Sie ist aufgeschlossen, zugewandt, klug. Und nicht auf den Mund gefallen. Die 17-jährige Xenija Schulz ist ein politisches Naturtalent. Ihr großes Thema ist die soziale Gerechtigkeit und sie bringt mit, was vielen Politiker:innen fehlt: Credibility. Bei den Wahlen 2023 soll die Regensburger Gymnasiastin für Die Linke das Direktmandat im Bezirkstag holen. Ein Treffen im Parteibüro

0941mag: Xenija, du bist Mitglied der Linken in Regensburg …

Xenija Schulz: Seit 2021, ja. Ich bin im Mai kurz vor meinem 16. Geburtstag in die Partei eingetreten.

Und ein Jahr später, mit 17, schon Vorstand?

Ja, aber Die Linke ist jetzt keine große Partei, die ein riesiges Netzwerk hat wie zum Beispiel die SPD. Und in Regensburg gibt es auch weniger Leute, die sich aktiv engagieren. Die Linke hat hier so um die 100 Mitglieder, also schon viele, aber das sind eher Leute, die sich raushalten aus der aktiven Parteiarbeit, die die Partei gut finden und ihren monatlichen Beitrag zahlen, aber sonst nichts Politisches machen wollen. Aus welchen Gründen auch immer. Was auch in Ordnung ist.

Das hört sich jetzt so easy an. Als wär der Job dir in den Schoß gefallen. Ist er aber nicht, oder?

Man muss schon auch was tun, klar. Man nimmt regelmäßig an Treffen teil, geht zu Kreissitzungen und Stammtischen. Man muss ja auch erst mal die Menschen kennenlernen. Du kannst nicht in den Vorstand gehen, ohne die Menschen zu kennen, die du vertrittst. Aber wenn man das macht und wenn man sich dann aufstellen lässt, dann klappt es auch. 

Deine Kernthemen bisher waren die Frauen- und Jugendpolitik. Worauf hast du dich da fokussiert?

Also, ich bin ja noch nicht lang im Vorstand. Viele Akzente habe ich deshalb noch nicht setzen können, leider, ich würd’ gern mehr machen, aber ich muss auch erst mal die Strukturen kennenlernen. Der Grund, warum man mir die Jugend- und Frauenpolitik anvertraut hat, ist zum einen, dass ich selbst noch Jugendliche bin und deshalb näher an den jungen Leuten dran. Außerdem interessiere ich mich sehr für feministische Themen, für Frauenthemen allgemein, das ist mir wirklich ein Anliegen – die gerechte Bezahlung, dass Femizide benannt und aufgearbeitet werden …

Der Europarat hat Deutschland erst neulich Defizite beim Schutz von Frauen und Mädchen attestiert – und einen Aktionsplan angemahnt.

Ja, das ist wichtig! Dass ich auf kommunaler Ebene etwas dafür tun kann, denke ich zwar eher nicht. Aber wenn sich zum Beispiel in meiner Partei eine Frau unwohl fühlt, kann ich ihr eine Stimme geben. Und wenn es ein Anliegen einer Frau gibt, bin ich da. 

Nächstes Jahr, bei den Landtags- und Bezirkstagswahlen, sollst du für Die Linke das Direktmandat für den Bezirkstag holen. Wie realistisch ist das?

Tatsächlich finde ich es nicht unrealistisch! Wir hatten ja auch jemanden von der Linken im Bezirkstag, die Marina Mühlbauer, die ist dann aber 2020 zur CSU übergewechselt und ihr Mandat hat sie mitgenommen. Damals war ich noch nicht in der Partei, deshalb weiß ich auch nichts Näheres darüber. Auf jeden Fall hat schon mal jemand von der Linken aus Regensburg den Sprung in den Bezirkstag geschafft. Also sehe ich da auch für mich eine Chance.

Wie kann man eigentlich als Linke zur CSU wechseln?

Das fragen sich hier alle. Weil eine richtige Erklärung gab’s nicht. Vielleicht hat Frau Mühlbauer ihr Mandat als Sprungbrett genutzt, um von einer kleineren Partei in eine größere zu kommen. Aber wenn es so war, ist es schon dreist, weil man lügt ja. Man lügt seine Genossen an. Man lügt seine Wähler an. Umgekehrt frage ich mich, wie es sein kann, dass die CSU so jemanden in ihrer Partei haben will: Wer einmal sowas tut, der könnte es ja wieder machen.

Wann fängst du mit dem Wahlkampf an? Und ist das nicht eine ziemliche Belastung neben der Schule? 

Ich gehe davon aus, dass wir im April starten und die Hochphase wird dann wahrscheinlich kurz vor den Wahlen sein, im August/ September, möglicherweise auch schon im Juli, und da ist dann eh grad keine Schule. Ich glaub’, das wird nicht so schlimm. Aber wenn sich der Wahlkampf doch mit der Schule überschneidet, ist mir auch nicht bang: Ich hab’ einen extrem guten Sinn für Zeitmanagement! Mein Schlüssel ist der Schlaf: Ich hab’ gemerkt, wenn ich früh ins Bett geh’ und früh wieder aufstehe, dass ich dann viel mehr in den Tag reinbekomme. Zum Beispiel gehe ich morgens schon zum Sport, dann in die Schule, meine Hausaufgaben versuche ich in den Zwischenstunden zu erledigen. Ich gehe auch noch arbeiten in der Gastronomie und ich glaub’, wenn man einfach seinen Zeitplan einhält, nicht trödelt, kommt man gut durch. Wenn ich lerne zum Beispiel, versuche ich, mich eine Stunde voll nur darauf zu konzentrieren, nur das zu machen und mich nicht ablenken zu lassen. Viele denken ja, dass man viel Zeit investieren muss, wenn man gut in der Schule sein will. Aber ich glaube, es ist eher, dass man seine Zeit effektiv nutzt. 

Wenn es mit dem Direktmandat nicht klappt, ist es mit deiner politischen Karriere vielleicht vorbei, ehe sie richtig angefangen hat. Hast du daran mal gedacht? 

Also, ich wüsste nicht, warum das so sein sollte. Überhaupt nicht. Ich meine, es ist in Ordnung, wenn die Wähler sich anders entscheiden, dann kann ich wenigstens sagen – hoffentlich, jetzt aus der Zukunftsperspektive – dass ich alles in meiner Macht Stehende getan habe im Wahlkampf. Dass es nicht an mir gelegen hat. Sondern dass jemand anderes für die Wähler überzeugender war. 

Du meinst, dass man auch aus einer Niederlage etwas lernen kann?

Auf jeden Fall! 

Woher kommt eigentlich dein Interesse für Politik?

Politik war für mich schon immer ein Thema! Schon meine Oma hat mit mir darüber geredet, dass Politik etwas sehr Wichtiges ist. Warum sie das gemacht hat, müsste ich sie mal fragen. Aber durch sie bin ich schon im Grundschulalter auf Politik gekommen, ohne wirklich zu wissen, was das ist. Eine große Rolle haben die Sozialen Medien gespielt, die ja für viele Jugendliche die Quelle schlechthin sind, wenn’s um Nachrichten geht und darum, sich eine Meinung zu bilden. So war das auch bei mir. Irgendwann hab’ ich damit angefangen, Politiker:innen und Parteien zu folgen und das hat mir dabei geholfen, eine politische Haltung zu entwickeln. Die Worte meiner Oma hatte ich dabei aber immer im Ohr und ich dachte mir: Ich möchte in eine Partei eintreten, weil ich keine von denen sein will, die sich ständig nur beschweren. Ich will lieber versuchen, mit anzupacken, um etwas zu bewegen. Also habe ich in Parteiprogramme geschaut, hab’ geguckt: Was passt denn zu mir? Und da war schnell klar: Es ist Die Linke … wegen dem Schwerpunkt auf den sozialen Themen, wegen des moralischen  Anspruchs, den sie hat, wegen des Engagements für die weniger Privilegierten in der Gesellschaft. Was ja auch immer schon ein zentrales Thema für mich persönlich gewesen ist.

Der Vater wollte, dass sie Karate lernt, sie hat begriffen: „Beim Karate kämpft man nicht gegeneinander, sondern miteinander“, sagt Xenija Schulz. Das gilt auch für ihr politisches Engagement

Inwiefern?

Naja, meine Eltern sind beide Arbeiter. Würde man wohl sagen. Meine Mutter ist Krankenpflegerin, mein Vater arbeitet bei der Post, und ich hab drei Geschwister und dementsprechend war das Geld nicht immer so verfügbar bei uns. Als sich meine Eltern getrennt haben, habe ich das extrem gemerkt. Meine Mutter war plötzlich alleinerziehend mit drei Kindern, musste mit ihrem Pfleger:innengehalt allein die Wohnung zahlen – der Paradefall, genau das Beispiel, das immer kommt, wenn man über Menschen in prekären Lebensumständen spricht, und ich hab’s hautnah miterlebt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man als Kind nicht mit auf Klassenfahrt fahren kann, weil das Geld nicht reicht. Und wenn jemand in der Schule gefragt hat, warst du auch im Urlaub, konnte ich nie sagen: „Ja, ich war im Urlaub.“ Denn ich war nie im Urlaub. Ich war immer zu Hause. Damals habe ich das nicht verstanden, mittlerweile schon und ich find das sehr traurig, wenn Kinder so aufwachsen müssen.

Habt ihr daheim viel über Politik gesprochen?

Also über Politik jetzt nicht wirklich…wenn, dann kam’s von mir oder meine Mutter hat mal gesagt: Warum verdiene ich so wenig in der Pflege oder nicht genug, warum steht das eigentlich in keinem Verhältnis zu dem, was ich Tag für Tag leiste. Oder wenn sie uns Kindern mal wieder den Wunsch abschlagen musste, ins Schwimmbad zu gehen. Über sowas haben wir schon geredet, aber halt nicht unter der Überschrift „Politik“. Sondern mehr von den Auswirkungen her. 

Und in der Schule? Wie reagieren zum Beispiel deine Mitschüler:innen darauf, wenn Sie hören – ich weiß nicht, ob sie’s wissen – dass du dich in der Linken engagierst?

Da hatte ich letztes Jahr mal eine Diskussion darüber, das weiß ich noch genau (lacht). Das war in Sozialkunde, und wir haben so die politischen Parteien in Deutschland vorgestellt, in der Gruppe, zu fünft, und sind dabei irgendwann auch auf Die Linke gekommen. Ich hab’ dann halt gesagt: Ich bin in der Linken – und naja, da ging’s dann auch gleich los mit Fragen wie: „Aha, dann hättest du gern die DDR zurück?“ Oder: „Bist du für den Kommunismus?“ Und ich so: Nein, bin ich nicht! Manche meinten: „Ja, aber in der Linken sind doch nur Linksradikale!“ Und wenn du dann sagst: Stimmt nicht! Ich bin selbst in der Partei, ich kenn die Menschen da und es ist nicht so, das ist vielleicht was, was ihr von euren Eltern gesagt bekommen habt, wird dir trotzdem nicht geglaubt. An der Stelle ist dann für mich Schluss. Ich bin ja nicht dafür verantwortlich, meine Klassenkamerad:innen politisch zu bilden. Und wenn sie sich nichts von mir anhören wollen, kann ich auch nichts machen.

Wie reagiert die Schule?

Die Schule weiß es gar nicht, ich wüsste auch gar nicht, wo und wann ich das erzählen sollte. Wenn sie mich irgendwann auf Wahlplakaten sehen, werden sie es schon merken. Aber ich hoffe natürlich, dass es mir nicht zum Nachteil ausgelegt wird. 

Gab’s eigentlich über die Erfahrungen in der Familie hinaus, über die wir schon gesprochen haben, sowas wie einen Schlüsselmoment, in dem du gemerkt hast, dass du dich einmischen willst? Dass alles Denken und Reden nichts hilft, sondern dass man sich engagieren muss, wenn man die Verhältnisse ändern will?

Nee, also es ist schon wirklich meine Geschichte, diese immer mehr werdenden Ereignisse aufgrund dessen, dass meine Familie nicht das Geld hat, das andere haben, und das habe ich so richtig dann auf der katholischen Mädchenschule gemerkt, auf die ich jetzt geh’. Da gibt’s halt viele, die sehr gut verdienende Eltern haben, die immer die neuesten Sachen haben und über Skiurlaube weiß Gott wo geredet haben – und ich konnte nie mitreden und hab’ mich irgendwann auch ausgeschlossen gefühlt.  

Junge Leute in deinem Alter sind häufig in aktivistischen Kontexten unterwegs … hat’s diese Phase bei dir auch gegeben?

Ja, die hat’s tatsächlich gegeben! Ich war zwar nicht aktiv beteiligt in dem Sinn, dass ich da was organisiert hab’, aber ich bin auf jeden Fall von Anfang an bei Fridays for Future-Demos dabei gewesen, auch bei Mahnwachen, ich hab sogar mal eine Rede gehalten, das muss so 2018 gewesen sein, auf dem Haidplatz. Da war ich 13. Ich hab’ über Veganismus geredet und wie klimaschädlich es sein kann, was wir essen.

Du hältst eine Rede, mit 13, stellst dich da hin und pfeifst dir nix?

Naja, um mich herum waren ja Menschen, die haben so circa das Gleiche gedacht wie ich oder waren wenigstens interessiert, das macht die Sache leichter. Ich wusste, das sind keine Leute, die mich ausbuhen würden. Von daher hatte ich schon ein gewisse Sicherheit. Aber es hat mich als 13jähriges Mädchen bestimmt auch einfach mitgerissen – dieses Was-Tun, dieses Gefühl, ich bin in einer Gruppe und vielleicht können wir ja tatsächlich was erreichen. Das war sicher so. Heutzutage bin ich da eher raus – nicht wegen meinem Alter, da sind ja auch Leute um die 30 und es gehen auch Eltern und Senioren mit, aber Demos sind nicht so mein Fall. Ich find’s schön, wenn Menschen sich zusammenschließen und für eine Sache stehen, aber ich mag die Menschenmenge nicht und den Lärm. Mir ist ein ruhiges Setting lieber.

Du möchtest was bewegen, erreichen, hast du gesagt. Aber wie es aussieht, wird die Linke auf absehbare Zeit nicht viel mitzureden und -gestalten haben. In den Bundestag hat sie es 2021 nur wegen dreier Direktmandate geschafft. In Niedersachsen ging gerade die vierte Landtagswahl nacheinander verloren und in Bayern lagen die Prognosen für 2023 zuletzt bei um die zwei Prozent.  Keine besonders ermunternde Perspektive, oder? 

Also, wo’s bergab geht, muss es irgendwann auch wieder bergauf gehen, da bin ich optimistisch. Außerdem fallen der Linken die Themen ja gerade nur so in den Schoß. Deshalb denke ich schon, dass wir eine Chance haben, wenn wir am richtigen Punkt ansetzen. Aber auch, wenn man nicht in den Landtag kommt, heißt das ja nicht, dass man nichts bewegen kann. Das fängt ja auf der kommunalen Ebene schon an, mit kleinen Schritten, die man gehen kann, um für eine bessere Welt zu sorgen, für mehr politisches Bewusstsein, mehr Aktivismus und ein entschiedeneres Eintreten für die eigenen Belange, wie Irmgard Freihoffer das für die Linke im Regensburger Stadtrat tut. 

Trotzdem noch mal die Frage: Wie kann es sein, dass Die Linke in Zeiten von Pandemie, Inflation, Abstiegsängsten großer Teile der Gesellschaft, der Krise des Kapitalismus und seiner Wachstumsideologien die Menschen mit ihren ureigensten Themen – Antikapitalismus, Umverteilung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit – nicht erreicht? 

Ich glaub, wir sind einfach nicht laut genug. Die Linke weiß oft nicht, wann der richtige Zeitpunkt ist, um einzuschreiten, wann der richtige Zeitpunkt für eine Aktion ist und wann man sich als Partei vielleicht besser mal zusammenreißt. Dazu kommt, dass rechte Parteien oft mit linken Themen punkten, das ist aber natürlich scheinheilig, denn sie machen eben nicht Politik für alle Menschen, sondern nur für Deutsche. Deswegen haben wir auch mit Rechten nichts gemein. Selbst wenn es im ersten Moment vielleicht manchmal so scheint, ist es überhaupt nicht so. Denn die AfD beispielsweise ist ja nationalistisch und das sind wir gar nicht. Auch deshalb müssen wir definitiv lauter werden.  

Sind die Grünen womöglich die smarteren Linken? Beispiel: Die Linke will Energiekonzerne verstaatlichen – Robert Habeck macht’s (mit Uniper)! Oder: Die Linke fordert schon ewig, dass Reiche in Deutschland stärker belastet werden – die Grünen wollen eine „befristete Vermögensabgabe“ nun auf ihrem Parteitag beschließen. Kann’s sein, dass die Grünen der Linken da grad so ein bisschen die Butter vom Brot nehmen?

Also, mit den Grünen und den Linken, das ist so eine Sache, weil bei den Linkem ist ja das Grundprinzip eigentlich, dass wir uns nicht verbiegen. Wir sagen ja  immer noch zum Beispiel, Waffenexporte wollen wir nicht, denn wenn man für den Frieden ist, kann man nicht gleichzeitig Waffen liefern. Die Grünen dagegen haben seit dem Krieg in der Ukraine ihre Prinzipien komplett über den Haufen geworfen. Auf den Wahlplakaten zur Bundestagswahl stand noch: Waffenexporte stoppen! Frieden! Alles Grün! Aber schon im März diesen Jahres galt das alles auf einmal nicht mehr. Und dann frage ich mich: Will man einer Partei vertrauen, die ein halbes Jahr nach Regierungseintritt ihr Wahlprogramm mehr oder weniger in die Tonne tritt? Also ich würde so einer Partei nicht vertrauen wollen.

Vielleicht hat das momentan schwache Standing der Linken ja auch mit der Außendarstellung zu tun, mit dem Bild der in sich zerstrittenen Partei, das sie in der Öffentlichkeit abgibt? Der Dauerzwist zwischen Partei und Fraktion in Berlin, das Wagenknecht-Problem, die Parteiaustritte prominenter Linker wie Ulrich Schneider, Fabio de Masi, dazu die wiederkehrenden Spaltungsgerüchte: Das ist schon wirklich eine desaströse Performance, findest du nicht?

Bestimmt hat es damit zu tun! Keine Frage. Ich find’s sehr schade, dass sich die Linke, die so gute Themen hat, die für soziale Gerechtigkeit eintritt und diese soziale Agenda auch wirklich voranbringen will, sich in innerparteilichen Kleinkriegen verzettelt – und ich bin da auch nicht die Einzige. Das habe ich als Delegierte beim Landesparteitag Anfang Oktober gemerkt. Da gab’s auch Diskussionen und Sarah Wagenknecht war auch mal Thema. Aber sobald eine Rede gehalten wurde, die nicht explizit irgendeiner Strömung zugeordnet werden konnte, sondern sich auf Kernthemen der Linken bezogen hat, waren alle voll dabei. Also, wenn ich mir was wünschen dürfte, dann, dass Die Linke sich auf ihre Kernthemen besinnt und Diskussionen intern führt und nicht in der Öffentlichkeit.

Mein Eindruck ist: Die Linke macht es selbst denen schwer, sie zu wählen, die eigentlich Sympathien hätten für eine linke Politik. 

Das ist sicher so – und das finde ich schon ärgerlich, gerade wenn man bedenkt, wie nah Die Linke mit ihren Themen an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und an den Sorgen und Nöten der Menschen ist! Insofern ist es auch anstandslos.

Muss man eigentlich aufpassen, was man sagt, wenn man so jung ist wie du und durchstarten will in dieser Partei?

Müssen nicht, aber ich mach’ das automatisch so. Ich weiß, ich hab noch nicht viel Erfahrung, ich bin jung, hab noch nicht so oft vor Menschen gesprochen und besonders, wenn man über seine eigene Meinung spricht, ist man ja sehr verletzbar. Deshalb denke ich lieber dreimal nach, bevor ich etwas sage. Aber gezwungen dazu fühle ich mich nicht.

Besteht nicht die Gefahr, dass man aufgrund dessen, was man sagt, gleich einem bestimmten Lager zugeordnet wird? 

Ich selbst hab das noch nicht erlebt. Aber ich würde es auch nicht ausschließen. 

Was machen die Störgeräusche aus Berlin mit dir, deinem Engagement, deinem Verhältnis zur Partei? Wie kommt das an der Basis an?

Es nervt, es macht mich auch traurig. Aber ich persönlich les’ so was, denk mir meinen Teil und mach’ weiter, weil für mich die Partei halt das hier ist: das Kreisbüro, das, was ich hier bewirken kann, die Menschen, die ich hier um mich habe, mit denen ich zu Protestveranstaltungen, Kundgebungen und auf Demos gehen kann. Das ist, was die Partei für mich ausmacht. Was auf Bundesebene geschieht, das kann ich eh nicht beeinflussen. 

Spätestens, wenn du 2023 Wahlkampf machst, werden ein paar von den Leuten, die zu dir an den Infostand kommen, wissen wollen, wo du (z.B.) in der von Sarah Wagenknecht aufgeworfenen Frage der Sanktionen gegen Russland stehst. Wagenknecht wirft der Regierung vor, aus „Dummheit“ einen „Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun gebrochen“ zu haben. Was ist deine Meinung?

Also, vielleicht mache ich mich damit nicht bei jedem beliebt. Aber ich muss Sarah Wagenknecht da schon in vielen Punkten Recht geben. Jeder will doch, dass dieser verbrecherische Krieg, den Putins Russland gerade in der Ukraine führt, aufhört. Man ist ratlos, wütend, verhängt Sanktionen in der Hoffnung, Putin damit zum Einlenken zu bewegen. Tatsächlich aber passiert etwas ganz Anderes. Wir schaden uns mit den Sanktionen vor allem selbst: Familien können ihre Heizkostenrechnungen nicht mehr zahlen, Unternehmen können nicht mehr produzieren, der Mittelstand droht, unterzugehen, weil Russland uns das Gas abdreht. In so einer Situation, finde ich, muss man schon überlegen, ob Sanktionen wirklich das richtige Mittel sind, den Krieg zu beenden, was sie mit dem eigenen Land und den Menschen hier machen und ob das wirklich so vertretbar ist. Ich hab’ mir Sarah Wagenknechts Rede im Bundestag extra noch mal angehört, um mir ein Urteil zu bilden, und ich muss sagen, dass ich damit größtenteils einverstanden bin. Ich verstehe ehrlich gesagt den Aufruhr nicht.

In der Frage, ob die Bundesregierung die Ukraine auch mit Waffen unterstützen sollte, stimmte die Linke im Bundestag mit Nein.

Gut so! Ich bin auch nicht für Waffenlieferungen an die Ukraine – einfach aus dem Grund, dass durch Waffen kein Krieg gewonnen wird. Der Krieg wird dadurch auch nicht verkürzt, sondern in die Länge gezogen. Es sterben weitere unschuldige Zivilisten, die nichts verbrochen haben, Soldaten, die Familien haben und Kinder, normale Menschen wie du und ich – und das ist einfach nicht fair, denn das sind nicht die Menschen, die diesen Krieg provoziert haben.

Geschlossenheit gehörte bislang nicht zu den Stärken der Linken, sie wird sich vermutlich auch jetzt nicht auf Kommando herstellen lassen. Was versprichst du dir unter diesen Vorzeichen vom neu gewählten bayerischen Landesvorstand mit Kathrin Flach Gomez und Adelheid Rupp?

Ich hab sehr viel Vertrauen in die beiden, vor allem in Adelheid Rupp, die hab ich selbst schon ein paar Mal getroffen – zum Beispiel beim Oberpfalz-Treffen der Partei. Sie ist meines Wissens auch im Komitee für die Landtagswahlen, eine sehr ehrgeizige und zielstrebige Frau mit tollen Ideen. Sie möchte auffallen und herausstechen in diesem Wahlkampf, das ist genau, wo wir ansetzen müssen. Ich find’ diese weibliche Doppelspitze auch ein tolles Signal, denn Die Linke ist ja auch eine feministische Partei und dazu passt, dass wir jetzt zwei Frauen im Vorstand als Landessprecherinnen haben.

„Junge Leute bringen natürlich auch frischen Wind mit rein und neue Ideen“: Es wird Zeit, dass Die Linke ihr Potenzial endlich ausschöpft, findet Xenija Schulz

Für einen Aufbruch der Linken spricht auch, dass gerade viele junge Leute in die Partei eintreten. Ende letzten Jahres waren 30 Prozent der Mitglieder unter 30. Sind das alles „Lifestyle-Linke“?

Ich bin mir nicht sicher, ob das alles „Lifestyle-Linke“ sind, ich würd’ mich selber jetzt auch nicht als Lifestyle-Linke bezeichnen, obwohl ich ein paar von den Klischees auch selbst erfülle – zum Beispiel, indem ich vegan lebe. Aber ich trinke jetzt keine Mate oder so… 

Im Ernst: Was kann der Verjüngungsprozess bewirken, welche Auswirkungen auf die Politik der Linken wird das deiner Meinung nach haben und ist davon schon etwas zu spüren?

Also auf jeden Fall bringen junge Leute natürlich auch frischen Wind mit rein und neue Ideen, vielleicht auch Themen, die näher an jungen Leuten dran sind, so dass es zu einer Kettenreaktion kommen könnte: Mehr junge Leute in der Partei machen Die Linke für junge Menschen attraktiver und sorgen dafür, dass mehr Junge den Weg zu uns finden. Generell, denke ich, ist der Aufwärtstrend ein gutes Zeichen, weil er zeigt, dass sich junge Leute sehr wohl für Politik interessieren. Und das ist gerade wirklich wichtig.

Was wären denn so „junge Themen“? 

Den Klimawandel, ganz klar. Das ist ein Thema, das junge Leute mit am meisten beschäftigt, weil sie ja eben noch länger auf diesem Planeten leben werden und vielleicht sogar länger als diejenigen, die jetzt alt sind, durch bessere Gesundheitsversorgung, bessere Medikamente. Wer weiß, vielleicht werden wir alle irgendwann 90 Jahre alt – und wer will schon 90 Jahre auf einer Erde leben, die immer heißer wird, immer kaputter und vermüllter …

Die Linke als „sozialrebellischer Arm eines Green New Deal“, das ist jetzt aber mehr Katja Kipping als Sarah Wagenknecht, die für eine Linke wirbt, die sich auf soziale Fragen innerhalb nationaler Grenzen beschränkt. Du bist Flügel-mäßig in der Partei gar nicht so leicht zu verorten, oder?

Nee, das funktioniert nicht (lacht)! Ich hoffe, ich habe einen weiten Blickwinkel, was das angeht. 

Du hast angekündigt, dass du dich im Wahlkampf vor allem um das Thema soziale Gerechtigkeit kümmern willst. Worum geht’s dir dabei konkret?

Soziale Gerechtigkeit ist für mich, dass Menschen anständig bezahlt werden, dass umverteilt wird, dass Menschen in Würde alt werden können, dass sie genug Rente haben – das sind alles eher bundespolitische Themen tatsächlich. Aber das ist auch das, was mir am Herzen liegt.

Du meinst, der Staat tut zu wenig?

Auf jeden Fall.

Trotz Wumms,  Doppel-Wumms oder wie die angekündigten „Entlastungspakete“ für die Menschen in Deutschland alle heißen?

Das sind alles Maßnahmen, die bestenfalls temporär wirken, aber sie packen das Problem nicht an der Wurzel. Das fehlt mir immer. Wenn man von 300 Euro Energiepauschale redet: Warum führt man keinen Energiepreisdeckel ein, der jetzt vielleicht – oder vielleicht auch nicht –  kommen soll? Warum führt man keine Übergewinnsteuer ein für Energieunternehmen, die an der Krise verdienen? Warum bezahlt man die Menschen nicht besser, die beim Staat arbeiten wie eben Krankenpfleger:innen in öffentlichen Krankenhäusern? Immer nur an der Oberfläche kratzen, wenn’s um Probleme geht, die tiefere Ursachen haben, wird nicht helfen. 

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat gerade vorgerechnet, dass Inflation, hohe Lebensmittelkosten und steigende Energiepreise vor allem die Ärmeren treffen, die schon während der Pandemie an Einkommen eingebüßt haben. Was kommt da auf uns zu?

Wenn die Preise weiter so steigen, droht uns, denke ich, eine Armutswelle. Ist ja eigentlich eine einfache Rechnung: Wenn du ein Gehalt bekommst, aber die Preise immer weiter steigen, das Gehalt aber nicht; wenn die Preise dann auch noch in einem Ausmaß steigen, dass es einfach nicht mehr im Verhältnis steht – denn eigentlich sollte die Inflation ja bei zwei Prozent liegen und nicht wie zuletzt bei zehn Prozent – dann ist klar, dass die Menschen irgendwann ihre grundlegenden Kosten nicht mehr zahlen können, dass ihre finanzielle Existenz ins Wanken gerät. Dabei waren ja nicht wenige Menschen schon vorher armutsgefährdet. Durch die Inflation könnten sie jetzt endgültig in die Armut rutschen.  

Steht der Zusammenhalt der Gesellschaft auf den Spiel?

Könnte sein. Wenn immer mehr Menschen arm werden, immer mehr aber auch von der Krise profitieren, zum Beispiel Lebensmittel- oder Energiekonzerne, kann’s schon sein, dass die Kluft in der Gesellschaft noch weiter auseinander geht. Die Krise wird diese Entwicklung jedenfalls weiter befeuern.

Die Landtags- und Bezirktagswahlen im kommenden Jahr sind die ersten, bei denen du mit abstimmen darfst. Wärst du gern schon früher wählen gegangen?

Ich wär schon gern früher wählen gegangen, ja, und zwar aus dem Grund, weil ich mich halt schon früh mit Politik auseinandergesetzt hab und um meine politische Grundhaltung weiß. Ob ich generell für eine Herabsetzung des Wahlalters bin, weiß ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich. Ich hab’ da immer noch keine eindeutige Meinung – wobei die Die Linke das Wahlalter ja sogar auf 14 Jahre herabsetzen möchte. Für mich sprechen da mindestens so viele Argumente dagegen wie dafür. Dafür spricht natürlich, dass junge Menschen mitbestimmen sollten bei denThemen, die sie unmittelbar betreffen wie zum Beispiel der Klimawandel. Den zu bekämpfen, wird mit jedem Jahr, das vergeht, schwieriger und junge Menschen müssen in die Lage versetzt werden, ihn aufzuhalten – und wählen zu gehen, ist eine Möglichkeit. Andererseits, wenn ich mir die Leute in meiner Umgebung und in meinem Alter so anschaue: So richtig eine politische Bildung haben die meisten nicht. Aber ist das ein Argument? Und wo zieht man die rote Linie? Kann man jungen Menschen sagen: Ihr dürft jetzt nicht wählen, weil ihr das Wissen und die Erfahrung noch nicht habt? Es gibt schließlich auch genügend Menschen über 20, über 30, über 50, bis ins hohe Alter, die das Wissen nicht haben – und nur deshalb ihr Kreuzchen, sagen wir: bei der CSU machen, weil sie es „immer so gemacht“ haben. Also, ich finde das eine schwierige Frage! 

Wenn man die Zahlen der U18-Bundestagswahl von 2021 zum Maßstab nimmt – Grüne (21,2%), SPD (19,21%), Linke (7,51%) – gäbe das eine schöne satte, linke Mehrheit. Werden wir es noch erleben, dass Die Linke so eine Chance dann auch nutzt?

Also ich hoffe natürlich, dass wir das erleben und ich glaube auch dran. Was Die Linke dann in so einem Fall macht, hat sie selber in der Hand, das hat vor allem die Parteispitze in der Hand …

Würde sie Verantwortung übernehmen in einem rot-rot-grünen Bündnis?

Warum nicht? Ich fände das gut. Aber als Opposition sind wir auch wichtig! 

Unter Angela Merkel gab’s während der ganzen 16 Jahre eine linke Mehrheit in Deutschland. Aber es kam nie zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung, unter anderem, weil sich Die Linke konsequent verweigert hat. Glaubst du, dass irgendwann doch der Pragmatismus siegt?

Also im Kern sind wir eine Oppositionspartei. Wir sind nicht bereit, viel zu verhandeln, weil wir ja bei unseren Werten bleiben wollen anders eben als die Grünen im Moment. Deswegen sollte sich Die Linke, glaube ich, auch auf die Oppositionsrolle konzentrieren, weil es das ist, was wir sind. Wir sind die Opposition, die linke Opposition.

Das macht mir jetzt ein bisschen Angst, vor allem, weil wir gerade in Italien erleben, wozu so eine Verweigerungshaltung führt. Weil die Partito Democratico (PD) es nicht vermochte, ein linkes Bündnis zu schmieden, regieren dort demnächst die Postfaschisten. Würdest du als Linke auch unter solchen Vorzeichen aus Prinzip in die Opposition gehen? 

Nein, in so einem Fall absolut nicht, diese Postfaschisten sind eine große Bedrohung, und rechte Regierungen häufen sich ja gerade in Europa – zuletzt in Schweden mit den Schwedendemokraten, aber auch in Polen, Ungarn, bald vielleicht in Frankreich und aller Wahrscheinlichkeit nach in Italien. Es könnte sein, dass Deutschland bald umzingelt ist von rechten Kräften. Und auch bei uns ist die AfD in Sachsen schon stärkste Partei, in Niedersachsen hat sie ihr bisher bestes Ergebnis überhaupt im Westdeutschland erzielt. Also, da kann man schon von einem Rechtsrutsch reden, und ich sehe da auch Europa und die europäischen Werte klar bedroht.

Das heißt: Du würdest mit der Linken doch lieber in ein rot-rot-grünes Bündnis gehen als einen Super-GAU wie in Italien heraufzubeschwören?

Ja, denn im Fall der Fälle sind Kompromisse immer noch besser als eine rechte Regierung! 

Xenija Schulz, Jahrgang 2005, stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sie lebt vegan. Ist Feministin. Kann Karate, was gut zur Mischung aus mentaler und physischer Fitness passt, die sie sich selbst verordnet hat, um gut durch die nächsten zwei Jahre zu kommen. Schulz ist Schülerin der 11. Klasse am Regensburger St. Mariengymnasium, einer katholischen Mädchenschule, sie geht dort auf den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Zweig und interessiert sich vor allem für Wirtschaft, Recht, Sozialkunde und Geschichte. Die zwei Stunden Sozialkunde pro Woche statt einer, die sie jetzt in der Oberstufe hat, sollen auch ihrer politischen Karriere zu Gute kommen. Denn noch bevor sie 2024 Abitur macht, will sie sich im Wahlkampf, bei der Landtags-und Bezirkstagswahlen 2023, beweisen. Schulz ist Direktkandidatin der Partei Die Linke für den Bezirkstag und gerade dabei, sich einen Namen zu machen. Sie war Delegierte beim Landesparteitag Anfang Oktober und hat dort nicht nur eine Rede gehalten, sondern auch die neuen Landesprecherinnen der Partei gewählt - und auf diese Weise mit dafür gesorgt, dass die bayerische Linke nun von einer weiblichen Doppelspitze geführt wird