Die deutsche Nationalmannschaft hat bei der Fußball-WM in Katar ein Zeichen gesetzt. Aber reicht es, sich den Mund zuzuhalten in einem Land. in dem Freiheits- und Menschenrechte jeden Tag mit Füßen getreten werden? Sandro, Sprecher von Queerpass Bayern, dem LGBTIQ-Fanclub des FC Bayern München, über die Frage, was falsch gelaufen ist bei der Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar – und was passieren muss, damit sich so ein Skandal nicht wiederholt.
0941mag: Wie hältst du’s mit der WM: Guckst du? Guckst du nicht?
Sandro: Für mich persönlich ist schon länger klar, dass ich da nichts anschauen werde. Die Nationalelf interessiert mich generell nicht so. Von daher war das jetzt auch keine schwierige Entscheidung für mich. Das Problem ist eher, dass man so einer WM eigentlich nicht auskommt: Wo du auch bist, unterwegs oder irgendwo zu Besuch, wird was gezeigt oder geschaut. Aber diesmal versuche ich wirklich aktiv zu vermeiden, dass ich davon etwas mitbekomme.
Dass es um Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Katar nicht zum Besten steht, war bekannt. Auch, dass Katar und der Weltfußballverband (FIFA ) diese Dinge unbedingt aus der WM heraushalten wollten. Wie bewertest du in dem Zusammenhang, was bisher geschah – den Auftritt der iranischen Mannschaft, die Demonstration der deutschen Elf?
Der große Unterschied ist, glaube ich, dass die iranischen Spieler echte Konsequenzen fürchten müssen – für ihre Familien daheim, die jetzt möglicherweise Probleme bekommen. Ganz abgesehen von den Konsequenzen, die ihnen selber drohen, weil sie die Nationalhymne aus Protest gegen die Gewalt in ihrem Land nicht mitgesungen haben. Die „Demonstration“ des DFB dagegen hat höchstens sportliche Konsequenzen. Oder nicht mal das. „Mund zu statt Mund auf“, wie manche Medien spotten, ist aber auch halt nicht gerade der Wahnsinnsaufstand gegen die homophobe Linie Katars und der FIFA bei dieser WM.
Die WM hätte nie an Katar vergeben werden dürfen. Richtig?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Man hätt’s vielleicht unter anderen Umständen vergeben sollen oder auf ne andere Weise. Grundsätzlich hätte man die Vergabe ja auch mit Bedingungen verknüpfen können. Man hätte sagen können: Okay, die erste Weltmeisterschaft im arabischen Raum ist für viele, die dort leben, auch eine gute Sache. Aber es gibt halt Regeln.
Zum Beispiel?
Eine der Voraussetzungen, eine WM ausrichten zu dürfen, dass es eine Frauen-Nationalmannschaft in dem Land gibt – die hatte Katar zwar mal, aber sie existiert nicht mehr. Das hat die FIFA aber nicht interessiert. Sie hat sich wirklich von Anfang an jeder Kritik verweigert und daran sieht man: Das ist denen wurscht. Denen geht es nur ums Geld und fertig. Wenn ihnen ihre (angeblichen) Werte etwas bedeuten würden, hätten sie da auch ein Auge drauf. Das gilt auch für die Situation der Arbeiter:innen. Die FIFA hätte den Kataris ja sagen können: Wenn ihr es in den zwölf Jahren zwischen Zusage und Ausrichtung nicht schafft, die Bedingungen für die Arbeiter:innen zu verbessern, geht die WM halt woanders hin. Es gibt genug Länder, deren Fußball-Infrastruktur so gut ist, dass sie so ein Turnier auch relativ kurzfristig stemmen können! Da hätte man von FIFA-Seite schon mehr Druck ausüben können.
Es ist immer noch unklar, wieviele Arbeiter:innen beim Bau der Stadien in Katar ums Leben gekommen sind: 15.799, wie Amnesty International das erhoben hat. 6500, wie der britische „Guardian“ schreibt. Oder drei (!), wie FIFA-Präsident Giovanni Infantino behauptet. Geht der Mann über Leichen?
Fakt ist, dass mittlerweile sogar die Regierung in Katar mehr Tote zugibt als Infantino!
… die von Katar finanzierte Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht von 50 toten und 506 verletzten Arbeitern aus.
Ich denke, die FIFA will die Dinge nicht sehen. Sie schaut weg, weil sie ihre Beziehung zum reichen Katar und überhaupt zu den Mächtigen dieser Welt nicht gefährden will. Das war ja rund um die WM in Russland auch nicht anders. Viele Leute fragen zwar jetzt: Wo waren denn da die Kritiker? Aber die waren schon auch da! Sie haben nur die Bühne nicht bekommen für ihre Kritik. Dass nicht jeder den Gedanken an eine WM in Russland damals super fand, ist doch klar! Die Annexion der Krim war gerade mal vier Jahre her. Und auch damals hatte man schon Probleme mit Gastarbeiter:innen. Das hatte nur aus irgendeinem Grund keine so große Medienaufmerksamkeit.
Umso ungebremster agiert die FIFA jetzt. Infantino will, dass die Welt sich endlich„auf den Fußball konzentriert“ statt sich in Menschenrechtsfragen zu verbeißen. Das klingt, als wolle er uns den Mund verbieten. Sollen wir uns das gefallen lassen?
Also ich kann zumindest für uns, für Queerpass Bayern, sagen, dass wir uns das nicht gefallen lassen! Wir haben genug Stellungnahmen in den letzten Jahren veröffentlicht! Andere Fangruppen haben Spruchbänder gezeigt („15.000 Tote für 5.760 Minuten Fußball! Schämt euch!“). Wir lassen uns bestimmt nicht den Mund verbieten!
In den Bundesligastadien hat es in den letzten Wochen noch einmal eindrucksvolle Choreographien und Demonstrationen für einen Boykott der WM gegeben. Nur: Wie sollte so ein Boykott aussehen? Und was wäre damit gewonnen?
Wie ich es sehe, gibt es für normale Fans nur eine Möglichkeit, der FIFA zu zeigen, dass sie mit der Vergabe dieser WM nicht einverstanden sind, und die besteht darin, dass die Einschaltquoten bei diesem Turnier deutlich geringer ausfallen als sonst. Dadurch packen wir die FIFA am Geldsack, da, wo’s ihnen halt wehtut, und dann überlegen sie es sich beim nächsten Mal vielleicht zweimal, ob sie die WM in Länder vergeben, wo Menschenrechtslagen unklar oder schlecht sind oder die generelle politische Ordnung eher unfrei. Es muss klar werden, dass die Masse der Leute, die sonst solche Turniere schauen, das nicht akzeptiert.
Seit 2010 steht fest, dass diese WM in Katar stattfindet. Warum kommen die Proteste so spät?
Naja, zumindest wir haben daran schon lange und immer wieder Kritik geübt. Kann sein, dass wir da einfach mehr mitkriegen, weil wir halt ein Fanclub sind, der näher dran ist an der Thematik, wenns um die Rechte der LGBTIQ-Szene geht. Was die breite Öffentlichkeit angeht, glaube ich, ist es ganz normal, dass die Kritik lauter wird je näher der Turnierstart rückt. Wenn klar wird, dass das auch wirklich stattfindet. Noch vor fünf Jahren hat doch keiner ernsthaft gedacht, dass die FIFA das wirklich durchziehen würde! Der Klimaaspekt mit den runter gekühlten Stadien kommt ja auch noch dazu. Und es hat sich nichts getan. Vielleicht hat die Leute auch frustriert, dass sie irgendwann gemerkt haben, dass alle Kritik nichts hilft – und selbst die angeblichen verbesserten Bedingungen für die Arbeiter:innen nur auf dem Papier existieren.
Über Russland haben wir schon kurz gesprochen. Jetzt hat sich der Emir von Katar noch einmal öffentlich bei Wladimir Putin „für die Zusammenarbeit bei der Organisation dieser Veranstaltung“ (der WM 2022) bedankt. Eine Extra-Ohrfeige für den Westen?
Mittlerweile, glaube ich, ist da auch viel Provokation dabei. Denn wen würde das interessieren, wenn’s nicht gerade Putin wäre? Die Kataris zeigen gerade jedem und jeder, dass sie ihr Ding jetzt durchziehen. Trotz der viel kritisierten Menschenrechtssituation. Trotz der teilweise nachgewiesenen, teilweise vermuteten Finanzierung von Islamisten und sogar Terrorgruppen – auch so ein Ding, über das viel zu wenig geredet wird. Und sich dann auch noch explizit bei Putin bedanken? Das ist einfach eine Provokation. Das geht, weil jetzt macht halt auch keiner was. Genau, wie’s plötzlich doch ein Alkoholverbot gibt. Das hatten sie wahrscheinlich von Anfang an vor. Aber wenn man’s einen Tag vor Beginn der WM macht, kann halt keiner mehr was sagen.
Wenn wir von eingeschränkten Menschen- und Freiheitsrechten in Katar reden, geht es auch um Frauenrechte und die Repressalien, denen die LGBTIQ-Community dort ausgesetzt ist. Was wisst Ihr von Queerpass Bayern, als queerer Fanclub, darüber?
Wir haben keine direkten Kontakte. Wir wissen auch gar nicht, ob es in Katar irgendwelche Gruppen gibt, denn wenn, dürfen sie ja offiziell nicht existieren. Aktivismus in Sachen LGBTIQ ist in Katar streng verboten. Es gelten, was Frauenrechte und die Rechte von LGBTIQ-Personen betrifft, die Gesetze der islamischen Scharia. So weit ich weiß, ist zwar noch niemand wegen seiner sexuellen Orientierung in Katar hingerichtet worden, zumindest nicht offiziell, aber Verfolgung, Folter und Haft sind an der Tagesordnung. Es ist, auf gut Deutsch, eine beschissene Situation, in der sich die Leute befinden.
„Katar ist ein extrem homophobes Land“ war auch das Fazit einer ntv-Doku zum Thema. Wie gehen wir damit um? Welche Möglichkeiten haben wir, darauf zu reagieren?
Es ist immer die Frage, wie man das macht und wer das macht. Auch hier ist es wieder so: Die FIFA könnte natürlich Bedingungen stellen. Im Vorfeld. Vielleicht muss man mit solchen Ländern aber auch zusammenarbeiten, wenn man will, dass sich was ändert. Doch selbst dann muss ich meine Position vertreten – und das kann ich in der LGBTIQ-Frage nicht sehen. Jetzt haben wir auch noch das Problem, dass wir das Gas aus Katar brauchen. Das ist noch mal ein ganz anderes Politikum und seitdem kann man eh nicht mehr viel bewegen. Wenn die eine Hälfte der Leute in Deutschland friert und die andere auf der Straße sitzt, weil sie sich nichts mehr leisten kann, steht die Situation der LGBTIQ-Community in Katar logischerweise nicht an erster Stelle der politischen Agenda. Und Katar kann sich zurücklehnen. Nach dem Motto: „Wenn ihr uns auf die Nerven geht, kriegt ihr halt kein Gas von uns.“
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat erst versichert, dass LGBTIQ-Fans aus Deutschland bei der WM in Katar sicher sind. Dann wusste sie das plötzlich nicht mehr so genau. Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Regierung, rät homo-, bi- und transsexuellen Menschen dagegen von der Reise nach Katar ab, weil sie dort nicht sicher seien. Ja, was denn nun?
Also mir sagen Leute aus dem LGBTIQ-Spektrum, sie würden nicht nach Katar reisen, unabhängig davon, ob jemand sagt, es ist da sicher oder nicht. Man kann sich unter den gegebenen Umständen dort nicht wohlfühlen. Ich könnte es auch nicht. Gerade beim FC Bayern kommen wir in der Champions League ja öfter mal rum in Europa. Und auch in Deutschland hat man manchmal ein ungutes Gefühl, wenn man mit der Regenbogenfahne im Gästeblock steht oder an Ordnern vorbei ins Stadion muss, die einem klar signalisieren, was sie von dir halten. Aber am schwierigsten – und gefährlichsten – ist es eben in Ländern, wo die Homophobie quasi zur Staatsräson gehört.
Der britische Außenminister hat schwule Fans dazu aufgefordert, sich bei der WM zusammenzureißen und Respekt vor der einheimischen Kultur in Katar zu zeigen. Kann man so argumentieren?
Nee. Auf keinen Fall. Ich sag’ ja auch nicht zu nem Schwarzen, er soll sich mal zusammenreißen und nicht so schwarz sein! Ich weiß nicht, wie der dazu kommt, so einen Schwachsinn zu erzählen. Ich kann ja nicht sagen: „Jetzt bin ich für nen Monat hetero!“ Einfach die Schuld bei Menschen zu suchen, die so sind, wie sie sind und nur dahin fahren möchten? Hat er gut gemacht! Hat er schön die Täter-Opfer-Rollen vertauscht …
Was glaubst du: Wird es Proteste in den Stadien geben? Und werden wir die zu sehen bekommen?
Ich kann’s mir gut vorstellen, dass was passiert, denn es gibt genug Aktivist:innen, die sich das nicht nehmen lassen, da was zu probieren. Und ich hoffe so ein bisschen, dass auch die eine oder andere Mannschaft etwas Ungeplantes tut, das wär natürlich das Beste. Und ob man’s zu sehen bekommt? In Zeiten des Internets findet sich da immer eine Möglichkeit! Wenn im Stadion Zehntausende Handys anwesend sind, lässt sich das gar nicht vermeiden. Ob man’s im Fernsehen sieht, ist wieder eine andere Frage, denn gerade die FIFA und auch die UEFA sind bekannt dafür, in solchen Fällen ganz schnell weg zu schalten. Aber: Leute, die was machen wollen – einen Platzsturm oder mit dem Fallschirm auf dem Rasen landen – die planen das auch so, dass man es zumindest kurzzeitig sieht. Außerdem, wie gesagt: Smartphone und Internet genügen, glaube ich. Proteste lassen sich heute nicht mehr so leicht unter der Decke halten.
Wir haben jetzt viel über die FIFA geredet. Aber ich finde, auch der DFB hat sich in Sachen Katar nicht mit Ruhm bekleckert – wenn ich etwa an Bernd Neuendorf denke, den Präsidenten, der sagt, er habe sich von der FIFA schon „ein deutlicheres Bekenntnis für die Menschenrechte sowie ein größeres Engagement in humanitären Fragen gewünscht“. Wir uns vom DFB auch, oder?
Es ist enttäuschend, wie der DFB sich verhält. Aber es ist halt leider auch nicht überraschend für uns. Schon, dass man sich nicht getraut hat, mit der politisch unmissverständlichen, regenbogenfarbenen Kapitänsbinde aufzulaufen und sich dieses Pseudo-Ausweichding mit der „1Love“-Binde ausgedacht hat – früher hätte man gesagt, das ist Stiefelleckerei und sonst nichts. Man kuscht halt vor der FIFA wegen irgendwelcher Verträge, die es gibt und die man einhalten muss etc, das ist nicht neu. Aber man könnte sich auch mal fragen, was wichtiger ist: Ein Vertrag oder die Menschenrechte?
Manche sehen auch die Spieler in der Pflicht.
Ich auch! Die Spieler sollten viel mehr in der Pflicht sein oder sich in der Pflicht fühlen, den Mund aufzumachen. Das passiert viel zu wenig. Vielleicht wissen die Spieler es ja auch nicht, aber sie haben eine große öffentliche Macht! Ich meine: Wenn Manuel Neuer mit ner Regenbogenbinde aufläuft, sich hinstellt und sagt: Mir doch egal, was Katar will, ich mach, was ich will! Ja, was wollen die denn machen? Den Torwart der deutschen Nationalmannschaft in den Knast stecken oder was? Sollte so was passieren, ist das Turnier halt einfach beendet. Und wenn das viele Spieler machen und nicht nur einer, kann Katar oder können sich die Machthaber dort auf den Kopf stellen. Dann können sie die WM entweder ganz abblasen oder sie ertragen es halt. Also, die Spieler sollten da viel mehr tun und sich bewusst werden, dass sie das auch können. Aber machen wir uns nichts vor: In Katar geht es auch um Karrieren und gute Verträge. Für die Spieler ist so eine WM auch eine Bühne. Und wenn du dich hier als Typ mit Ecken und Kanten zeigst und dich auch noch politisch groß aus dem Fenster hängst, erhöht das deine Chancen nicht unbedingt.
Du hast schon erwähnt, was uns Deutschen ja auch vorgehalten wird – so eine Doppelmoral, dass wir Katar auf der einen Seite kritisieren, aber in wirtschaftlicher Hinsicht gut mit ihnen können und auch wollen, Stichwort: Gas. Es gibt aber auch noch andere Beispiele. Welche Rolle, glaubst du, spielen wirtschaftliche Verflechtungen wie Katars Beteiligung an Unternehmen wie Siemens oder Deutsche Bank, Porsche und VW für unser Wohlverhalten bei dieser WM?
Wahrscheinlich eine ziemlich große! Weil die deutschen Großkonzerne sicher auch nen Lobby-Einfluss haben auf Politiker:innen hierzulande und das geht dann eben von denen aus wieder zurück an Katar. Also, dass Politiker:innen vielleicht nicht so kritisch sind, wenn ihnen Siemens und VW im Nacken sitzen, kann ich mir gut vorstellen. Aber es kommt halt auch immer darauf an, was das für Beziehungen sind. Beim Öl und beim Gas jetzt hat man nicht wirklich die Wahl. Denn wo kriegt man sein Öl und Gas denn heute her wenn nicht aus Russland oder dem arabischen Raum und beides ist menschenrechtlich oft schwierig. Nicht immer, aber oft hat man da nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und da kann man’s halt auch einfach nicht richtig machen.
Zur bitteren Wahrheit gehört auch, dass sich die Fußballer des FC Bayern – gegen erbitterten Widerstand und lautstarken Protest von Mitgliedern und Fans – seit Jahren von Katar sponsern lassen. Wie kann das sein? Sind dem FCB die eigenen Fans egal?
Ja, also die letzten beiden Jahreshauptversammlungen haben, glaube ich, doch gezeigt, dass dem Verein die Fans nicht egal sind und dass die Fans umgekehrt schon auch eine gewisse Macht haben dadurch, dass der FC Bayern immer noch ein Fan geführter Verein ist – wir dürfen ja auch wählen. So läuft das bei meisten Clubs in Deutschland zum Glück ja immer noch. Von der Jahresversammlung 2021 ist bekannt, was da so passiert ist: Dass da Leute ziemlich zornig auseinander gegangen sind. Aber in den Wochen danach wurden die Wogen von beiden Seiten auch wieder geglättet. Es wurden aktiv Gespräche gesucht und auch ehrliche Gespräche. Auch wir haben da gute Kontakte und haben viel geredet. Und zuletzt, 2022, war der Ton dann auch schon deutlich versöhnlicher und vernünftiger. Von beiden Seiten.
2023 würde der Sponsoring-Vertrag auslaufen. Oder man erneuert ihn.
Darüber redet natürlich noch niemand so wirklich oder alle winden sich raus, weil der Vertrag ganz offenbar so viel Geld abwirft, dass man ihn gerne beibehalten würde. Dieser Vertrag muss sich für den FC Bayern schon wirklich sehr lohnen – und gleichzeitig will ihn niemand haben. Also, da muss der Club schon ordentlich Geld dafür bekommen. Trotzdem ist die Frage, wie es weiter geht. Was mit diesem Vertrag jetzt passiert. Wenn sie den wieder genauso verlängern, ohne etwas zu ändern oder Bedingungen zu stellen, dann weiß ich nicht, ob die Proteste nicht irgendwann eine Stufe weiter gehen.
Nämlich wie?
Wenn man auf Fanseite merkt: Jahrelanges Protestieren und Kritisieren und Argumentieren hilft halt nicht, weil am Ende der Verein sowieso macht, was er will, dann kann das irgendwann halt auch wahltechnisch Konsequenzen geben. Du kannst den Vorstand rauswählen. Theoretisch. Praktisch aber geht es darum, ein nachhaltiges Klima zu schaffen im Verein. Die Verantwortlichen müssten sagen: Wir machen so einen Vertrag nicht mehr, weil unsere Fans das nicht möchten. Geld hin oder her. Aber da gehen die Meinungen zu dem Thema dann schon wieder auseinander. Manche wollen die Satzung dahingehend ändern, dass man Verträge mit menschen- oder freiheitsrechtlich zweifelhaften Staaten erst gar nicht haben darf. Andere wollen, dass der Club in Europa vorne mit dabei ist und sind bereit, dafür moralisch Abstriche zu machen. Diese Meinung gibt’s auch.
„Leute wie Hoeneß und Beckenbauer lassen sich von Katar kaufen“, hat der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Wenzel Michalski, gerade in einem Interview gesagt. Tatsache? Oder ein justiziabler Vorwurf?
Das ist für jemanden wie mich schwer zu beurteilen, was da genau die Wahrheit ist. Gut, Franz Beckenbauer ist in der Hinsicht spätestens seit 2006 und der WM im eigenen Land verbrannt. Dazu kommt noch sein legendärer Satz zu Katar.
… der mit den Sklaven?
Genau. Aber wenn ich nach Nordkorea fliege, sehe ich die Missstände halt auch nicht, gell…und wenn ich mich mit Offiziellen aus Katar treffe, werden mir die auch keine toten Arbeiter zeigen! Was Beckenbauer da von sich gegeben hat, war vielleicht nicht aktiv gelogen von ihm, aber einfach ultrablauäugig.
Ein paar Worte noch zu Queerpass Bayern! Ihr habt euch 2006 gegründet. Was war das Momentum damals?
Anfangs waren’s noch schwule Männer, die zusammen Fußball im Stadion schauen wollten beim FC Bayern. Mit den Jahren ist es größer und offener geworden, es war noch eine Zeitlang schwul-lesbisch, hat sich dann aber relativ schnell für alle geöffnet oder war auch nie eine geschlossene Gesellschaft. Kurz, nachdem man sich zusammengefunden hatte, hat man sich auch nicht mehr als schwul-lesbische Gruppe bezeichnet. Zu uns kommen ja auch Heteros. Wir sind offen für alle, die unsere Werte teilen und bereit sind, sich gegen Homophobie und Queerfeindlichkeit zu stellen. Wer weltoffen ist und tolerant, ist bei uns herzlich willkommen.
Gibt’s andere, vergleichbare Fanclubs in Deutschland?
Es gibt einige, die sich das Thema LGBTIQ auf die Fahne geschrieben haben. Ich glaub’ aber, dass wir eine der aktiveren Gruppen sind. Daneben gibt es auch ruhigere Gruppen, es gibt welche, die sind quasi inaktiv – was auch daran liegen könnte, dass man glaubt, dass es ausgesprochene LGBTIQ-Fanclubs nicht mehr braucht, weil die Kurve und die Ultrakultur generell schon so weit politisch links stehen, dass das Thema seinen Stellenwert hat in der Fankultur. Ich weiß nicht, ob das für manche Leute mal eine Rolle gespielt hat: So der Gedanke, wir gründen jetzt nicht explizit einen LGBTIQ-Fanclub. Aber vielleicht ist es ein Punkt, den man bedenken muss – dass vieles einfach in der Ultrakultur eh schon landet. Insgesamt sind wir bei dem Thema in Deutschland, denke ich, ganz gut aufgestellt.
Wie ist euer Standing beim FCB?
Damals bei der Gründung war ich noch nicht dabei. Aber soweit ich weiß, gab’s keine oder kaum Widerstände. Zum Zeitpunkt der Gründung herrschte bereits ein sehr offenes Klima in der Kurve, was vor allem der „Schickeria“ zu verdanken ist, die dieses Klima geschaffen hat und es auch pflegt. Das hätte auch anders laufen können, mit anderen Leuten. Deshalb bin ich froh, dass die uns quasi den Boden mit bereitet haben. Trotzdem kommt es natürlich manchmal vor, dass man von einem „Bazi“ angepöbelt wird, aber damit isoliert man sich beim FC Bayern eher, denn offene Feindseligkeit ist in der Fanszene hier nicht anschlussfähig. Neben der „Schickeria“, die da politisch einen klaren Standpunkt hat, gibt es zum Beispiel auch noch Gruppen wie „Colegio“, die viel gegen Rassismus und Homophobie machen. Also, wir sind da ganz gut aufgehoben!
Queerpass Bayern ist Teil der aktiven Fanszene der Bundesliga und Mitglied der Initiative Queer Football Fanclubs (QFF), einem Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fußball Fanclubs, die zur Weltmeisterschaft 2006 von schwul-lesbischen Fanclubs aus Berlin, Stuttgart und Dortmund gegründet wurde. QFF geht es um Toleranz für gesellschaftliche Minderheiten im Fußball, sie wenden sich gegen Diskriminierung, insbesondere aufgrund der sexuellen Orientierung und sind die aktuell größte LGBTIQ-Organisation im Fußball. Im März 2011 traten QFF öffentlich in Erscheinung. Sie äußerten sich kritisch zu Aussagen von DFB-Teammanager Oliver Bierhoff, der eine Folge des ARD-“Tatort” zum Thema “Homophobie im Fußball” prekär kommentierte. Bereits im Februar 2011 hatte der Verbund eine Resolution an die FIFA übersandt und die Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 an Katar scharf kritisiert. Seit 2011 sitzt QFF mit am Runden Tisch der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und versucht Aktionen gegen Homophobie zu koordinieren