierung von „Bilder deiner großen Liebe“ gesehen und das hat mich so fasziniert und berührt, dass ich mich danach intensiver damit beschäftigt habe; ich hab den Text bzw. den Roman von Wolfgang Herrndorf gelesen, bin nach und nach immer weiter in diesen Kosmos eingestiegen – so dass ich dann sogar beim Vorsprechen an Schauspielschulen den Part der Isa vorgesprochen oder im Studium, bei Wahlrollen, die Isa gespielt oder sie für mich in Ausschnitten inszeniert habe. Ich habe schon sehr früh auch mit Herrndorfs Blog „Arbeit und Struktur“ gearbeitet. Seit dieser Zeit begleitet mich die Figur der Isa.

Isa Schmidt, „Herrscherin des Universums“, wie sie sich nennt, hatte ihren ersten Auftritt bereits in Herrndorfs Erfolgsroman „Tschick“ sowie in Fatih Akins gleichnamigem Film …

… ich weiß, dass es den Film gibt, hab ihn aber nie gesehen, und zwar bewusst nie gesehen. Manchmal ist das ja so, wenn man ein Stück, ein Material oder ein Buch so gut kennt, dass man den Film dazu gar nicht schauen will, weil es die Bilder im Kopf, die Phantasien, die man dazu entwickelt hat, kaputt machen könnte. Andererseits kommen in diesen Tagen, bei den Nachbesprechungen zu unserem Stück, auffallend viele Jugendliche auf den Film zu sprechen – die kennen den Film mehr als das Buch – , so dass ich denke: Vielleicht guck ich den jetzt doch mal. Ich hab’s mir auf jeden Fall vorgenommen.

Ist „Bilder deiner großen Liebe“ die Fortsetzung von „Tschick“?

Das kann man so sehen, Es wird auch oft so gesehen. Aber ich denke, es ist eine eigene Geschichte von Isa, die sich zum Teil überschneidet mit „Tschick“. „Bilder deiner großen Liebe“ ist wie „Tschick“ eine Road Novel, aber eine Road Novel zu Fuß. „Tschick“ ist straight erzählt, dramaturgisch gesehen gibt es da einen roten Faden. In „Bilder deiner großen Liebe“ dagegen, das ein Fragment geblieben ist, weiß man nie, was Realität ist und was Fiktion. Da kommt es zu so vielen Begegnungen, da spielt so viel auch Philosophisches mit herein, dass man denkt: Das kann doch alles gar nicht real sein! Umgekehrt hat mich genau das an diesem Stoff von Anfang an fasziniert: Dass wir uns da ständig zwischen Realität und Fiktion bewegen – und dass Sprache und Theater es schaffen, uns sowas trotzdem zu bebildern.

Wie hat Herrndorf darüber gedacht? Weiß man das?

Wir haben uns bei dem Stück tatsächlich viel mit „Arbeit und Struktur“ beschäftigt und mit Herrndorf als Autor, seinen inneren Stimmen, Bedürfnissen, Aussagen. Ich glaube, dass er sich sofort einen Anker suchen wollte, von Arbeit und Struktur eben, wie er dann ja auch den Blog genannt hat, als er die Diagnose Hirntumor bekam. Man weiß, dass er praktisch auf der Stelle angefangen hat, zu schreiben. Erst „Tschick“. Und dass er dann, als es mit der Krankheit nicht besser wurde, vor der Frage stand: Was bringe ich überhaupt noch raus? Welche Bücher schreibe ich jetzt noch? Nach „Tschick“ kam ja auch erst noch der Wüstenroman „Sand“. Aber er hat eben auch weiter an Isa festgehalten. Und in dem Zusammenhang kam dann dieses: „Denke über eine „Tschick“-Fortsetzung aus Isas Perspektive nach, mache ich aber nicht, mache ich nicht“. Später hat er sich doch darauf eingelassen und noch später hat er dann gesagt: „Das schreibt sich wie von selbst“. Das zeigt mir so ein bisschen, dass er es dann doch zugelassen hat, all seine Gedanken auch über Tod usw. zu verarbeiten. Das Buch bekommt dadurch etwas sehr Philosophisches und Sprunghaftes. Dass der Autor sich in so einer existenziellen Ausnahmesituation befunden hat, macht diesen Text ganz wesentlich mit aus.

Warum heißt der Roman „Bilder deiner großen Liebe“ und nicht „Isa“ analog zu „Tschick“?

Ich hab mir da auch viele Gedanken darüber gemacht, die Frage kommt auch bei Nachgesprächen immer wieder: Warum dieser Titel? Tatsächlich hat Herrndorf den Roman lange Zeit „Isa“ genannt, wie bei „Tschick“ nach der Hauptfigur. Aber dann hat er vor seinem Tod noch entschieden, dass es „Bilder deiner großen Liebe“ heißen soll und ich glaube, dazu kann’s viele verschiedene Interpretationen dazu geben. Zum Beispiel, dass Wolfgang Herrndorfs große Leidenschaft das Schreiben war – er hat ja erst Malerei studiert und ist dann immer mehr zum Schreiben gekommen – und ihm war auch klar, dass das sein letztes Werk war, von dem er sicher wusste, dass es veröffentlicht werden soll. „Bilder seiner großen Liebe“, des Schreibens, war vielleicht so eine Idee. Andererseits bezieht sich speziell die Figur der Isa sehr wohl auch auf Menschen aus seiner Biografie wie seine Freundin Ines, mit der er auch barfuß durch den Fluss gewandert ist. Sie hatten nie eine Liebesbeziehung, waren aber sehr gute Freunde, und diese Frau hatte schon eine Faszination für ihn. Auch eine Patientin in der Psychiatrie, die er immer nur X nennt und der er begegnete, als er selbst krankheitshalber eine Reihe von Tests dort absolvierte, ist wohl ein Vorbild für Isa gewesen. Es geht also einmal um biografische Erfahrungen. Dann ist das Buch von Freund:innen inspiriert. Und eben auch einfach seiner Liebe zum Schreiben gewidmet, denke ich. Aber wir wissen es nicht.

Autor Herrndorf, Selbstporträt: „Erst Malerei studiert, dann immer mehr zum Schreiben gekommen“ © Wolfgang Herrndorf

Schon wer „Tschick“ liest, kommt nicht dran vorbei, dass die eigentliche Sensation dieser sehr sympathischen, aber im Grunde harmlosen Coming of Age-Geschichte zweier Jungs Isa heißt, oder?

Ich glaube auf jeden Fall, dass die Figur eine hohe Relevanz hat und dass sie nicht zufällig so ganz anders wirkt als Maik und Tschick. Bei denen weiß man so in groben Zügen, woher sie kommen, man weiß, sie sind zusammen auf die Schule gegangen. Man weiß vielleicht nicht so viel über den Hintergrund von Tschick, aber wir lernen Maik als in Anführungszeichen ganz gewöhnlichen jungen Mann kennen. Und dann kommt da diese Isa daher, wo wir uns als Leser:innen fragen: Wer ist das denn? Wo kommt die denn her? Die bringt da schon so was Phantastisches in diese Geschichte mit rein. Und obwohl sie erst spät auftritt, ist es so, dass sie da schon eine große Stimme hat und Fragen aufwirft.

Aus „Tschick“ kennen wir die jugendliche Streunerin, obdachlos, die auf der Müllkippe lebt, seit sie aus der Psychiatrie geflohen ist. „Bilder deiner großen Liebe“ blendet zurück. Wir sehen: Isa in der Klinik, eine junge Frau, manisch depressiv, mit der Diagnose einer schizoaffektiven Störung – das heißt, es kann sein, dass sie Stimmen hört oder andere Wahnvorstellungen hat. 

Also, auf diesen pathologischen Charakter von Isa oder auf die Tatsache, dass sie aus der Psychiatrie kommt oder in der Psychiatrie ist, haben wir uns ehrlich gesagt gar nicht so konzentriert. Wir wollten nicht dieses Pathologische spielen und diese Diagnose von: Wie fühlt sich eigentlich eine schizoaffektive Störung an? rüberbringen. Natürlich habe ich recherchiert, was diese Krankheit ausmacht und was es bedeutet, wenn man damit lebt. Aber ich hab nicht versucht, das darzustellen, das will ich mir auch gar nicht anmaßen – zum Beispiel eine Depression oder eine Manie zu spielen. Worauf ich mich eher konzentriert habe, ist diese Umtriebigkeit Isas, also dass sie eigentlich nie stillhalten kann, dass es immer weiter geht, dass sie immer wieder eine neue Geschichte anfängt, dass immer wieder eine neue Begegnung passiert. Dieses: Sie geht immer im Kreis, bleibt eigentlich nie stehen oder stumm, sondern für sie soll’s immer weiter gehen – das hat mich interessiert. Irgendwas in ihr, stelle ich mir vor, ist immer am Arbeiten. Und genau da habe ich angesetzt: Dass ich versuch, immer wieder diese Geschichte weiter zu treiben, immer wieder eine neue Spiellust oder eine Motivation zu erspüren, warum sie was tut.

Anders als im Buch wirkt „Bilder deiner großen Liebe“ auf der Bühne so, als würden sich all die wundersamen, manchmal auch verstörenden Begegnungen Isas mit anderen Menschen nur in ihrem Kopf abspielen. Ist das so? 

Tatsächlich haben wir viel an der Originalfassung gearbeitet und dabei auch manche Szenen, die vielleicht von höherem Realismus sprechen oder situativer sind wie die Begegnung mit Tschick und Maik herausgenommen. Auch dass wir uns die ganze Inszenierung über in diesem von einem Netz markiertem Bereich befinden, spricht dafür, dass sich die Dinge in Isas Kopf abspielen. Ich bin da aber auch gespalten. Persönlich glaube ich mit Blick auf den Roman, dass ihr vieles zum Teil wirklich passiert ist, vieles aber auch ihrem Kopf entspringt wie zum Beispiel die Begegnung mit dem tauben und stummen Jungen. Von der Begegnung mit dem Schiffsmann, dem Kapitän dieses Frachtkahns, glaube ich dagegen, dass sie die real erlebt hat und wirklich mal aus dieser Psychiatrie herausgekommen ist. Oft verstehe ich das Stück auch so, dass sie von Erlebnissen erzählt und dass das deswegen auch wieder so was nicht Reales hat. Also, da gibt’s kein richtig oder falsch.

„Im einen Moment denkt man, man hat es. Dann denkt man wieder, man hat es nicht. Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denken will, dreht er sich unendlich im Kreis, und wenn man aus dieser unendlichen Schleife nicht mehr rauskommt, ist man wieder verrückt. Weil man etwas verstanden hat“: Anna Kiesewetter, Jonas Julian Niemann, Paul Wiesmann in „Bilder deiner großen Liebe“ am Jungen Theater Regensburg © Tom Neumeier Leather

Was macht so eine Rolle mit einem selbst? Fängt man an, wie Isa nur noch barfuß zu laufen? Auf dem Balkon zu schlafen? Guckt man nachts nach den Sternen und überlegt, ob es „abzählbar oder überabzählbar viele“ sind, die man da sieht, und was das bedeutet?

Also ich glaube schon, dass Rollen immer auch unterbewusst was mit mir machen, weil es ja immer Faktoren gibt, die einen auch selbst irgendwie angehen und dann halt beschäftigen. Was mir in dem Zusammenhang aufgefallen ist, dass ich vielleicht versuche, offener durch die Welt zu gehen, weil: Isa guckt anders auf die Welt als wir das in unserem Alltag oft tun. Mehr im Sinne von: Menschen beobachten. Nicht sofort denken: Ach, die sind doch nicht „normal“, wenn sie zum Beispiel rumschreien auf der Straße, das haben wir hier ja auch oft. Es geht, glaube ich, darum, dieses Ungewöhnliche mehr zulassen – und nicht konkret darum, dass ich jetzt anfangen würde barfuß zu gehen oder so. Also dieses Verspieltere, diesen in einem tieferen Sinn naiveren Blick auf die Welt, habe ich schon an mir bemerkt und gleichzeitig auch dieses Traurige dahinter, denn mein Gefühl ist, dass Isa die Traurigkeit, von der sie oft spricht, gar nicht so richtig zulässt. So Gedanken von: Wie fühlt sich eigentlich Depression an, sind mich dann schon auch ein bisschen angegangen.

Es gibt da also schon einen emotionalen Verschleiß. Andererseits kann man als Schauspielerin von so einer Rolle wahrscheinlich nur träumen, oder?

Ja, ich habe mich wirklich gefreut, dass ich bei dem Projekt dabei bin und dass ich mich so sehr mit Isa beschäftigen durfte, weil sie eben auch so viel zeigen kann und weil dieser Text auch nie langweilig wird und weil er so verspielt ist und das ist einfach, was mir persönlich auch sehr taugt. Wir sind da auch wortwörtlich viel mit Spielen rangegangen, wir haben Bälle auf der Bühne, den Reifen auf der Bühne und ich mag diesen kreativen und bildhaften Umgang mit dem Text – und dass sie manchmal so ganz pure und gleich darauf wieder irgendwie laute und unkontrollierte Momente hat, ja. 

Dem Film „Tschick“ wurde in einer Kritik abgesprochen, etwa die Verwahrlosung der Isa glaubhaft machen zu können. Neigt man dazu, die Dinge zu romantisieren, wenn man so eine Rolle spielt?

Gute Frage, ich glaube, es ist immer wichtig und gut, zu hinterfragen, was und wen man da spielt. Wir haben uns damit beschäftigt, dass Isa aus der Psychiatrie kommt. Konkrete psychische Erkrankungen werden benannt. Aber ich glaube,Theater ist noch mal ein bisschen was anderes als Film. „Tschick“ zum Beispiel ist ja auch wirklich sehr real verfilmt im Sinne von: Die fahren da wirklich mit nem Lada durch die Gegend und treffen wirklich auf ner Müllkippe dieses Mädchen und das wird dann auch ganz genau so dargestellt. Wir dagegen haben eine Übersetzung gefunden für das, was da steht. Unser Thema war nicht: Wir spielen jetzt verrückt. Sondern wir wollten zum Denken anregen: Was heißt überhaupt normal? Und was heißt verrückt? In diesem Kontext sind wir dann auch bereit, das zu spielen. Und was mich persönlich als Schauspielerin angeht: Ich spiele natürlich trotzdem mit meinen eigenen emotionalen Erfahrungen! Wenn also Isa zum Beispiel gut drauf ist und sich an Dinge erinnert, dann verknüpfe ich das mit eigenen, freudigen Erinnerungen oder so. Ich kann keine Emotion wirklich spielen, wenn ich sie selbst noch nicht gefühlt hab. Da stimme ich schon zu. Trotzdem muss ich im Theater nicht selbst eine diagnostizierte schizoaffektive Störung haben, um Isa darzustellen – denn es ist ja eine Behauptung, die wir hier aufstellen und das ist auch allen klar.

Isa nimmt auf jeden Fall kein Blatt vor den Mund. Zitat: „Ich komme aus der Scheiße und in die Scheiße gehe ich irgendwann auch wieder. Aber zwischendurch werde ich berühmt.“ Letzteres immerhin hat sich ja wohl erfüllt? 

Also wenn man nur vom Buch ausgeht, kennen glaube ich noch recht wenige Menschen „Bilder deiner großen Liebe“, „Tschick“ ist da mehr ein Begriff. Und was Isa angeht, dass sie davon spricht, dass sie berühmt werden will, das haben wir in unserer Inszenierung auch eher ausgeklammert bis auf das Gespräch kurz am Anfang über DSDS. Sie ist ja auch ein bisschen so eine Geschichtenerzählerin. Das macht sie schon auch aus, wenn sie zum Beispiel sagt, dass sie Moderatorin werden oder im Fernsehen arbeiten will. Das Talent dazu hätte sie – wenn man nur mal sieht, wie sie sich die Geschichten aus der Nase zieht, Situationen so bespielt, anmoderiert usw. In ihrem eigenen Kosmos hat sie auf jeden Fall schon so eine Berühmtheit erlangt, ja.

Wir wissen jetzt, woher Isa kommt. Was glauben Sie, wohin sie geht? 

Das kommt drauf an. Wir haben uns hier konzentriert darauf, dass es ein Kreislauf ist. Unser Stück endet, wo es beginnt. Isa läuft im Kreis und kommt nicht wirklich raus. Was den Roman angeht, glaube ich, dass wir nicht so genau wissen, wohin sie geht, weil der endet ja mit der Kugel, die millimetergenau zurück in den Lauf der Waffe fällt. Ehrlich gesagt, wusste ich immer nicht so genau, ob sie sich erschießt oder nicht. Das ist ja, find ich, auch die große Frage, die am Ende steht: Ist das ein Suizid oder nicht? Aber dass diese Kugel millimetergenau zurückfällt, zeigt für mich auf jeden Fall, dass es da eine Wiederholbarkeit gibt, dass irgendwas wiederkommen wird und dass – typisch Isa! – nichts wirklich stillsteht. 

Es geht in „Bilder deiner großen Liebe“ viel ums Anderssein, aber auch darum, so ein Anderssein zuzulassen. Das ist eine der großen Stärken von Isa. Kann man von ihr lernen?

Das glaube ich schon. Allein über Mitmenschen nachzudenken, ist ja fast schon ein politischer Gedanke!  Auch, sich in eine unkonventionelle Figur wie Isa hineinzuversetzen, hinzuhören, wie sie Geschichten erzählt. Oder dass Herrndorf immer wieder diesen Großvater einfließen lässt, der offenbar Parolen von sich gegeben hat, die irgendwie auf den Nationalsozialismus hindeuten. Ich glaube, dass da so viel Politisches und Philosophisches drin steckt, dass wir gut daran tun zu versuchen, das in Bilder und in unsere Sprache zu übersetzen und zu hinterfragen.

Sie spielen „Bilder deiner großen Liebe“ gerade quasi en suite. Jeden Tag. Klingt anstrengend!

Wir spielen zwei Wochen durch, an jeweils sechs Tagen. Dann ist eine längere Pause geplant und dann haben wir noch ein paar Termine, aber nicht sehr viele, im Mai, viele Schulveranstaltungen auch. Und, ja: Tatsächlich ist es anstrengend, dieses Stück zu spielen, weil es sehr textlastig ist, weil wir die ganze Zeit auf der Bühne sind und es dann trotzdem ca.85 Minuten geht. Ich bin danach schon immer geistig ziemlich ausgelaugt, weil es eben sehr viel Konzentration verlangt. Das haben wir ja oft. Aber hier ist es insofern besonders, weil uns das Ganze schnell zerfällt, wenn wir nicht wirklich in jeden Moment am Ball bleiben. Wir haben bei den Proben viel darüber gesprochen, dass wir uns von der Sprache leiten lassen können, die ja sehr bildhaft ist, trotzdem müssen wir selber schon auch wissen, warum wir das jetzt sagen, was der Text für uns bedeutet. Mir gefällt die Sprache auf jeden Fall sehr gut – uns ist aber beim Proben auch aufgefallen, dass der Text eigentlich zum Lesen da ist und dass es manchmal gar nicht einfach ist, ihn auf die Bühne zu bringen. Denn oft ist er halt so gar nicht situativ, sondern steht erstmal für sich. Herrndorfs Sprache ist definitiv mehr eine zu lesende als eine zu spielende.

„Verrückt sein heißt auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert“, sagt Isa. Ist es verrückt, heute noch Schauspielerin werden zu wollen?

Na ja (lacht), es kommt halt immer drauf an, wie man verrückt definiert! Es ist auf jeden Fall ein nicht immer einfacher Weg und dadurch auch irgendwie … ja, schon auf ne Weise verrückt. Aber es ist auch nicht unmachbar und auf gar keinen Fall bescheuert. Ich glaube schon, dass Schauspielerei und auch die Ausbildung dazu den Blick auf die Welt erweitert, dass man vielleicht auch eine verrücktere Art entwickelt, an Dinge ranzugehen. Insofern wäre meine Antwort: Ja und Nein zugleich. Aber Ja nicht in einem negativen Sinn. 

In Zeiten wie diesen wird gern mal an der Kultur gespart. Gleichzeitig wird von den Theatern erwartet, dass sie den politischen und gesellschaftlichen Diskurs mit prägen, sich einmischen, mitreden, Orientierung geben. Ist das nicht ein bissel viel verlangt?

Ja, nee. Ich meine: Warum haben wir Kultur und Theater? ich glaube nicht, dass wir uns als Theater immer so konkret positionieren, aber da ist eben diese Möglichkeit, Denkanstöße zu geben, die uns anders über unser Leben nachdenken lassen können. Das ist, glaube ich, auch mein Antrieb – dass ich vielleicht auch nach einem Nachgespräch wie vorhin mit Regensburger Schüler:innen rausgehe und sage: Wir sind nicht der Antwortgeber auf alles, aber wir sind der Antreiber für Fragen, die ausgelöst werden in deinem Kopf als Zuschauer:in. Ich glaube, deswegen kann Theater politisch sein. Und wegweisend.

Sie leben in Regensburg und Wien, habe ich gelesen …

Ich lebe jetzt länger schon in Regensburg. In Wien habe ich studiert und während meines Studiums als Gast auch an Wiener Theatern gespielt.

Wie ist es dort? Herrscht dort auch Krise wie an vielen deutschen Bühnen? Eine gewisse Verzagtheit? Oder kann das Theater in Wien buchstäblich nichts erschüttern?

Oh, ich weiß gar nicht, ob ich mir das anmaßen kann, darüber so zu urteilen! Aber ich glaube, dass auch die Szene dort von der Politik ziemlich durchgerüttelt wird. Es kommt auch immer drauf an, um welches Theater und welche Art von Theater es geht. Weil Wien hat halt nicht nur ein Stadt- oder Staatstheater. Die Theaterlandschaft dort ist sehr vielfältig vom Off-Theater bis zum Burgtheater. Also, da ist immer in der Stadt ein Umtrieb zu bemerken.

Und wie soll’s für Sie jetzt weitergehen? Schon Pläne? Vorstellungen? Wünsche?

Ach … ich würde mir wünschen, dass ich mich weiter mit solchen Stoffen beschäftigen darf, die mich interessieren in welcher Form auch immer!

„Theater ist der Antreiber für Fragen, die ausgelöst werden in deinem Kopf als Zuschauer:in“. Anna Kiesewetter © Marlene Del Bello
Sie könnte auch sagen: "Hey, ich hab' schon an der Burg gespielt!" Tut sie aber nicht. Anna Kiesewetter, geboren 1995 in Coburg, seit der Spielzeit 2020/21 festes Ensemblemitglied am Theater Regensburg, macht kein Bohei um sich. Was sie ausmacht - Inspiration und Intensität, Empathie, Geist und Witz, kurz: eine ziemlich außergewöhnliche Präsenz - teilt sich (nicht nur) auf der Bühne mit. Die 28-Jährige, von der es bei Castforward heißt, dass sie Gitarre und Klavier spielt, aber auch gut im Kampfsport ist, hat von 2016 bis 2020 an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien Schauspiel studiert. Am Burgtheater war sie u. a. in "Die Bakchen" zu sehen. In Regensburg leitete Kiesewetter in der Spielzeit 2021/22 mit Lisa Hörmann und Laura Mangels den Jugendclub am Theater Regensburg und spielte u. a. in "Satelliten am Nachthimmel", "Deportation Cast", und "Schrei es raus! - Überleben". Next Stop für Anna ist "König Ödipus" (Premiere: 9. März 2024)