Der gebürtige Regensburger Valentin Goppel, 22, gehört zu den upcoming talents unter den deutschen Fotojournalisten. Leitmedien wie „Spiegel“ und „Zeit“ nehmen ihm seine Bilder gern ab – auch, weil er einer der wenigen ist, die sich „wirklich intensiv mit dem Thema Jugend auseinandersetzen“, wie er sagt. Für seine neueste Arbeit „Between the Years“, eine monatelange Recherche zu den Problemen und Befindlichkeiten junger Leute in der Pandemie, hat Goppel sogar seine Gesundheit riskiert. Ein Interview

0941mag: Reden wir über „Between the Years“: Ist das wörtlich zu nehmen?

Valentin Goppel: Es ist eigentlich mehr bildhaft gemeint, mit Blick auf diesen Schwebezustand zwischen Weihnachten und Silvester, wo alles noch nicht so richtig eine Form gefunden hat und man auch nicht weiß, was kommt und wie es weitergeht. In diesem Sinn beschreibt „Between the Years“ den Zustand zwischen der Zeit vor der Pandemie und der Zeit danach. Aber auch die Phase zwischen Kind und Erwachsensein, die wir – also die Leute, die ich fotografiert habe, und ich – während Corona durchlebten.

Sie hatten damals gerade eine andere Arbeit beendet …

… die Argentinien-Arbeit, genau. Ich hab’ da im Februar 2020 eine Zeitlang in einem Dorf gelebt, war vorher im Rahmen eines Schüleraustauschs schon mal da gewesen, und hab’ meine Freunde von damals wieder getroffen und fotografiert. Ich hatte also schon vor „Between the Years“ eine Arbeit über eine Jugend im Stillstand gemacht, in diesem argentinischen Dorf im Nirgendwo, in der sprichwörtlichen Pampa (die Region heißt auch so), mit Leuten, die darauf warten, dass sich etwas ändert. Und die hat sich dann in Zeiten von Corona quasi zum Selbstläufer entwickelt – bis hin zur Anfrage der „Zeit“, ob ich Jugend im Stillstand nicht auch in Deutschland fotografieren könnte. 

Klingt logisch.

Ja, aber ich hab’ nach Argentinien erst mal Zeit gebraucht, um mich auf die neuen Umstände durch Corona einzustellen. Ich war überfordert, von diesem Schwebezustand, den Restriktionen, Lockdowns etc. – ausgerechnet in dem Moment, wo ich ganz viel Energie gehabt hätte, um weiter zu machen. Das hat mich total rausgeworfen wie viele andere auch. Und gefangen habe ich mich erst wieder Ende 2020. Als mir aufging, dass ich mit „Between the Years“ mein Gefühl des Verlorenseins zum Thema machen konnte. 

War Ihnen gleich klar, dass die Pandemie Ihr Leben, wie Sie es kannten, und auch das Ihrer Kommiliton:innen, Freund:innen und Bekannten verändern würde?

Als auf einmal das ganze öffentliche Leben eingeschränkt wurde und man nur noch zum Einkaufen raus durfte, wusste ich: Das ist jetzt hier der Ausnahmezustand! Aber ich fand’s auch irgendwie spannend und aufregend. Ich hab’ oft „Tagesschau“ geguckt, weil ich das Gefühl hatte, es passiert gerade ganz, ganz viel – und ich bin Teil davon! Ich glaube, die ersten Monate habe ich tatsächlich genossen. Damals habe ich mich mit meiner Freundin daheim so quasi eingeschlossen. Wir haben Listen gemacht mit schönen Dingen, die wir zu zweit tun wollten, ohne abgelenkt zu sein von irgendwelchen Uni-Aufgaben oder Projekten …

Corona #1: „… die ersten Monate tatsächlich genossen“ / alle Fotos: Valentin Goppel

Wann haben Sie das erste Mal gespürt, dass etwas aus der Balance gerät?

Zuallererst habe ich es an mir selbst gemerkt. In der Zeit mit Corona habe ich mich zum ersten Mal mit mir selber auseinandergesetzt in dem Sinn, dass ich Konflikten, die vorher schon da waren – in mir oder in meinem direkten Umfeld mit meinen Eltern oder Freunden oder so – das Gewicht und den Raum gegeben habe, der ihnen zusteht. Seitdem bin ich auch in Therapie. 

Und im Kontakt nach außen?

Also, ich bin ja kurz vor Corona von Regensburg nach Hannover gezogen und nach drei oder vier Monaten dort kam schon der Lockdown. Das führte bei mir dazu, dass ich mich ganz stark auf die Kontakte verlassen und fokussiert hab, die ich auch vorher schon hatte. Ich hab einfach viel mit meinen Leuten in Regensburg telefoniert. Und mit meiner Freundin bin ich, wie gesagt, so ein bisschen verschmolzen in diesen Monaten. Gleichzeitig sind die ganzen losen Kontakte und Verbindungen, die in den ersten Monaten des Studiums in Hannover entstanden sind, quasi irrelevant geworden. Die habe ich erstmal fallen lassen. Das heißt: Mein ganzes Umfeld hat sich plötzlich auf ein paar wenige Leute reduziert, auf meine WG, mit der es dann auch auf einmal ganz eng wurde, zu eng wahrscheinlich, irgendwie.

Wann haben Sie gemerkt, dass die Befindlichkeiten junger Menschen in einer wirtschaftlich und gesellschaftlich angespannten Situation wie der Pandemie nicht die oberste Prio haben? Dass man sie mit ihren Problemen allein lassen würde?

Ich weiß nicht, ich glaube, das ist ein allgemeines Problem, dass man Jugendliche nicht so richtig ernst nimmt! Kritisch wird das in einem Alter, wo man für sich selber eigentlich schon weiß, was man möchte und in welche Richtung es gehen soll. Wo man aber noch nicht erwachsen oder unabhängig genug ist, diese Entscheidung selber umzusetzen – und entsprechend mehr Zuwendung bräuchte. Die man aber nicht bekommt. Genau das hat Corona noch mal krass verstärkt.

Inwiefern?

Insofern, als Eltern zu Recht erst mal die Verantwortung für die Kleineren übernommen haben, Jugendliche aber selbst Lösungen finden mussten, um ihre sozialen Bedürfnisse auszuleben. Ich glaube, viele von uns haben sich da in ganz vielen Dingen auch bevormundet gefühlt, zum Beispiel, indem uns ständig unterstellt worden ist, dass wir nur Party machen wollen. Man hat die ganze Zeit mit so nem Unwillen auf die Jugend geguckt, die sich nicht an dIe Corona-Vorschriften hält usw. – dabei hat das größtenteils gar nicht gestimmt. Die Jugend war, gerade in den zwei Jahren mit Corona, sehr, sehr solidarisch, weitaus mehr als Erwachsene, die ganz andere Möglichkeiten haben – auch, wenn’s darum geht, sich gegen Corona-Maßnahmen zu entscheiden. Mein Gefühl war, dass unsere Generation zum Buhmann gemacht werden sollte. Ständig wurden Videos gezeigt von Leuten, die sich in irgendwelchen Bars oder illegal auf der Straße treffen. Mit meiner Arbeit habe ich versucht, einen differenzierteren Blick auf das Thema zu werfen.

Das heißt?

Natürlich haben Jugendliche einen Drang und einen Hunger auf soziales Leben, den ich auch gar nicht negiere – es war ja bestimmt so, dass sich auch Jugendliche illegal getroffen haben und ich hab das auch fotografiert, weil ich wusste, dass das wichtig ist. Aber den unreflektierten Blick auf die unsolidarische Jugend, den wollte ich brechen. Mir ging’s darum zu zeigen, dass Jugendliche auch Menschen sind, in einer Komplexität, die man ihnen aber erstmal aberkennt.

Corona#2: „Unreflektierter Blick auf die unsolidarische Jugend“

Wir reden von Deutschland oft als einer „gespaltenen Gesellschaft“ und ein Riss ist wohl der zwischen Jung und Alt. Erleben Sie das auch so? Über das hinaus, was Sie schon gesagt haben? Und hat die Pandemie diese Gräben noch vertieft?

Das ist ne wichtige Frage. Ich würde sagen: Ja, der Graben ist da, wobei ich nicht weiß, ob sich das auf Deutschland beschränkt. Es ist auf jeden Fall so, dass wenig Verständnis herrscht zwischen Jung und Alt. Das ist einerseits bestimmt ein Symptom von Pubertät, dass man sich distanziert und dass einen umgekehrt die Eltern nicht mehr verstehen (wollen). Aber man sieht es auch am aktuellen Diskurs über einen verpflichtenden Zivildienst. Ich bin da jetzt nicht hundertprozentig im Film. Aber klar ist: Durch ein verpflichtendes Jahr zwischen der Schulzeit, die man sowieso schon verkürzt hat, damit wir effektiver sind, und dem Beruf, in den man möglichst schnell einsteigen soll, bliebe jungen Leuten noch weniger Raum für Selbstentfaltung. Und das sorgt natürlich für Unwillen. Es ist doch ohnehin schon alles so leistungsorientiert! Und wenn dann junge Leute, von denen die wenigsten in den letzten Jahren ein Gefühl von Freiheit hatten, durch ein verpflichtendes Jahr noch mehr in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, bin ich der Meinung, dass man dem entgegenwirken muss.

„Between the Years“ ist Ihr Versuch, das Unbehagen der Jungen sichtbar zu machen. Kann man das so sagen? 

Also erst mal habe ich versucht darzustellen, wie es Jugendlichen gerade geht – eben, so wie ich’s geschildert habe, so ein differenzierterer Blick auf unsere Generation in Zeiten von Corona abseits irgendwelcher Vorurteile. Das habe ich in Etappen abgearbeitet und irgendwann, so nach nem halben Jahr, habe ich gemerkt, dass ich mit den Motiven, die ich im Kopf hatte, durch war und trotzdem dranbleiben und weitermachen wollte. Von dem Moment an wurde es auch autobiografisch. Ich hab’ mich von diesem sehr analytischen Ansatz, Jugend in Zeiten von Corona zu fotografieren, gelöst und angefangen, mich selber zu fotografieren, meine Ängste und meine Gefühlslagen, die ja auch stark beeinflusst sind davon, dass ich noch recht jung bin und mit vielen Dingen noch nicht richtig umzugehen weiß.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel war das Ding, dass im Juni 2021, gerade an dem Punkt, wo ich das Wesentliche so ziemlich fotografiert hatte, sich meine Freundin von mir getrennt hat, mit der ich davor so eng gewesen war. Auf einmal stand ich quasi alleine da und dieses Alleinsein habe ich dann durch die Fotografie auf eine sehr produktive und sinnvolle Weise verarbeitet, glaube ich. Mir wurde klar, dass das Alleinsein zum Jungsein dazu gehört. Dass das Gefühle sind, die man auf irgendeine Weise irgendwann mal erfährt. Und so ging das dann weiter. Was ich auch verarbeite, sind Konflikte mit Eltern – zum Beispiel kommt in der ganzen Arbeit kein einziger Vater vor. Das ist mir selbst auch erst im Nachhinein aufgefallen.

Sie sind für Ihr Projekt vorübergehend sogar in die WGs Ihrer Freunde gezogen. Wie haben die reagiert?

Für die meisten war’s okay. Sie haben verstanden, worum es mir geht. Dass es gut ist und notwendig, wenn in dieser Situation mal einer drauf schaut und fotografiert, was mit ihnen passiert. Umgekehrt war’s für mich in diesem sehr frühen Stadium der Arbeit erst mal wichtig, Boden unter die Füße zu bekommen. Einfach mal so nen Alltag fotografieren zu können ist mir natürlich sehr entgegengekommen.

Corona#3: „Auf einmal eng, zu eng wahrscheinlich, irgendwie“

Braucht man eigentlich so eine Kamikaze-Mentalität, um authentische Fotos machen zu können? Sie hätten sich anstecken können, von der Übertretung der einen oder anderen Corona-Vorschrift mal ganz abgesehen. 

Das ist jetzt ein bisschen suggestiv  …Ich sag’ mal so: Die drei Projekte, an denen ich in den letzten Jahren gearbeitet habe, sind das Corona-Projekt, Fotos von meinen Eltern, die ich gemacht habe, und ich bin an die ukrainische Grenze gefahren in der zweiten Woche des Krieges. In allen drei Fällen war’s so, dass ich das Gefühl hatte, das erzählen zu müssen. Ich hab’ mich dazu innerlich verpflichtet gefühlt. Und in allen drei Fällen bedeutet die Arbeit daran aber, dass man verschiedenste Vorkehrungen trifft. Um dokumentarisch zu arbeiten, darf man einerseits keine Hemmungen haben, die Dinge, die man selber für wichtig erachtet, dann auch anzugehen, was Vorsicht verlangt, aber auch Mut. Je nachdem. Meistens braucht man beides. Und beim Corona-Projekt gab es bei mir ein ganz klares Abwägen.

Nämlich?

Zum Beispiel habe ich gerade in den ersten Monaten viel in Bayern fotografiert, weil es das einzige Bundesland war, wo man sich gratis testen lassen konnte. Nach meinen Fototrips hab ich mich dann erst mal in einer leer stehenden Wohnung von ner Freundin in Hannover isoliert, die zu ihrem Freund gezogen war und ihr WG-Zimmer stand noch leer. Das heißt, ich bin von mir aus in Quarantäne gegangen, um dann später noch mal einen Test zu machen. Das waren so Dinge, die ich getan habe, um mich abzusichern, als noch nicht klar, was Corona eigentlich bedeutet. Trotz aller Vorsicht aber muss man natürlich vom Prinzip her bereit sein, für eine Geschichte, die man erzählen will, auch ins Risiko zu gehen, wobei dieses Risiko moralischer oder auch eben – wie hier – gesundheitlicher Natur sein kann. 

Sie haben ja schon gesagt, dass Sie Ihr Corona-Projekt in zwei Phasen fotografiert haben. Das würde auch erklären, warum manche Fotos mehr dokumentarisch wirken und andere einen stark artifiziellen Charakter haben – mit eindrücklichen Szenen in penibel ausgeleuchteten Settings  in der Grundstimmung zwischen klaustrophob und spooky. Ist das noch „echt“? 

Mein Verständnis von Fotografie ist, dass ich eine objektive Wahrheit im Bild eh nicht herstellen kann – und deshalb  versuche ich es auch nicht. An der Uni bekommt man immer gesagt, wir sollten beim Fotografieren zur Fliege an der Wand werden, rein nur beobachten und am besten aus der Ecke heraus fotografieren. Das Ding ist aber, wenn man sich mit Leuten trifft – also wenn die wissen, dass man kommt, um sie zu fotografieren – verhalten die sich sowieso schon anders. Vielleicht haben sie sich erst geschminkt, sie gucken auf jeden Fall anders, versuchen vielleicht zu lächeln oder gut auszusehen für die Kamera, damit sie das Bild dann auf Instagram verwenden können oder damit sie gut wegkommen auf dem Bild. Damit ist das Ganze schon verfälscht. Dazu kommt, dass ich als Fotograf mit meiner Fotografie ja immer eine Meinung ausdrücke. Wenn ich meine Kamera in eine Richtung richte, selektiere ich den Fokus. Wenn ich abdrücke, entscheide ich, welche Situation oder Emotion ich erzählenswert finde. Mit jeder Entscheidung, die ich treffe, komme ich weiter weg von so ner „objektiven Wahrheit“ …obwohl ich natürlich schon den Anspruch habe, die Wahrheit zu erzählen. Das ist ein Dilemma.

Und der Ausweg? Ist die Inszenierung?

Ich denke mir: Wenn ich schon nicht ganze Wahrheit erzählen kann, kann ich ja versuchen, meine Wahrheit zu erzählen, nämlich das, was ich von mir selber kenne, was sich für mich richtig anfühlt – und das ist ganz oft übertragbar auf die Gefühle von anderen. Zum Beispiel, wenn ich versuche zu zeigen, wie es sich anfühlt, wenn meine Freundin mich verlässt, dann spreche ich da von Einsamkeit. Und wenn ich mich mit jemandem verabrede, um ein Bild zu machen, das sich für mich so anfühlt, wie ich mich fühle, dann ist das in seiner aufgeladenen Weise, mit ner guten Lichtwirkung, ikonografisch fast, ganz oft etwas, wo sich die Leute sehr viel besser reinlesen können – obwohl oder gerade weil das Bild nicht versucht, die ganze Wahrheit darzustellen. Umgekehrt ist es so, dass mich klassische fotorealistische Bilder – weitwinklig, ausm Eck raus, mit viel Dynamik –  oft gar nicht so sehr berühren, weil ich das Gefühl habe, sie sind auf ne bestimmte Weise zu gewollt. 

Sie verlangen viel von sich! Hat das was mit Gewissen zu tun? Besteht der Goppel-Touch Ihrer Fotografie – in der Gewissenhaftigkeit? 

Ich denk viel nach über die Dinge, die ich tue, weiß aber nicht, ob das reicht. Das Ding ist ja, ich hab generell immer große Probleme mit meiner Arbeit, Zweifel auch, an vielen Dingen, und muss mich dann ganz oft mit mir auf Mittelwege einigen. Das fängt damit an, dass ich zum Beispiel nicht alle Leute, die ich fotografiere, mag. Und dass dann zum Beispiel auch die Frage ist: Wem biete ich jetzt eine Plattform und wem biete ich keine? Folge ich einem spontanen Impuls oder entscheide ich mich dafür, ein Bild zu inszenieren? Das sind immer auch Gewissensfragen, die damit einhergehen und ich weiß nicht, ob ich dem gerecht werde.

Ihre Bilder werden Ihnen von Leitmedien wie „Zeit“ und „Spiegel“ gerne abgenommen. Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass es doch ein Interesse daran gibt, wie es jungen Leuten heute geht?

Die Frage wird gestellt. Das Interesse ist da. Aber nicht viele Leute trauen sich die Antwort zu geben. Nämlich: Dass es der Jugend nicht gut geht! Ich glaube, die Frage müsste viel öfter gestellt werden. Das Thema müsste viel präsenter sein. Auch in Leitmedien wie „Spiegel“ oder „Zeit“. Ein gutes Beispiel ist, wie ich den Auftrag von der „Zeit“ bekommen habe – nämlich von der Bildredaktion, deren Job es eigentlich ist, Artikel zu bebildern. Nur dass es in dem Moment noch keinen Artikel gab! Die Bildredaktion sagte mir, früher oder später wird jemand die Frage stellen, wie es deiner Generation geht und dann müssen wir das Bild dafür finden und hoffentlich hast du’s dann schon fotografiert! Mit anderen Worten: Niemand aus der Textredaktion hatte bis dahin die Frage gestellt, wie es jungen Leuten in der Pandemie so geht. Aber es gibt auch unter den Fotografen in Deutschland nicht viele, die sich mit dem Thema Jugend wirklich intensiv auseinandersetzen.

Corona#4: „… in der ganzen Arbeit kein einziger Vater“

Vor der Pandemie hatte einer von zehn Jugendlichen Symptome von Depression, am Ende des ersten Lockdowns einer von vier. Was meinen Sie: Bekommen wir es da mit einer Lost Generation zu tun?

Von „Lost Generation“ würde ich nicht sprechen – ich hab’ ehrlich gesagt schon ein Problem mit dem Begriff, den sich meine Generation ganz bestimmt nicht selber ausgedacht hat! Ich glaube, wir alle lernen uns gerade kennen, mit ner differenzierten Wahrnehmung der eigenen Identität. Wir plagen uns ab mit Corona, mit Gewissensfragen und dem Klimawandel – vielleicht mehr als die Generationen vor uns! Da haben wir einiges zu stemmen. „Lost“ sind wir bestimmt nicht. Nur manchmal überfordert! 

Was wird passieren, wenn im kommenden Herbst/ Winter wieder alle auf Abstand gehen müssen?

Ich glaube, durch die Routine, die wir nach zwei Jahren  Corona mit der Pandemie haben, wird die nächste Welle, wenn sie denn kommt, wahrscheinlich leichter zu meistern sein. Trotzdem sollte man sich besser nicht darauf verlassen, dass es einem leicht fällt, durchzuhalten. Unter meinen Freunden und engen Bekannten haben wir gerade viel Energie, den Gedanken an Corona von uns wegzuhalten. Die Möglichkeit, dass man im Wintersemester vielleicht wieder zu Hause bleiben muss – und dass der Hochschulbetrieb wieder online laufen könnte – lassen viele ganz bewusst nicht an sich ran.

Valentin Goppel, Jahrgang 2000, geboren in Regensburg, war Redakteur der Schülerzeitung „Blickpunkt“ am Regensburger Von-Müller Gymnasium. Er interessierte sich früh für Journalismus, Fotografie und Politik und arbeitete nach dem Abitur zunächst als Assistent des Regensburger Fotografen Florian Hammerich. Aktuell studiert er Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover und arbeitet frei (u.a.) für „Spiegel“ und „Zeit“. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet - zuletzt etwa mit dem New York Portfolio Review (2022) und dem Vonovia Award für Fotografie in der Kategorie Beste Nachwuchsarbeit (2020). Thematisch liegt Goppels Fokus auf sozialen Themen, die er mit Eindrücken aus der Sicht Betroffener illustriert wie in der Serie „flüchtig“ über Geflüchtete an der ukrainisch-polnischen Grenze. Oder in „Between the Years“ über die Auswirkungen der Pandemie auf das Leben und das Lebensgefühl junger Menschen. Ein Querschnitt von Goppels fotojournalistischen Arbeiten war zuletzt im Sprengel Museum Hannover, im Kunstmuseum Bochum und in der Berliner Galerie Koschmieder zu sehen. Von 22. September bis 23. Oktober zeigt Goppel auf Einladung der Stadt Regensburg im Neuen Kunstverein „Between the Years“.