Schatten über der Alpenrepublik! Die rechte FPÖ könnte bei den Nationalratswahlen am Sonntag stärkste Partei werden, ihr Chef Herbert Kickl, bekannt und berüchtigt für seine Fremdenfeindlichkeit, empfiehlt sich seiner Klientel schon mal als „Volkskanzler“ und Vollstrecker: „Euer Wille geschehe“. Natascha Strobl, Politologin und Publizistin aus Wien, misst Österreich kurz vor der Wahl für uns den Puls
Frau Strobl, wie geht’s Österreich nach dem Hochwasser, vor den Nationalratswahlen?
Österreich befindet sich in einem seltsamen Zwischenzustand. Die Meisten wünschen sich wohl, dass die Wahlen schon vorbei sind.
Die FAZ sieht Österreich im „Flutwahlkampf“. Ist da was dran?
Man möchte meinen dem sei so. Das Hochwasser ist aber erstaunlich schnell von der politischen Agenda verschwunden. Selbst die Sperre der wichtigsten Bahnstrecke des Landes ist nicht mal mehr unbedingt eine Schlagzeile. Man ist längst wieder bei Kulturkämpfen.
Dämmert nun langsam auch den Hartleibigen, dass es sich bei den „Jahrhunderthochwässern“ der jüngeren Zeit um ein menschengemachtes Phänomen handelt?
Nein, das tut es nicht. Das Hochwasser wird quasi als Naturereignis oder Gottes Strafe gesehen. Es waren betende Politiker zu sehen und die politische Diskussion reichte nur bis zum Management der Katastrophe, nicht ihrer Prävention.
Naja, Kanzler Nehammer (ÖVP) glaubt ja auch, dass der Klimawandel ein von woken Angstmachern herbei fantasiertes Weltuntergangsszenario ist, nicht?
Die ÖVP möchte sich gerne aus der Klimakrise heraus startupen und glaubt, Wirtschaftsvertreter_innen sind die wichtigsten Akteur_innen im Kampf gegen die Klimakrise. Dabei vertritt sie eine Extremismustheorie, die besagt, dass die Klimakrisenleugner unrecht haben, aber eben auch die Klimaaktivist_innen, weswegen Nehammer sich vorsorglich von Beiden distanziert.
Täuscht der Eindruck oder geht es dem Kanzler gerade nass ein? Sucht er bereits den Schulterschluss mit Rechts?
Für Alle, die politisch bis 2 zählen können war immer völlig klar, dass die ÖVP mit der FPÖ eine Koalition bildet, wenn es sich rechnerisch ausgeht. Sollte die ÖVP Platz 1 holen, dann ist das Szenario sogar noch wahrscheinlicher.
Die Bildung einer Regierung ohne rechte Beteiligung könnte eh schwierig werden: Wie soll das gehen bei der Aversion der ÖVP gegen SPÖ und angesichts der Tatsache, dass Nehammer ja auch schon durchblicken hat lassen, dass er es kaum nochmal mit den Grünen probieren wird?
Alle hassen Andi Babler und die SPÖ! Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass sie Angst davor haben, dass die SPÖ nicht mehr das übliche Spiel mitspielt, sondern eine neue Art Politik entwickelt. Es war aber schon immer so, dass die ÖVP mit Kulturkampf und Einschnitten in den Sozialstaat besser umgehen konnte, als mit gesellschaftlicher Moderne und sozialer Absicherung. Inhaltlich passt da kein Blatt Papier zwischen ÖVP und FPÖ.
Das Setting dieser Nationalratswahlen erinnert sehr an die jüngsten Wahlen in Deutschland: Die FPÖ ist – wie bei uns die AfD – nah dran, stärkste Partei zu werden, Karl Nehammer kann den Atem von Herbert Kickl praktisch schon spüren. Wie, glauben Sie, geht das aus?
Es ist schwierig zu sagen. Ich spüre aber immer mehr, dass die kolportierte Wirklichkeit sich grundlegend von der erfahrenen Alltagswirklichkeit unterscheidet.
Wer ist dieser Kickl und wie gefährlich ist der?
Herbert Kickl ist sehr diszipliniert und grenzt sich im Gegensatz zu allen FPÖ-Chefs davor nicht mehr (auch nur pro forma) vom rechten Rand ab. Er begrüßt die Identitären und nennt sie “NGO von rechts”. Er selbst eskaliert ein ums andere Mal und spricht zum Beispiel von “Fahndungslisten”, die seine Partei schon hat, auf denen 2.000 Menschen stehen. Diese “werden schon sehen was passiert”, wenn die FPÖ an der Macht ist.
Kickl will „Volkskanzler“ werden. Was soll das heißen?
Kickl hat diesen Begriff aus der Geschichte entlehnt, wo er schon von den Nazis benutzt wurde. Im Prinzip suggeriert er mit diesem Begriff eine direkte Bindung des Kanzlers an das Volk. Dahinter steckt die Vorstellung der identitären Demokratie von Carl Schmitt. Diese besagt, dass es eine geistige Einheit von Führer und Volk gibt, die nicht durch so störende Elemente wie Parlament, Wahlen oder repräsentative Demokratie, unterbrochen werden darf. Der Führer erfühlt quasi die Bedürfnisse des Volkes und setzt diese direkt um. Das ist selbstverständlich keine Demokratie, sondern eine kultische Verehrung eines Führers, der behauptet die EInheitsmeinung des Volkes zu verkörpern.
Die deutsche AfD ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes, „in Teilen rechtsextrem“, ihren Mastermind Björn Höcke darf man laut Gerichtsurteil einen „Faschisten“ nennen. Wie sieht das bei der FPÖ eigentlich so aus?
Unser Verfassungsschutz funktioniert anders und gibt solche differenzierten Urteile nicht ab. Die FPÖ steht der AfD ideologisch und inhaltlich in Nichts nach und ist in Teilen sogar offener und mit mehr Zug zur Macht ausgestattet. Die FPÖ ist eine rechtsextreme Partei. In Österreich traut man sich das nicht sagen, das ändert aber nichts an der Tatsache selbst.
Anders als die AfD in der deutschen Parteienlandschaft ist die FPÖ ein seit Jahren gesetzter Player in Österreich. Sie hat im Gegensatz zur AfD auch schon Regierungserfahrung. Ein fataler Gewöhnungseffekt, weil er es den Leuten erleichtert, sie zu wählen?
Normalisierungseffekte zerstören eine Demokratie. Die FPÖ hat viel Unheil angerichtet, als sie mit der ÖVP in einer Regierung war. Von der Zerstörung der Sozialversicherung und des Verfassungsschutzes über die Einführung des 12-Stunden-Arbeitstags bis zur Umformung der medialen Öffentlichkeit. Für uns ist das normal, weil wir längst in dieser Realität leben, die Ungarn näher ist als den westeuropäischen Staaten.
Skandale und seien Sie noch heftig (Ibiza!) perlen an rechten Parteien wie der FPÖ und auch der AfD (Maximilian Krah!), wie’s aussieht, einfach ab. Warum glauben Sie ist das so?
Weil es diese Parteien immer wieder schaffen den Skandal von sich wegzudrehen und zu suggerieren, dass eigentlich alle so sind. Politik ist schmutzig und eigentlich haben alle ein wenig Dreck am Stecken. Das stimmt aber nicht. In keiner Partei gibt es so viele verurteilte Funktionäre wie in der FPÖ. In keiner anderen Partei gibt es so viele politische Skandale und “Einzelfälle” mit Nähe zu organisiertem Faschismus und Neonazismus.
Wenn AfD und FPÖ zwei Seiten derselben Medaille sind, wohin bewegen sich Deutschland, Österreich, dann in den kommenden Jahren? Welche politischen Paradigmenwechsel erwarten Sie?
Wir sind schon am Beginn eines autoritären Zeitalters, das auch einen kommenden Faschismus möglich macht. Diese Kräfte formieren sich längst in- und außerhalb der Parlamente. Es ist aber nicht zu spät sie aufzuhalten. Das geht aber nur, wenn andere Parteien die kalkulierten Tabubrüche und das ostentative Spiel mit der Demokratie nicht mitmachen.
Nach den Massendemonstrationen gegen Rechts in Folge der „Correctiv“-Ermittlungen haben Sie die Deutschen auf „X“ für ihr Engagement fast schwärmerisch gelobt. Jetzt, nach den Wahlergebnissen im Osten, herrscht hier eine Art Schockstarre. Wie fällt Ihr Blick auf Deutschland heute aus?
Er ist nach wie vor positiv. Deutschland hat eine stabile Öffentlichkeit und man hat gesehen, dass sich diese noch nicht an Säuberungsfantasien gewohnt hat. Ganz Europa schaut auf Deutschland. Diese Demos haben vielen anderen Ländern Mut gegeben. Wenn Deutschland kippt, dann kippt Europa. Umso wichtiger ist es, dass sich die deutsche Zivilgesellschaft nicht entmutigen lässt.
Ihr Buch „Solidarität“ ist ein flammender Appell, nicht nachzulassen. Sich zu vernetzen. Solidarität, sagen Sie, ist der Weg, die Probleme, wie wir haben – mit Rassismus, mit Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit – und die vor allem auf das Konto der Rechten einzahlen, zu lösen. Bleiben Sie dabei?
Ja, wir haben nur uns. Niemand außer ein paar Superreichen kann globale Krisen in Eigenverantwortung bewältigen. Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen einander. Neoliberale Zustände haben uns um diese Beziehungen beraubt und die extreme Rechte übernimmt die Rolle der Abrissbirne. Holen wir uns unser Miteinander zurück und schaffen Strukturen, die es ermöglichen, dass wir alle in Sicherheit, gesund und solidarisch auf einem intakten Planeten leben können!
Die Österreicherin Natascha Strobl, 39, ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie schreibt u.a. für den Standard, Zeit online und die taz. Unter #NatsAnalyse veröffentlicht sie auf X Analysen zu rechter Sprache und rechten Strategien. In Buchform sind von Strobl (mit Julian Bruns, Kathrin Glösl) zwei Monografien erschienen: "Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa" (Unrast Verlag, 2014) und "Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute?" (VSA-Verlag, 2015). Für ihre bei suhrkamp erschienene Analyse zum Thema "Radikalisierter Konservatismus" wurde sie 2021 mit dem Anerkennungspreis des Bruno Kreisky-Preises in der Sparte Politisches Buch ausgezeichnet. Strobl lebt und arbeitet in Wien