Es ist die Geisterdebatte dieses Sommers, man kommt nicht dran vorbei, aber so richtig führen will sie auch keine.r: Bleibt die Frage: Was soll dann dieses permanente Grundrauschen, das Gewese um weiblich und männlich gelesene Brüste in den Freibädern der Republik? Braucht das jemand oder kann das weg? Unsere Gastautorin Sophia Weigert hat da einen klaren Standpunkt. Warum Oben-ohne-Baden für alle möglich sein muss – ein Selbstversuch

Eins vorweg: Ich bin nicht auf Krawall gebürstet! Wenn ich mich aufrege, dann nicht ohne Grund. Und in dem Fall, das gebe ich zu, kann ich schon mal wütend werden – auch auf mich selbst übrigens, wie gerade eben, in der Umkleide eines Regensburger Bades (welches, spielt keine Rolle, denkt euch eins, die Regeln sind überall die gleichen und werden gemacht von den Bäderbetrieben).

Ich steh da also, in dieser Umkleide – und bin nervös.

Das ist jetzt nicht wahr, denke ich, oder? Von all den Typen am Beckenrand, an denen ich bisher vorbei gekommen bin (und die total relaxt ihre nackten Männerbrüste in die Sonne halten) war keiner nervös! Warum reagierst du dann so, frage ich mich, während es in meinem Kopf nur so rattert: Was wird passieren, wenn ich gleich statt im Bikini nur mit Badehose da draußen auftauche, wie ich es mir vorgenommen habe?

Wird der Schwimmmeister mir erklären, dass das nicht geht? Wird er mir die „Allgemeinen Badebedingungen“ für den Aufenthalt in den Bädern der Stadt unter die Nase halten, auf den Passus mit der „üblichen Badebekleidung“ verweisen? Cool down, Sophia, sag ich mir.

Was heißt schon „üblich“? Was soll das sein? Wer bestimmt, was üblich ist? Und sind die Auffassungen darüber nicht schon qua Definition im Fluß? Wenn es nicht gegen das Anstandsgefühl der Durchschnittsgesellschaft verstößt, dass ich mich als Frau „oben ohne“ sonne (was in den Freibädern der Republik seit ungefähr einem halben Jahrhundert als völlig selbstverständlich gilt), warum soll ich dann nicht auch aufstehen, mir eine Limo holen oder kurz ins Wasser springen können?

Nicht euer Ernst, denke ich. Aber was, wenn doch? Wird der Schwimmmeister das Hausrecht bemühen, mit Ordnungsgeld drohen, mir Platzverweis erteilen? Oder wird er mit sich reden lassen, sich vielleicht sogar auf eine Diskussion darüber einlassen, warum ich meinen Oberkörper bedecken muss, der Mensch mit dem männlich gelesenen Körper dort drüben aber nicht?

Das wäre das Best-Case-Szenario. Einerseits. Andererseits kenne ich mich selber gut genug, um zu wissen, dass so etwas auch grausam schief gehen kann – und das muss noch nicht mal die Schuld des Schwimmmeisters sein. Denn was diese Oben-ohne-Kiste betrifft, bin ich ein gebranntes Kind. 

Da ist mein Über-Ich, all diese Moralvorstellungen, die uns irgendwann von irgendjemanden eingetrichtert worden sind wie die, dass ich mich als Frau für meine nackte Brust „schämen“ muss.

Da sind Erfahrungen, wie ich sie neulich an einem Baggersee in Süddeutschland gemacht habe, wo ein Mitarbeiter der Strand-Security mir verklickern wollte, dass sich „Familien mit Kindern“ belästigt fühlen könnten, wenn ich „hier oben ohne bade“. Ich dachte nur: Mann! 80 Prozent der Kinder in Deutschland werden von ihren Müttern gestillt. Die haben alle schon mal weibliche Brüste gesehen! Und hat sich je eine*r  beschwert? Hat es jemanden für den Rest des Lebens traumatisiert?

Eben.

„Freiheit und Gleichheit für alle, und ein Schwimmbad, in dem alle Körper willkommen sind: Das wäre ein Traum“ © pexels-maria-orlova-4947562

Was ich sagen will (und ich denke, ihr habt’s kapiert): Je bescheuerter, frauenfeindlicher, respektloser die Argumente, umso mehr rege ich mich auf. Und wenn ich dann noch lese, wie beispielsweise die AfD in Sachen Oben-ohne-Baden argumentiert, sehe ich endgültig Rot.

Die Stigmatisierung der weiblichen Brust ist ein gesellschaftliches Phänomen, weibliche Brüste werden sexualisiert, sind gefährlich für Kinder und lenken angeblich andere Leute ab. Den Unfug hör ich oft. Das bin ich gewohnt. Aber wenn nun die AfD das Bedecken der Brust „zum Schutz der Frauen“ empfiehlt, weil die doch „kein Freiwild sein sollen“, dann bedient sie damit das schlimmste Klischee – nämlich, dass das Oben-ohne-Schwimmen eine sexuelle Provokation darstellt, die zu Übergriffen einlädt.

Nach dieser Auffassung sind die Frauen selber schuld, wenn die Männer sich nicht mehr beherrschen können und ihnen Gewalt antun. Man nennt das Victim-Blaming. Eine bewährte Methode der Täter-Opfer-Umkehr, im Dienste des Patriarchats. Und bevor ihr jetzt fragt: Nein, diesen Wahnsinn erfinde ich nicht etwa, um meine Geschichte aufzupeppen. Genauso hat die Mainzer AfD im Juni argumentiert, als es um die Liberalisierung der Badevorschriften in einem städtischen Freibad ging.

Mainz ist nicht die einzige Stadt, in der sich in Sachen Oben-oben-Baden gerade was bewegt. Saarbrücken, Wiesbaden, Göttingen, Hannover, München haben die bisher geltenden Verbote in den städtischen Bädern schon aufgehoben. Die größten Reibungsverluste mit mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen gab’s überraschenderweise in Berlin, wo eine Aktivistin noch im Dezember 2022 einen Polizeieinsatz auslöste, als sie in einem Hallenbad mit entblößten Brüsten schwamm.

Die 33-jährige legte Beschwerde bei der Berliner Antidiskriminierungsstelle ein: Die weibliche Brust sei keine Belästigung, man könne den einen Menschen nicht zugestehen, was man den anderen wegen zweier X-Chromosomen verweigere. Das sah auch die Schiedsstelle so. Und die Berliner Badebetriebe erklärten daraufhin das Schwimmen oben ohne in ihren Bädern sowohl für Frauen wie für Männer für „gleichermaßen zulässig“.

Bin ich also auf der sicheren Seite, hier und jetzt, nur mit Badehose, ohne Oberteil? Ganz so einfach ist es nicht. Aber auch nicht aussichtslos. Im Gegenteil.

„Die Maßstäbe, die insbesondere das Bundesverfassungsgericht für eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts aufgestellt hat, sind sehr hoch“, sagt Soraia Da Costa Batista von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die sich stark in Menschen- und Grundrechtsfragen engagiert und Musterprozesse koordiniert: „Bekleidungsvorschriften zum Beispiel, die nach dem Geschlecht differenzieren, darf es nur aus sehr gewichtigen Gründen geben. Ein geschlechtliches Schamgefühl als Rechtfertigung ist unserer Ansicht nach keinesfalls ausreichend.“

Das klingt schon mal gut, finde ich, und auch, was Da Costa Batista mir sonst noch sagt: „Eine Regelung, die allen Personen eine Pflicht zur Bekleidung des Oberkörpers auferlegen würde, wäre zwar ebenso diskriminierungsfrei, aber nicht vorzugswürdig, da sie eine viel größere Anzahl von Personen betreffen und einschränken würde. Wichtig ist vielmehr, dass es einen diskriminierungsfreien Rahmen gibt, in dem alle Personen eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können, ob sie ein Oberteil tragen wollen oder nicht. Neben Frauen schützt es auch trans, inter und nicht-binäre Menschen sowie Menschen ohne Geschlecht vor Diskriminierung.“ Wow!

Ich fang gleich an zu träumen, dachte ich, als ich das gehört hab. Denn das wäre natürlich ein echtes happy end, der beste aller möglichen Ausgänge dieser Oben-ohne-Debatte: Freiheit und Gleichheit für alle, und ein Schwimmbad, in dem alle Körper willkommen sind! Wie weit wir auf diesem Weg schon sind – oder wie weit davon entfernt?

Ich sag mal so: Probiert es aus! Mein Selbstversuch verlief jedenfalls erstaunlich unspektakulär. In der Dusche werde ich mit meiner Badehose komplett ignoriert. Check! Ein paar Bahnen Brustschwimmen (zwinker!) und Kraulen auf der 50-Meter-Bahn. Nix passiert! Danach zum Entspannen ins Warmwasserbecken, da sind die Badenden vielleicht weniger mit Sport und Selbstoptimierung beschäftigt und bemerken mich eher. Fehlanzeige! Weder werde ich angesprochen, noch starrt mich jemand an. Ich fühle mich ziemlich wohl, genieße das schöne Wetter und das warme Wasser.

Erst spät, im Bistro des Bads, als ich eigentlich schon durch bin mit meinem Badetag und mir nur noch ein paar Pommes holen will, wird’s gefühlt ein bisschen kritisch. Ich werde Zeugin einer Diskussion zwischen zwei Erwachsenen, die eine Handvoll Kinder beaufsichtigen – vielleicht Eltern, vielleicht Erzieher*innen. Beide schauen immer wieder in meine Richtung, gestikulieren, führen offenbar ein Streitgespräch, von dem ich aber nichts hören kann, denn laut werden sie nicht. Schließlich wenden sie sich ihren Burgern zu. Ohne mich anzusprechen. Und ohne den Schwimmmeister zu rufen. Puh!

Wenn ich meine Stimmungslage in dem Moment beschreiben müsste, würde ich sagen: Ich war erleichtert. Aber irgendwie auch ein bisschen enttäuscht. Ich habe auf den Knall gewartet. War darauf gefasst. Dass er ausgeblieben ist, hat mich überrascht. Und jetzt frage ich mich, was das bedeutet.

Haben Bäderbetriebe nach all den Negativ-Schlagzeilen dieses Sommers einfach keine Lust auf noch ne Debatte und halten den Ball deshalb flach?

Hatte ich einfach nur Glück an diesem Tag?

Wäre es einer weniger privilegierten Person, die nicht weiß ist und cis wie ich, anders ergangen?

Oder ist es so, dass wir als Gesellschaft längst weiter sind als wir uns das zutrauen und/ oder überhaupt für möglich halten? Das wäre schön! Aber auch das heißt nicht, dass wir in unserem Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, trans, inter und non binären Menschen auch nur einen Millimeter nachgeben dürfen.

Der Weg ist noch weit …

Sophia Weigert, 25, ist Ärztin und engagiert sich politisch unter anderem in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Zuletzt erschien von ihr auf 0941mag ihre Rezension des Buchs "Die Weltverbesserer - Wieviel Aktivismus verträgt die Gesellschaft?" des BR-Journalisten Knut Cordsen