Ginge es nach ihm, würde Donald Trump seine Gegner:innen „in Gewehrläufe schauen“ lassen, aber noch ist es nicht so weit. Die Amerikanistin und Politologin Heike Paul über die moralische Bankrotterklärung der einstmals stolzen Republican Party in den USA, die toxische Atmosphäre dieses Präsidentschaftswahlkampfes – und wie und warum Trumps Konkurrentin Kamala Harris im amerikanischen Selbstverständigungsdiskurs noch punkten könnte
Frau Paul, mögen Sie Amerika, das Land, die Leute?
Auf jeden Fall, schon berufsmäßig – ich bin ja Amerikanistin! Ich bin häufig da und kenne das Land recht gut. Wenn ich da bin, reise ich gern. Ich schau mir die Städte an, die Natur. Ich habe viele berufliche und auch private Kontakte in die USA. Und ich teile auch eine gewisse Verbundenheit mit dem Land insofern, als ich mich sehr viel mit der Zeit nach 1945 aus transatlantischer Perspektive beschäftigt habe, der Demokratisierung Deutschlands u.a. durch die Amerikaner und ihre Re-Education-Programme. Das klingt heute vielleicht komisch, war damals aber natürlich ein wichtiger Impuls. Also ja, ich bin immer wieder gerne da!
Sind Wahlkämpfe in den USA eigentlich immer solche Aufreger?
Ooops, die letzten schon irgendwie, oder? Das liegt zum Teil vielleicht an der Medienkultur, Social Media und so, das befeuert die Atmosphäre natürlich. Dann diese sehr knappen Wahlergebnisse, die für Spannung sorgen – und dieses Mal hatten wir auch noch einen späten Kandidatenwechsel, wir hatten Attentate und all diese Umstände machen die Wahl zum großen Medienspektakel. Also, da war schon viel Dramatik.
Auffallend ist die toxische Atmosphäre dieses Wahlkampfs – die wütenden, vulgären Tiraden Trumps gegen Harris („irre“, geistesgestört“), die daraufhin ihrerseits den Ton verschärfte („unberechenbar“, „instabil“). Muss man das verstehen?
Ich denke, dass diese Eskalationsspiralen, die Sie beschreiben, insgesamt für die politische Kommunikation nicht zuträglich sind. Allerdings sehe ich schon einen gewissen Unterschied in der Rhetorik. Klar, wenn Harris auftritt, beschimpft sie auch Trump und das zunehmend expliziter. Aber sie beschwört schon auch die Einheit und eine Vorstellung davon, dass man irgendwie gut miteinander umgehen muss. Sie signalisiert. dass sie auch für diejenigen ein Ohr hat, die sie jetzt nicht wählen wollen – wohingegen bei Trump das Ausschließende, diese ausgrenzende und spaltende Rhetorik, mittlerweile keine Grenzen mehr kennt. Sie wird im Gegenteil immer düsterer und noch radikaler – und es ist eher die Ausnahme, dass er auch von Zusammenhalt spricht. Insofern sehe ich da schon noch einen Unterschied.
Ist es symptomatisch für die Stimmung im Land, wie Trump und Harris gerade aufeinander losgehen?
Ja definitiv, wobei diese Stimmung sich entlang ganz unterschiedlicher Achsen aufgeheizt hat. Wir reden immer viel über die Küstenstädte und die ländlichen Gegenden, wir reden viel über den Norden und den Süden und jetzt auch immer mehr über die Swing States, also die paar Bundesstaaten, die am Ende die Wahl entscheiden und gewissermaßen noch mal so ein Mikrokosmos sind für diese Polarisierung. Tatsächlich ist die Polarisierung insgesamt ein Riesenproblem – und sie wird auch nicht kurzfristig behoben werden können, egal wie diese Wahl ausgeht.
US-Autoren wie Richard Ford beschreiben schon lang den Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht. Sein Held und Alter Ego Frank Bascombe kriegt schon die Krise, wenn er einen Republikaner nur aus der Ferne sieht.
Gut, dass Sie Richard Ford hier nennen – ich lese ihn auch und ich lese ihn gern! Aber Richard Ford ist zum Beispiel auch bekannt dafür, dass er einem afroamerikanischen Autoren, Colson Whitehead, ins Gesicht gespuckt hat, nur weil der sein Buch nicht gut fand! Er kann mit Kritik scheinbar nicht wirklich gut umgehen. Einer anderen, kritischen Autorin hat er im Gegenzug eines ihrer Bücher geschickt, durch das er vorher hindurchgeschossen hatte. Beide Geschichten zeigen, wie schnell die Dinge eskalieren können, wenn ein Mann sich gekränkt fühlt..
Das heißt?
Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, wie wir sie gerade erleben, hat auf der einen Seite sicherlich mit dem Wahlsystem zu tun. Dieses einfache Mehrheitswahlrecht ist ein Problem für alle kleinere Parteien, denn es bedeutet: Es gibt hier keine Koalitionen wie bei uns oder auch in den skandinavischen Ländern. Und vor allem gibt es keine Routinen in der Kompromissbildung, zumindest nicht in der Parteienlandschaft, und das prägt eine Gesellschaft natürlich. Eine große Rolle spielt aber auch die unsoziale Ungleichheit – und alles, was davon abgeleitet wird auch an kulturellen Identitätsmerkmalen und anderen sekundären Identitätsmustern. Also, die soziale Ungleichheit ist ein großes Problem. Und natürlich auch der strukturelle Rassismus.
Im Zusammenhang mit dieser Präsidentschaftswahl ist immer wieder von einer „Schicksalswahl“ die Rede. Zu Recht?
Naja, es scheint so zu sein, dass es nur noch „Schicksalswahlen“ gibt! Die Wahl jetzt ist schon die dritte, die so tituliert wird, und zumindest bei der vorgehenden, als Joe Biden gegen Trump antrat, war das auch der Fall. Irgendwie ist es immer eine Schicksalswahl, wenn es gegen Trump geht – und diesmal sowieso, weil er, sollte er gewinnen, nicht mehr überrascht sein wird von seinem Wahlsieg wie vor acht Jahren. Er ist im Gegenteil gut vorbereitet darauf, wie er politische Gegner verfolgen will, wie er illiberale Tendenzen in der US-Gesellschaft stärken will – er spricht ja auch selber offen über „Säuberungen“, die er durchführen will an Institutionen im ganzen Land. Das ist schon eine Perspektive, die einem Sorgen machen kann!
Er hat sich vom Supreme Court ja auch schon einen Freifahrtschein ausstellen lassen dergestalt, dass er als Präsident für keine seiner Amtshandlungen zur Rechenschaft gezogen werden kann …
Also, er bestreitet ja immer, dass er mit diesem konservativen Thinktank – Project 2025 – zusammenarbeitet. Aber das sind letztlich ja auch schon seine Erfüllungsgehilfen, die da mit juristischen Einschätzungen und Maßnahmen das vorstellbar zu machen, was er umsetzen will, und die ihm dafür Rückendeckung und Inspiration geben. Auch das, würde ich sagen, geht in diese Richtung der illiberalen Tendenzen, die wir in Amerika bald sehr stark wahrnehmen würden, falls Trump gewinnt.
Was ist davon zu halten, wenn Trump seinen Wähler.innen als benefit in Aussicht stellt, dass sie „künftig nicht mehr wählen gehen müssen“? Wenn er ankündigt, „ab Tag eins ein Diktator“ zu sein, der auch bereit sei, „die Aufkündigung der Verfassung zuzulassen“? Ist das Show? Oder meint er das ernst?
Trump ist nicht in dem Sinn ein Ideologe wie die ganzen Ultra-Rechten, die ihn da jetzt unterstützen und ihm zur Seite stehen. Aber er ist natürlich ein ausgeprägter Narzisst und insofern, denke ich, muss man das auf jeden Fall ernst nehmen. Es gibt ja auch die Befürchtung – und er hat das auch angekündigt – dass er versuchen wird, die Begrenzung auf zwei Amtszeiten aufzuheben im Fall seiner Wiederwahl. In der Populären Kultur wird das schon durchgespielt. Ich weiß nicht, ob Sie den Film „Civil War“ kennen mit Kirsten Dunst; in diesem Film gibt es einen Bürgerkrieg in den USA und wir lernen gleich am Anfang einen Präsidenten kennen, der gerade in seiner dritten Amtszeit regiert.
Gibt es niemanden in der Republican Party, der den Mumm hat, sich dem Mann entgegen zu stellen? Oder werden Millionen Republikaner (buchstäblich heimlich) Harris wählen, wie Liz Cheney meint?
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von silent voters, aber auf beiden Seiten. Es gibt silent voters für Trump und welche, die Harris wählen. Alle die Republikaner, die sich gegen Trump auflehnen, sind die, die nichts mehr zu verlieren haben oder ihre Karriere sowieso beenden wollen. Also: Cheney, Romney, da gibt’s ein paar, wo klar ist, dass sie sich mit dieser Opposition gegen Trump aus der Politik verabschieden. Aber ansonsten hört man da nicht viel und das ist auch ein bisschen das Problem, dass diese einst stolze „Grand Ole Party“ jetzt diesen MAGA-Kult pflegt. Dadurch gibt es keinen Raum mehr innerhalb dieser Partei, sich Trump entgegen zu stellen, wenn man nicht gleich seine Karriere beenden möchte.
Als Schattenmänner Trumps ziehen im Hintergrund Milliardäre wie Elon Musk und Peter Thiel die Fäden, die von nichts weniger als der Weltherrschaft träumen. Das fühlt sich an wie ein schlechter Film – hat es das Potenzial, die Demokratie in den USA zu zerstören?
Dass die Demokratie in den USA in Gefahr ist, sehen wir mittlerweile deutlich. Und es ist auch klar – Stichwort: Weltherrschaft – dass diese Wahl, egal wie sie ausgeht, globale Auswirkungen haben wird. Illiberale Tendenzen gibt es ja nicht nur in den USA, es gibt sie auch in Europa und in Deutschland und man darf nicht vergessen, dass diese illiberalen Kräfte transnational vernetzt sind! Das nimmt man vielleicht nicht so wahr, weil man denkt: „Das sind ja alles so Hyper-Nationalisten“. Aber auf der Grundlage ihrer gemeinsamen, weißen Hautfarbe und ihrer ethnonationalistischen Vorstellungen von weißer Suprematie gibt es da heute schon internationale, transnationale Netzwerke – und die halte ich für sehr gefährlich.
Es gab zuletzt eine Menge Endorsements von Prominenten und Stars für Kamala Harris, von Taylor Swift, Beyoncé, Bruce Springsteen sowieso, aber auch Arnold Schwarzenegger, der laut eigener Aussage bisher immer für die Republikaner gestimmt hat, nun aber Harris wählen will. Kann das etwas bewirken?
Darüber ist man uneins. Ich denke, es wird nicht wahlentscheidend sein. Gerade habe ich auf CNN gesehen, dass Jennifer Lopez für Kamala Harris auftritt und singt, weil natürlich die Latino-Stimmen wichtig sind. Die größte Gefahr für Harris ist ja der Gender Gap, dass nicht genug Männer sie wählen und die Frauen nicht genug Stimmen aufbringen. Taylor Swift, denke ich, könnte dafür sorgen, dass junge Frauen wählen gehen. Auf der Ebene der Wahlmobilisierung lässt sich da sicher was bewegen. Aber dass man Leute noch umstimmt, glaube ich nicht. Trotzdem kann natürlich, wenn die Fronten so verhärtet sind wie bei dieser Wahl, die Mobilisierung von ein paar Hundert oder ein paar Tausend Stimmen wichtig sein.
Kamala Harris wäre die erste schwarze Präsidentin der USA. Eine schöne Vorstellung unter dem Aspekt von Gender und Race! Aber was erwarten Sie konkret von ihr, wenn sie die Wahl gewinnt?
Kamala Harris hat sich sehr darum bemüht, gerade diese beiden Aspekte im Wahlkampf herunter zu spielen. Sie tritt nicht auf unter der Überschrift: Ich bin hier die erste Frau! Auch, dass sie die erste schwarze Frau im Präsidentenamt wäre, will sie nicht zum Thema machen, weil sie denkt, dass es ihr nicht so viel hilft. Sie hat schon darüber gesprochen, dass sie sich für Frauen einsetzt, etwa in der Gesundheitsversorgung, das kennen wir von Obama. Aber auch bei Obama waren viele enttäuscht, dass er nicht mehr gemacht hat für die afroamerikanische Bevölkerung, dass er eben doch nicht ihr Präsident war. Und so ist das jetzt bei Harris wieder. Wenn sie Präsidentin wird, wird sie die Präsidentin aller sein. Sie wird sich nicht profilieren wollen oder können als jemand, der sich für bestimmte Bevölkerungsteile besonders engagiert. Das erwarte ich auch nicht. Was ich erwarte, ist, dass sie gemäß ihrer Agenda, der demokratischen Agenda, fortschrittliche Politik macht. Und dass sie auch eine Sozialpolitik macht, die vielen Amerikanerinnen und Amerikanern, eben auch nichtweißen, zu Gute kommt.
Trump steht für eine Umverteilung von unten nach oben, Kamala Harris für das Gegenteil – oder?
Ja, würde ich schon sagen! Zumindest geht es Harris nach allem, was man hört, um die Stärkung der Mittelschicht, der kleinen Unternehmen, der Familien, homeownership sollen gestärkt werden, also die Möglichkeit, ein eigenes Haus zu erwerben, das sieht man an ihrem Programm sehr deutlich. Bei Trump geht es in die andere Richtung und die Logik, die er dabei vertritt, ist immer auch eine sozialdarwinistische. Da geht’s immer um dieses: „We don’t like losers“ und wer cool ist, gewinnt. Das ist ja, was er toll findet. Und da sieht er sich auch selbst ganz oben. Wenn man da nicht mithalten kann, wenn man verliert, dann ist das eben so, dann ist man selber schuld. Und da hält Harris schon entschieden gegen, indem sie sagt: Man muss für alle gleiche Chancen schaffen. Erstmal. Sie nennt das „opportunity economy“.
Wird eine Präsidentin Kamala Harris sich also mehr um innenpolitische Dinge kümmern (müssen) als der Atlantiker Joe Biden das getan hat?
Schon, aber das wird nicht leicht! Sie wird außenpolitisch Position beziehen müssen gegenüber China. Gegenüber Russland. Sie wird sich natürlich bekennen zur NATO, war zuletzt ja auch häufiger in Europa, u.a. mehrmals bei der Münchner Sicherheitskonferenz, hat da gesprochen. So gesehen, steht sie da schon für eine gewisse Kontinuität zu Joe Biden.
Man muss also nicht schwarz sehen für Deutschland und Europa?
Man muss nicht schwarz sehen für den Fall, dass Kamala Harris gewählt wird! Anders sähe es aus, wenn Trump die Wahl gewinnt. Dann wird es unvorhersehbar. Sie wissen, dass Trump andere Diktatoren toll findet, dass er sich auch da so ein bisschen einreihen möchte. Er ist unpredictable, wie gesagt, und das ist für Strukturen wie die NATO, wie die EU natürlich schwierig – dass man hier jemanden hat, der die Weltordnung in eine Weltunordnung verwandeln will. Er will ja international genau so spalten wie er das in den USA tut.
Dann also doch noch die Frage: Wie geht’s aus?
Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Heike Paul, geboren 1968 in Koblenz, hat Amerikanistik, Politische Wissenschaft und Anglistik in Frankfurt/M. und an der University of Washington in Seattle studiert. Nach ihrer Promotion und Habilitation an der Uni Leipzig folgte sie 2004 einem Ruf an die FAU Erlangen-Nürnberg auf den Lehrstuhl für Amerikanistik. Paul forscht u.a. zu aktuellen Entwicklungen im US-amerikanischen politischen Selbstverständigungsdiskurs. Sie ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Direktorin der Bayerischen Amerika-Akademie, für die sie sich als transatlantische Netzwerkerin engagiert. 2018 wurde sie mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ausgezeichnet. 2021 bekam sie den Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst ("Bayerischer Nobelpreis")