In der Chronologie rechtsextremer Hassverbrechen in Deutschland nach 1945 kommt der 17. 12. 1988 nicht vor. Damals kamen beim Brandanschlag eines Neonazis auf ein überwiegend von Migrant:innen bewohntes Haus in Schwandorf eine türkischstämmige Familie, Vater, Mutter, Kind, und ein Deutscher ums Leben, 12 weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Vor Gericht wurde die Tat bagatellisiert, von offizieller Seite unter den Teppich gekehrt. Der Wahl-Regensburger Florian Wein hat darüber nun ein Stück geschrieben und führt es mit seinem Ovigo-Theater auf, wo und wann immer es geht. Ein Interview
Hallo, Florian! Wir sind hier im W1 Zentrum für junge Kultur in Regensburg. Du spielst hier zweimal hintereinander mit dem Ovigo-Theater dein Stück „SAD-88“ in einer Bearbeitung für Schulklassen. Macht ihr das öfter?
Florian Wein: Tatsächlich ja! Diesmal für die Oberstufenschüler:innen des Albertus-Magnus-Gymnasiums. Am Goethe waren wir schon. Und auch an vielen anderen Schulen, nicht nur in Regensburg und in der Region. Wir waren auch schon in München. Ich verlier da grade ein bisschen den Überblick. Aber es ist toll, dass es so eine Nachfrage gibt!
Wie läuft so eine Schulaufführung von „SAD-88“ ab: Gibt’s eine Einführung? Kann man hinterher Fragen stellen?
Es gibt Materialien zum Stück, die wir den Schulen zuschicken. Es ist dann halt an den Lehrern, wie sie mit ihren Klassen ins Thema einsteigen wollen. Vorbereiten müssen sie die Schüler:innen auf jeden Fall. Es gibt aber auch die Möglichkeit für ein Nachgespräch, was viele nutzen. Da kann man Fragen stellen. Oder wir erklären noch mal was. Manchmal ist es auch so, dass die Kids das Stück erst verdauen müssen – und es wird dann später im Unterricht noch mal nachbesprochen.
Was ist so deine Erfahrung: Haben die Schüler:innen vor „SAD-88“ schon mal was von einem rechtsextremen Brandanschlag in Schwandorf gehört?
Nach dem, was ich an Feedback bekomme, nicht – und wir haben das Stück ja auch schon an Schwandorfer Schulen gespielt! Der eine oder andere weiß vielleicht so vage, dass da „was war“. Aber Konkretes zum Fall? Manche sind richtig geschockt, wenn sie erfahren, dass das quasi vor ihrer Nase passiert ist! Typisch ist auch die Sache mit dem Gedenkstein für die Opfer: Den gibt es zwar mittlerweile. Nur nimmt den in Schwandorf kaum einer wahr.
Apropos: Was ist mit den Erwachsenen? Was würden die sagen, wenn man sie nach dem 17. 12. 1988 fragt?
Wenn jemand aus Schwandorf kommt, sagt ihm vielleicht das Datum was. Aber über die Hintergründe – zum Täter und zur Tat, was dahinter steckte, was für ein Netzwerk der hatte, warum er das gemacht hat – weiß kaum jemand Bescheid. Vielleicht sind es aktuell gerade ein paar mehr, weil wir mit Ovigo in Schwandorf eine Zeitlang wirklich sehr präsent waren und weil’s dann auch oft in der Zeitung war. Aber schon, wenn ich in Regensburg fragen würde, glaube ich, wären die meisten blank. Der Anschlag ist ja auch unter den Teppich gekehrt worden von der Stadt Schwandorf, von der Region und vom Freistaat. Es gibt Zitate von Stoiber und Beckstein, die gesagt haben, sie seien froh, dass es in Bayern „noch keine Todesopfer rechter Gewalt gegeben hat“ – und das 1992! Nicht mal vier Jahre nach diesem Hassverbrechen mitten im Herzen Bayerns. Das ist halt schon krass!
Bei dem Anschlag sind drei türkischstämmige Mitbürger:innen – Vater, Mutter, Kind – sowie ein Deutscher ums Leben gekommen …
Genau.
Was weiß man über den Täter und den Tathergang?
Der Täter war ein stadtbekannter Neonazi. 19 Jahre alt. Er war in der Nacht vom 16. auf den 17. 12. 1988 in Schwandorf unterwegs, um „Ausländer zu ärgern“, wie er vor Gericht sagte. Er hatte eine Streichholzschachtel dabei. Und dieses spezielle Haus in der Schwaigerstraße hat er sich ausgesucht, weil er am Klingelschild viele ausländische Namen gesehen hat. Die Haustür war offen, er kam problemlos hinein, und das erste, was er sah, waren Pappschachteln und Verpackungsmaterial des Elektrofachgeschäfts im Erdgeschoss. Die hat er in Brand gesetzt. Er hat auch gesehen, dass die Wand zum Geschäft nur mit Holz verkleidet war, konnte also wissen, was er anrichtet. Stattdessen hat er, bevor er ging, noch drei Streichhölzer, zu einem zusammengefasst, in den Hausflur geworfen, um eine größere Flamme zu erzeugen. Am nächsten Morgen hat er sich dann in aller Seelenruhe angeschaut, was aus seinem Feuer geworden ist. Er hat die vielen Einsatzfahrzeuge gesehen und wahrscheinlich auch schon die Särge, die mit der Drehleiter aus dem Haus gehoben wurden. Er sei „überrascht“ gewesen, dass alles abgebrannt ist, sagte er später. Zu den Menschen, die im Feuer ums Leben kamen, sagte er nichts. Es waren: Fatma Can, Osman Can und ihr Sohn Mehmet, sowie der Deutsche Jürgen Hübener. Sechs weitere Personen wurden schwer verletzt.
Eine solche Tat und ihre Hintergründe aufzuklären, ist eigentlich die Aufgabe von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Eine Erinnerungskultur können wir als Gesellschaft nur zusammen entwickeln. Beides hat hier nicht wirklich gut geklappt, oder?
Es ist gelungen, den Täter zu ermitteln, Gott sei Dank, das ist das eine. Der Staatsanwalt hat im Prozess eine Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten gefordert, wegen schwerer Brandstiftung. Er hat aber kein Tötungsdelikt gesehen. Dass der Täter Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte, wusste man, wollte es aber ganz offensichtlich nicht zum Thema machen, sondern hat sich auf andere Dinge konzentriert: Dass er Probleme in der Kindheit hatte mit den Eltern, dass er schon in der Schule aufgefallen ist und sich langsam immer weiter radikalisiert hat, dass er die „Ausländer“ nur „ärgern“ wollte. Deshalb war im Verfahren auch nie von vorsätzlicher Tötung die Rede. Und die Stadt wollte das eh von vornherein klein halten.
Wie das?
Es war, wenn man die Berichterstattung zum Anschlag nachverfolgt, ein Brand, wie er halt mal passiert, das ist schlimm. Vier Tote, das ist auch schlimm. Genauso, dass der Täter ein Neonazi war. Aber auch das war schnell wieder vergessen. Und als dann die Forderungen nach einem Mahnmal, einem Gedenkstein, kamen, waren große Teile des Stadtrats mit CSU-Mehrheit dagegen – weil man nicht wollte, dass dieses Mahnmal zu einer „Pilgerstätte für Linksradikale“ wird, wie sie genau so gesagt haben.
Darauf muss man erst mal kommen!
Naja, die Erinnerung an die WAA-Proteste und auch an die RAF waren damals in Schwandorf noch frisch. Man hatte Angst vor „Linken“. Was man aber auch nicht wollte, war, dass man Schwandorf in Zukunft mit Orten „im Osten“ in Verbindung bringen könnte, von denen bekannt war, dass sie Probleme mit Neonazis haben. Meine Meinung dazu ist halt, dass man genau das Gegenteil bewirkt hätte, wenn man in die Offensive gegangen wäre und gesagt hätte: Ja, das ist hier passiert, aber das wollen wir nicht und wir stellen uns klar dagegen. Wir gedenken alle zusammen, CSU, Grüne, SPD usw. Aber, tja. Schwandorf hatte damals eine ausgesprochen konservative Stadtregierung mit Hans Kraus, einem politischen Rechtsaußen in der CSU. Dass der da so eine Linie gefahren hat, war keine Überraschung.
Nochmal zum Prozess: Wir haben gesagt, dass der Täter Neonazi war und dass er Kontakte in die rechte Szene hatte. Tatsächlich war er Mitglied der mittlerweile verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF) und wurde im Prozess von der heute ebenfalls verbotenen „Hilfsorganisation für nationale Gefangenen und ihre Angehörigen“ (HNG) betreut, der auch die NSU-Terrorist:innen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehörten. Wie kommt man da als Gericht dran vorbei?
Das weiß ich auch nicht. Ich kann’s auch nicht verstehen, weil man das ja wusste – es ist ja nicht so, dass das erst hinterher rausgekommen wäre. Man hat es offenbar nicht für wichtig erachtet, dass er Hilfe bekommen hat von der HNG, dass er in der NF organisiert war und dass er nach dem Vorbild der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann eine Wehrsportgruppe in Schwandorf gründen wollte. Vielleicht wollte man bewusst nicht in dieses Wespennest stechen. Vielleicht war es für alle Beteiligten einfacher zu sagen: Einzeltäter, irre geleiteter Spinnerter, verurteilen, weg. Fertig!
Die Einzeltäter-Theorie ist so das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, den Gedanken an eine Bedrohung von Rechts gar nicht erst aufkommen zu lassen. Vom Anschlag aufs Oktoberfest (1980) – ausgeführt übrigens von einem Ex-Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann – über die Mordserie des NSU (2000-2006) bis zum angeblichen „Amoklauf“ im Münchner OEZ (2016) hat sich da fast schon ein Muster herausgebildet. Im Fall des rassistisch motivierten Anschlags im OEZ zum Beispiel räumten die Sicherheitsbehörden den rechtsextremen Hintergrund erst ein, als es nicht mehr anders ging. Ist das nicht seltsam?
Ich kann da auch nur Mutmaßungen anstellen! Beim NSU zum Beispiel war ja scheinbar auch der Verfassungsschutz involviert. Aber sich darüber den Kopf zu zerbrechen, lohnt nicht. Weil es zu nichts führt.

Bevor du „SAD-88“ geschrieben hast, hast du jahrelang auf eigene Faust zu diesem Fall recherchiert. Wann hast du damit angefangen?
2017, als ich auf den Fall gestoßen bin. Ich weiß noch, dass ich die Inschrift auf dem Gedenkstein gelesen habe und dachte: „Was, das soll hier passiert sein?“ Den Gedanken, dass man daraus ein Stück machen könnte, hatte ich sehr früh. Bevor’s dann richtig konkret wurde, kam noch Corona dazwischen. In der Zeit habe ich viele Bücher gelesen. Aber die Idee ging nie weg. Nach Corona hatte ich dann das Gefühl: Ich will jetzt nicht mehr warten, das wird jetzt gemacht und kommt auf den Spielplan. Tatsächlich wusste ich lange nicht, wie das Stück aussehen soll, wie man so einen Brandanschlag darstellt, was man da genau verhandelt – und an der Stelle wurde mir klar, dass es nicht nur um diesen Anschlag gehen kann. Sondern dass man auch die gesellschaftliche Situation von damals einordnen und mit der heutigen vergleichen muss. Das heißt: Es müssen auch die Anschläge, die auf Schwandorf folgten – in Deutschland und darüber hinaus – im Stück zur Sprache kommen. Es muss einen Erklärungsversuch geben, warum man sich manchmal nicht klar positioniert. Warum uns das so schwerfällt. Warum man manchmal lieber wegschaut, obwohl die Sachen direkt vor der Haustür passieren und eigentlich jeden angehen.
Hat dir bei deinen Recherchen jemand geholfen?
Ja, die Stadt Schwandorf war schon unterstützend mit dabei, was Archivsachen und Zeitungsartikel betrifft. Dann gibt’s den Berufsschullehrer des Täters, Günther Kohl, der sehr engagiert war/ ist im Bündnis gegen Rechts und ein super Ansprechpartner war. Und natürlich die Interviewpartner aus dem damaligen und aktuellen Stadtrat, Terrorismusexperten, mit denen ich geredet hab, Engagierte gegen Rechts, aber auch ein CSU-Stadtrat von damals, der heute noch die gleiche Meinung vertritt – nämlich, dass das alles ein Schmarren ist mit dem Mahnmal. Das waren alles wertvolle Stimmen. Und dass ich mit den Hinterbliebenen der Opfer, Leyla Kellecioglu und Markus Hübener, sprechen konnte, dafür bin ich besonders dankbar.
Hat es Widerstände gegeben?
Überraschenderweise nicht. Außer ein paar Kommentaren in den Sozialen Medien. Gerade in Schwandorf gibt’s ja eine sehr stramme rechte Szene, immer noch, da hat sich wenig gebessert, allein die Wahlergebnisse sprechen Bände. Aus diesem Grund haben wir uns im Stück u. a. den Bürgermeister-Kandidaten der AfD vorgenommen, um den Bogen zu heute zu spannen. Aber ich weiß gar nicht, ob der das weiß. Vor der Premiere von „SAD-88“ im letzten Jahr im Schwandorfer Felsenkeller, am Jahrestag des Anschlags, war uns bisschen mulmig – du sitzt da in diesem Felsenkeller halt schon wie in so ner Falle drin. Deshalb hatten wir auch einen Sicherheitsdienst bestellt. Passiert ist aber nichts. Trotzdem muss man natürlich mit Widerständen rechnen, weil wir wollen’s ja auch nicht klein halten, sondern im Gegenteil mit dem Stück schon offensiv nach außen gehen.
Du hast aus deinen Recherchen ein Stück gemacht – weil du an die Kunst als Mittel der politischen Auseinandersetzung glaubst?
Ja, so kann man das schon sagen! Ich glaube, Kunst ist ein gutes Vehikel, um was anzustoßen. Es ist aber auch immer die Frage, wer guckt das Stück. Die meisten, würde ich sagen, sind in einem ähnlichen Gedankenspektrum wie ich, die sind total bewegt, erschüttert, fertig, nachdem sie das Stück gesehen haben. Diese Leute kommen natürlich nicht zu mir und sagen: „Also, ich hab bisher AfD gewählt, jetzt wähle ich sie nicht mehr!“ In einer Aufführung vor 400 Leuten sind aber auch immer drei darunter, wo man sieht: Okay, wenn ich die AfD erwähne im Stück, dann passt das denen nicht.
„SAD-88“ ist jetzt schon ein universales Stück. Mein Gefühl ist, dass man es an den unterschiedlichsten Orten vor den unterschiedlichsten Leuten immer wieder spielen könnte.
Ja, man muss es nur regelmäßig updaten mit Blick aufs aktuelle politische Geschehen. Dann kann man es immer wieder machen. Und es ist immer wieder richtig. Wichtig ist, dass man nicht nur zurückschaut und „erinnert“, sondern auch nach vorne guckt. Dass wir uns überlegen: Wie wollen wir hier leben? Wie wollen wir behandelt werden? Und wie wollen wir die Anderen behandeln? Es wär’ so einfach. Oder: Klingt so einfach. Mein Eindruck ist: Manche stumpfen ab, die eigentlich gar keine Menschenfeinde wären oder gar nicht ausländerfeindlich. Aber wenn man das halt ständig in Facebook liest oder in der „Bild“-Zeitung – hier wieder zehn Tote und da … – berührt es einen irgendwann nicht mehr. Wenn du denselben Leuten aber wirklich klar machst, was da zum Beispiel in Schwandorf passiert ist, was der Täter heimtückisch und mit Absicht gemacht hat, um das Leben von „Ausländern“ auszulöschen, was das auch mit den Angehörigen macht, wie die Menschen gestorben sind – und das Stück ist da ja brutal, soll auch brutal sein, weil es nahe gehen soll – merkt du, dass das einen Unterschied macht. Dass es was Anderes ist als wenn ich in der „Tagesschau“ hör, ja, da sind halt vier Menschen getötet worden bei einem Anschlag. Und jetzt – das Wetter …!
Hast du Angst, dass das Thema rechte Gewalt im politischen Klima unserer Tage noch mehr hochkochen könnte – und hast du das Stück auch deshalb gemacht?
Ich hoffe, ehrlich gesagt, dass die AfD bei den nächsten Wahlen bei acht Prozent landet! Aber es kann auch anders kommen und sie sind plötzlich an der Macht. Wir sind ja kurz davor, so was zu erleben und das ist Vielen, glaube ich, gar nicht klar. Das ist auch ein wichtiger Punkt im Stück – mal zu zeigen, ja was wollen diese Rechten denn eigentlich? Es gibt dazu auch eine kurze Szene, wo’s darum geht: Was wäre denn, wenn die durchsetzen könnten, was in ihrem Programm steht? Passt dir das als AfD-Wähler? Würdest du dich da wohlfühlen in so nem Deutschland? Die Antwort auf die Frage muss sich jeder selber geben!
Über die Uraufführung von „SAD-88“ im Felsenkeller haben wir vorher schon geprochen. Wie hat sich dieser Abend für die Schwandorfer angefühlt, die da waren? Du spielst im Stück ja selber mit und warst entsprechend nah dran …
Das war heftig. Ich weiß nicht, ob du diesen Felsenkeller kennst, aber ungefähr so, wie wir uns hier jetzt gegenübersetzen, so nah bist du dort als Schauspieler am Publikum. Du hast jede Reaktion mitbekommen, jedes Weinen, jedes Schluchzen, jede Äußerung, jedes Erschrecken. Es hat die Leute komplett mitgenommen. Und auch für mich als Schauspieler war’s schwer, meine Rolle zu spielen. Danach war lange Stille. Nachdenken. Verarbeiten. Dann sind wir auf die Bühne gekommen, haben nen Cut gemacht. Es gab viel Applaus. Und mein Eindruck war, dass die Leute dankbar waren, dass wir das gemacht haben.
Dein Stück ist nicht nur emotional fordernd. Es ist auch formal anspruchsvoll: Warum hast du dich für ein multimediales Konzept entschieden?
Weil lange nicht klar war, wie stellt man so einen Brandanschlag dar. Szenisch. Den kann man ja nicht einfach nachspielen. Abgesehen davon wollte ich auch, dass echte Szenen vorkommen, echte Stimmen, denn die Realität ist immer härter und sie berührt die Leute auch mehr. Deswegen wollte ich auch unbedingt, dass die Leyla Kellecioglu selber was sagt in dem Stück und auch der Markus Hübener. Und ich finde auch gut, dass der CSU-Stadtrat sagt, was er damals gesagt hat und bis heute denkt. Der soll das transportieren, auch wenn ich inhaltlich damit wirklich Probleme hab. Das Bühnenbild sollte dann mehr abstrakt sein – und da war ich schnell bei den Pappschachteln und Kartons. Nicht nur, weil der Täter damit das Haus angezündet hat. Sondern auch um meinen (Recherche-)Prozess so ein bisschen darzustellen, wie schwierig das ist, sowas alles irgendwie zusammen zu puzzeln. Wir vier Schauspieler:innen, wir kommen da ja rein in diesen Raum wie Tatortreiniger, in so nem Anzug, und stehen dann vor den Trümmern: Vor den Kartons und vor den Archiven und vor den Ordnern. Wir sollen diesen Fall rekonstruieren, kommen dabei aber vom Hundertsten ins Tausendste. Deswegen hat das schon auch einen symbolischen Charakter: Wir versuchen irgendwie das Ganze in einen größeren Zusammenhang zu setzen, schaffen’s aber nicht wirklich, sondern höchstens bruchstückhaft. Wahrscheinlich hatte ich deshalb von Anfang an im Kopf, dass dieses Stück etwas Collagenhaftes haben muss.

Florian Wein, Jahrgang 1986, gelernter Hörfunk-Journalist, ist Intendant des mehrfach ausgezeichneten Ovigo-Theaters (Bayerischer Amateurtheaterpreis, Heimatpreis Bayern u.a.). Der eingetragene Verein mit aktuell 332 Mitgliedern geht auf eine Schulspielgruppe des Ortenburg-Gymnasiums in Oberviechtach zurück, die in den 1970er-Jahren mit Stücken wie "Der Spitzel" nach Bert Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reichs" auf sich aufmerksam machte. Diese Leidenschaft fürs Theater lebt Ovigo heute mit einem bunten Programm und bis dato 812 Aufführungen an 136 Spielorten. Für "SAD-88" konnte man jetzt sogar die Schauspielerin Anna Maria Sturm für eine Gastrolle gewinnen, deren Mutter Irene Maria Sturm eine der treibenden Kräfte im Ringen um ein angemessenes Gedenken für die Opfer des Anschlags vom 17.12.1988 gewesen ist. Am Pfingstsonntag zeigt Ovigo das Stück auf Einladung des Städtischen Bühnen Regensburg im Antoniushaus (www.theater-regensburg.de)




