Der Hamburger Filmemacher Jan Christoph Schultchen, selbst Genosse, hat eine Doku zum aktuellen Zustand der SPD gedreht. „Unten – Im Ortsverein“ zeigt die Entfremdung zwischen Basis und Partei-Establishment, wie sozialdemokratische Grundwerte und Überzeugungen im Regierungshandeln verschliffen werden – und wie sich vor allem die Jungen gegen den Ausverkauf ihrer Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit wehren. Sie würde „jetzt nicht überall stolz rum erzählen, dass ich in der SPD bin“, sagt eine Jungsozialistin: „Dafür läuft da einfach zu viel schief.“ Aber: „Die Hoffnung bleibt!“ Das Gespräch zum Film

Herr Schultchen! Wie geht’s der SPD: Läuft? Läuft nicht?

Jan Christoph Schultchen: Ach, da läuft gar nichts! Und ehrlich gesagt bin ich meiner Partei richtig böse. Aber ich bin ja genau aus dem Grund dabei, weil ich mit Vielem überhaupt nicht einverstanden bin – und das von innen verändern will. 

Was von dem, was die Partei auf Regierungsebene abliefert, ist an der Basis kaum oder gar nicht vermittelbar?

Ja, das ist genau das Problem! Ich bin ja Ortsvorsitzender gewesen, jetzt noch Stellvertreter. Ich steh auf den Marktplätzen, mach Infostände, um sichtbar zu sein, und was ich erlebe, ist, dass man beschimpft wird: „Korrupte Bande! Früher SPD. Immer gerne. Aber jetzt? Kein Bock mehr!“ Ich war jetzt länger nicht mehr draußen, kann deshalb nicht sagen, was die Leute aktuell erbost. Aber es ist schon so: Du kommst dir wie Freiwild vor, wenn du da stehst. Wie außerhalb der Gesellschaft. Einfach nicht Ernst zu nehmen.

Früher war mehr Lametta: Weihnachten im SPD-Ortsverein Hamburg-Bergedorf

In der SPD erfolgt die Willensbildung „von unten nach oben“. Also, laut Statut. Wo und wann ist da was schief gelaufen? 

Das ist das, was mich interessiert, wo ich selber sozusagen forschend bin, und es ist auch der Grund, warum ich diesen Film gedreht habe: Aus eigener Betroffenheit. Ich bin in die SPD eingetreten, als Kevin Kühnert dazu aufgerufen hat, gegen die GroKo zu stimmen. Da habe ich gesagt: Ja! Jetzt kriegen wir eine linke Partei! Die hat die Erneuerung versprochen. Jetzt wird es besser. Jetzt kriegen wir eine wirkliche soziale Politik. Jetzt geht es wirklich um die Grundwerte, um Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit für diese Gesellschaft. Dann kam die GroKo – und plötzlich war das alles nichts mehr wert. Und im Ortsverein ist die Fallhöhe noch mal eine andere: Du kommst da hin, willst dich für diese Grundwerte einsetzen. Aber das spielt da überhaupt keine Rolle. Andere Parteien tun sich da leichter …

Inwiefern?

Naja, die CDU tut, was sie predigt, kümmert sich um die Wirtschaft. Die Grünen tun, was sie predigen, kümmern sich um den Umweltschutz. Die FDP tut was sie predigt, kümmert sich um ihre Klientel. Die AfD tut, was sie predigt: Ausländer raus! Die SPD predigt Frieden und Gleichheit und macht im Regierungshandeln konsequent das Gegenteil. Wohlwollend könnte man sagen: Sie verhindert das Schlimmste. Das ist ja immer so dieses Moment: Ohne die SPD wär’s noch schlimmer. Aber was das mit der Partei macht, ist eben schlecht: Wir steuern auf die Fünf-Prozent-Hürde zu! Werden immer unglaubwürdiger und unglaubwürdiger. Wir kriegen ne Aufrüstung, die nicht von dieser Welt ist. Wir kriegen wieder Hartz IV. Wir müssen sagen, dass wir Politik für die Fleißigen machen – und das hat halt alles nichts mit dem zu tun, was die SPD eigentlich sein will. Zumindest unten an der Basis sieht man das so, dass durch das Regierungshandeln alles wieder eingerissen wird, was man unten aufgebaut hat. 

Muss wohl, ja. Ich versteh zum Beispiel nicht, warum mir jetzt auch noch die SPD weismachen will, dass es an den Arbeitslosen liegt, wenn es in der Wirtschaft nicht läuft.

Damit sind Sie nicht allein! Ich erleb das ja, wenn ich meinen Film zeige wie zuletzt in Hamburg, wenn sich da die Kritiker versammeln und eine Stimme bekommen und wir uns gegenseitig versichern, was unsere Grundwerte sind und dass wir uns da mehr drum kümmern müssen. Das hat zuletzt wirklich gut funktioniert. Auch der Film ist ja aus kritischem Geist gemacht. 

Ich versteh auch nicht, warum man eine Asylpolitik mit macht, die nicht nur bewusst gegen geltendes Recht verstößt, sondern immer noch zynischer und menschenverachtender wird.

Das geht uns an der Basis allen so! Gerade haben wir zum Beispiel einen Antrag geschrieben, dass die ehemaligen Ortskräfte, die in Afghanistan für deutsche Organisationen gearbeitet haben und nach der Rückkehr der Taliban nach Pakistan geflohen sind, sofort – wie versprochen – da raus geholt werden müssen. Dass man die Verträge mit ihnen einhält. Beim Kreisparteitag machen wir dazu noch einen Initiativantrag, um ein Zeichen zu setzen. 

Letzte Woche war zu hören, dass sich nun auch die SPD sich mit dem Thema Mietwucher beschäftigen will – Jahre, nachdem Die Linke angefangen hat, das Thema zu beackern und damit (erfolgreich) Wahlkampf zu machen. Und was sagt es eigentlich über die SPD, wenn ihr der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe in der Union erklären muss, dass Minijobs Müll sind und abgeschafft gehören, weil sie direkt in die Altersarmut führen?

Vom Programm her ist mir Die Linke auch näher als die SPD! Dass ich in der SPD bin, ist nicht, weil ich die Partei so liebe. Der Impuls war eigentlich: Dieses Skelett ist super, die Organisation ist super, wenn die wollen, dass wir in Berlin demonstrieren, stehen da morgen früh drei Busse. Das ist so ein Apparat, der an sich schon großartig ist, mit Grundwerten, die ich teile. Das ist ein gutes Skelett. Aber da muss komplett was Neues druff!

Ehrlich gesagt, bewundere ich die Genoss:innen, die weiter bei der Stange bleiben und unermüdlich für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit trommeln. War das so die Idee Ihres Films, diese Leute zu featuren?

Schon, ja. Ich hab ja gesehen, was los war nach der Bundestagswahl, als wieder für die GroKo geworben wurde. Ich hatte paar Einladungen angenommen zu Veranstaltungen. Da waren dann so alte Sozis mit weißen Köpfen und ich dachte schon: „Oha, wo bin ich da rein geraten?“ Aber die waren alle auf Zinne! Da war keiner irgendwie in Aufbruchsstimmung. Die waren alle wütend. Die waren alle sauer. Die wollten was verändern. Da gab’s Debatten-Portale, wo am Anfang noch ein Lars Klingbeil geantwortet hat. Aber das ist alles im Sande verlaufen. Da ist nichts draus geworden. Was raussprang für die SPD, waren ein paar Dienstwagen. Aber ich wär ehrlich gesagt lieber in der Opposition.

Im Film sieht es so aus als hätten die Macher vom Schlage Klingbeil die Zuständigkeit für die klassischen Themen der SPD an die Jusos outgesourct. Echt jetzt? Das führt doch nur dazu, dass am Ende des Tages wieder eine Vielzahl engagierter junger Menschen der Politik desillusioniert den Rücken kehrt, meinen Sie nicht?

Ja, das wirkt wie ein Tritt: „Lass die mal machen!“ Die kriegen so ihren Sandkasten. Haben ja auch eigene Strukturen und sind da unter sich. Die Jusos kommen zwar schon auch in den Ortsverein, gehen da hin und sind da auch sichtbar. Das sieht man ja auch im Film. Sie arbeiten da auch mit. Aber offen sprechen sie nur in ihren eigenen Zusammenhängen, untereinander oder auf Social Media. Das läuft tatsächlich so getrennt – und das ist natürlich schade, weil es der Partei extrem gut tun würde, wenn die Jungen in allen Runden säßen, in den Ortsvereinen und mit den Alten zusammen. Aber, tja: Wenn du in so nem Ortsverein sitzt und über Polizeigewalt reden willst und da sitzt dann so ein alter, pensionierter Polizist – das geht dann halt nicht.

Parteinachwuchs beim Bosseln: „Komplett was Neues druff“

Sie sind selbst stellvertretender Vorsitzender eines SPD-Ortsvereins in Wentorf in Schleswig-Holstein. Ihren Film aber haben Sie in Hamburg-Bergedorf gedreht. Warum? 

Das war erst gar nicht so geplant. Ich wollte den Film eigentlich in meiner Heimat machen, in einem Ortsverein in der Fläche, weil das typischer ist – die Ortsvereine in der Stadt sind doch sehr vom jeweiligen Stadtteil geprägt. Ich hatte mir sogar schon einen Ortsverein in der Fläche ausgeguckt und die hatten auch schon Beschlüsse gefasst, dass sie den Film unterstützen wollen. Aber dann habe ich festgestellt, dass es da so gut wie keine Jusos gibt. Also, eigentlich nur zwei und die waren auch nicht grade progressiv. Ich hab dann bisschen recherchiert, warum das so ist, und da hieß es: „Ja, die Jungen, die gehen alle nach Bergedorf.“ Die Bergedorfer Gruppe hat in der Zeit alle Jusos aus der Gegend angezogen. Die haben einen eigenen Raum und eigene Strukturen. Sie haben einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn, sind sehr links und haben sehr viel gemacht, viel Antifaschismus, die waren richtig, richtig aktiv. Das kannst du mit zwei Jusos im Ortsverein nicht machen. Deshalb bin ich denen hinterher gereist. Dazu kommt: Bergedorf ist meine alte Heimat. Ich bin da aufgewachsen, kenn mich da aus. Ich wusste sofort, wovon die alle reden und was die für Probleme haben. Und auch nicht unwichtig: Ich bin in fünf Minuten mit dem Auto da. Ich hab diesen Film ja wirklich mit extrem viel Zeit gemacht, ohne Geld, nur mit meinem Equipment, hab nebenbei das bescheidene Erbe meiner Freundin verbrauchen dürfen. Aber irgendwie konnte ich auch nicht aufhören, daran zu arbeiten, weil das immer spannender wurde, sich immer weiter entwickelte. Der Film war eigentlich schon dreimal fertig. Aber dann habe ich doch noch die Bundestagswahl angehängt …

„Unten – Im Ortsverein“ beschreibt exemplarisch den aktuellen Zustand der SPD: Die alten Kämpen jenseits der 70 können nicht mehr. Die „Macher“ in ihren 40ern und 50ern wirken professionell, glatt und nicht wirklich nahbar. Die Jungen (zitiere) „schreiben Anträge, die es oft sogar bis zum Landesparteitag schaffen, aber dann von der Antragskommission so verwässert werden, dass man die ursprüngliche Fassung darin nicht wieder erkennt“. Das klingt nicht wirklich ermutigend.

Nein. Zwischendurch klingt hier tatsächlich so das Dystopische durch. Ein Anderer sagt ja auch, dass sie an vielen Stellen zwar die Entscheidungen beeinflussen, die dann auch weiter fließen – „aber man fragt sich, wohin die am Ende fließen“. Und das ist genau das Elend. Ich hab auch schon mal einen Antrag geschrieben zur Rekommunalisierung des Krankenhauswesens. Vor der ganzen Diskussion. Den haben wir direkt ausm Ortsverein an den Bundesparteitag gestellt und der ist dann auch wirklich, halbwegs erkennbar, in das Zukunftsprogramm zur vorletzten Bundestagswahl geflossen. Da stand dann tatsächlich drin, dass wir das wollen, dass Krankenhäuser rekommunalisiert und vom Kommerzzwang befreit werden, aber in der folgenden Ampel-Koalition ist das dann untergegangen. Hätte es die SPD damals über die 50 Prozent geschafft, wäre das Regierungshandeln geworden! Also: Die Wege funktionieren schon. Man muss nur sehr, sehr viel Arbeit investieren und lange, lange dieses Brett bohren und immer wieder sich Bündnisse suchen. Dann geht das auch. Aber es ist halt wahnsinnig viel Arbeit, die man als Feierabend-Politiker leisten muss gegenüber hochorganisierten Anwaltskanzleien, die da Lobbyarbeit betreiben und über ganz andere Ressourcen verfügen. Das System ist schon offen und durchlässig. Nur die Chancengleichheit ist eben nicht da in den Mitteln. Und das erzeugt ein Gefühl von Machtlosigkeit. 

Im Film sagen viele junge Genoss:innen viele kluge Sachen. Man vermisst sie und ihre Stimmen schon, bevor er zu Ende ist. Ist Ihnen das auch so gegangen?

Ja, das ist natürlich herzerwärmend … deshalb habe ich da auch gern den Fokus drauf gelegt! Ich meine: „Ortsverein“ heißt der Film. Aber man merkt ziemlich schnell, der Ortsverein ist überhaupt nicht das, was die Partei ausmacht. Klar, wenn man eintritt, ist man im Ortsverein. Aber dann geht’s schon los: Da gibt’s AGs, das gibt’s die Jusos und diese AG 60plus. Das diversifiziert sich unheimlich, was man da für Möglichkeiten hat, mitzumachen und sich einzubringen. Man ist nicht auf den Ortsverein angewiesen. Der ist zwar wie so ein roter Faden immer da. Man geht da hin zur Weihnachtsfeier. Und dann werden da ja noch die ganzen Wahllisten aufgestellt: Im Ortsverein geht diese Ochsentour los, dass man sich für ne Gemeindewahl aufstellen lässt. Weiter geht’s mit dem Kreistag, wo auch kein Mensch weiß, dass es sowas gibt. Dann wählen wir im Ortsverein die Delegierten, die zum Kreisparteitag fahren, wo wiederum die Delegierten für die Landeswahlkonferenz gewählt werden. So geht das immer weiter, damit alles irgendwie legitimiert ist von der Basis. Das ist auch das Anstrengende: Diese komplizierten Sitzungen, die dann rechtssicher sein müssen, damit auch alles seine Ordnung hat. Aus solchen Strukturen gehen dann Leute wie Olaf Scholz hervor. Da sieht man, wie sich die Dinge verselbständigen …

Wieder nix: Kehraus im Plakatkeller, nach zwei verlorenen Wahlen

Interessant fand ich, wie man sich bei den Jusos erklärt, warum die SPD bei ihrer Kernklientel keinen Fuß mehr auf dem Boden kriegt: Weil (ZItat) „in der Partei heute vor allem Leute aktiv sind, die in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren total von der SPD-Regierung profitiert haben. Das sind alles Aufsteiger:innen, arriviert, die sind jetzt Mittelschicht, obere Mittelschicht. Denen geht’s gut. Die haben Zeit und Ressourcen, sich einzusetzen in dieser Partei und Politik zu machen und die tun das auch – schon irgendwie durch die soziale Brille, aber halt von ihrem Standpunkt aus. Leute, die bei Aldi an der Kasse sitzen und so, haben diese Zeit und diese Energie nicht. Wenn die sich aber nicht einbringen können, darf man sich auch nicht wundern, dass bei uns am Ende eine Politik rauskommt, die nur so ungefähr deren Sachen machen will. Weil wir sie nämlich nicht verstehen.“

Das ist auch tatsächlich so! Ich glaube nicht, dass wir viele in unseren Reihen haben, die wissen, wie es sich anfühlt, prekär zu leben in dieser Gesellschaft. Vielleicht ist es auch das Problem der Linken und der SPD, dass es immer noch nicht gelungen ist, eine Gesellschaft zu beschreiben oder gar konkrete Maßnahmen zu benennen, die geeignet wären, uns der Gleichheit irgendwie näher zu bringen. Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge zum Beispiel kann man sich auf die Fahne schreiben – das ist erlaubt. Das ist ne gute Sache. Warum muss ein Krankenhaus Aktionäre ernähren, wenn es dafür eigentlich gar nicht da ist? Das ist doch verrückt. Jeder weiß es, alle leiden darunter außer denen, die es sich leisten können und die davon profitieren. In der Welt, in der ich leben möchte, wäre diese komplette Daseinsfürsorge vergesellschaftet oder wenigstens vergenossenschaftlicht. Also nicht nur Gesundheit, auch Wohnen, Lebensmittel, Telekommunikation, Bankwesen, Transport. Das kann man ja alles vergesellschaften und dafür sorgen, dass das wieder billig ist, indem man es vom Kommerzzwang befreit. Das ginge. Dann bräuchte es auch keine riesigen Gehälter, dann kannst du auch so gut in dieser Gesellschaft  leben – wenn du keine irrsinnigen Gebühren für alles Mögliche zahlst und wenn die Sachen funktionieren: Ne Post, die kam, ne Bahn, die kam, wir hatten das ja alles mal …

Können Sie eigentlich den Namen Zohran Mamdami noch hören?

Naja, ich weiß von dem ehrlich gesagt nicht viel. Bei uns wär der wahrscheinlich auch nur so’n Konservativer – die haben da in den USA ja ihr eigenes Problem mit Sozialismus. Ich hab mich gefreut, dass er in New York zum Bürgermeister gewählt worden ist. Aber mehr so anekdotenhaft. So richtig durchschaue ich nicht, was da passiert.

Aus dem Stand, mit einem Kümmerer-Wahlkampf und glasklaren sozialdemokratischen Ansagen in die erste Reihe wie Mamdami: Sowas könnte es in der SPD nicht geben. Oder irre ich mich?

Das ist genau, was ich mich frage: Warum es das nicht gibt? Ne SPD, die sagt: „Ich will das bedingungslose Grundeinkommen“, die möchte ich mal sehen und ich glaube, die würde gewählt werden. Aber sie tut’s halt einfach nicht. Das ist ja das Irre, dass man diese wahnsinnig naheliegenden Sachen … dass die nicht nach vorne kommen. Dass man sich immer mit diesen kleinen Pflastern begnügt, die da auf die größten Missstände geklebt werden. Und dass die wahren Probleme – und das ist eigentlich die Fallhöhe dieses Films – nicht angegangen werden. Dass man sagt: So, wir haben hier Vermögenskonzentration, wir haben Klimawandel, wir haben wieder Krieg. Das sind doch die wahren Probleme, um die man sich kümmern müsste! Und dann sitzt du da im Ortsverein und musst dich mit dem neuen Zebrastreifen auseinandersetzen. Das kann man ja auch. Aber schon, wenn man nur mal von „den Reichen“ spricht, kommen Leute und regen sich auf: „Wieso sagst du’n das? Das kann man so nicht sagen.“

Ich denke, solche inneren Widersprüche und wie hier eine Partei sich selbst im Weg steht, ist schon ein Problem. Und wahrscheinlich ist es auch der Grund, warum viele Genoss:innen, die eigentlich für die Zukunft der SPD stehen, ein gespaltenes Verhältnis zur Partei haben. „Ich fühle mich wohl in Bergedorf, weil es hier sehr viele Linke gibt“, sagt eine junge Frau im Film: „Aber ich würde jetzt nicht überall stolz rum erzählen, dass ich in der SPD bin. Dafür läuft da einfach zu viel schief…“

Ja, ich lauf auch nicht mit nem SPD-Shirt rum und steck mir auch diese Nadel nicht an außer bei offiziellen SPD-Empfängen. Weil: Für das Regierungshandeln der SPD kann man sich eigentlich nur schämen. Was „unten“ passiert, wie die Leute denken, ist in Ordnung. Es ist alles da. Aber irgendwann ist das dann halt Kapitalismuskritik, mit der man anfangen muss. Dass alles nach Geld geht. Und wie man da wieder raus kommt.

Letzte Frage: Wo kann ich Ihren Film sehen? 

Das breitet sich grade so ein bisschen graswurzelmäßig aus. Es gibt schon eine Menge Vorstellungen vor allem im Norden. Wir waren jetzt in Dresden, Leipzig, Chemnitz. Da haben die Ortsvereine sich zusammengetan, große Kinos dafür begeistert und richtig gute Veranstaltungen gemacht mit Parteienforschern, Diskussionspodium etc, alles ganz großartig, gut besucht, mit gutem Feedback. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Büro Nord, hat den Film in Hamburg gezeigt, dann kommt Bremen und Kiel. Mein eigener Kreis hat ein sehr schönes Kino gefunden. Und noch eins und noch eins. Es gibt ganz viele Ortsvereine, die den Film jetzt zeigen – in Köln, Nürnberg, im Osten. Das Willy-Brandt-Haus will ihn sich angucken. Es gibt leider keine große Liste, wann er wo läuft. Man muss tatsächlich ein bisschen googlen. Aber das ist halt, was ich hoffe: Dass da draußen ein paar Leute sich dafür interessieren, was wir tun – dass in der SPD eben nicht lauter korrupte und böse Menschen sind, sondern, dass da eigentlich ganz gut gedacht wird. Wenn das gelingt und sogar noch Leute daraufhin einsteigen, wär das super.

Danke fürs Gespräch! 

Filmemacher Schultchen, Bergedorfer SPD: Hat da jemand Basis gesagt?
Jan Christoph Schultchen, Jahrgang 1964, hat Kommunikationsdesign studiert. Er arbeitet freiberuflich fürs Fernsehen, dreht Dokumentarfilme, Commercials und Musikvideos, macht Fotokunst und Portraitfotografie. In der SPD engagiert er sich seit 2017. Er lebt nahe Hamburg