Die unabhängige Hilfsorganisation Solwodi kümmert sich um Frauen mit Gewalterfahrungen, seit 2015 gibt es auch eine Anlaufstelle in Regensburg. Mitarbeiterin Christel über die Gründe für ihr Engagement, warum gerade auch Frauen aus migrantischen Milieus Hilfe brauchen – und was eine weitere Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach Rechts für die Zukunft des Projekts bedeuten könnte

Magst du dich kurz vorstellen?

Ich heiße Christel. Eigentlich bin ich Realschullehrerin für Englisch und Mathematik. Eine Zeitlang habe ich auch als Lehrerin gearbeitet – bis ich auf der Suche nach einem Ehrenamt auf Solwodi gestoßen bin. Mittlerweile bin ich seit fünf Jahren für Solwodi tätig: Erst ein Jahr auf ehrenamtlicher Basis und seitdem hauptamtlich. Zuerst in Passau und jetzt in Regensburg.

Worum geht’s bei Solwodi?

Solwodi steht für SOLidarity with WOmen in DIstress. Zentrales Thema ist die Gewalt gegen Frauen, besonders gegen Frauen mit Migrationshintergrund, Menschenhandel, Zwangsheirat, die so genannten Ehrenmorde und, natürlich, häusliche Gewalt.

Hard Stuff! Warum tust du dir das an?

Zum ersten Mal auf Solwodi gestoßen bin ich während meines Studiums, als ich eine Hausarbeit über Genitalbeschneidung geschrieben habe. Ich fand die Organisation schon damals interessant, hab sie aber aus den Augen verloren, bis ich in Passau an einem Infostand mit Mitarbeiterinnen ins Gespräch gekommen bin. Da wusste ich gleich, dass ich mir diese Initiative genauer anschauen möchte – und merkte dabei schnell, dass ich hier richtig bin. Ich war fasziniert von der Stärke der Frauen, die trotz ihrer (meist traumatischen) Erlebnisse und anhaltenden Schwierigkeiten weiter gekämpft haben. Und ich finde es schön, dass ich diese starken Frauen ein Stück ihres Wegs begleiten darf. 

Solwodi hat Beratungsstellen in ganz Deutschland. Mit denselben Schwerpunkten? Oder gibt’s da Unterschiede? 

Schon, ja! In Regensburg machen wir zum Beispiel wenig aufsuchende Arbeit im Milieu, also in Sachen Prostitution. Manchmal werden uns Fälle zugewiesen, wenn Personen aus der Sexarbeit aussteigen möchten oder eine Schutzunterbringung brauchen. Wir sind da auch im Austausch mit den zuständigen Stellen beim Gesundheitsamt, haben einen guten Kontakt zu den Leuten, die mit Prostituierten arbeiten. Aber aktiv aufsuchende Arbeit machen wir höchstens ab und zu. Das schaffen wir einfach zeitlich nicht … 

Wie erfahren Menschen von eurem Angebot? 

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass es uns gibt! Aber meistens werden uns die Fälle von anderen Organisationen wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zugewiesen. Das Bamf verweist an uns, wenn geschlechtsspezifische Gewalt (oder eben auch Menschenhandel) im Raum steht, weil wir eine anerkannte Fachberatungsstelle sind. Das ist aber keine Zusammenarbeit in dem Sinn, dass wir uns mit Bamf-Mitarbeiter:innen treffen und quasi bei einem Glas Sekt über Anhörungen reden, wie manche meinen – tatsächlich sind wir mit den meisten Entscheidungen des Bamf gar nicht einverstanden. Gut ist dagegen der Kontakt mit den Flüchtlingsberatungsstellen. Und die Mitarbeiter:innen des Gewaltschutzes vermitteln Menschen aus dem Ankerzentrum an uns. 

Wie ist da die Zusammenarbeit?

Tatsächlich gut in Regensburg! Wir haben ja Beratungsstellen in ganz Bayern und auch in anderen Bundesländern, und wenn ich höre, was die Kolleginnen erzählen, muss ich sagen: Wir haben da echt Glück! Gerade das Ankerzentrum kooperiert sehr gut. Auch das Sozialamt der Stadt Regensburg arbeitet wirklich gut mit uns zusammen – man spürt das Bemühen, etwas Positives beizutragen im Rahmen dieser nicht so positiven Struktur. Außer mit Behörden arbeiten wir auch viel mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen wie dem Frauenhaus. Ein großer Teil unserer Arbeit zielt ja auch auf die Hilfe bei einer Schutzunterbringung – entweder in einer Schutzunterkunft von Solwodi oder in einem Frauenhaus oder bei einer schnellen Umverteilung in eine geschütztere Unterkunft für Geflüchtete. Dass es aber zu wenig Schutzplätze gibt, ist kein Geheimnis. Daher ist die Suche nach einer Schutzunterbringung auch sehr zeitaufwändig.

Mit welchen Problemen kommen die Frauen zu euch?

Die meisten Fälle, die an uns herangetragen werden, sind leider traurig, weil Gewalt im Spiel war in irgendeiner Form, meist häusliche Gewalt. Oft muss man dann erst eine Dolmetscher:in organisieren, um zuhören und helfen zu können, wobei wir fast ausschließlich mit Dolmetscherinnen arbeiten, männlich gelesene Personen sind die absolute Ausnahme. Wir sagen den Leuten, dass das erst mal nur ein Angebot ist – niemand muss sich helfen lassen! Manche möchten auch gar nicht reden oder nicht von Anfang an. Es ist nicht immer so, dass die Frauen sofort alles erzählen. Da geht es zum Teil ja um schwere Traumatisierungen, oft auch um Folter – das erzählt man nicht einfach so. Das braucht Zeit.

Wie könnt ihr helfen?

Wir sind natürlich keine Therapeutinnen und das betonen wir auch immer wieder. Mit uns zu reden, kann keine Therapie ersetzen! Wir versuchen aber, aufzuklären, Informationen an die Hand zu geben, helfen dabei, den Blick auch mal auf andere, praktische Dinge zu lenken wie ein laufendes Asylverfahren. Dazu gehört im Fall der Fälle auch, den Frauen zu sagen, wenn es um ihre Aufenthaltschancen nicht so gut steht – welchen Weg sie dann einschlagen können, ob sie nicht versuchen wollen, in eine Ausbildung reinzukommen, solche Sachen.

Das stelle ich mir nicht einfach vor!

Naja, wir machen den Realitätscheck! Es hilft ja nichts, da rum zu eiern – da sind uns auch die Frauen dankbar, denn die meisten haben keine Ahnung, wie ihre Chancen wirklich stehen! Sie sitzen da und warten. Manche haben Glück und bekommen einen Deutschkurs, aber auch der ist irgendwann zu Ende und dann ist man wieder mit seinen Gedanken allein. Allein die Warterei auf einen Anhörungstermin, dann der Termin selbst sind oft retraumatisierend – und da rede ich noch nicht von der Situation in den Unterkünften! Also, ich möchte nicht mit drei anderen, mir völlig fremden Personen über Monate in einem kleinen Zimmer leben müssen! Vor allem für vulnerable Personen oder traumatisierte Personen ist das grenzwertig. Damit die Frauen da auch mal rauskommen, bieten wir Infocafés an, zusammen mit CampusAsyl, die haben auch noch eigene Angebote. Und natürlich sprechen wir mit den Frauen über ihre Erlebnisse, wenn sie dafür bereit sind – das ist wichtig für die Anhörung, weil man ja Gründe vorbringen muss, wenn man in Deutschland bleiben will. Und diese Gründe sollten dann auch die richtigen sein! 

Das klingt nicht viel versprechend … 

Tatsächlich ist es eher die Ausnahme, dass ein Asylantrag bewilligt wird. Das ist schwierig in Regensburg, muss man ehrlich sagen…

Woran liegt das?

Vor allem an den Herkunftsländern. Nach Regensburg kommen zum Beispiel viele Asylbewerber:innen aus Tunesien. Die haben von vornherein keine Chance. Äthiopien ist auch schwierig, selbst bei geschlechtsspezifischer Gewalt, weil da auf innerländische Fluchtmöglichkeiten verwiesen wird, sprich: „Du musst ja nicht genau dorthin zurück! Du kannst ja auch in eine andere Region in Äthiopien fliehen. Meide halt deine Familie oder diese Person, von der die Gewalt ausgeht“. Im Fall Iran sind die Dinge gerade im Fluss, da gibt es jetzt erste positive Entscheidungen, mit Aufenthaltstitel oder sogar mit Flüchtlingsstatus. Das hatten wir lange nicht und das haben wir dann auch entsprechend gefeiert! Meiner Meinung nach müsste sowieso jeder in jedes Land gehen können, in das er möchte. Stattdessen findet man immer noch mehr Gründe, um Asylanträge ablehnen zu können.

Du hast den Schutz vor häuslicher Gewalt angesprochen, vor geschlechtsspezifischer Gewalt – das sind klassische feministische Anliegen. Siehst du dich mit deiner Arbeit als Teil der Bewegung?

Das ist eine spannende Frage, denn Solwodi wird oft im kirchlichen Zusammenhang gesehen – was daran liegt, dass die Gründerin eine Ordensfrau war! Ich wurde auch schon gefragt, wie wichtig uns die Religion ist. Tatsächlich spielt die für unser Team in Regensburg aber keine Rolle. Manche von uns sind sogar aus der Kirche ausgetreten. Wir haben wenig bis gar nichts mit der Kirche zu tun, sondern engagieren uns einfach, weil es um die Rechte von Frauen geht. Wir würden uns eher im Feminismus verorten als im kirchlichen Kontext.

Patriarchale Strukturen durchziehen – immer noch – die Gesellschaft. Krassestes Beispiel ist die steigende Zahl von Femiziden …

Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin oder Expartnerin umzubringen! Jeden dritten Tag, neuesten Zahlen zufolge sogar jeden zweiten, kommt es zum vollendeten Mord! Sogar in Regensburg gab es 2024 mindestens vier Femizide. Aus diesem Grund arbeiten wir hier auch sehr eng mit dem autonomen Frauenhaus zusammen. Denn ja, es stimmt: Die Strukturen, in denen wir leben, sind immer noch patriarchal. Wir haben in Deutschland ein paar Schritte gemacht – das haben die Frauen sich hart erkämpft …

Trotzdem schützt es nur bedingt.

Ja. Leider. Aber ohne jetzt sagen zu wollen, das eine sei schlimmer – Patriarchat ist immer schlimm! – wirken die patriarchalen Strukturen in einem Land wie dem Iran doch viel extremer – unter anderem, weil auch viele Frauen in diesen Strukturen denken. Wenn sie dann hierher kommen, sehen sie, dass man auch anders leben kann. Oft nehmen sie dann als erstes den Hijab ab und kriegen Probleme mit ihren Männern. Oft geht die Gewalt aber auch von Frauen aus wie im Fall von Zwangsverheiratungen. Da haben wir immer wieder Fälle, wo der Vater vielleicht offen gewesen wäre, aber die Mutter zur Tochter sagt: „Den musst du jetzt heiraten!“ So oder so: Wenn Eltern über das Leben ihrer Töchter entscheiden und Männer über Frauen, ist das Ausdruck einer autoritären Mentalität. Und der Hass auf Frauen, der da immer wieder sichtbar wird, bedeutet, dass man jemanden unterdrücken möchte.

Wenn der Frauenhass zunimmt, geht das immer auch mit dem Abbau demokratischer Freiheitsrechte einher, sagt die Publizistin Shila Behjat. Glaubst   – oder fürchtest – du das auch?

Definitiv! Wenn man sich anschaut, dass jemand wie Friedrich Merz sich gerade für die Kanzlerkandidatur bewirbt – dieser Mann hat noch 1997 dagegen gestimmt, dass die Vergewaltigung einer Frau durch ihren Ehemann strafbar sein soll! Ich kann nicht beurteilen, ob der Mann sich geändert hat über die Jahre. Aber ich find’s höchst problematisch, dass so ein Denken da ist, dass so jemand in der Politik was zu sagen hat. Überhaupt der Rechtsruck, den man gerade überall spürt und der ja eben genau gegen Demokratie und gegen die Freiheitsrechte geht: Das macht mir ernsthaft Sorge. Auch, weil es manche Gruppen – wie Geflüchtete – besonders trifft.

So im Sinne von: „Wir müssen endlich anfangen, in großem Stil abzuschieben“?

Es ist irre, wie da Stimmung gemacht wird! Wie die Parteien von der Union bis zur SPD versuchen, Stimmen am rechten Rand abzugreifen. Und wie auch die Gesellschaft da mitzieht! Selbst Leute in meinem Umfeld glauben mittlerweile, wir hätten lauter Kriminelle hier im Land, die dringend abgeschoben gehören. Nur, weil einzelne Geflüchtete strafbare Handlungen begehen, kann man das doch nicht verallgemeinern! Genau, wie man nicht sagen kann: In Deutschland gibt es häusliche Gewalt gegen Frauen, deshalb müssen alle Männer weg. Das wäre genauso absurd.

Man könnte – statt im großen Stil abzuschieben – auch sagen: Wir müssen jetzt im großen Stil Psychotherapie für traumatisierte Geflüchtete ermöglichen, ihnen eine Perspektive geben und sie endlich wie Mitmenschen behandeln.

Genau! Man müsste die Strukturen ändern. Denn: Die Formen der Unterbringung Geflüchteter sind natürlich auch gewaltfördernd. Viele Menschen auf engem Raum, die nicht arbeiten dürfen, obwohl sie wollen – das wird ja auch oft falsch dargestellt – all diese Dinge. Und das dann noch bei Personen, die eh schon wissen, dass sie eine Ablehnung erwartet, dass sie keine Perspektive haben.

Wo, denkst du, würde mögliche rechts-konservative Regierungen als erstes ansetzen?

Gelder kürzen, denke ich. Wir bekommen ja Fördermittel vom Bund und auch von der Stadt ein bisschen. Vielleicht auch die Organisationen verbieten – das wurde ja bereits so propagiert: Auch die Helfer sollen abgeschoben werden. Wahrscheinlich würde es unsere Arbeit in der Form wie jetzt gar nicht mehr geben, weil die meisten Menschen dann tatsächlich nicht mehr hierher kommen könnten.

Wieviele Frauen betreut ihr pro Jahr?

Im letzten Jahr waren es ca. 120 Erstanfragen und 50 Weiterbetreuungen. Dieses Jahr sind es aber auf jeden Fall mehr – wir sind jetzt schon bei 120 und ich glaube auch, dass mehr Weiterbetreuungen dabei sein werden.

Weiterbetreuungen sind aufwändig, oder? 

Wir betreuen die Frauen teilweise über Jahre hinweg! Begleiten sie zum Bamf, gehen mit ihnen zum Arzt, wenn das notwendig ist. Eine Kollegin von mir unterstützt zum Beispiel eine geflüchtete Frau, die körperlich beeinträchtigt ist und da ist das Hilfenetz nicht so da. Das ist sehr individuell. Aber die Arbeit ist unendlich, die hört nicht auf.

Kann man euch unterstützen?

Natürlich freuen wir uns über jede Spende. Aber Geld ist jetzt nicht das Erste, woran ich denken würde. Ich denk, das Wichtigste ist es im Moment, das politische Klima zu ändern. Die Perspektive auf Geflüchtete und auch auf Frauen in der Gesellschaft, die ganze Struktur außen herum, ist das, was uns die Arbeit schwer macht. Da läuft was definitiv in die falsche Richtung und das kann ich nicht alleine ändern. Da braucht es viele. Auch über unsere kleine Bubble hinaus!

Fragen: Sophia Weigert

Die internationale Frauenhilfsorganisation Solwodi ist in Deutschland als gemeinnützig anerkannt und arbeitet unabhängig und überkonfessionell. Bundesweit ist Solwodi an 18 Standorten mit 21 Fachberatungsstellen und 14 Schutz- und Wohnprojekten für Frauen und Kinder in Not vertreten. Solwodi Regensburg (vier Sozialarbeiterinnen plus eine Verwaltungskraft) gibt es seit 2015, Studentinnen können sich hier um Praktika oder Praxissemester bewerben, ehrenamtliche Hilfe ist willkommen - und nötig. So zählte das Bundeskriminalamt 2023 mehr als 180.000 Fälle von häuslicher Gewalt: die Opfer vor allem Frauen (über 70%), die Täter meist Männer (76%). Sexualstraftaten gegen Frauen haben mit über 50.000 Fällen gegenüber 2022 ebenso zu genommen wie die Fälle Digitaler Gewalt im Netz. Eine Antwort darauf wäre das von der Koalition geplante Gewalthilfegesetz samt Rechtsanpruch auf Schutz und Beratung für betroffene Frauen gewesen. Was daraus nach dem Berliner Ampel-Aus wird? Unklar!