Die Weltklimakonferenz: Ernüchternd. Die Energiekrise als Chance: Nicht genutzt. Stattdessen: Neokolonialismus nach Gutsherrenart in Afrika, wo mit deutschem Geld Gasfelder erschlossen werden sollen . Und daheim der Versuch von Konservativen, die Klimagerechtigkeitsbewegung in die Nähe von Terrororganisationen zu rücken. Sophia Weigert, angehende Ärztin und Mastermind der Regenburger Fridays for Future, über ihren Kampf um ein besseres Leben für alle, den Umgang mit Rückschlägen – und warum politischer Aktivismus nichts für Weicheier ist

Hallo, Frau Doktor!

Bin ich noch nicht (lacht). Ich schreib’ noch an meiner Promotion …

Über?

Die Rolle von Decorin, einem Protein, im Glaukom. Das Glaukom ist der Grüne Star, eine der häufigsten Ursachen für Erblindung weltweit, hauptsächlich in den reicheren Ländern, und es gibt bis heute keine kausale Behandlung. Das heißt: Man kann’s behandeln, aber man kann es nicht heilen Es ist eine fortschreitende, neuro-degenerative Erkrankung, die den Sehnerv betrifft – ähnlich wie Demenzen das Großhirn betreffen – und das Augenlicht nach und nach nimmt. Das ist natürlich tragisch. Und wenn man’s behandeln könnte oder heilen könnte – idealerweise mit einer Spritze und fertig! – wär’ das ein Traum.

Sie arbeiten aktuell auch noch im Krankenhaus, machen da gerade Ihr Praktisches Jahr. Wie war der Tag heute? Oder sollte ich besser sagen die Nacht und der Tag? 

Ich hab’ eigentlich ganz humane Arbeitszeiten! Aktuell bin ich gerade in der Notaufnahme, in der Inneren. Da fange ich so zwischen dreiviertel und viertel nach acht am Morgen an. Es ist nicht so entscheidend, wann ich da bin, denn in der Früh ist meistens noch nicht so viel los. Gegen Mittag wird’s langsam mehr. Nachmittags ist es dann meistens rappelvoll und nimmt zum Abend hin wieder ab. Ich geh dann zwischen halb vier, halb fünf am Nachmittag. Also ein ganz normaler Acht-Stunden-Tag im Moment.

Wie vertragen sich die Arbeit an der Promotion, der Job im Krankenhaus mit dem Engagement der politischen Aktivistin?

Ehrlich gesagt, zunehmend schlechter. Im Studium ging’s noch. Man muss nicht bei jeder Vorlesung anwesend sein. Auch wenn ich meistens trotzdem da war. Aber für ne Demo habe ich die Vorlesung auch mal ausfallen lassen und den Stoff selbstständig nachgearbeitet. Es gibt im Medizinstudium relativ viele Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht, aber auch Phasen ohne und die habe ich mir dann so gelegt, dass ich Aktivismus machen konnte. Sprich: in ein FFF-Plenum gehen, eine Demo organisieren, eine Rede schreiben oder Pressearbeit machen. Jetzt, wo ich um die 40 Stunden in der Woche arbeite – und da ist die Lernzeit noch nicht mitgerechnet – wird’s langsam schwierig. Bei der Räumung von Lüzerath zum Beispiel wäre ich gern vor Ort. Wenn über den News-Ticker die Nachricht kommt: „Hier rollen grad 20 Wannen an“, müsste ich eigentlich sofort in den Zug steigen und hochfahren. Aber das kann ich nicht, wenn ich im Krankenhaus am nächsten Tag auf der Matte stehen muss. Und Urlaub nehmen ist nicht so leicht. Ich kann jetzt nicht sagen: Ich will das in Teilzeit machen. Oder: Ich will unbezahlten Urlaub nehmen. Da gibt’s relativ strenge Vorgaben von der Stelle, die mich zum Staatsexamen zulassen muss. Und wenn ich mehr als 30 Tage fehle im gesamten Praktischen Jahr, dann bin ich raus. Dann muss ich das nachholen im nächsten Jahr. Oder im nächsten halben Jahr noch mal antreten. 

Sie haben FFF in Regensburg mit gegründet, richtig?

Nicht ganz! Ich bin dazu gekommen, als es die Gruppe schon gab. Aber ich war auf der allerersten Demo im Februar 2019. Ich hab’ über eine Freundin davon erfahren, bin da hin gegangen und hab’ gefragt: „Was kann ich helfen?“ Da hieß es: „Wir brauchen noch Ordner:innen, die müssen aber volljährig sein und wir haben nicht so viele volljährige Leute!“ Zu dem Zeitpunkt war ich 21. Das hat gepasst.

Pflaster-Graffito in Regensburg / © Fridays For Future

Das Motto damals war: act local, think global! Was bedeutet das konkret? 

Das heißt, dass wir auch Regionalforderungen für Regensburg ausgearbeitet haben zu verschiedenen Themen: Mobilität ist eins, Wohnen und Bauen, Bildung. Und darunter haben wir halt verschiedene Punkte subsummiert, die wir von der Stadt, von den Behörden, der Verwaltung erwarten, aber auch auf Landkreisebene fordern. Ich glaube, damals, relativ am Anfang, hatte das noch mehr Bewegungscharakter im Sinne von: Die Leute haben wirklich krass dafür gebrannt. Die Haltung war: „Scheißegal, wir machen jetzt Demos! Wir organisieren das jetzt. Und irgendwie kriegen wir das schon hin.“ Das waren ja teilweise Leute, die überhaupt keinen Plan von Demos hatten, die das noch nie gemacht hatten. Ich ja auch nicht. Und  bei der ersten Demo, die ich mit organisiert habe, bin ich dann auch geschwommen. Ich wusste nicht, wo bekommt man eine Audioanlage her. Die haben wir uns dann irgendwie von der Fakultät für Architektur geliehen. Dann muss man Dinge transportieren – dafür braucht man ein Lastenrad oder ein Auto, wo man was drauf packen kann. Also haben wir das einzige E-Leihauto ausfindig gemacht, das es damals in Regensburg gab, und eine extra Dachkonstruktion gebaut für unsere Speaker und Subwoofer. Das war abenteuerlich! Und dann montierst du das da oben drauf und merkst: Mist, uns fehlen noch drei Verlängerungskabel, wo kriegen wir die jetzt her? In fünf Minuten geht die Demo los…

Seit damals gehen FFF in Regensburg auf die Straße. Jeden Freitag?

Nein. Anfangs war’s so, dass wir jeden zweiten Freitag, teilweise jeden Freitag auf der Straße waren. Dann gab’s lange die Mahnwache am Alten Rathaus – jeden Freitag tatsächlich -, die zum Teil die Parents for Future mit ausgerichtet haben und an denen sich auch die Omas for Future beteiligt haben. Mit der Zeit hat sich das dann auf mehrere Schultern verteilt. Wirklich große Demos sind jetzt die globalen Streiks, die immer noch so gelegt werden, dass man der Schule, der Uni, dem Arbeitsplatz fernbleiben kann oder muss, wenn man da hin gehen will. Daneben setzen wir mittlerweile verstärkt auf Pressearbeit, um mehr Menschen zu erreichen. Wir sehen ja: Es gibt ganz viel Verunsicherung, ganz viel Hilflosigkeit gegenüber der Klimakatastrophe und wir müssen irgendwie schauen, dass wir alle Menschen erreichen und nicht nur die, die eh schon wissen, wo’s hingehen sollte. 

Wieviele Mitglieder hat FFF Regensburg und auf wieviele Leute können Sie bei Ihren Aktionen zählen? Was ist so der harte Kern? 

So 20 Leute vielleicht? Die alles mit organisieren, gucken, wer hält wo eine Rede, die andere Gruppen anschreiben wie zum Beispiel Seebrücke, mit denen wir beim Thema Klimaflucht eng zusammenarbeiten, oder „Kooperationsgespräche“ führen mit dem Ordnungsamt und mit der Polizei, was wir aber schon länger nicht mehr machen, weil’s nichts bringt und weil man da sowieso bloß verarscht wird. Aber das ist ein anderes Thema. Wieviele Leute auf den Demos sind? Die letzten Male so zwischen 1000 und 2000. Zu Hochzeiten kamen auch schon mal 4000. Da haben wir aber mit dem VCD, dem ADFC und Radentscheid, also den ganzen Mobilitätswende-Aktivist:innen, zusammen demonstriert. 

Wer sich als Schüler:in den FFF-Demos anschließt, wird gern als Schulschwänzer:in diskrediert. Das heißt man spricht den Teilnehmenden ab, dass sie ein echtes, drängendes politisches Anliegen haben.

Zwei Punkte spielen da mit rein. Einmal, dass sehr junge, aber auch sehr alte Menschen von der Gesellschaft oft nicht Ernst genommen werden. Und speziell jungen Menschen wird einfach abgesprochen, eine politische Meinung zu haben oder am Prozess der politischen Willensbildung mitwirken zu wollen. Wer nicht 18 ist, darf nicht wählen – eigentlich auch schon skandalös, dass die Grenze genau da gezogen wird. Nach oben hin gibt’s ja auch keine Grenzen! Und das, obwohl die unter 18-Jährigen die Folgen des heutigen politischen Handelns noch miterleben werden, die über 80-Jährigen eher weniger. Man hat also kein Wahlrecht, kein aktives, aber auch kein passives und kann deshalb auch nicht in ein Gremium gewählt werden. Man kann überhaupt nicht teilhaben – außer eben, man geht auf eine Demo.

Gab’s oder gibt’s dafür Sanktionen an den Schulen? 

Es gab reihenweise Mitteilungen, Verweise, das hängt ganz stark von der jeweiligen Schule ab. Manche sagen: „Wir erkennen an, dass Ihr euch da engagiert, finden das auch richtig, trotzdem können wir es nicht ungesühnt lassen.“ Das sehe ich auch irgendwie, dass die Schule nicht sagen kann: „Macht ruhig!“ Andere erlauben die Teilnahme mit Auflagen, etwa dass man einen Bericht schreibt über die Demo und erklärt, warum man da hin geht. Oder: Dass man sich in der Arbeitsgruppe Umwelt engagiert. Es gibt aber auch echte Hardliner, die einfach reihenweise Verweise austeilen.

Was dann?

Ich würde sagen: Cool bleiben! Es war doch immer schon so, dass nur ziviler Ungehorsam etwas erkämpft hat, oder? Und so leid’s mir tut: Die Demos, über die am meisten berichtet wird, sind die, wo’s knallt! Wo Autos brennen, wo Fensterscheiben eingeworfen werden oder wo Straßen blockiert werden. Ich will da überhaupt nicht dazu aufrufen. Ich will nur sagen, die Mediendynamik drängt uns in die Richtung des zivilen Ungehorsams. Alles, was bisher an progressiven Fortschritten erkämpft wurde: Frauenwahlrecht, die Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, ist nicht erkämpft worden, weil Leute irgendwo auf der grünen Wiese ein Plakat hoch gehalten haben: „Ich hätte aber gern…Ich würde aber gern wählen dürfen… “ Nein! Das stellen sich bayerische Innenminister vielleicht so vor. In Wirklichkeit sind die Leute auf die Straße gegangen und haben Kutschen blockiert. Das ist in der Suffragetten-Bewegung ja auch passiert. Eine Frau hat sich vor das Pferd von King George geworfen, weil sie wusste, das wird Wellen schlagen. Die hat ihr Leben geopfert für die Bewegung! Ähnlich war’s beim Bus-Boykott in den USA, wo die Schwarze Bürgerrechtsbewegung gesagt hat: „So geht’s nicht weiter! Wir wollen gleiche Rechte!“ und die öffentlichen Verkehrsmittel boykottiert hat, was bei denen zu großen finanziellen Einbußen geführt hat. Ohne zivilen Ungehorsam geht – nichts. Davon bin ich überzeugt.

Wenn man Sie googelt, findet man schnell zwei Sachen: Sie haben ein Einser-Abitur. Und: Sie sind polizeibekannt. Was ist die Geschichte dazu?

Ich hab mich mal mit zwei Freunden selbst angezeigt, weil wir containert haben und das ist in Deutschland ja eine Straftat. Es werden Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen bei uns –  und das ist legal, obwohl anderswo Menschen hungern und obwohl sich auch hier zunehmend mehr Leute gutes Essen nicht mehr leisten können. Aber wenn man dann hingeht, die Mülltonnen aufmacht und den Abfall rausnimmt, dann ist das Diebstahl. Und wenn man davor noch ein Tor aufmachen muss, ist es Einbruch. Das ist mit harten Strafen bedroht. In der Theorie. Praktisch war’s so, dass mein Verfahren eingestellt wurde. Denn Diebstahl ist ein Antragsdelikt und den Leuten, denen das Gemüse gehörte, war das nicht so wichtig. Den Supermärkten ist es sowieso lieber, dass darüber nicht geredet wird. Wenn man die fragt: „Wie schaut’s bei euch aus? Was macht ihr mit den Sachen, die weggeworfen werden? Gebt ihr die an Foodsharing oder spendet ihr’s an die Tafel?“, lautet die Standardantwort: „Wir werfen aber nichts weg.“ Eine glatte Lüge. Von dem Gemüse in meinem Kühlschrank hier ist einiges containert, denn allein hier im Viertel werden überall Sachen weggeschmissen! Typisches Beispiel: Da ist ein Netz Mandarinen und eine davon schimmelt. Schon muss der ganze Rest mit weg …  

Politischer Aktivismus ist ohne eine gewisse Unerschrockenheit nicht machbar?

Es gibt bestimmt Formen politischen Engagements, mit denen man weniger aneckt. Aber für mich hat’s nicht funktioniert. Wenn ich mich nur hinstelle und sage: Ich find’s schlecht, dass so viel Lebensmittel weggeworfen werden, dann hört mir keiner zu. Und dass wir uns damals selbst angezeigt haben, war ja auch Teil einer größeren Aktion, wo deutschlandweit Aktivist:innen unter anderem von der „Letzten Generation“, aber auch Pater Jörg Alt in Nürnberg sich angezeigt haben. Ich dachte, da kommt jetzt vielleicht tatsächlich ein Essen-retten-Gesetz. Das ist dann leider nicht passiert. Aber es haben viele Leute dafür gekämpft, dass es verboten wird, Essen wegzuwerfen. 

Man riskiert in Deutschland nicht sein Leben, wenn man demonstriert. Auch nicht, wenn man fordert, dass die Regierung in Klimafragen endlich in die Pötte kommt. Aber mit Repressalien muss man rechnen …

… und Repression hat viele Gesichter! Es sind ja nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft, die mir Dinge vorwerfen und versuchen, mich vor Gericht zu bringen, wenn ich dies oder das tue. Es fängt schon in der Familie an, wenn ich negatives Feedback bekomme für das, was ich mache. Oder fertig gemacht werde, das ist auch schon passiert, weil ich mit allem, wofür ich einstehe – Feminismus, Antirassismus, Klimagerechtigkeit – anecke. Das ist auch eine Form von Repression. Es ist nicht nur der Staatsapparat. Aber der natürlich besonders, wenn ich etwa an „Ende Gelände“ denke. Da muss man sich schon Gedanken machen vorher: Welche Dinge nehme ich in Kauf? Was mache ich, wenn in Gewahrsam lande? 

Als Klimaaktivist:innen im Juni zwei Stunden lang die Regensburger Frankenstraße blockierten, leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren ein. Zu Recht?

Formalrechtlich ja, denke ich. Aber vielleicht ist es nicht legitim? Man wirft den Aktivist:innen der „Letzten Generation“ – und in dem Rahmen ist die Aktion ja gelaufen – jetzt Nötigung vor. Doch nach allem, was ich als Nicht-Juristin weiß, setzt Nötigung voraus, dass das Ziel, für das man kämpft, verwerflich ist und das haben mittlerweile mehrere Gerichte verneint und Beschuldigte freigesprochen. An der Stelle scheint der Rechtsstaat also zu funktionieren. Unser  Argument ist halt der rechtfertigende Notstand – dass die Klimakatastrophe das Leben von Milliarden Menschen bedroht.

Aktivist:innen der „Letzten Generation“ bei einer Straßenblockade, Dezember 2022 / © IMAGO, Wolfgang Maria Weber

Wer sich auf dem Asphalt festklebt, dem drohen bis zu 30 Tage Haft. Grundlage ist das Polizeiaufgabengesetz (PAG) und eine Bestimmung darin, mit der eigentlich islamistische Terroranschläge verhindert werden sollten. Finden Sie das verhältnismäßig?

Auf keinen Fall! Das PAG ist ja nicht umsonst so umstritten. Eine meiner ersten Demos, auf denen ich war, war die gegen das PAG und gegen den Polizeistaat, der damit Schritt für Schritt aufgebaut werden soll. Ähnlich strenge Gesetze gibt’s sonst nur in NRW und in Hessen. Und es ist natürlich kein Zufall, dass gerade da, wo es viel Klimagrechtigkeitsaktivismus gibt, von konservativer Seite versucht wird, eine Handhabe zu finden. Begründet wird das dann mit dem islamistischen Terror, was in vielerlei Hinsicht verwerflich ist.:Auf der einen Seite immer so die Angst vor dem Fremden zu schüren, rassistische Gedanken und Ressentiments aufzugreifen. Aber auch, dass man’s eigentlich mit dem Hintergedanken macht, Klimagerechtigkeitsaktivismus unmöglich zu machen.

Noch brenzliger wird’s, wenn Sie unter der Überschrift „system change not climate change“ auf die Straße gehen, also für den Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus. Dann übernimmt der Verfassungsschutz. Weil mit der Kritik am Kapitalismus „in Wahrheit“ die Überwindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung angestrebt werde. Verstehen Sie die Argumentation?

Das denken mehrere Verfassungsschutzämter! Ich glaub’, „Ende Gelände“ Berlin hat mal einen system chance not climate change-Post in den sozialen Medien abgesetzt – und dann ist da gleich der Verfassungsschutz auf den Plan getreten. Ich verstehe das nicht. Ich find’s, ehrlich gesagt, sogar absurd, weil: Wer sagt denn erstens, dass Kapitalismus und Demokratie auf Gedeih und Verderb zusammengehören? Da hat der Verfassungsschutz schon mal nicht verstanden, dass die Staatsform und die Wirtschaftsordnung zwei Paar Stiefel sind. Zweitens: Wenn ich „system change“ sage, könnte das ja auch heißen: Ich will das Patriarchat abschaffen – ist ja auch einer unserer Forderungen, dass Menschen frei leben können. Also, insgesamt finde ich das ein trauriges Demokratieverständnis, das da sichtbar wird. 

Die harte Linie der bayerischen Polizei hat Tradition. Wären die Menschen hier in der Oberpfalz nicht in den 1980er-Jahren gegen die WAA auf die Barrikaden gegangen, hätten wir jetzt ein Atommüll-Lager vor der Tür. Damals aber hat man Protestierende vom Bauzaun weg einfach mal eingesperrt, um sie einzuschüchtern und den Protest zu unterbinden. Lernt Bayern nie dazu?

Das kann man sich fragen, ja! Aber: Bayern lernt insofern dazu, als wir jetzt tatsächlich lernen von den Leuten, die damals gegen die WAA gekämpft haben. Ich hab’ gute Freund:innen, die damals schon aktiv waren und viel erzählen, Unglaubliches zum Teil – dass Reizgase eingesetzt wurden, während (Polizei-)Hubschrauber über den Demonstrierenden kreisten, so dass durch die Rotoren noch mal Druck nach unten erzeugt wurde und das Gas sich besser verteilen konnte. Das war schon noch mal ne Spur krasser als heute. Heute wollen sie verhindern, dass jemand auch nur die Möglichkeit in Betracht zieht, sich auf der Straße festzukleben. Ja, sorry, kann ich da nur sagen: Damit macht man jede Demonstration unmöglich, wenn man das zu Ende denkt.

Mit Schlagstöcken und Reizgas gegen Demonstrant:innen: Alltag am Bauzaun der atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf, Juni 1987 / © IMAGO, Joker

Die Begleitmusik kommt wie in den 1980ern von der CSU, die die Aktivist:innen von heute schon mal prophylaktisch als „Klima-RAF“ verschlagwortet.

Das ist superinfam natürlich! Die RAF hat Banken überfallen, Sprengstoffanschläge verübt, Menschen entführt. Geiseln genommen. Gemordet. In der Klimagerechtigkeitsbewegung dagegen kenne ich niemanden, der auch nur im Traum daran dächte, die Hand gegen einen anderen Menschen zu erheben. Sachbeschädigung steht vielleicht auf einem anderen Blatt – wobei es auch da infam ist, von „Gewalt gegen Sachen“ zu sprechen, denn Gewalt kann sich nun mal nur gegen Menschen richten! Strukturelle Gewalt ist ein viel größeres Thema. Auch Polizeigewalt ist ein viel größeres Thema, aber darüber wird nicht geredet. Stattdessen versucht man mit Begriffen wie „Klima-RAF“ gezielt Ängste zu schüren – als wären wir Klimaaktivist:innen drauf und dran, Bomben zu bauen. Tatsächlich kämpfen wir für das gute Leben aller Menschen, für das Überleben unserer Zivilisation. Weil wenn wir hier wirklich vier Grad Erderwärmung kriegen oder auch nur 2,5 Grad, wonach es gerade aussieht, dann wird der Meeresspiegel steigen. Wir werden Wasserknappheit haben. Wir werden Nahrungsmittelknappheit haben. Indonesien, eines der fünf bevölkerungsstärksten Länder der Erde, wird zu weiten Teilen unbewohnbar. Wo sollen diese Millionen Menschen hin? Die CSU will ja gerade keine Einwanderung. Denen ist ja alles suspekt, was keinen Gamsbart trägt …

Eine bessere Welt ist nicht so leicht zu haben. Wie weit sind FFF dafür bereit zu gehen?

FFF ist definitiv der bürgerlichere Arm der Klimagerechtigkeitsbewegung. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass FFF Aachen (sag ich mal) irgendwann auf die Idee kommen, eine Straßenblockade zu machen. Wenn sie’s tun wollen, okay, das ist dann FFF Aachen. Bundesweit aber ist es schon relativ starker Konsens, dass wir solche Aktionen eher ausschließen. Das heißt nicht, dass wir nicht solidarisch sind mit Menschen, die das machen, und es heißt auch nicht, dass einzelne, die in FFF aktiv sind, sich nicht an einem Montag in München auf die Straße kleben und am Freitag wieder mit FFF demonstrieren können. Aber im Rahmen einer FFF-Demo kann ich mir sowas nicht vorstellen – was zum Beispiel die Polizei nie begreifen wird. Wir hatten auf Demos immer wieder mal krasse Polizeipräsenz mit Schlagstock, Helm etc., weil gerade zu der Zeit die „Letzte Generation“ in Süddeutschland sehr aktiv war und weil es in diesem Zusammenhang in Bayern und Baden-Württemberg viele Klebeaktionen gab. Und dann war eben die FFF-Demo Global Strike und es wurde vorher schon mal abgefragt: „Erwarten Sie, dass jemand sich auf die Straße klebt?“ Für die Polizei sind FFF, „Letzte Generation“ usw. alles eins und was sie nicht sehen, ist: Es gibt nicht die eine Klimagerechtigkeitsbewegung! Wir sind verschiedene Bewegungen, wir haben unterschiedliche Ziele und wir haben unterschiedliche Methoden, wie wir diese Ziele erreichen wollen. „Ende Gelände“ ist was anderes als „Extinction Rebellion“ ist was anderes als FFF ist was anderes als die „Letzte Generation“! Es mag personelle Überschneidungen geben und es passiert auch oft, dass Leute bei FFF anfangen und dann merken: Okay, das frustriert mich so sehr und ich gab’ so große Angst vor der Zukunft, so viel Angst um Menschen im Globalen Süden und um meine Lebensgrundlage, dass ich entschlossener reagieren muss. Dass ich mich also zum Beispiel auf die Straße klebe und bereit bin, dafür 30 Tage ins Gefängnis zu gehen. Trotzdem sind das zwei Paar Stiefel. Aber das begreift die Polizei hier nicht. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist nicht ihr Spezialgebiet, die können halt andere Sachen – Radfahrer:innen kontrollieren zum Beispiel. Aber gut, es kann nun mal niemand alles können (lacht)! Und auf politischer Ebene will die CSU uns nicht verstehen, das ist ganz klar.

Aktivistin Weigert im Protestcamp am Rand des RWE-Braunkohletagebaus in Garzweiler, NRW, Herbst 2021/ © Sabine Franzl

Wie ist die Stimmung momentan bei FFF?

Meinem Gefühl nach – und auch was ich bei größeren Demos überregional so mitbekomme – eher gedrückt. Weil einfach zu wenig vorangeht. Die Leute sind frustriert, traurig, haben Angst. Aber es ist trotzdem ein großer Kämpfergeist da. Jeder weiß, dass es so nicht weitergeht. Manche wandern ab eben in radikalere Bewegungen und Aktionsformen, manche ziehen sich zurück ins Private und sind frustriert. Neue kommen dazu. Also es ist, glaube ich, schon so, dass wir weitermachen werden. Weil, was bleibt uns anderes übrig?

Wie sind die Reaktionen auf die unlängst zu Ende gegangene Weltklimakonferenz?

Innerhalb von FFF waren die Erwartungen von vornherein nicht hoch. Denn bei Klimaschutz geht’s ja um Menschenrechte hauptsächlich: Es geht um das Recht auf Wasser, Essen, körperliche Unversehrtheit, Wohnung, also wirklich um die Basics, die Grundlagen des Lebens. Diese Konferenz mal wieder auf dem afrikanischen Kontinent abzuhalten, war an sich ein gutes Signal. Eine gute Nachricht. Aber ausgerechnet in Ägypten, einer der krassesten Diktaturen der Welt? Es gibt dort praktisch kein Freiheits- und Menschenrecht, das nicht beschnitten wird – von Pressefreiheit über reproduktive Selbstbestimmung bis hin zur freien Wahl des Berufs. Und eine Weltklimakonferenz, wo’s im Kern um Menschenrechte geht, ums Überleben und um gleiche Verteilung, in so einem Land abzuhalten, finde ich schon ein starkes Stück! Ich höre auch von Leuten, die dort waren, dass sie ständig überwacht worden sind. Du kannst dich da nicht einfach mit Vertreter:innen anderer Länder treffen und dich austauschen, wie man das auf Konferenzen macht und wie ich es selber aus dem Wissenschaftsbetrieb kenne. Das geht da nicht. Es muss wirklich krass gewesen sein.  

Wie groß ist die Ernüchterung angesichts der in Ägypten sichtbar gewordenen Bereitschaft von Teilnehmerländern, sich vom 2015 verabredeten 1,5 Grad-Ziel in Sachen Erderwärmung zu verabschieden?

Das 1,5 Grad-Ziel wird zunehmend unrealistisch, ja. Aber: Bevor diese Konferenzen angefangen haben, waren wir auf dem Weg hin zu 4 Grad. Jetzt sind wir auf einem Pfad in Richtung 2,5, 2,6 Grad ungefähr. Es ist schon was passiert und man muss auch mal die Erfolge sehen. Andererseits: 1,5 Grad – nur, damit wir uns nicht falsch verstehen – bedeutet Tod und Verderben für ganz viele Menschen! 1,5 Grad sind schon zu viel! 0,5 Grad sind zu viel! Es wird so und so Scheiße, das kann man nicht anders sagen. 

Aber was bedeutet so ein Signal? 

Das kommt nicht überraschend. Das kennen wir schon: Auf Versprechungen, die gebrochen wurden, folgten neue Versprechungen. Dann hat man das unterzeichnet – und dann sind die USA unter Trump ausgestiegen, um mal ein Beispiel zu nennen. Jetzt sind sie mit Biden wieder dabei. Aber wenn Trump zurückkommt, was ja nicht ausgeschlossen ist, geht’s vielleicht wieder retour. Man kann sich da auf nichts verlassen! Im Gegenteil. Diese COP27 hat Diktatoren wie Putin, Petrolstaaten wie Saudi Arabien eine Riesenforum geboten, um noch mal zu werben für fossile Energien. Denen wird ne Bühne geboten. Aber nicht den Menschen, die am meisten unter der Klimakatastrophe leiden. Das heißt für mich: Es braucht mehr Druck von unten! Klimaschutz muss von unten gemacht werden. Wir müssen das tun. Weil die großen Staatenlenker und Regierungschefs kriegen das nicht hin. 

FFF haben 2020 beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie eine Machbarkeitsstudie für Deutschland in Auftrag gegeben – danach wäre eine CO2-Neutralität hierzulande bis zum Jahr 2035 „aus technischer und ökonomischer Sicht zwar extrem anspruchsvoll, grundsätzlich aber möglich“. Wenn was passiert?

Ich glaube, wir müssen uns vor Augen halten: Was sind die größten Quellen von Emissionen? Das sind Wohnen, Bauen, Heizen zu etwa 40 Prozent, die Landwirtschaft mit noch mal nem ähnlich hohen Anteil, dann kommen Industrie und Verkehr. Wenn wir es schaffen, in diesen Bereichen das Steuer rumzureißen, dann kommen wir auf den Pfad in Richtung Klimaneutralität. Aber das ist auch eine Mentalitätsfrage. Wenn ich mich heute hinstelle und sage, ich bin Klimagerechtigkeits-Aktivistin, glauben 80 Prozent der Leute: „Ah, die will mir das Fliegen und die Leberkässemmel verbieten!“ Nein! Mir geht’s nicht um Konsumkritik. Es ging auch nie um Konsumkritik, auch wenn Konservative und Rechte das gern so hindrehen. Mir geht’s drum, dass die Verhältnisse geändert werden: Dass ich nicht gezwungen bin zu fliegen, wenn ich nach Ägypten will. Dass ich kein Auto brauche, wenn ich im Bayerischen Wald wohne und in Regensburg studiere. Sondern dass einfach die Verhältnisse so sind, dass ich klimaneutral leben kann. Und davon sind wir Lichtjahre entfernt! Selbst wenn ich aufhöre zu essen, zu heizen, mir irgendwelche Sachen zu kaufen, bin ich rechnerisch immer noch nicht klimaneutral, weil’s in Deutschland immer noch Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke gibt – und weil wir nun auch noch damit anfangen, Gas zu importieren, das unter schrecklichsten Bedingungen abgebaut wird usw. Davon müssen wir weg. Mir geht’s nicht um irgendne Currywurst, die jemand in der Kantine isst.

Olaf Scholz will einen „Klimaclub“ der Willigen gründen, um den Kampf gegen den Klimawandel doch noch zu gewinnen. Gleichzeitig verhandelt er mit dem Senegal über die Lieferung von Flüssiggas, womit er die Aktivist:innen der afrikanischen Initiative Don’t Gas Africa bei der COP zur Weißglut brachte. Verständlicherweise?

Auf jeden Fall! Weil was ist das Anderes als eine neue Form von Kolonialismus, wenn wir weiterhin aus den Ländern des Globalen Südens Rohstoffe importieren, hier veredeln oder verheizen und dafür dann Sachen wie Autos exportieren? So dass die Wertschöpfung wieder auf unserer Seite liegt und wir davon profitieren? Die Ausbeutung des Globalen Südens war schon im 18. Jahrhundert nicht rechtens und ist es auch heute nicht und sie muss endlich ein Ende haben. Allerdings setzt die Dekolonialisierung einen Mentalitätswandel voraus! Zu sagen: Ich will das, das und das und ich scheiß euch mit Geld zu und dann bekomme ich es, ist eine weiße Einstellung, die sich ändern muss. Doch danach sieht’s nicht aus. Wenn Olaf Scholz sagt: „Wir kommen weg von den fossilen Energien“ –  und das hat er auf der COP wörtlich so gesagt – dann lügt er. Weil genau das passiert ja nicht, wenn er wie beabsichtigt in Gas investiert. Die LNG-Terminals bei uns werden jetzt gebaut. Das heißt: Da stecken Leute ihr Geld rein, die wollen Rendite sehen und nicht in fünf Jahren hören: „Ach übrigens, wir brauchen Ihr Terminal jetzt nicht mehr, weil wir haben ganz viele Windräder gebaut!“ Nein: Die wollen, dass ihre Terminals 30 Jahre laufen. Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar. Nur ist es halt falsch. 

Als Russland Deutschland im Frühjahr den Gashahn zudrehte, sah’s vorübergehend so aus, als läge in der Energiekrise auch eine Chance. Die haben wir aber bisher nicht genutzt, oder?

Zu wenig, ja. Gerade die Wärmewende in Gebäuden beispielsweise ist technisch sehr anspruchsvoll. Eine Verkehrswende wäre technisch weniger anspruchsvoll, da müssten nur die Mittel bereitgestellt werden und der Wille müsste da sein. Die Wende in der Landwirtschaft ist auch komplex, aber die Wärmewende ist die komplexeste Herausforderung: Wärmebereitstellung für die Industrie und im Wohnbereich. Hätten wir dieses Momentum von Wir-wollen-keinen-Diktator-unterstützen oder ein paar Monate später Er-dreht-uns-den-Gashahn-zu genutzt und gesagt: „Wir machen jetzt ne Wärmeoffensive!“, dann hätte das was werden können. Wenn man gesagt hätte: „Bis Ende 2022 hat jedes Haus, in dem mehr als drei Leute wohnen, eine Wärmepumpe, bis dahin setzen wir das um“, dann hätte das dem Handwerk Aufträge und Planungssicherheit verschafft. Es würde der Industrie viel bringen, die die Wärmepumpen verkaufen kann. Und es würde auch den Menschen was bringen, die ruhigen Gewissens warm duschen und heizen könnten. Man wäre nicht mehr abhängig von instabilen Staaten – Länder, die Rohstoffe verkaufen, neigen nun mal dazu, diktatorische Zustände zu entwickeln. Mir fehlt da so ein bisschen …

Was?

… die große Vision! Politiker:innen der Vergangenheit werden ja nicht dafür gerühmt und man schaut nicht deswegen zu ihnen auf, weil sie gesagt haben: „Ja, schauen wir mal“. Im Gegenteil! Leute wie Willy Brandt werden deshalb verehrt, weil sie große Schritte gewagt haben. Das wär’ heute nicht anders. Wenn heute ein Herr Scholz sagen würde: „Okay Leute, Wärmewende jetzt sofort!“, würde das in den Köpfen der Menschen auch etwas bewirken. Man würde denken: „Wow! Der labert nicht bloß. Da ändert sich was!“ Das würde dem richtig viel fame bringen!

Stattdessen stellen jetzt alle erstaunt fest, dass wir zum Beispiel das Thema Sonnen- und Windenergie komplett aus den Augen verloren haben. Es ist, als hätte nie jemand über Erneuerbare Energien geredet. Wie konnte es dazu kommen?

Das liegt daran, dass diejenigen, die von der fossilen Infrastruktur profitieren, viel Geld haben und viel Einfluss. Die Verflechtungen zwischen dem Land NRW und dem Wirtschaftsunternehmen RWE zum Beispiel sind so unglaublich eng, da blickt keiner mehr durch. Das ist ein Filz. Eine Hand wäscht da die andere. Und so kommt es dann halt, dass NRW keine Windkrafträder baut, sondern Dörfer zerstört, um Kohle abzubaggern. In Bayern ist das nicht viel anders. Die fossile Industrie hat so viel Einfluss auf die Politik über alle Parteien hinweg! Da wird Lobbyarbeit gemacht mit Mitteln, von denen wir nur träumen können. FFF machen ja auch Lobbyarbeit, indem wir zu Podiumsveranstaltungen gehen und in Diskussionsrunden und da unsere Perspektive einbringen. Nur, dass wir halt keine Politiker:innen schmieren können, selbst wenn wir wollten, weil wir das Geld nicht haben. 

Ein heißer Sommer, brennende Wälder, ausgetrocknete Flüsse in diesem und die Jahrhundertflut im letzten Jahr haben dazu geführt, dass auch bei uns ein Bewusstsein für das Ausmaß klimabedingter Katastrophen gewachsen ist, die bisher immer nur die ärmeren Länder getroffen haben – und dass Annalena Baerbock das Thema loss and damage gegen Widerstände auf die Tagesordnung der COP setzen konnte. Wie sieht das Ergebnis aus?

Eigentlich sollte loss and damage bedeuten, dass wir Reparationen leisten für den Schaden, den wir angerichtet haben – und zahlen sollten die fossilen Industrien, die den meisten Profit gemacht haben. Das Geld sollte bei den Menschen ankommen und die sollten es ausgeben können, wie sie es für richtig halten. In Wirklichkeit ist das immer noch an irgendwelche Zwecke gekoppelt und klingt immer noch stark nach Entwicklungshilfe und danach, dass reiche westliche Staaten ärmeren Ländern vorschreiben können, was mit ihrem Geld passiert – und die Empfänger nicht tun können, was sie für nötig halten. Es ist halt wieder so ein paternalistisches Modell nach dem Motto:: „Ich als weißer Staatenführer weiß, was für euch gut und ihr habt doch sowieso keine Ahnung!“ Da schwingt so viel Verachtung und herabschauende, rassistische Gesinnung mit. Das ist keine Reparationszahlung. Das ist einfach traurig. Und die 100 Milliarden, um die es konkret geht, sind auf die ganze Welt verteilt halt einfach nix – wenn man bedenkt, dass allein die Reparatur des Ahrtals um die 20 Milliarden kostet. 

Was bedeutet es eigentlich für diesen Entschädigungsfonds, wenn China und im Zweifel auch die USA nicht mitmachen?

Das bedeutet, dass die anderen Länder mehr stemmen müssen! Aber da wir ja allein 100 Milliarden für die Bundeswehr übrig haben, muss es ja auch möglich sein, dafür Geld aufzutreiben. 

Das klingt…bitter?

Klar, macht mich das wütend. Und traurig. Und hilflos. Und es macht mir auch Angst natürlich.

Wie oft wollten Sie schon hinwerfen bei FFF?

Gute Frage. Ans Hinwerfen denke ich gar nicht, eigentlich. Ich hab’ mir mal eine Auszeit für paar Wochen genommen, wenn’s mit ner Prüfungsphase oder mit meinem Staatsexamen zusammengefallen ist. Ich hab’ dann halt gesagt, dass ich jetzt erstmal für politische Arbeit nicht erreichbar bin: „Macht ihr das mal!“ Aber das Gute ist: Die Menschen, mit denen ich Aktivismus mache, sind auch meine Freund:innen. Und mit denen verbringe ich meine Zeit so gern – also, wenn wir nicht Aktivismus machen würden, wenn wir unpolitische Menschen wären, hätten wir vielleicht nicht in der Art zusammengefunden, aber wir würden trotzdem miteinander Zeit verbringen und schöne Dinge unternehmen. Zu wissen, dass ich nicht alleine bin, gibt mir sehr viel Kraft. Ich wäre viel frustrierter, glaube ich, wenn ich hinschmeißen würde! Ich wäre viel frustrierter, wenn ich jeden Tag zu Hause sitzen und Nachrichten gucken würde, weil ich denken würde: „Was zum Himmel … da muss doch irgendjemand mal was tun!“

Don’t mess with the Girl: Weigert, mal privat. Sie liebt die Natur / © Sophia Weigert

Ist es nicht brutal anstrengend, ständig gegen Wände zu laufen, den Leuten zum x-ten Mal erklären zu müssen, wieviel CO2 sie jetzt gerade wieder produzieren, am Laptop, beim Surfen, beim Streamen, wenn sie E-Mails schreiben …

Das mach’ nicht! Wenn, dann würde ich zu Netflix oder Amazon gehen und denen sagen, hey, baut doch mal eure Server-Infrastruktur um, so dass ihr grünen Strom benutzt, und werbt damit um Kunden!

Autos werden nicht weniger, sondern immer noch mehr. Die Autoindustrie will bis in die 2040er-Jahre Verbrenner verkaufen. Auch nicht unbedingt ermutigend, oder?

Da kann ich nur sagen: Liebe Autoindustrie, schaun mer mal, wer am längeren Hebel sitzt!

Ein Tempolimit auf Autobahnen ist in Deutschland unverhandelbar, gilt quasi als Anschlag auf die Menschenrechte.

Das ist interessant, ja, auch das Freiheitsverständnis, das dahinter steckt: „Ich möchte als Bürger:in die Freiheit haben, so schnell zu fahren, wie ich will, auch wenn ich dabei im Zweifel Leute tot fahre.“ Wer dagegen als Radfahrer:in die Freiheit haben will, nicht tot gefahren zu werden, wer die Freiheit haben will, gute Luft zu atmen, die Freiheit, Kinder in die Welt zu setzen, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob die mal was zu essen haben werden – dieser Teil von Freiheit wird dabei nicht mitgedacht. Es gibt ja die schöne Formulierung: „Meine Freiheit, die Faust zu schwingen, hört da auf, wo des Anderen Kopf beginnt“. Das denkt die FDP da einfach nicht mit – und andere Leute, die in diesem Mindset drin sind von wegen „Freie Fahrt für freie Bürger“ auch nicht. Tja. Keine Ahnung, wem dieses fehlende Tempolimit etwas bringen soll. Ich meine, wenn die Leute sich wenigstens hinstellen würden und sagen würden: „Ich will aber verdammt noch mal rasen dürfen, das ist mir ein Anliegen, das ist mein Hobby, das ist mir wichtig!“ wär das okay. Dann ist das halt deren Bedürfnis – so, wie es meins ist, saubere Luft zu atmen. Nur: Saubere Luft zu atmen ist ein Menschenrecht. Rasen nicht. 

Ein Dilemma der Klimadebatte, wie wir sie in Deutschland führen, ist, dass niemand sich traut, den Leuten zu sagen, dass sie ihren Lebensstil komplett ändern müssen, wenn wir das mit der Erderwärmung geregelt bekommen wollen. Oder ist es nicht so, dass ein erheblicher Teil der Treibhausemissionen aus der Viehwirtschaft stammt?

Das ist so, ja, und es machen ja auch viele Leute was dazu. Greenpeace zum Beispiel mit Spots und Aktionen. Das ist richtig gut, was die da an politischer Arbeit leisten! Ich glaube, es gibt da zwei Wege, ranzugehen: Das eine ist, das Thema externalisierte Kosten anzugehen, das andere, Leuten ins Gewissen zu reden. Externalisierte Kosten entstehen, wenn ich Auto fahre und damit die Luft verschmutze. Oder eben wenn ich Vieh halte und das Grundwasser verunreinige durch die Nitrate in den Hinterlassenschaften der Tiere. Beides zahle ich nicht mit. Das Gut Trinkwasser oder die saubere Luft gehört allen Menschen und damit irgendwie niemanden und das ist gut so. Es bedeutet aber auch, dass im Zweifel niemand entschädigt werden muss. Würde man die externalisierten Kosten von CO2-Emissionen, Grundwasserverschmutzung, Bodenerosion etc. nun in die landwirtschaftlichen Produkte hinein internalisieren, würden Fleisch und Milch automatisch so teuer, dass es sich keiner mehr leisten kann. Dann haben wir immer noch das Problem, dass die Reichsten tun und lassen was, sie wollen. Aber für die breite Masse der Menschen hätten wir innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems schon mal ein Signal gesendet, yo, Fleisch ist ein Luxusprodukt! Das ist das eine. Das andere wäre, wie gesagt, den Leuten ins Gewissen zu reden.

Und?

Das funktioniert nicht. Ich bin ja nicht Vegetarierin geworden, weil jemand gesagt hat: „Du, denk doch mal drüber nach, Tiere essen ist total scheiße, du verfügst hier willkürlich über das Leben eines Mitlebewesens!“ Sondern ich bin vegetarisch geworden, mit 12, weil ich eine Freundin hatte, die immer richtig leckere vegetarische Sachen in der Schule dabei hatte und weil ich bei ihr daheim, beim Mittagessen, gesehen hab’, was man da alles Tolles kochen kann. Ich leb’ auch nicht vegan, weil mir jemand gesagt hat: „Boah, ganz ehrlich, Milch? Hast du mal darüber nachgedacht? Das ist für Säuglinge! Bist du etwa ein Säugling?“ Ich hab’ die Argumente alle gekannt. Trotzdem lebe ich erst seit ca. einem Jahr vegan. Es gibt Gründe, warum Menschen sich verhalten wie sie sich verhalten. Auch, dass Leute weiterhin Fleisch essen, hat Gründe. Diese Leute sind deshalb nicht automatisch böse oder denken nicht nach. Ich glaube, die allermeisten Menschen möchten über sich denken, sie sind gut. Sie möchten auch richtig handeln. Aber es fällt ihnen halt schwer. Deshalb müssen wir die Verhältnisse ändern und zwar so, dass es ihnen leichter fällt. 

Sophia Weigert, Jahrgang 1997, gebürtige Regensburgerin, hat am St. Mariengymnasium Abitur gemacht, wo sie nach eigenen Worten "eine von zwei Ökos" war. Weigert wusste schon mit 16, nach einem Praktikum im Krankenhaus, dass sie Ärztin werden will, studiert aktuell im 13. Semester Medizin an der Uni Regensburg und steht kurz vorm Staatsexamen. Ihr fachliches Interesse gilt der Anästhesiologie, Notfall- und Intensivmedizin, die Bewerbung auf eine Stelle in einem Regensburger Krankenhaus "ist schon raus". Seit 2019 engagiert sich Weigert bei den Fridays for Future (FFF) Regensburg, deren Sprecherin sie auch ist. In ihrer Freizeit geht sie gern wandern. Sie spielt Gitarre und Klavier, interessiert sich für Philosophie und "repariert gern Dinge". Aktuell plant sie ein basisdemokratisches Hausprojekt, das sie zusammen mit Freund:innen realisieren möchte