Schon in den 1970er-Jahren klagte der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich über die Unwirtlichkeit unserer Städte – und forderte eine Bodenreform: Stadtentwicklung müsse sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, Immobilienspekulation unterbunden werden. Das Gegenteil ist wahr geworden, sagt der aus Regensburg stammende, in Berlin lebende Fotograf Benjamin Renter. Der 41-Jährige dokumentiert in seinen Bildern, wie eine seelenlose Investoren-Architektur den öffentlichen Raum verödet und den Menschen die Luft zum Atmen nimmt – auch in seiner Heimatstadt. Ein Interview
0941mag: Du kommst eigentlich von der Straßenfotografie. Was genau ist damit gemeint?
Benjamin Renter: So die Richtung von Robert Frank. Oder Helen Levitt auch. Die find’ ich toll! Also den Alltag auf der Straße zu fotografieren. Ich mag auch, was Joel Meyerowitz mit Menschen und Straßenschildern macht – wie er die miteinander in Beziehung setzt. Was für kuriose und witzige Momentaufnahmen das oft ergibt. Straßenfotografie funktioniert wie so ein Netz aus Linien, finde ich immer. Und dann schnappt man kurz dazwischen und hofft, dass man’s hat (lacht) …
Wann hast du damit angefangen?
In meiner Hamburger Zeit so zwischen 2005 und 2008. Damals gab’s dort viele Marathon- und Triathlonveranstaltungen, größere Sportereignisse, auch Demonstrationen mit vielen Menschen am Rand. Da hab’ ich mich einfach drunter gemischt. Ich wollte vor allem ein Bild: mit so nem Siegertreppchen, vor einer Art Bühnenaufbau, wo sich alle Teilnehmer des Marathons fotografieren lassen konnten. Diese ganze Szene mit den Läufern, die schon auf dem Treppchen standen und den anderen auf dem Weg dahin, plus der mediale Aufbau und was dazwischen passiert, hat mich interessiert. 2008 war ich dann beim Public Viewing der Fußball-EM auf dem Heiliggeistfeld. Mein damaliger Professor von der Hochschule für bildende Künste hatte mir mit der Begründung, ich müsse dokumentarische Aufnahmen machen, eine Akkreditierung besorgt und ich konnte damit ganz vorn bei diesem riesigen LED-Bildschirm mit rauf zu den Pressefotografen. Da gab’s auch ne riesige Hebebühne. Und ich hab’ versucht, die Bühnen, dieses Publikum und das Ereignis aufzunehmen.
Irgendwann hat sich der Fokus deiner Arbeiten verlagert – von den Menschen in den Städten hin zu den Architekturen. Wie es ist dazu gekommen?
Das hat sich eigentlich immer überlagert! Wenn bei einer Live-Übertragung Bilder vom Publikum gezeigt werden, die dem Publikum dann wieder vorgesetzt werden und man sieht im Gegenschnitt die Leute, entstehen so Bilder als Oberflächen von Architekturen irgendwann auch – weil die Aufbauten und die Bühne ja auch Bildflächen sind. Danach wollte ich mich mal nur auf Menschen konzentrieren, bin mit der Mittelformatkamera durch Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien gereist – aber fotografiert habe ich die Leute, wo sie leben und arbeiten, also schon auch im Kontext. Bei einer Residence in Litauen 2012 habe ich dann angefangen, architektonische Sachen und Straßenszenen zu vermischen, so dass es ein Porträt von Stadt ergibt. Das mache ich bis heute gern.
In deiner Serie „Architektur der Verdrängung“ von 2015 vergleichst du „alltägliche Wege, Plätze und Bebauungen“ in verschiedenen europäischen Städten. Du stellst Fragen: „Sind Orte, durch die wir laufen, hermetisch, privat oder nutzbar?“ Und die Antworten fielen verstörend aus …
Das kann man sagen! Das Ganze funktioniert ja wie eine Art Selbstversuch. Ich beobachte in den Städten an mir selbst, welche Raumbezüge man da hat: Welches Gegenüber es gibt von Gebäuden auf einem Platz, wie man sich da aufhalten kann, wenn man nicht gerade was einkauft oder sich ins Café setzt. Das Ergebnis ist oft erschreckend: Viel Kommerzialisierung, die einem Sachen verunmöglicht. Wo man auch ermüdet, weil man sich selten irgendwo „nur“ hinsetzen kann. In meinen Arbeiten versuche ich, das auf den Punkt zu bringen. Das geht mal besser und du stolperst beim Fotografieren regelrecht über Eindrücke von diesem Ort. Und dann gibt’s Orte, da dauert das länger. Da gibt’s so egale Oberflächen wie diese Backsteinfassaden, die alle irgendwie nachgemacht aussehen und so was Historisierendes haben. Die sind für mich fast nicht zu fotografieren. Oder erst, wenn es gelingt, so einem Block ein anderes Stück Architektur entgegenzusetzen, das ihm widerspricht.
Was genau machen diese Orte mit dir?
Sie erzeugen so eine Leere …
„… man steht da einfach und denkt was passiert jetzt, denkt irgendwie an alles und an gar nichts“?
Ja, wie diese Fußballerin sagt (Marina Hegering, Anm. d. Red.), in einem anderen Zusammenhang natürlich, aber das find ich sehr treffend, wie sie den Zustand der inneren Leere beschreibt: Wie man ausgelaugt ist und was noch gar nicht glauben kann. Genau so wirken viele Plätze und Orte auf mich. Die machen einen melancholisch, wenn man genauer hinschaut. Wie hermetisch die Fassaden teilweise sind. Wenn man zum Beispiel in Bologna unterwegs ist, wo es ganz viel so Arkadengänge gibt, da ist eine Hausfassade und auch der Zugang zu den Häusern noch voll porös – das fühlt sich anders an als wenn sich diese öffentlich gar nicht nutzbaren Gebäude bei uns bis an die Straße oder den Bürgersteig drücken, um alles so groß wie möglich zu bebauen.
„Mit meinen Bildern möchte ich zur politischen Auseinandersetzung mit Stadtplanung und öffentlichem Raum beitragen“, heißt es auf deiner Homepage. Siehst du dich als Aktivist mit Kamera?
Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Mich beschäftigt, dass es immer mehr groß geplante Gebiete gibt und immer weniger Einwirkungsmöglichkeiten. Ich frage mich, warum die Planung und die Ergebnisse davon so aussehen wie wir sie haben. Ich hab aber nicht den Eindruck, dass ich da viel dran machen könnte.
Du wünscht dir, sagst du, dass deine Bilder „zum Handeln im eigenen Stadtteil anregen“. Das find‘ ich schon politisch!
Politisch interessiert mich auf jeden Fall die Frage, wie sieht Stadt für uns aus und wie kann man die mit gestalten, wenn’s geht. Ich war deswegen auch in Berlin jetzt in so nem Quartiersrat für ne Zeit. Und klar, ja, Hintergrund der Serie „Architektur der Verdrängung“ war die rasant fortschreitende Gentrifizierung in Leipzig. Du hast da manchmal ganze Straßenfluchten, wo die Gebäude in einem Zug renoviert werden und die Modernisierung plötzlich sehr schnell geht. Du siehst: Okay, in nächster Zeit verändert sich die Umgebung hier sehr, wenn man da wohnt und ich hab’ halt Freunde in Leipzig, mit einem Fotolabor, und war da öfter zu Besuch. Es gibt auch noch die Serie „Leipzig baut“, das ist so ein Neubau-/Ein- und Mehrfamilienhausgebiet. Da bin ich manchmal auch am Suchen, wie das im Gegensatz ist, weil das wird auf einem Feld gebaut.
Und?
Praktisch ist es so, dass ich das Bildmaterial von solchen Um- und Neubauten, was, sagen wir: relativ dokumentarisch ist, gern irgendwo reingebe, wo es auch wieder benutzt werden kann. Es geht mir nicht darum, ästhetische Bildserien zu erzeugen, nur um sie im Anschluss möglichst fein auszustellen. Zum Beispiel hatte ich Bilder in Regensburg gemacht, im Neubaugebiet an der Guerickestraße, die hab‘ ich dem (Ost-)Parkhaus-Kollektiv um Jakob Friedl zur Verfügung gestellt – und ein Lehrer hat sie dann als Spielmaterial im Unterricht genutzt. Der hat einfach mal so Ziegeldächer auf die Häuser gesetzt, um zu kommentieren, wie absurd diese Gebäude sind. Auf die Art in die Zusammenarbeit zu gehen, finde ich interessant. Also, ich möchte das schon auch immer in eine Stadt zurückgeben. In Berlin habe ich mal eine Ausstellung in den S-Bahn-Bögen gemacht. Da war gerade ein Laden frei und ich hab’ die Schaufenster als Ausstellungsflächen genommen für meine Bilder vom Schlossneubau oder besser: vom Anfang dieser Schloss-Baustelle. Ich wollte, dass diese Bilder sofort wieder in der Stadt, und zwar in unmittelbarer Nähe der Baustelle, zu sehen waren. Sowas ist dann das Aktivistischere dabei, würde ich sagen.
Du berufst dich bei deiner Arbeit u. a. auf Alexander Mitscherlich, der bereits Anfang der 1970er Jahre über die Unwirtlichkeit unserer Städte klagte – und eine Änderung des Bodenrechts forderte.
Die Frage der Bodenreform und wie ist das mit Spekulationsobjekten in einer Stadt, ist seitdem ja noch viel drängender geworden! Da gehts um die Verteilung von Möglichkeiten etwas zu besitzen und was damit zu machen. Und ich denke, da muss man früher oder später ran, ja.
Geschrieben hat Mitscherlich das vor 50 (!) Jahren. Was meinst du: Sind wir heute klüger, wacher, entschlossener, unseren Lebensraum in den Städten zu verteidigen?
Also, auch wenn man jetzt sagt, Konsumenten und Leute, die in der Stadt leben, sind heute nicht aufgeweckter als damals, werden die Konflikte ja trotzdem sichtbarer. Sie werden stärker, die Städte werden teurer, das Leben wird teilweise schwieriger – und ich glaub’ schon, dass ein bisschen was von den alten Bewegungsreflexen noch in uns drin ist. Dass irgendwo doch plötzlich eine neue Struktur ausprobiert wird. Dass man Städte „von unten“ erneuern kann. Also, ich glaube fest daran, dass da jederzeit was losgehen kann.
In deiner Serie „Berlin baut“, die zwischen 2018 und 2020 entstand, schlägst du Alarm: „Es geht jetzt um die Frage: Wem gehört die Stadt“, sagst du. Das klingt nach Showdown. Woran machst du das fest?
Also, diese massiven Formen, die da gerade entstehen, die wirken einfach auf mich. Und es stehen ja auch massive Interessen dahinter. Wenn man sieht, wie gerade in Berlin Tausende von Amazon- und Zalando-Mitarbeiter:innen neu in so einen Stadtteil kommen und was das eben auch für einen Druck auf die Umgebung macht – allein durch diese Bürotürme, wie die da an so eine Straßenecke kommen! Ich finde es frustrierend, dass das immer weiter geht. Und damit mein’ ich jetzt nicht nur Amazon und Zalando. Da geht’s um prinzipielle Fragen. Dass eine öffentliche Struktur ausgenutzt wird von Dienstleistern, die vielleicht mal eine Software erstellt haben, wofür dann Arbeiter:innen fahren müssen wie bei diesen Gorillas und anderen Lieferunternehmen. Da kann es sein, dass so’n Hinterhof oder ein Ladengeschäft als Knotenpunkt total blockiert ist mit deren Gegenständen, mit Ausrüstung und Fahrrädern, Zulieferung von Waren etc. Die treten massiv in den öffentlichen Raum ein und auch sehr aggressiv, wie ich finde. In Regensburg sieht man das ja auch: Wie fünf Leute, die Essen ausfahren, vor einem Restaurant anstehen und noch zusätzlich Stress ausüben auf andere, die da vielleicht auch bestellen wollten. Das klingt erst mal banal. Aber was wir da erleben, ist, was Digitalisierung praktisch bedeutet: Wie so eine Anfangskonstruktion von Geschäftsidee eine Wirkung entwickelt an einem Ort. Das bleibt eben nicht alles auf nem Server. Sondern die Mitarbeiter:innen, die Infrastruktur, die dann doch in einer Stadt dafür gebraucht wird, kommt massiv da rein. Das ist eine Entwicklung. Wenig adressierbar. Schwer zu stoppen. Fakt ist, dass wir diese Formen jetzt sehen. Und die versuche ich irgendwie zu fassen.
Berlin ist gerade dein Lebensmittelpunkt. Du hast aber auch Regensburg nie aus den Augen verloren. Wie erlebst du die Stadt aktuell? Und im Vergleich zu den Nuller-Jahren, als du weg gegangen bist?
Naja, ich hab’ halt auch hier den Eindruck, dass viele Brachflächen neu bebaut sind, dass aber gleichzeitig der Druck, eine Wohnung zu finden, stark zugenommen hat. Man spürt, wie auch hier die Geschwindigkeit zugenommen hat, der Arbeitsdruck und wie Leute auf Grund dessen versuchen, ihr Leben zu optimieren. Es ist alles sehr gesättigt und auf nem anderen Level vielleicht als in manchen Stadtteilen in Berlin. Aber wenn ich hier bin, fang ich automatisch an, Vergleiche zu ziehen, abzugleichen, was war und was ist. Zum Beispiel bin ich gern mit dem Fahrrad unterwegs in Gegenden, die ich kenne, und dann gucke ich: Was kam jetzt wo noch dazu? Und wenn dann eine Gegend auf einmal so aussieht wie draußen im Westen, am Hochweg, wo ich aufgewachsen bin, werd’ ich melancholisch. Allein, was es da früher an alten Industrieflächen gab! Ich mochte vor allem das Teppichwerk: Wie man da drauf gehen und Wege finden konnte. Wie man immer so halb schon im Unbenutzbaren war, aber eben auch auf Ideen kam. Mittlerweile ist das Areal komplett zugebaut. Regensburg insgesamt ist voller, schneller, dichter geworden. Und was mir jedes Mal auffällt, wenn ich da bin, ist diese Menge an Ausflugsschiffen auf der Donau und die vielen Menschen, die sich von diesen Schiffen in die Stadt hinein bewegen. Das hat es in den Nuller-Jahren so nicht gegeben. Und das ist dann schon auch eine Entscheidung für mehr Kommerzialisierung, die man als Stadt bewusst trifft, Ob und wie man sich dem öffnet.
Deine Bilderserie „Wohnotonie Invest – Regensburger Neubauten“ zeigt, wie der Trend zur gentrifizierenden Architektur auch Regensburg die Luft zum Atmen nimmt. Oder wie würdest du es formulieren?
Genau so! Weil egal wo, in welchem Neubaugebiet in Regensburg du auch fotografierst, du bist immer mit denselben Bauformen konfrontiert, nämlich mit diesem abweisenden Arcaden-Style., wie ich ihn nenne. Damit hat das, glaube ich, angefangen. Und mittlerweile sehen selbst kleinteiligere Wohnsiedlungen aus wie Shopping Outlets. Wenn ich wieder so ein Gebiet entdeckt hab’, wo das alles – Formen, Fassaden, Regenrohre, Fenster, Plätze – stärker zusammenkommt, überraschen mich eher so die Perspektiven, die da auch wieder drin sein können. Also, als Fotografen. Die andere Frage, die ich mir stelle, ist: Wie würde ich damit umgehen, müsste ich mir hier eine Wohnung suchen? Würde ich eher raus nach Obertraubling in so kleinere Neubauten ziehen? Und was für einen Zugang hätte man umgekehrt zu einem Leben hier? Wie sähe der Alltag in so einer Umgebung aus, von der ich das Gefühl hab’, sie hat nichts mit mir zu tun? Das ist, wie wenn du in einem Einkaufsladen bist, in einem überfordernden, riesigen Geschäft wie der Metro, wo sich die Waren bis unter die Decke stapeln, aber du gleichzeitig weißt, eigentlich verbindet mich damit nichts, ich bin da völlig abwesend oder passiv. Was soll ich da machen? Ich kann mich noch in die Wiese setzen, den Fahrradweg am Rand nutzen. Aber das Hauptgefühl ist: Ich möcht’ möglichst wenig damit interagieren müssen.
Menschen wirken in solchen Neubauvierteln, egal ob in Berlin oder in Regensburg, im Grunde deplatziert. Mal abgesehen davon, dass das ja kaum der Sinn sein kann: Wie kommen wir von dieser Art des Bauens wieder weg? Wer muss sich da mit wem dringend mal an einen Tisch setzen? Oder ist es dafür schon zu spät?
Es ist auf jeden Fall gut, wenn Leute sich nicht nur an einen Tisch setzen, sondern direkt auch versuchen, was umzusetzen, eine andere Art von Stadtbau zu forcieren. Wer das sein könnte? Natürlich die Menschen, die über ein unterdurchschnittliches Einkommen auf dem Stadtlevel verfügen, aber genauso Bedürfnisse haben wie andere auch. Generell, glaube ich, wär’s wichtig, als Stadt erst mal eine Erfahrung zu entwickeln, was an einem Ort gebraucht wird, und dann die Bauträger und Immobilienteams arbeiten zu lassen. Dass da ein paar Schritte davor sind, bevor ein Feld oder auch ein ehemaliges Speditionsgelände zu so nem „Dörnberg“ wird. Ich denk’ auch, dass es notwendig ist, alternative Gestalter:innen zu hören, die mehr aus ihrer Wohn- und Alltagserfahrung in Regensburg kommen und nicht schon etabliert arbeiten in den Unternehmen, Künstler:innen, Arbeiter:innen – aber nicht, um auch mal so ne Meinung mit rein zu nehmen, sondern damit sie dann mit anderen in die Umsetzung gehen. Damit die nächste Entscheidung vielleicht ein bisschen lebbarer wird für die Stadt!
Wie sieht’s mit dir selber aus?
Naja, in den letzten Jahren habe ich meine 3D-Arbeiten immer mit dabei und hab’ auch Lust, mit Videoarbeiten und -spielen in die Vermittlung zu gehen, weil das auch eine Möglichkeit ist, Umgebungen und Wirkungen von Umgebungen auszuprobieren. Gerade bei Computerspielen ist es ja oft so, dass sie einen total einnehmen. Und an der Stelle, finde ich, könnte man gut mit digitalem Material arbeiten, das man in der betreffenden Stadt aufgenommen hat. Das in so einem Spiel zusammenzubringen, auch die Brüche zu zeigen, fände ich sehr spannend, weil man da einen starken räumlichen Eindruck bekommt, wenn man sich als Besucher:in in solchen Projektionen und 3D-Umgebungen bewegen kann. Es wäre auch eine Gelegenheit, diese Architekturmodelle, mit denen wir es gerade überall zu tun haben …
…die Neokonservativen Neubauten, wie du sie nennst?
…ja. sich die noch mal genauer anzuschauen. Und sich vorzustellen, wie die in groß an einem Ort wirken. Das wär’ noch mal sehr wichtig, um sich dazu verhalten zu können und sich, im Fall der Fälle, auch mal dagegen zu entscheiden. Mit der Fotografie kann ich nur zeigen, wie es jetzt in der Umsetzung aussieht – nach dem Motto: „Ja, okay, dann halt beim nächsten Mal!“ Da ist das Kind aber schon in den Brunnen gefallen.
Apropos! Vielleicht hast du es ja mitbekommen: Regensburg erlebt nach der Insolvenz von Galeria Kaufhof und der Abwicklung der Filiale am Neupfarrplatz gerade so eine Stunde Null in Sachen Stadtentwicklung. Wäre das nicht die Gelegenheit, innezuhalten und grundsätzlich neu nachzudenken über die Nutzung eines solch zentralen Platzes – zumal es drumherum noch weitere Leerstände gibt?
Ja, dieser ehemalige Horten oder jetzt eben Galeria Kaufhof ist wirklich eine sehr große Fläche und deshalb stellt sich da fast automatisch die Frage nicht nur, wie es an dieser Stelle weitergeht, sondern überhaupt: Wie nutze ich die Innenstadt? Ist Kommerz da wirklich die Lösung? Hat das Zukunft angesichts des eigenen Bestellens von zu Hause aus? Dass die Nahversorgung für die Bewohner der Altstadt weiterhin gewährleistet sein muss, hat auf jeden Fall Priorität. Da sehe ich, ehrlich gesagt, auch die Stadt in der Pflicht. Dass die das hier an Ort und Stelle sicherstellt. Aber sonst? Wär’s nicht perspektivisch sinnvoller, nach einer Alternative zu suchen? Vielleicht ist ja tatsächlich mal was Unkonventionelles interessant? Vielleicht probiert man mal ein halbes Jahr was aus und guckt einfach nur mal: Kommen da Leute? Passiert dann da was kulturell? Das wär’ doch wunderbar, so die Vorstellung, dass es da jetzt erst mal Veranstaltungen gibt, wo die jeweiligen Experten, aber auch Leute, die da wohnen und arbeiten, Künstler:innen usw. in eine Diskussion miteinander gehen. Sag’ Bescheid, wenn da was ist, wo man sich unbedingt beteiligen sollte oder so!
Benjamin Renter, geboren 1981 in Regensburg, studierte visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Themen seiner Fotografie sind Porträts und Alltag der Menschen in Städten, Architekturen der gentrifizierenden Stadtentwicklung, Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, sowie die Müllproblematik. Renter veröffentlicht in "taz", "Junge Welt" und "der Freitag". Eine Dokumentation zum Flüchtlingselend an den Außengrenzen der EU, die er im Hafen von Roccella Ionica in Kalabrien/ Sizilien fotografierte, erschien im Verdi-Kunstkalender 2023. Seine Ausstellung "Wohnotonie Invest - Regensburger Neubauten" ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wege zu bezahlbarem Wohnen" im Evangelischen Bildungswerk (EBW), Am Ölberg 2, in Regensburg zu sehen (bis 17.Mai)