Physisch und am Ball, taktisch und von der Spielkultur her sind Deutschlands Fußballfrauen mit den Männern schon lang auf Augenhöhe. Sie sind außerdem: Nahbar. Sympathisch. Authentisch. Star-Allüren, wie man sie vom Männerfußball kennt, sind ihnen fremd. Trotzdem redet niemand von „Sommermärchen“, wenn sie wie jetzt bei den Olympischen Spielen nach Medaillen greifen. Erklärungssuche in einem Land, das unterschwellig immer noch die alten Vorurteile pflegt
Hi, das hier ist die Kurve von „Obi“, Lea, Jule …
Also: Lena Oberdorf, Lea Schüller, Jule Brand und Co.
Die Namen hat der eine oder andere vielleicht schon mal gehört, wobei, klar, sicher kann man da nicht sein (unvergessen der „Weißt du eigentlich, wie ich heiße“-Clip mit Alex Popp vor der Frauenfußball-WM 2019).
Weil wir außerdem wissen, dass viele auf Durchzug stellen, wenn vom Frauenfußball die Rede ist, hier noch mal zum Mitschreiben:
Lena Oberdorf („Obi“), 22, ist die Spielerin, deren Trikot die Kolleginnen der Nationalelf neulich in die Kameras gehalten haben, bevor sie in Marseille gegen Australien ins olympische Turnier starteten. Jule Brand, 21, und Lea Schüller, 26, haben mit ihren Toren dazu beigetragen, dass es ein gelungener Abend wurde. Starkes Spiel, echte Freude und ja, auch ein Schuss Wehmut („Wir für Obi“), weil die vielleicht Talentierteste von allen nicht dabei sein konnte – obwohl sie es war, die ihrem Team mit einer ultimativen Leistung im letzten Qualifikationsspiel die Olympiateilnahme erst ermöglichte.
Es sind solche Geschichten, von denen man sagt, dass der Fußball sie schreibt (was Quatsch ist, weil sie natürlich im Handball, Basketball usw. genauso geschrieben werden), Geschichten, die, würde es sich um ein Männer-Turnier und um eine Männer-Mannschaft handeln, auf der Stelle die mittlerweile notorischen „Sommermärchen“-Fantasien auslösen würden.
Schnell wäre vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft die Rede, von der neuen Begeisterung der Fans fürs Team. Städte würden ihre schönsten Plätze, Kneipen ihre Schanigärten fürs Public Viewing zur Verfügung stellen – und dass all das nicht passiert, dass niemand auf die Idee kommt, ein zweites Mal nach der von den deutschen Männern halbwegs unfallfrei abgewickelten Fußball-EM die schwarz-rot-goldene Standarte aufs Auto zu pflanzen (oder: nachts um drei „SIIIIEEEG!!!!“ brüllend um die Häuser zu ziehen), damit kann man leben.
Man/frau kann sich aber auch fragen, woher der Synapsenverschluss kommt, was hinter der Verweigerungshaltung steckt, die bis heute verhindert, dass der Frauenfußball dem Männerfußball in Sachen Popularität das Wasser reichen kann, welche Kräfte da wirken und welche Vorurteile.
Irgendwie muss es ja eine Erklärung dafür geben, warum bei einem 5:1 der Männer im EM-Auftaktspiel gegen Schottland Mitte Juni das halbe Land ausflippt – und Wochen später, Ende Juli, nach dem 3:0 der Frauen gegen Australien bei Olympia exakt: nichts passiert.
Es ist schon vertretbar, wenn Kathrin-Müller-Hohenstein, fußballaffine Moderatorin des ZDF und bekennender Fan der (Männer-)Mannschaft des FC Bayern, die Live-Berichterstattung vom zweiten Gruppenspiel der deutschen Fußballfrauen bei Olympia gegen die USA mit dem Hinweis wegmoderiert, es fänden „gerade so viele Sachen gleichzeitig statt“, man möge für das Fußballspiel doch bitte auf den Livestream im Web ausweichen. Wir sind auch der Meinung, dass es im linearen, öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu viel Fußball gibt! Und dass umgekehrt keine Veranstaltung den Sport in allen seinen Facetten so abbildet wie Olympische Spiele. Deshalb ist es nur fair, wenn sich das auch in der Berichterstattung niederschlägt.
Nur: Wie wäre man wohl verfahren, hätten die deutschen Männer dieses Spiel gegen einen der „ganz Großen“ des Weltfußballs (wie es die USA im Frauenfußball sind) bei so einem Turnier bestritten?
Fußball ist, seit es ihn gibt, eine Art Heiligtum und quasi sakrosankt. Allerdings ist er in den Köpfen der meisten immer noch in erster Linie – Männersache.
Irgendwas am Frauenfußball scheint den Leuten nicht geheuer zu sein – fast so, als wären „11 Freundinnen“ (anstatt der sprichwörtlichen Freunde) nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft und einer Handvoll weiblicher CEOs in den großen Unternehmen die eine Zumutung zu viel.
Kein Witz: Wir haben hier schon Freund:innenschaften in die Grütze gehen sehen, weil beim Stichwort Frauenfußball der/ die Andere jedes Gespräch verweigert oder kommentarlos abwürgt. Dabei hatte man doch nur darüber reden wollen, ob nach dem verletzungsbedingten Ausfall von „Obi“ bei Olympia („echt tragisch, findest du nicht? Ich hätte heulen können!“) nun Alex Popp deren Part im Mittelfeld übernehmen sollte – oder ob Poppi („du sagst Poppi zu der??!!“) nicht vorn drin besser aufgehoben wäre …
Mehr als ein Schulterzucken ist bei solchen „Fans“ – die die Namen aller männlichen DFB-Keeper seit Hans Tilkowski auswendig herunterbeten können – sowieso nicht drin, wenn man sie mal nicht nach Neuer vs. Ter Stegen, sondern nach Frohms vs. Berger fragt. Leider gar nicht geil! Oder wann haben Neuer oder Ter Stegen zuletzt im Elfmeterschießen eines internationalen K.o.-Spiels zwei Elfer gehalten und den entscheidenden dann auch noch selber verwandelt wie Ann-Katrin Berger jetzt im Viertelfinale des olympischen Turniers gegen Kanada? Eben.
Vielleicht sollte man also noch mal sagen: Es handelt sich beim Männer- und Frauenfußball um ein- und dasselbe Spiel! Das Spielfeld ist exakt genauso groß. Die Tore haben dieselben Maße. Nach 45 Minuten ist Halbzeit, nach 90 Minuten Schluss (vorausgesetzt, es gibt keine Verlängerung, die im Fall der Fälle bei Frauen und Männern, hier wie da, 30 Minuten beträgt, plus Nachspielzeit natürlich, und dann .., aber das hatten wir ja schon).
Männer und Frauen spielen nach den gleichen Regeln, Abseits ist Abseits, Foul ist Foul, die zweite gelbe Karte eine rote usw. Auch die Wettbewerbsarchitektur ist so ziemlich dieselbe: Man kann im deutschen Frauenfußball Meister werden. Man kann Pokalsieger werden. Man kann sich für die UEFA Women’s Champions League qualifizieren und, wenn es gut läuft, wie beim VfL Wolfsburg oder 1.FFC Frankfurt noch in den Zehner-Jahren, sogar Titel gewinnen. Man kann als Auswahlspielerin mit Team Deutschland Europa- und Weltmeister werden, wobei man sagen muss: Okay, das hat zuletzt weniger gut geklappt. Aber selbst das ist nur eine Parallele zur Entwicklung im Männerfußball.
Beide, die deutschen Fußballfrauen wie die Männer, stehen gerade vor demselben Problem: Man war mal wer im Weltfußball und muss jetzt kämpfen. Vier Weltmeistertitel bei den Männern, zwei bei den Frauen. Die Männer wurden drei Mal Europameister, die Frauen sechs Mal. Alles schon ein bisschen her. Dann der Absturz: Bei der WM der Männer 2022 in Katar und bei der Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland schieden die DFB-Teams jeweils bereits nach der Vorrunde aus. Den Männern gingen die Fans zwischenzeitlich von der Fahne. Die Frauen mussten schon immer um sie kämpfen – vorausgesetzt, man ließ sie überhaupt spielen, was nicht so selbstverständlich ist, wie es klingt.
Damit sind wir bei den Ungleichheiten.
Bei den männlichen Beißreflexen und dem ganzen, schwer erträglichen Antifeminismus-Kram. Woher der kommt? Wer damit angefangen hat? Es war (und das überrascht sogar uns, denen das deutsche Vereins- und Verbandswesen nie wirklich geheuer gewesen ist): der DFB.
„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, glaubte man dort erkannt zu haben. Es waren die 1950er-Jahre, die patriarchal bis völkisch grundierten Vorstellungen von der „Moral der deutschen Frau“ waren offenbar noch so gegenwärtig, dass die Herren des DFB am 30. Juli 1955 ein Verbot des Frauenfußballs dekretierten.
Danach war es den Vereinen untersagt, Fußballerinnen zuzulassen, Schiedsrichter durften Spiele von Frauenteams nicht pfeifen. Das Verbot wurde erst 15 Jahre später, am 31. Oktober 1970, aufgehoben – nicht aus Gründen der Gleichberechtigung, auch nicht, weil die Herren im DFB spät, aber doch zur Vernunft gekommen wären. Sondern auf Druck von außen, weil rebellierende Fußballfrauen damit drohten, einen eigenen Verband zu gründen.
Es dauerte dann noch mal über ein halbes Jahrhundert (!), bis der DFB mit der Ex-Profifußballerin, Nationalspielerin und Weltmeisterin Nia Künzer die erste Sportdirektorin Frauenfußball installierte. „Nia ist ein kritischer Geist“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf bei ihrer Präsentation – als hätten sie sich das im DFB schon immer gewünscht. Künzer blieb diplomatisch und ließ trotzdem tief blicken.
„Wir wollen mehr aktive Mädchen und wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, damit sie Fußball spielen können“, sagte sie auf die Frage nach der Zukunft des deutschen Frauenfußballs. Im Januar 2024! Mit anderen Worten: Es sind Stand heute immer noch zu wenige Mädchen, die in deutschen Vereinen kicken. Und irgendwas stimmt mit den Rahmenbedingungen nicht.
Guckt man nur auf die Zahlen, könnte man vorsichtig Entwarnung geben, denn der Negativtrend der Spielzeiten 2016/17 bis 2020/21, als die Zahl der beim DFB gemeldeten Frauen-Teams kontinuierlich zurückging und zusehends weniger Mädchen und Frauen aktiv Fußball spielten, ist nicht nur gestoppt. Er hat sich mit der Spielzeit 2022/23 quasi umgedreht. „Der Fußball wird jünger“, freut man sich beim DFB, besonders signifikant ist der Anstieg der Aktiven (plus 7,5 Prozent) bei den Mädchen unter 16 mit jetzt 107.000 Spielerinnen. Grund könnte die erfolgreiche EM 2022 gewesen, heißt es, als die Frauen in Wembley Zweite wurden. Sicher aber sei das nicht. Auch der Rückgang davor war wohl nicht nur auf Corona zurückzuführen.
Die Frage ist also, wie kommt (beispielsweise) eine Lena Oberdorf zum Fußball? „Für mich ist die so das kleine Mädchen ausm Ruhrgebiet, das immer nur Fußball spielen wollte und irgendwann in den Stadien der Welt gespielt hat. Die gleiche Geschichte wie Messi, Ronaldo, Thomas Müller sie haben, und das nicht wegen uns, sondern weil SIE es will“, sagt ihr Manager Stefan Dabruck, ein Freund der Familie.
„Obi“, Shooting Star unter den jungen deutschen Fußballerinnen, U17-Europameisterin 2017, jüngste WM-Spielerin der DFB-Geschichte 2019, Vize-Europameisterin 2022, Deutsche Meisterin und Pokalsiegerin, kickt, seit sie vier Jahre alt ist. An Versuchen, ihr den Schneid abzukaufen, hat es nie gefehlt.
In der ARD-Doku „All Eyes on me“ erzählt sie die Geschichte vom Klassenlehrer an der Grundschule, der sie „umgegrätscht“ hat, weil er im Kampf um den Ball kein Land gegen sie sah. Es waren immer Männer oder Jungs, die sich ihr gegenüber beweisen mussten – einem von ihnen ist sie eines Tages, auf der Wiese im Garten ihrer Eltern, von hinten in die Parade gefahren: „Der konnte erst mal nicht mehr spielen.“ So viel zu den Rahmenbedingungen, unter denen eine der größten Hoffnungen des deutschen Frauenfußballs Bekanntschaft mit dem Fußball machte.
Robust und sensibel, nahbar, aber nicht naiv, eine Kämpfernatur, die sich nichts gefallen lässt und weiß, wann es Zeit ist, sich zu wehren: So wurde Oberdorf zur zentralen Spielerin beim VfL Wolfsburg und im Gefüge deutscher Auswahlmannschaften – und zum Role Model für junge Mädchen und Frauen.
Die 22-Jährige hat 350.000 Follower auf Instagram und 215.000 bei TikTok, die wissen, wie es ihr geht, wie sie die Folgen der schweren Knieverletzung weggesteckt hat, die dazu führte, dass sie bei Olympia nicht dabei sein konnte, dass „nur Fußball“ für sie nichts wäre, „dass du daneben halt ne Quelle haben musst, wo du gute Energie her bekommst“ und dass das in ihrem Fall die Musik ist. „In All Eyes on me“ kann man sehen, dass sie sich dafür ein professionelles DJ-Pult gekauft hat, an dem sie in ihrer Freizeit herumexperimentiert.
Es gibt eine Lena Oberdorf, die auf dem Rasen Sachen macht wie sonst nur Luka Modric bei Real Madrid: Der Gegnerin im Mittelfeld den Ball abnehmen, das Tempo anziehen, passen, einlaufen, die Flanke von rechts nach gewonnenem Zweikampf mit dem Kopf zur Mitspielerin verlängern, die nur noch einschießen muss. So was würde man von einem deutschen „Sechser“ auch gern mal (wieder) sehen!
Die andere Lena Oberdorf, abseits des Rasens, ist eine, die sehr wohl weiß, dass der Frauenfußball technisch, taktisch, physisch und von der Spielanlage her längst auf Augenhöhe mit den Männern ist. „Vier, fünf Jahre“, sagt sie, wird es noch dauern, bis man auch in Sachen Professionalisierung das Niveau des Männerfußballs erreicht: „Der neue TV-Vertrag ist bereits ein guter Schritt in die richtige Richtung.“
Dieser Vertrag, abgeschlossen nach der EM 2022 mit Traum-Quoten von bis zu 17,9 Millionen Zuschauern bei den Spielen mit deutscher Beteiligung, garantiert der Frauen-Bundesliga nun 5,175 Millionen Euro an Fernsehgeldern pro Jahr bis 2026/27. Die Pay TV-Sender DAZN und Magenta übertragen dafür parallel alle Spiele. Im Free-TV zeigt Sport1 das neu eingeführte Montagabendspiel. ARD und ZDF übertragen pro Saison zehn Partien und sicherten sich außerdem die Übertragungsrechte für die Länderspiele der DFB-Teams- mit der Auflage, mindestens zwei davon zur Prime Time zu zeigen.
Ein neues Gefühl! Und, womöglich, der entscheidende Faktor in Sachen „Sichtbarkeit und Professionalisierung der Liga“ (Nia Künzer), der dazu führt, dass der Frauenfußball in Deutschland – endlich! – aus dem Schatten des Männerfußballs tritt.
Im Ranking der europäischen Top-Ligen liegt die Frauen-Bundesliga damit jetzt hinter der spanischen Primera División und der besonders finanzkräftigen Women’s Super League in England auf Platz 3. Und das Schöne ist, dass Deutschlands Fußballfrauen sich das selbst erarbeitet haben – miteinander statt gegeneinander.
„Ich war immer ein extremer Teamplayer“, sagt Lena Oberdorf von sich. „Frauen-Soli“ ist auch die Währung, wenn es um Fragen weiblichen Selbstverständnisses geht und um die Selbstbehauptung in einer männerdominierten Branche. 2,3 Millionen aktiven Fußballer:innen in Deutschland stehen gerade mal 206.000 Frauen gegenüber, die wenigsten davon sind echte Profis – auch dann nicht, wenn der Verband sie als solche führt. Lea Schüllers erstes Gehalt beim Bundesligisten SGS etwa lag bei 450 Euro – keine Ausnahme, sondern im Gegenteil eher noch nett. Manche Spielerinnen verdienen gar nichts.
Nach den Maßstäben der UEFA gab es noch 2021 keine einzige wirkliche Berufsfußballerin in der Frauen-Bundesliga. Umso mehr Spaß macht es nun zuzuschauen, wie sich Deutschlands Beste, Lena Oberdorf, Lea Schüller, Giulia Gwinn, Laura Freigang, Lina Magull und Co. bei einem Thema wie Equal Pay die Bälle zuschieben.
Freigang sagt, sie sei dagegen: „Wenn wir keine Millionen einspielen, kann man solche Beträge auch nicht ausschütten.“ Schüller „gefällt der Gedanke“. Gwinn will wenigstens, „dass die Schere kleiner wird“ zwischen den Gehältern der männlichen und weiblichen Profis. Lena Magull wünscht sich für alle Spielerinnen in der ersten und zweiten Liga einen Mindestlohn: „Wir Fußballerinnen sollten ab der zweiten Liga so gut verdienen, dass niemand mehr nebenbei arbeiten gehen muss. Da sprechen wir von einem Mindestgehalt von 2000, 3000 Euro im Monat.“
Zusammen halten sie den Verband auf Trab wie zuletzt vor der WM 2023: „Wir Nationalspielerinnen sind mittlerweile so weit, den DFB etwas zu stressen“, erzählte Lena Oberdorf damals im Interview bei AZ/WAZ. Hintergrund: Den Männern hätte der DFB im Fall eines Titelgewinns bei der WM 2022 jeweils 400.000 Euro an Prämien gezahlt, die Frauen dagegen sollten mit 60.000 Euro abgespeist werden. „Ich denke, wir sind jetzt an einem Punkt, an dem etwas passiert und sich ändert“, prophezeite Oberdorf. Am Ende einigte man sich auf 250.000 Euro pro Spielerin – kein Equal Pay, aber ein deutliches Zeichen.
Dass sich das alles so anhört, als wären Deutschlands Fußballerinnen auch noch als ihre eigene Interessenvertretung unterwegs, ist kein Zufall. Zwar gibt es in Deutschland eine Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) mit dem Beinamen „Die Spielergewerkschaft“. Das Problem ist nur, dass Fußballerinnen dort kein Stimmrecht haben und dass man im männergeführten VDV auch keine Veranlassung sieht, das zu ändern. Offiziell begründet wird das mit der „mangelnden Professionalsierung“ der Frauen-Bundesliga.
Worum es wirklich geht, nämlich um die Verteidigung der Männerbastion Fußball mit all den Implikationen von struktureller Diskriminierung bis hin zu offenem Sexismus, zeigt ein Blick nach Spanien.
Dort erstreikten die Nationalspielerinnen nach dem Übergriff von Luis Rubiales auf die Spielerin Jenni Hermoso bei der WM 2023 den Rücktritt des Verbandspräsidenten. In der Primera División erzwang die Spielerinnengewerkschaft „Futpro“ die Einstellung des Spielbetriebs, als sie mit ihrer Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen – und Themen wie Mindestlohn, Mutterschutz, professionellen Trainingsbedingungen und einer auf die Anforderungen des Leistungssports zugeschnittenen, speziellen Krankenversicherung für die Spielerinnen – beim Verband nicht weiter kam. Man einigte sich schließlich auf die schrittweise Einführung eines Mindestlohns von 23.500 Euro pro Jahr. Was ziemlich genau den Vorstellungen der deutschen Fußballerinnen entspricht, die mit den gleichen Problemen kämpfen wie die Spanierinnen – und die deshalb nun auch die Gründung einer Spielerinnengewerkschaft für Deutschland erwägen.
Almuth Schult, langjährige Nationaltorhüterin, Europameisterin, Olympiasiegerin, hatte sich als Erste für ein solches Bündnis stark gemacht. Die 33-Jährige die zuletzt auch als ARD-Expertin tätig war und nun bei Kansas City Current in den USA ihre aktive Karriere ausklingen lässt, schwärmt von den Bedingungen dort: Das Frauen-Team ihres neuen Klubs spielt nicht nur in einem eigens für die Frauen gebauten, neuen Stadion. In den Statuten der amerikanischen National Women’s Soccer League (NWSL), sagte die Mutter dreier Kinder im NDR, „ist zum Beispiel auch geregelt, dass Kinder ihre Mütter bei Auswärtsspielen begleiten dürfen und dass der Verein die Kosten dafür und auch für eine Betreuungsperson übernimmt.“
Von solchen „Rahmenbedingungen“ kann der Frauenfußball in Deutschland nur träumen. Und auch das Umfeld, inklusive der Medien, ist immer noch nicht im Hier und Jetzt angekommen.
„Wie fühlt sich das an, wenn man als eine der Wenigen in der Mannschaft einen Mann liebt und keine Frau“, wollte ein Journalist, allen Ernstes, von Almuth Schult wissen. Als hätte das irgendwas mit Fußball zu tun. Die Verkniffenheit von 1955 weht da wie ein reaktionärer Pesthauch in die Gegenwart herüber, die alten Klischees von den „Mannweibern“ im Frauenfußball feiern fröhliche Urständ bei antifeministischen Hatern im Netz und selbst erklärten Fußball-„Romantikern“, die sich IHREN Sport nicht nehmen lassen wollen. Aber, wie es scheint, stehen sie auf verlorenem Posten.
„Wir brauchen keine Eier – wir haben Pferdeschwänze“ konterten Deutschlands Nationalspielerinnen vor der WM 2019 so ironisch wie selbstbewusst. Und das nicht ohne Grund.
Wie sie leben und lieben, regeln die Fußballerinnen schon lange selber, für sich. Freudige Ereignisse wie etwa die Hochzeit von Pernille Harder und Magdalena Eriksson, die beide im vergangenen Jahr gemeinsam zum FC Bayern wechselten, werden auf Klub-Homepages und in den Sozialen Medien entsprechend gefeiert.
Wenn jemand im deutschen Fußball mit Homophobie zu kämpfen hat, dann sind es schwule Männer. Der Druck auf sie ist groß, das fängt in der Kabine mit dummen Sprüchen an und gipfelt in der Furcht vor den Fans. Er habe sich deshalb auch erst nach Beendigung seiner Profi-Karriere geoutet, berichtet Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der für einen aufgeklärteren Umgang mit dem Thema wirbt.
Seine Hoffnungen und die vieler anderer Schwuler, dass sich im Umfeld der Fußball-EM 2024 in Deutschland möglichst viele Aktive zu ihrer Homosexualität bekennen, erfüllten sich nicht.
Emanzipation im Fußball ist im Moment klar Frauensache.
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