Der Oberpfälzer Josef Rödl und der Kosmopolit Wim Wenders standen in den 1980er-Jahren neben Fassbinder und Co. für das Junge Deutsche Kino. Künstlerisch aber blieben sie sich fremd – zwei Filmemacher, zwei Welten, der eine dezidiert politisch, der andere mit einer ganz eigenen Vision von Kunstkino im Kopf. Jetzt bringt ausgerechnet Rödl den Wenders-Klassiker „Paris, Texas“ in München auf die Bühne. Wie das? Ein Gespräch
0941mag: Wie kam’s zu der Idee aus „Paris, Texas“, dem Film, ein Bühnenstück zu machen?
Josef Rödl: Das hat sich aus der Zusammenarbeit mit dem Münchner Zentraltheater ergeben. Das Zentraltheater ist quasi die Übungsbühne der Schauspielschule Zerboni: 80 Plätze. Klein. Ein perfekter Rahmen für Jungschauspieler und Schauspielschüler. „Paris, Texas“ ist meine mittlerweile dritte Arbeit dort – nach „Tage wie Nächte“, der Wiederaufführung eines meiner eigenen Stücke, und einer Bühnenversion des Fassbinder-Films „Angst essen Seele auf“, die sehr gut angekommen ist. Das nächste Projekt wäre eigentlich „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gewesen. Ich fand, das passt gut in die Zeit mit all dem Hatespeech im Netz. Aber erst hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann gab’s Rechtefragen. Und als wir gesehen haben, dass auch das Volkstheater das Stück spielt, haben wir umdisponiert. Zerboni-Chef Simon Riggers hat mir eine Liste mit Filmen vorgelegt. Ich konnte es mir aussuchen – und hab mich für „Paris, Texas“ entschieden.
Was reizt dich daran, Filmstoffe auf die Bühne zu bringen?
Eine Frage, die mich sehr beschäftigt, ist die nach der Zukunft des Theaters. Wohin geht Theater? In dem Zusammenhang hat mich schon „Angst essen Seele auf“, ein Klassiker des Jungen Deutschen Kinos aus den 1970er-Jahren, sehr interessiert, ein inhaltsstarker Film zu Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Intoleranz, die heute so aktuell sind wie damals. Wenn nicht aktueller. Jetzt, bei „Paris, Texas“, sind es mehr formale Gesichtspunkte, die mich interessieren: Wie geht Filmästhetik in die Theaterästhetik ein? Und kann das was bewirken? Das Theater bangt ja momentan um jeden Zuschauer. Die Leute sind entwöhnt, haben sich in der Pandemie zu Hause eingerichtet, mit Streamingdiensten, also Filmen, und ich glaube nicht, dass Theater das einfach ausklammern kann. Es muss mit neuen Formen darauf reagieren. Das versuche ich mit „Paris, Texas“.
Was kann Theater, was das Kino nicht kann?
Der große Unterschied ist, dass man die Darsteller im Theater live erlebt. Theater kann so lebendig sein auf der Bühne! Das kann der Film nicht. Film ist Konserve. Grundsätzlich kann der Film natürlich mehr als das Theater – wenn man nur an die vielen Möglichkeiten denkt, Nähen herzustellen: Großaufnahme, Totale, halbnah, dieses Aufheben der Distanz. Die Stärke des Theaters dagegen liegt in der Intensität. Dass es durch die Nähe zum Zuschauer fast so etwas wie eine erotische Beziehung herstellen kann.
Kann das Theater dem Kino etwas hinzufügen oder geht es im Gegenteil mehr um die Essenz eines Stoffes und einer Geschichte?
Da sehe ich keine großen Unterschiede: Es gibt Unterhaltungstheater, es gibt Unterhaltungsfilme, es gibt politisches Theater, es gibt politische Filme. Und so werden dann eben auch die Geschichten erzählt.
Apropos Geschichte: Worum geht’s in „Paris, Texas“?
„Paris, Texas“ ist zuallererst eine Geschichte, die den Mythen des amerikanischen Kinos folgt. Ein Mann, der sich auf den Weg macht, ein Land erobert, Schritt um Schritt um Schritt, der ein Ziel ansteuert, das er uns lang nicht verrät. Wir erfahren erst später: Er ist auf dem Weg zu seiner Familie, kämpft mit Schuldgefühlen, denn er war es, der diese Familie zerstört hat. Das beschäftigt ihn. Er versucht zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Und so erzählt der Film die Geschichte einer langsamen Wieder-Annäherung: An seine Eltern, seinen Bruder, aber vor allem an seinen Sohn, den er zurückgelassen hat, und die Mutter des Jungen, seine große Liebe, an der er gescheitert ist. Der Mann will zurück, die Familie noch einmal neu bauen – mit dem Wissen von heute, nicht mehr mit der Illusion der großen Liebe. Das Thema ist: Vertrauen. Ob und wie man verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen kann.
Selbstliebe, Selbsthass, Selbstmitleid dieses Mannes waren schon im Kino schwer erträglich…
Ja, er ist gescheitert, das weiß er und er sagt es auch. Der Moment am Ende seiner Reise.als er ans Ziel gelangt, ähnelt einer Beichtsituation, in der er alles zugibt und formuliert, was die Frau einst ruiniert hat. Eine sehr religiöse Situation, wo er de facto ins Rotlicht geht, denn Jane verdient ihr Geld mittlerweile in einer Peep Show. Aber seine Reue, das Reflektieren der eigenen Fehler und der eigenen Schuld, macht diesen Travis zu einem neuen Menschen, einem glaubwürdigen Menschen – und da beginnt man tatsächlich, ihn zu mögen. Weil er in dem Moment ja auch die Schuld, die er bisher bei den anderen abgeladen hat, von ihnen nimmt. Das ist die gute Tat!
Ich finde ja, er macht es sich zu leicht.
Inwiefern?
Parkt den Sohn bei der Mutter und verschwindet wieder. Nach dem Motto: Die Care-Arbeit für die Frau, die große Freiheit und die Vergebung aller Sünden für den Mann. So was würde man heute unter Gendergesichtspunkten keinem Filmemacher mehr durchgehen lassen …
Ich weiß jetzt nicht, was gendermäßig erwartet wird. Aber der Film lässt ja auch offen, wie es weitergeht. Zu sagen, die lieben sich wieder, wäre sicherlich eine zu große Behauptung. Das ist ausgeschlossen. Aber die Behauptung von Film- und Theatererzählungen, die Liebe ist vorbei und damit ist alles vorbei, ist oft auch vorgeschoben. Man entzieht sich damit der Verantwortung – und Verantwortung über die eigene Gefühlslage hinaus ist das, worum es hier geht. Travis bringt Mutter und Sohn, Jane und Hunter, wieder zusammen. Kann sein, dass er sich wieder verliert. Kann sein, dass er sich fängt. Aber ein gutes Werk hat er in jedem Fall getan.
Wie mutig, wenn nicht gar verwegen, muss man eigentlich sein, um die Filme eines Fassbinder oder Wenders zu dekonstruieren?
Das ist nicht mutig, das ist Spaß, das ist eine Freude, eine Lust, aber auch eine große Herausforderung, einen Stoff, der im Kino mal gut angekommen ist – und „Paris, Texas“ hatte im Kino immerhin über eine Million Zuschauer! – heute, mit der selbst gewonnenen Erfahrung, aber auch vor dem Hintergrund einer sich ändernden Welt neu zu formulieren.
„Angst essen Seele auf“ hatte schon als Film etwas Kammerspielartiges, „Paris, Texas“ dagegen ist jenseits der Leinwand kaum vorstellbar.
„Angst essen Seele auf“ ist entstanden zu einer Zeit, als Fassbinder noch am actiontheater tätig war. Ein paar Jahre später hat er dann den Film gedreht – und da spürt man noch ganz stark die Prägung durchs Theater. „Angst essen Seele auf“ ist ein Kammerspiel und dieses Kammerspiel funktioniert wie Theater und es ist leicht, das in die Theaterform zu transformieren, Ganz anders bei Wenders! Es gibt viele Passagen in „Paris, Texas“ – der Film dauert ja zweieinviertel Stunden – in denen kein einziges Wort gesprochen wird! Damit kann das Theater nichts anfangen. Das ist vollkommen antitheatral. Deshalb habe ich quasi eine magische vierte Wand eingezogen: Im Vordergrund der Theaterraum. Hinten die Tiefe durch die Filmprojektion, so dass ein Dialog zwischen Bühne und Film passieren kann.
Du arbeitest mit Filmzuspielungen?
Ja, wir haben selber gedreht, Szenen, von denen ich einige sogar neu erfunden habe.
Wo und wie habt ihr das realisiert?
Die Rückkehr des Hauptdarstellers in die Zivilisation haben wir an einer Tankstelle bei Neumarkt in der Oberpfalz gedreht. Travis in der Wüste in den Schluchten des Kaolinabbaugebietes am Monte Kaolino, einem Berg aus weißem Quarzsand bei Hirschau, der aussieht wie eine riesige Düne. Wir haben auch in Regensburg gedreht – Bilder aus glücklichen Tagen von Travis mit Jane und Hunter beim Baden an der Schillerwiese, einem improvisierten Strandbad an der Donau, das ich selbst noch aus jungen Tagen kenne. Dazu noch an ein paar Drehorten in München.
Was hattest du für einen Staff, wieviele Leute am Set, die da gearbeitet haben?
Naja, das sind ja Miniteams, das darf nix kosten, als Studiobühne kannst du ja keine Filmproduktion eröffnen! Aber ich nehm auch mal die Kamera selber in die Hand, hab ja selber viel gedreht. Ich hab einen Assistenten, der ausgesprochen fit ist, und wir drehen zu zweit, zu dritt im technischen Team plus Darsteller, wie ich als Student meine Filme gemacht habe – es kann ja trotzdem was Großes dabei herauskommen! Neu ist, dass ich Teile mit dem Handy gedreht habe und Teile dann mit einer professionellen Kamera. Die gleiche Szene! Die Qualität von Handykameras ist inzwischen so gigantisch, dass du damit gut projizieren kannst. Erst recht auf einer so kleinen Bühne. Und es hat auch was ganz Wunderbares: Du holst dein Handy raus, fährst irgendwo vorbei und nimmst das auf. Das war früher nicht denkbar! Was für uns als Studenten, als alles noch auf Film aufgenommen wurde, unser politischer Anspruch war – die Demokratisierung der Produktionsmittel, jeder muss Zugriff haben, um seine Geschichte zu erzählen – das hat jetzt jeder!
Hattest du keine Hemmungen, „Paris, Texas“ neu zu drehen? Ich meine, wir reden hier von einem absolut ikonografischen Film und einem der weltweit bekanntesten und renommiertesten deutschen Filmemacher!
Ja, das ist natürlich ein Risiko und ich weiß auch nicht, was Wenders dazu sagen würde, aber ich bemühe mich eben mit meinen Mitteln, mit meinen Schauspielern, eine Form zu finden und da ist künstlerisch erst mal alles erlaubt. Die Fassbinder Foundation hat uns damals genau vorgeschrieben, was wir dürfen und was nicht. Diese Einschränkung habe ich hier nicht – und, ja, mal sehen, wie wie wir da rauskommen…
Wie groß ist die Gefahr des Scheiterns bei so einem Projekt?
Jede künstlerische Arbeit trägt das Risiko des Scheiterns in sich! Das darf man nicht fürchten. Und es kann hier ja – anders als im Kino – auch nicht viel passieren. Wenn du mit einem Film scheiterst, scheiterst du mit einem Etat von einer Million oder drei oder fünf Millionen. Das ist im Theater und erst recht bei Studiobühnen nicht der Fall. Wir werden hier im Zentraltheater ja gefördert von der Stadt München. Du kannst hier viel experimentieren, das ist sogar ausdrücklich gewollt. Beim Film dagegen ist es so, dass mit steigendem Etat auch der Zugriff von außen auf den Regisseur auf eine Weise zunimmt, dass du irgendwann nicht mehr frei arbeiten kannst. Das gibt’s hier gar nicht.
Wann hast du „Paris, Texas“ eigentlich zum ersten Mal gesehen?
1984, kurz nachdem der Film in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden ist. Ich war ja mit meinem Film „Grenzenlos“ im Jahr davor in Cannes eingeladen, kannte das „wichtigste, größte, glamouröseste Filmfestival der Welt“ bereits aus eigener Erfahrung und wusste, was es bedeutet, wenn ein Film wie „Paris, Texas“ so ein Festival gewinnt: Man trifft auf ein großes Filmkunstwerk! Als ich dann beim Filmfestival in Locarno – wie Cannes ein A-Festival – mit „Grenzenlos“ den Hauptpreis des „Jungen Kinos“ gewann, lief dort auch wieder „Paris, Texas“ als Sieger von Cannes. Die Filme werden ja dann herumgereicht. Also, ich hätte „Paris, Texas“ gar nicht auskommen können, selbst wenn ich gewollt hätte, was aber nicht der Fall war.
Hast du den Film gemocht?
Ja, es war der erste Wenders-Film, den ich wirklich sehr mochte! Bis dahin konnte ich mit dieser Art Kino weniger anfangen.
Wenders’ Filme sind grundsätzlich eher artifiziell, dein Name stand seit 1978 und dem großen Erfolg von „Albert – warum?“ für einen neuen Realismus. Zwei Filmemacher, zwei Welten?
Eindeutig! Also, ich wollte das auch gar nicht, diese Form von artifiziellem Kino. Das war mir – um’s im Jargon der 1970er-Jahre und des 1970er-Rödl zu sagen – zu elitär, zu wenig politisch und so weiter. Die Geschichte vom Albert, der als Außenseiter im Dorf von allen nur herumgestoßen wird, bedient zwar auch den großen Mythos des Einzelgängers. Aber wichtig war mir dabei, die Realität im Dorf abzubilden, die Riten von Ausgrenzung, die Gleichgültigkeit, die Vereinsamung, die den Albert schließlich in den Selbstmord treiben. Ich wollte, dass man das wieder erkennt. Dass man diese Geschichte auch als politische Geschichte begreift.
Kennt ihr euch eigentlich, Wenders und du?
Wir sind uns immer mal wieder begegnet, ja. Zum Beispiel bei den Hofer Filmtagen, wo wir mit unseren Filmen eingeladen waren. Wir haben da auch zusammen Fußball gespielt …
Wenders spielt Fußball?
Ja, aber er hat immer gesagt: „Fußballspielen ist gefährlich, Josef!“ Im Team der Hofer Filmtage mit Werner Herzog, der gerackert hat, bis er umgefallen ist, oder Sönke Wortmann, der ein glänzender Fußballer ist, auch mal in der 3. Liga gespielt hat, so viel ich weiß, mit mir als rechtem Verteidiger – oder dem US-Amerikaner John Carpenter, der auch mal mit gekickt hat, als er einen Film in Hof hatte, aber noch nie einen Fußball, geschweige denn ein Fußballspiel gesehen hatte – hat Wenders den Ball nie weiter als über drei, vier Meter geschoben.
Es war aber auch nicht so, dass er nach dem Riesenerfolg mit „Paris, Texas“ als Lichtgestalt quasi über den Dingen schwebte?
Wim Wenders war immer distanziert. Werner Herzog zum Beispiel, der hat sich hergesetzt und dann hat man halt geredet: „Wie geht’s dir? Was machst du?“ So habe ich Wenders nie erlebt. Oder Fassbinder, der mir alle Türen geöffnet hat zu seinem Set – ich selber hab’ das nur einmal genutzt, hab’ aber Leute von meinem Team da hin geschickt, damit sie was lernen. So eine Offenheit hatte Wenders nicht. Der Kreis um ihn war doch mehr ein elitärer. Ich schätze Wim Wenders als Kollegen. Und er ist definitiv einer unserer Großen. Aber eine persönliche Nähe hab’ ich nicht zu ihm.
Erzähl mir was über deine Hauptdarsteller in „Paris, Texas“! Wie hast du sie gefunden? Ist es ein Vorteil, dass die Bilder aus Wenders Film, von Harry Dean Stanton als Travis und Nastassja Kinski in der Rolle der Jane, nach 40 Jahren in der Erinnerung ein wenig verschwimmen?
Schon, ja, damit spiele ich auch. Auf der anderen Seite haben die Zuschauer, die sich so ein Stück anschauen, meistens schon auch einen Bezug zum Film, viele unserer Theaterbesucher kennen ihn wahrscheinlich sogar, und die Frage ist: Wie geht man damit um? Bei „Angst essen Seele auf“ habe ich damals nach Phänotyp besetzt. Ich wollte, dass das Publikum mit seinen Bildern im Kopf erstmal an dem Stück andocken kann – als würden sie meine Theaterfiguren schon kennen. Aber irgendwann muss man den Film dann eben auch vergessen. Die Inszenierung, die Darsteller müssen eine eigene Kraft entwickeln. Das ist uns bei „Angst essen Seele auf“ sehr gut gelungen, wir hatten hervorragende Kritiken …
Und was hast du jetzt für ein Gefühl?
Michele Cuciuffo war schon bei „Angst essen Seele auf“ mein Hauptdarsteller. Er spielt seit 30 Jahren an den großen Bühnen, macht viel Fernsehen („Tatort“, „München Mord“), auch Kino („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“), ich hab’ ihn damals am Residenztheater gesehen und wusste gleich: Das passt! Und es passt auch jetzt wieder – Michele ist ein wunderbarer Travis“! Luisa Böse, die die Jane spielt, kannte ich nicht. Sie wurde mir empfohlen. Ein neues, junges Gesicht zunächst noch ohne Referenzen, sie kommt direkt von der Schauspielschule, hat aber – während wir „Paris, Texas“ vorbereitet haben – eine Hauptrolle im Bremer „Tatort“ bekommen. Ich hab’ mir drei Sachen von ihr an der Schauspielschule angesehen, bevor ich sie besetzt habe.
Kannte sie den Film?
Sie ist so jung, ich glaube nicht. Vielleicht hat man’s ihr geflüstert. Aber wir haben uns beim ersten Mal auch gar nicht so sehr über den Film unterhalten, sondern mehr über unser Theaterprojekt und auch das war mehr ein vorsichtiges Annähern. Man hat bei einer Darstellerin, die wie Luisa gerade die Schauspielschule absolviert hat, auch eine Verantwortung – weil wenn’s nicht klappt, enttäuscht man die jungen Leute zu sehr! Umgekehrt habe ich schon so oft Filme mit Laien gedreht, die keine Nähe zum Medium Film oder Theater hatten, die mit ganz wenig Erfahrung vor die Kamera getreten sind und es ist mir ganz selten passiert, dass ich falsch besetzt habe. Ich glaube, ich kann das Risiko schon sehr gut einschätzen. Und Luisa ist eine gute Jane! Auch wenn sie natürlich noch keine Nastassja Kinski sein kann. Sie hat die Schauspielschule ja erst im Juli verlassen.
Wenn man dich so vom Theater schwärmen hört, könnte man glauben, das Kino interessiert dich nicht mehr. Täuscht der Eindruck oder hast du dich dem Filmgeschäft entfremdet?
Meine Karriere hat sich irgendwann so entwickelt, wie ich mir’s vor meinem Filmstudium vorgenommen hatte, mit Schwerpunkt auf einer Lehrtätigkeit im akademischen Bereich. Ich wurde Professur an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), wo ich bis 2016 unterrichtet habe. Ich hatte große Erfolge im Kino. Und im Fernsehen. Entzogen habe ich mich dem Fernsehen: Ich war ein viel beschäftigter Regisseur. Hab erfolgreiche „Tatorte“ gedreht, auch geschrieben, aber es war nicht meine Leidenschaft und als ich viermal abgesagt habe, war ich raus. Das habe ich unterschätzt. Aus heutiger Sicht würde ich das auch nicht mehr so machen, aber so ist es halt. Mich hat das Theater, auch Musiktheater damals mehr fasziniert als TV. Und das mit dem Kino …
Du warst 30, als du 1979 für „Albert warum“ den Deutschen Filmpreis bekommen hast, und 34, als dein Film „Grenzenlos“ in der Reihe „quinzaine des réalisateur“ bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt worden ist. Kam der Erfolg zu früh?
Darüber kann man viel spekulieren! Aber wissen kann man’s nicht. Fassbinder hat zu mir gesagt, er will mich unterstützen, er findet den „Albert“ großartig. Er wollte sogar bei mir mitspielen. Das habe ich dann aber nicht gemacht, weil ich nur mit Laien drehen wollte. Mei! Meine Geschichte mit dem Kino war im Grund der Klassiker: Du wirst bekannt, es öffnen sich dir die Türen, du hast einen Riesenerfolg, kommst gut an Produktionsgelder. Aber dann wird’s für Neulinge schon schwer: Die einen wollen von dir dann immer das Gleiche – Dorfgeschichte und schwierig und Problemfilm, wie das damals hieß. Die anderen sehen nur den Etat – für die dreht sich alles ums Geld, wer wieviel bekommt, und die Verteilungsregeln sind hart. Als Regisseur, der seinen Film auch selber produziert, kämpfst du da schnell an mehreren Fronten. Und wenn du in der Situation nicht gleich wieder einen großen Erfolg hinlegst, gibt’s schnell auch kein Geld mehr. Und dann geht man eben zum Fernsehen.
Glaubst du, dass man es als gelernter Mechaniker, mit dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg wie du, heute überhaupt noch auf eine Filmhochschule schaffen kann?
Auf jeden Fall! Man kann sogar Professor werden! Das ist Gott sei Dank alles viel durchlässiger geworden. Heute macht in der Gegend, aus der ich komme, auf dem Land, jeder Abitur, wenn er nur will. Ganz selbstverständlich. Doch das hat erst die Bildungsreform zu Zeiten Willy Brandts ermöglicht. Ich zum Beispiel hab’ als Kind davon geträumt, Domspatz zu werden, nach Regensburg aufs Gymnasium zu gehen, aber Leute wie mich hat man damals noch ungeachtet ihrer Begabung in handwerkliche Berufe gesteckt. Bei mir war kein Tor offen. Später war ich dann der erste Abiturient in meinem Dorf. Mittlerweile kann man auf dem zweiten Bildungsweg auch Kanzler werden wie das Beispiel Gerhard Schröder zeigt. Also kann man’s auch an eine Filmhochschule schaffen.
Josef Rödl, Jahrgang 1949, geboren in Darshofen in der Oberpfalz, ist Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München. Gleich für seinen Abschlussfilm "Albert - warum" von 1978 wird er u. a. mit dem Bundesfilmpreis in Gold für die beste Nachwuchsregie, dem Deutschen Kritikerpreis und dem Preis der Internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung ausgezeichnet. 1983 wird sein Film "Grenzenlos" nach Cannes eingeladen. "Der wilde Clown" von 1986 läuft beim Festival in Montreal. Weitere Erfolge jedoch bleiben aus. Rödl kehrt dem Kino den Rücken, macht Fernsehen ("Tatort", "Anwalt Abel") - manches davon des Geldes wegen, wie er sagt, anderes wie den Zweiteiler "Shalom, meine Liebe" über jüdisches Leben in Deutschland aus echter, innerer Überzeugung. Ende der 1990er-Jahre wendet er sich dem Theater zu. In Regensburg inszeniert er seinen "Albert" als Kammeroper, am Münchner Residenztheater Frank Markus Barwassers Politsatire "Alkaid - Pelzig hat den Staat". Ein von ihm selbst geschriebenes Stück, das Demenz-Drama "Tage wie Nächte", hat 2009 am Münchner Metropol-Theater Premiere und wird 2020 am Zentraltheater wieder aufgeführt. Neben der eigenen Karriere kümmert sich Rödl um den Nachwuchs: Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie, war Lehrstuhlinhaber Filmischer Raum/ Szenenbild an der Münchner HFF (2001-2016). Rödl lebt in München