Eine Ausstellung in Regensburg zeigt Werke afghanischer Künstlerinnen: Heimlich angefertigt, mit hohem Risiko über Iran nach Deutschland gebracht, die Botschaft ein Hilferuf. Soziologe Ahmad Wahidy über das Schreckensregime der Taliban, die fortschreitende Entrechtung von Frauen und Mädchen – und wie er mit dem afghanisch-deutschen Projekt „Hope in Darkness“ versucht, den Opfern der Barbarei eine Stimme zu geben
Mögen Sie sich kurz vorstellen?
Ich bin Ahmad, Soziologe, war Dozent an der Universität in Herat in Afghanistan und lebe seit zwei Jahren in Deutschland.
Was verbindet Sie noch mit Afghanistan?
Meine Familie lebt noch dort, also meine Eltern und meine fünf Geschwister. Ab und zu telefonieren wir miteinander und sie erzählen mir von der Situation im Land, die sich seit der Rückkehr der Taliban 2021 ständig verschlimmert.
Wie sind Sie zu Hope in Darkness gekommen?
Ich hab mich schon an der Uni in Herat mit den sozialen Problemen in Afghanistan beschäftigt. Aber es hilft nichts, nur darüber nachzudenken, die Situation zu reflektieren. Man muss auch agieren. Also hab ich im Rahmen von Forschungsprojekten viel mit Leuten gesprochen. Ich hab sie auch gefragt, was ihrer Meinung nach passieren müsste, damit sich ihr Leben zum Positiven ändert. Aber da blocken viele ab. Die Angst, dass man im Gefängnis landet, wenn man sich kritisch äußert, ist groß – und allein diese Angst kostet viel Energie. Also hält man sich zurück. Es waren dann die Frauen, die wir befragt haben, die uns darauf gebracht haben, dass es zielführender sein könnte, nicht nur mit den klassischen, empirischen Methoden zu arbeiten. Über Kunst, sagten sie, können sich die Menschen vielleicht besser mitteilen, denn Kunst braucht keine Sprache. Sie spricht für sich. Daraufhin haben wir Hope in Darkness gegründet.
Sie haben über 40 Arbeiten von Künstlerinnen aus Afghanistan mit nach Regensburg gebracht. Unter welchen Umständen sind diese Bilder entstanden?
Erst hatten wir 37 Bilder. Dann haben wir das Projekt weiterentwickelt, da waren es 60. 45 davon sind jetzt hier und das ist eine ganze Menge, denn man muss wissen, dass die Taliban den Frauen nicht erlauben zu arbeiten. Und zur Kunst haben sie sowieso ein gespaltenes Verhältnis: Sie gilt als Praxis des Westens und existiert nicht im Islam – wobei im Koran dazu nichts steht und auch nicht im Hadith (den überlieferten Aussprüchen des Propheten Mohammed, Anm. d. Red.). Die Taliban interpretieren solche Dinge einfach hinein. Sie benutzen die Religion als Werkzeug, um ihr System der Unterdrückung zu rechtfertigen. Die Bilder der Ausstellung sind deshalb alle im privaten Rahmen entstanden. Heimlich.
Wovon erzählen sie?
Die Frauen beschreiben ihre Situation: Es geht um Freiheit. Es geht um Bildung. Es geht um Frauen- und um Kinderrechte.
Wie haben Sie die Bilder aus Afghanistan heraus gebracht?
Das war natürlich sehr gefährlich. Aber einige aus unserem Team in Afghanistan haben diese Verantwortung auf sich genommen. Sie haben die Bilder erst quer durchs Land, vorbei an den Kontrollposten der Taliban, nach Teheran gebracht. Und von da nach München geschickt.
Die Künstlerinnen bleiben anonym. Welche Folgen hätte es für sie, entdeckt zu werden?
Es würde passieren, was allen Leuten passiert, die sich gegen die Taliban stellen: Sie nähmen die Frauen einfach mit. Niemand weiß wohin und was sie mit ihnen machen. Niemand kann auch dagegen klagen, weil es keine Rechtspflege und keine juristische Organisation im Land gibt, die sich darum kümmert.
Nach ihrer Rückkehr an die Macht 2021 haben die Taliban der Weltöffentlichkeit versprochen, die Rechte der Frauen nicht anzutasten. Was ist danach passiert?
Die Taliban haben gerade jetzt, vor ungefähr zwei Monaten, ein neues Gesetz verabschiedet, das nicht nur die Frauen, sondern die Gesellschaft insgesamt noch mehr in ihren Rechten beschneidet. Dafür gibt es keinerlei Legitimation, niemand hat das Recht dazu, denn die Menschenrechte, um die es dabei geht, sind nicht verhandelbar! Es gibt unter den Taliban kein demokratisches Leben in Afghanistan – und am meisten leiden die Frauen darunter. Sie dürfen nicht studieren. Haben keinen Zugang zu Bildung, zum Gesundheitssystem, aber auch keine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und ihre Rechte einzuklagen. Mittlerweile sind den Frauen sogar die elementarsten Dinge untersagt: Sie dürfen nicht ins Restaurant gehen. Nicht Auto fahren. Nicht allein reisen. Frauen bis 45 bekommen keinen Reisepass.
Wenn die Meldungen stimmen, dürfen sich afghanische Frauen in der Öffentlichkeit jetzt nicht mal mehr laut unterhalten. Auch Lachen ist verboten – mit der Begründung, es könnte Männer irritieren. Was dürfen die Frauen in Afghanistan überhaupt noch?
In einem Satz: Nichts von dem, was Männer dürfen! Das heißt, sie dürfen auch keinen Sport treiben, keine kulturellen Veranstaltungen besuchen oder organisieren und keine eigene kulturellen Aktivitäten entwickeln. Sie dürfen an keinen Konferenzen teilnehmen…
Auch nicht (mehr) journalistisch arbeiten?
Nein.
Mit anderen Worten: Frauen und Mädchen in Afghanistan werden systematisch entrechtet, isoliert und unterdrückt …
Nicht nur systematisch, auch systemisch! Alle Büros, die in Afghanistan funktionieren, das Bildungsministerium, das Außenministerium, das Gesundheitsministerium usw. haben die Rechte der Frauen stark eingeschränkt.
Wie kann man unter solchen Bedingungen so etwas wie Alltag leben?
Das Problem ist: Es wird immer noch schlimmer. Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht nur auf die Städte gucken. Denn mehr als die Hälfte der Einwohner Afghanistan lebt auf dem Dorf, wo es Frauen ohnehin schwer haben, wenn sie aus der für sie vorgesehenen Rolle ausbrechen wollen. Auf dem Land geht es oft noch sehr archaisch zu – und wenn die Taliban dann noch ihr Recht über alles stellen, haben Frauen und Mädchen so gut wie gar keine Chance, ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu leben.
Was macht das mit den Frauen und Mädchen?
Es ist ein Gefängnis, in dem den Frauen nur die Hoffnung bleibt, dass irgendwo irgendwie irgendjemand in der Weltgemeinschaft Verantwortung übernimmt und versucht, die Situation zu ändern. Wenn ich mit meiner Schwester zum Beispiel spreche, sie ist Zahnärztin – war Zahnärztin! – erzählt sie, dass sie ihren Patient:innen nur noch über eine Telegram-Gruppe Tipps für die Zahnhygiene geben kann. Die Klinik, in der sie zuvor gearbeitet hat, wurde mehrere Male von den Taliban gestürmt. Dabei haben sie auch meine Schwester rausgeworfen.
Was wir hier sehen, ist ein fortgesetzter, eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte, ein monströses Verbrechen an Frauen – begangen von Männern.
Es ist erschreckend, ja. Die Taliban haben zum Beispiel den Lehrplan an Schulen und Universitäten geändert. Sie haben eigene Schulen gegründet, die die Mädchen nur bis zur sechsten Klasse besuchen dürfen. Gleichzeitig bringt man den Jungs bei, dass Frauen nicht mit Männern reden dürfen. Oder dass sie (zum Beispiel) nicht Ärztin werden dürfen. Nur: Wenn eine Frau nicht von einem Mann untersucht werden darf, wie das Afghanistan vorgeschrieben ist, und Frauen nicht studieren dürfen, wie soll dann die Gesundheitsvorsorge für Frauen funktionieren?
Sie haben vorhin von der Weltgemeinschaft gesprochen: Was machen die Vereinten Nationen? Was kommt von den Menschenrechtsorganisationen?
Kennen Sie eine Menschenrechtsorganisation in Afghanistan? Geben Sie mir den Namen! Ich kenne keine. Ich kenne Leute in Initiativen, aber die machen jetzt Projekte, die die Taliban erlauben – zum Beispiel in der Notfall-Assistenz.
Kann überhaupt jemand den Terror stoppen?
Es geht um eine generelle Verantwortlichkeit. Die Internationale Gemeinschaft wäre, denke ich, gut beraten, wenn sie weniger im Umsturzmodus dächte – also wie man dem Regime der Taliban ein Ende machen kann – und sich mehr auf den Schutz der Menschen und vor allem der Frauen konzentrieren würde. Sonst terrorisieren die Taliban die Frauen noch mehr. Tatsächlich wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Frauen in Frauengruppen treffen, einander helfen und Möglichkeiten für wirtschaftliche Aktivitäten entwickeln könnten. Das könnte ihn wieder Hoffnung geben und eine Perspektive.
Deutschland hat sich eine „feministische Außenpolitik“ auf die Fahnen geschrieben. Kommt davon in Afghanistan etwas an?
Ich weiß nicht, inwieweit und wie sich Deutschland da in der internationalen Zusammenarbeit positioniert und engagiert. Klar ist aber: Politik ist immer Politik, um es mal so zu sagen.
Was kann Hope in Darkness konkret bewirken?
Die Frauen, die bei dem Projekt mitgemacht haben, verbinden damit große Hoffnungen. Sie hoffen, dass es da draußen Personen gibt oder auch Organisationen, die es möglich machen, dass sie einen Zugang zu Online-Bibliotheken bekommen, um nur ein Beispiel zu nennen. Oder auch zu Online-Ausbildungen. Oder dass es ein Projekt gibt, wo sie zusammen daran arbeiten und Geld verdienen können. Unsere Aufgabe ist es, ihnen eine Stimme zu geben. Und vielleicht ergeben sich Wege, wie wir mit den Frauen in Afghanistan arbeiten können. Obwohl das sehr gefährlich ist.
Bekommen Sie das selber auch zu spüren?
Es ist immer gefährlich, gegen eine Regierung zu arbeiten, ob das nun die Taliban sind oder andere undemokratische Regierungen. Auch demokratisch gewählte Regierungen sehen das nicht automatisch gern. Aber in dieser extremen Situation, wie wir sie aktuell in Afghanistan haben, ist es natürlich erst recht möglich, dass etwas passiert.
Um die Hilfe für die Frauen bestmöglich zu organisieren, haben Sie hier in Deutschland einen Verein gegründet, die FIDA (Facilitating Inclusive Development for Afghanistan). Das heißt, dass man auch Geld spenden kann, um Ihr Projekt zu unterstützen?
Ja! Das Geld aus den Spenden ermöglicht es uns, dass wir weiter Ausstellungen machen können, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und hoffentlich irgendwann auch in den USA. Die Vereinigten Staaten sind ein Machtfaktor in der Welt – vielleicht können sie die Situation ja beeinflussen und verändern. Mit dem Geld aus den Spenden können wir auch weiter forschen, um heraus zu bekommen, wo wir noch ansetzen können, um die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, und die Resultate dann auch an andere Organisationen und Multiplikatoren ausgeben. Speziell für die Künstlerinnen des Hope in Darkness-Projekts wäre es wichtig, wenn wir ihnen Kontakte zu Künstlerinnen in Europa oder in den USA machen könnten, um auf diese Weise vielleicht auch einen Markt zu schaffen für ihre Kunst.
Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland wissen, wie das Leben und der Alltag afghanischer Frauen unter den Taliban aussieht, welchen Zwängen und Reglementierungen sie unterworfen sind? Und dass es sie interessiert?
Schwer zu sagen! Das hängt ja auch immer davon ab, wie die Medien darüber berichten. Aktuell gibt es so viele Kriege und Krisen in der Welt, dass sich der Fokus ständig verschiebt und ein Land wie Afghanistan und die Zustände dort schnell in Vergessenheit geraten. Umgekehrt kann man sich auch als politisch interessierter Mensch nicht ständig auf alle diese Dinge gleichzeitig konzentrieren. Mein persönlicher Eindruck bei den Ausstellungen ist, dass die Menschen nicht wirklich eine Vorstellung haben von der Situation in Afghanistan. Und nicht jeder interessiert sich dafür. Viele sind womöglich auch mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Die Welt ist chaotisch!
Die Ausstellung Hope in Darkness konfrontiert uns mit dem Schmerz, der Trauer, der Wut, auch mit den Hoffnungen, Wünschen und Forderungen der Künstlerinnen, die die Bilder gemalt haben. Wie reagieren die Leute darauf?
Manche schreiben uns und bitten darum, dass wir die Briefe, Mails etc. an die Künstlerinnen weiterleiten. Das ist ein Geschenk und wirklich sehr wichtig, weil die Frauen sehen, sie sind nicht allein. Sie können selber nicht offen gegen die Taliban kämpfen und ihre Familien, die Männer, können das auch nicht, weil sie sonst die gleichen Schwierigkeiten bekommen. Aber wenn jetzt viele Menschen in ihre Ausstellung kommen, wenn viel darüber berichtet wird, dann ist das auf jeden Fall ein ermutigendes Signal. Das würde mich und alle bei Hope in Darkness sehr freuen!
Die Ausstellung mit den Werken afghanischer Künstlerinnen ist auf Vermittlung von BI Asyl und der Initiative "Ausbildung statt Abschiebung" (u.a.) noch bis einschließlich 5. Oktober im Foyer des Regensburger Landratsamts zu sehen